Becciu oder nicht Becciu – Der Schatten eines ungültigen Konklaves

Rechtsunsicherheit


Kardinal Angelo Becciu mit Papst Franziskus: Franziskus hat dem Sarden nie die Kardinalswürde entzogen. Wer sollte ihn also daran hindern, am Konklave teilzunehmen?
Kardinal Angelo Becciu mit Papst Franziskus: Franziskus hat dem Sarden nie die Kardinalswürde entzogen. Wer sollte ihn also daran hindern, am Konklave teilzunehmen?

Darf Kar­di­nal Becciu am Kon­kla­ve teil­neh­men oder nicht? Ris­kiert man, die Wahl des näch­sten Pap­stes anfecht­bar, gar null und nich­tig zu machen? Die Fra­ge der Gül­tig­keit der Wahl über­schat­tet die­se bereits im Vor­feld. Dabei kreist alles um die Figur des aus Sar­di­ni­en stam­men­den Kar­di­nals Gio­van­ni Ange­lo Becciu, wobei die Sache nach der­zei­ti­gem Kennt­nis­stand ein­deu­tig scheint und zwar zugun­sten des sar­di­schen Purpurträgers.

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Gio­van­ni Ange­lo Becciu, genannt Ange­lo, wur­de am 2. Juni 1948 in Patta­da auf der Insel Sar­di­ni­en gebo­ren. Er trat in das Semi­nar ein, wur­de zum Prie­ster geweiht und absol­vier­te die Vati­ka­ni­sche Diplo­ma­ten­aka­de­mie. 2001 wur­de der Vati­kan­di­plo­mat von Johan­nes Paul II. zum Titu­lar­erz­bi­schof und Apo­sto­li­schen Nun­ti­us ernannt. 2011 folg­te durch Bene­dikt XVI. die Ernen­nung zum Sub­sti­tu­ten des Kar­di­nal­staats­se­kre­tärs, ein Amt, das damals Kar­di­nal Tar­cis­io Ber­to­ne innehatte.

2017 wur­de Becciu von Papst Fran­zis­kus zum Son­der­de­le­ga­ten für den in sei­ner Sou­ve­rä­ni­tät vom argen­ti­ni­schen Kir­chen­ober­haupt stark ein­