
Von Cristina Siccardi*
„Mein Wort gilt denen, die Heiligkeit erlangen wollen… Die Heiligkeit ist das eine, aber ihre Form ist verschieden und die Wege, sie zu erlangen, sind verschieden… Die Heiligkeit verlangt Nachdruck… Heilig wird, wer es will… Laßt uns hungern und dürsten nach der Heiligkeit… Laßt uns unsere Gedanken zu den Heiligen erheben… Laßt uns darüber nachdenken, was sie uns vom Paradies her sagen. Sie sind unsere Vorbilder: Sie können von allen nachgeahmt werden, weil sie sich im Leben und in der heldenhaften Tugend unterscheiden… Sie können und werden uns helfen, die Gnaden zu erlangen, die wir brauchen. Nehmen wir ihre Fürsprache mit Vertrauen und Liebe in Anspruch“, sagte der selige Giuseppe Allamano, der bald heiliggesprochen werden soll. Am 23. Mai ermächtigte Papst Franziskus das Dikasterium für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse, das Dekret über die Anerkennung eines zweiten Wunders zu verkünden, das der Fürsprache des seligen Allamano zugeschrieben wird.
„Erst Heilige, dann Missionare“, sagte er zu seinen geistlichen Kindern, den Missionaren und Missionsschwestern der Consolata:
„Als Missionare müßt ihr also nicht nur Heilige sein, sondern Heilige in einer überragenden Weise. Alle anderen Gaben reichen nicht aus, um einen Missionar zu machen! Ihr braucht Heiligkeit, große Heiligkeit. Wunder werden nicht so sehr mit der Wissenschaft, sondern vielmehr mit der Heiligkeit erreicht.“
Pater Giuseppe Allamano gehört zu den antiliberalen, antiprotestantischen und antifreimaurerischen Heiligen, die Turin im 19. Jahrhundert1 hervorgebracht hat. Die politisch korrekte Formel der sogenannten „sozialen Heiligen“, wie sie von der progressiven Vulgata verbreitet und auch Pater Allamano umgehängt wurde, entzieht den Turiner Heiligen, indem sie sie absichtlich mit Weltlichem überzieht, jedoch die Sakralität. Die Heiligen sind nicht solidarisch, sondern verkörpern die Nächstenliebe (sonst wären sie keine Heiligen). Der heilige Paulus lehrt in seinem Hymnus an die christliche Nächstenliebe, was das ist:
„Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, läßt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit. […] Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe“ (Kor 13,4–7; 13).
Allamano verkörpert genau diese heilige Nächstenliebe, die alle Heiligen auszeichnet, denn sonst würde ihr Heldentum in der Tugend fehlen, und einige von ihnen drücken sie in besonderer Weise eben stärker durch ihr aktives als ihr kontemplatives Leben aus. Aber es gibt auch viele Heilige, die Kontemplation mit Aktion verbinden, so wie es in einer antikatholischen Verfolgungszeit gegen die Heilige Mutter Kirche in der Heiligkeit dieser Voralpengegend geschehen ist, in der der Selige lebte und wirkte.

Giuseppe Allamano2 wird am 21. Januar 1851 in Castelnuovo d’Asti geboren, einer Gemeinde, die später den Namen Castelnuovo Don Bosco erhielt.3 Der Sohn gläubiger katholischer Bauern und Neffe des heiligen Joseph Cafasso (Bruder seiner Mutter), der nicht nur Beichtvater der zum Tode Verurteilten war, sondern auch ein hervorragender Ausbilder im kirchlichen Internat von Turin für viele heilige Priester (darunter auch Don Bosco), wird im Alter von nicht einmal drei Jahren durch den Tod des Vaters zum Halbwaisen. Er besucht dann das Salesianergymnasium in Valdocco, wo der heilige Don Bosco sein Erzieher ist. Für Giuseppe stand von klein auf ein Leben im Dienste Gottes als Gewißheit fest. Im Alter von 22 Jahren wird er 1873 in der Diözese Turin zum Priester geweiht. 1877 schließt er sein Studium an der Päpstlichen Theologischen Fakultät der Stadt ab und wird 1880 zunächst Assistent und dann Spiritual des Priesterseminars. Im Alter von erst 29 Jahren wird er zum Rektor des bedeutendsten Marienheiligtums der Stadt, das der Madonna Consolata, der Trösterin der Betrübten, geweiht ist. Diese Aufgabe wird er bis an sein Lebensende erfüllen und umfangreiche Renovierungsarbeiten durchführen lassen. Zusätzlich wird er auch Ausbilder für den Klerus an dem außergewöhnlichen Turiner Internat, an dem bereits sein Onkel gewirkt hatte und das eine Schmiede so vieler heiliger Seelsorger ist.
Wie sein Onkel, Pater Cafasso, gilt auch er als hervorragender Priesterausbilder, als Lehrer der Doktrin und des Lebens, aber er wird auch zu einem unternehmungslustigen Erzieher von Missionaren, obwohl er selbst das Piemont nie verlassen wird: Das auf das Übernatürliche ausgerichtete Leben vollbringt solche Wunder. Er stellt nämlich bald fest, daß viele Priester aus den Seminaren hervorgehen, die gerne Missionare werden möchten und bereit sind, Länder zu durchqueren und Meere zu überwinden, beseelt vom Geist, jene zu evangelisieren, die Christus noch nicht kennen. Sie werden aber von den Diözesen daran gehindert, die bereitwillig für die Missionen spenden, aber mit qualifizierten Arbeitern für diesen besonderen Weinberg knausern.
Allamano faßt den Entschluß, eine eigene Ordenskongregation zu gründen, die künftig die Missionare für die Mission hervorbringen soll:
„Da ich wegen meiner schlechten Gesundheit nicht in der Lage war, selbst Missionar zu sein, habe ich es mir zum Ziel gesetzt, all jenen zu helfen, die diese Berufung haben.“
Er selbst wollte ein einfacher Priester sein. Er hatte eine dünne, fast schüchterne Stimme und war froh, wenn er sich nicht in der ersten Reihe zeigen mußte, denn er zog es vor, unbeachtet zu bleiben, und hatte den Wunsch, sich in die Stille zurückzuziehen. Er selbst war nie Pfarrer, formte jedoch Generationen von Pfarrern und sogar Bischöfe. Er verschwand am liebsten in der Unsichtbarkeit, verstand es gleichzeitig aber, leidenschaftlich und mutig an die Führer der Kirche und sogar den Papst zu appellieren, wenn es darum ging, im Geiste Christi und der Apostel die Völker der fernen Länder zu evangelisieren.
So kämpfte er sich für seine Pläne von 1885 bis 1900 mit Bescheidenheit und Hartnäckigkeit durch die verschlungenen Pfade der Bürokratie und stand geduldig in kirchlichen Vorzimmern, ohne jemals sein Ziel aus den Augen zu verlieren. Am 29. Januar 1901 gründete er die Consolata-Missionare, bekannt auch als „Turiner Missionare“, die 1902 mit der Abreise der ersten vier Missionare, zwei Priester und zwei Koadjutoren, nach Kenia ihre Tätigkeit aufnahmen.
Im darauffolgenden Jahr wurden Schwestern der Vinzenzkongregation des heiligen Giuseppe Benedetto Cottolengo entsandt, um den Bedürfnissen der kenianischen Mission gerecht zu werden. Da ein dringender Bedarf an weiteren Ordensfrauen entstand, gründete Giuseppe Allamano 1910 mit den Consolata-Missionsschwestern einen weiblichen Zweig seiner Ordenskongregation.
„Der Herr, der diese Gründung inspiriert hat, hat auch die Praktiken inspiriert, die Mittel, um Vollkommenheit zu erlangen und uns heilig zu machen. Wenn Er uns zu anderen Höhen erheben will, wird Er sich darum kümmern, belästigen wir uns nicht damit. Manche Menschen suchen immer nach großen, außergewöhnlichen Dingen. Das ist kein Streben nach Gott, denn Er ist sowohl in den großen als auch in den kleinen Dingen; vielmehr müssen wir darauf achten, alles gut zu machen. Heilige sind nicht heilig, weil sie Wunder getan haben, sondern weil sie alles gut gemacht haben.“4
Dies war ihm dennoch nicht genug. Zusammen mit anderen Oberen von Missionsinstituten beklagte er 1912 bei Papst Pius X. die Unwissenheit in der Missionsfrage, die auf eine weitverbreitete Unempfindlichkeit in der kirchlichen Hierarchie zurückzuführen sei.
Er bat den Papst zu intervenieren und schlug vor, einen jährlichen Missionstag einzuführen, „mit der Verpflichtung, über die Pflicht und die Wege der Glaubensverbreitung zu predigen“. Aber der Sturm des Ersten Weltkriegs zog auf und der heilige Papst Giuseppe Melchiorre Sarto starb. Es war dann Pius XI., der dieses Erbe antrat und 1927 über das Päpstliche Werk der Propaganda Fide, der römischen Kongregation für die Verbreitung des Glaubens, den „Weltmissionstag“ einführte, der jedes Jahr (normalerweise am dritten Sonntag im Oktober) begangen wurde und damit das Projekt von Pater Giuseppe Allamano verwirklichte. Ein posthumer Erfolg für ihn, der am 16. Februar 1926 im Alter von 75 Jahren verstorben war. Dieses Datum ist als Dies natalis, sein Geburtstag für den Himmel, auch sein liturgischer Gedenktag.
Seine sterblichen Überreste ruhen in Erwartung der Auferstehung in der Kirche des Mutterhauses der Consolata-Missionare in Turin in einem Sarkophag aus istrischem Kalkmarmor, der von Giordano Pavesi anläßlich der Überführung des Leichnams vom Turiner Friedhof im Oktober 1938 geschaffen wurde. Pater Giuseppe Allamano, 46 Jahre lang Rektor des Consolata-Heiligtums, ist darauf dargestellt, wie er seine geistlichen Söhne und Töchter in die Mission schickt, mit der lateinischen Inschrift, die zu seinem Motto wurde: „Et annunciabunt gloriam meam gentibus“ („Sie sollen meine Herrlichkeit unter den Völkern verkünden“, Jes 66,19).
Das Missionsverständnis ist in unserer Zeit der universellen weltlichen Brüderlichkeit und des religiösen Pluralismus ohne Unterscheidung der Wahrheit, die bereits mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil eingeleitet wurde, dasselbe. Möge die Kirche von Rom im Licht ihrer Heiligen, wie dem Neffen des heiligen Cafasso und Schüler des heiligen Don Bosco, zur Besinnung kommen.

*Cristina Siccardi, Historikerin und Publizistin, zu ihren jüngsten Buchpublikationen gehören „L’inverno della Chiesa dopo il Concilio Vaticano II“ (Der Winter der Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Veränderungen und Ursachen, 2013); „San Pio X“ (Der heilige Pius X. Das Leben des Papstes, der die Kirche geordnet und reformiert hat, 2014) und vor allem ihr Buch „San Francesco“ (Heiliger Franziskus. Eine der am meisten verzerrten Gestalten der Geschichte, 2019).
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana/giuseppeallamano.consolata.org/Wikicommons (Screenshot)
1 Turin war bis 1847 die Hauptstadt des Herzogtums Savoyen (das bis 1792 zum Heiligen Römischen Reich gehörte), bis 1861 die Hauptstadt des Königreichs Sardinien, schließlich kurze Zeit die Hauptstadt des geeinten Italiens und ab 1865 nur mehr ein bedeutender Provinzhauptort.
2 Der Familienname Allamano, in dieser und zahlreichen Varianten in Italien vertreten, so auch im Familienname von P. Stefano Maria Manelli, dem inzwischen 91jährigen Gründer der Franziskaner der Immakulata, verweist auf die ursprüngliche Abstammung, womit nicht unbedingt, aber wahrscheinlich ein Alemanne gemeint war, auf jeden Fall ein Deutscher, da Deutschland, also der deutsche Sprachraum, in Italien lange Zeit als Alemagna (Alemannien) bezeichnet wurde.
3 Castelnuovo d’Asti wurde 1930 zu Ehren des heiligen Johannes Bosco (1815–1888), der hier geboren wurde, in Castelnuovo Don Bosco umbenannt.
4 vgl. Lorenzo Sales: La vita spirituale dalle Conversazioni ascetiche del Servo di Dio Giuseppe Allamano, fondatore dei Missionari e delle Missionarie della Consolata, Edizioni Missioni Consolata, Turin 1963, S. 129
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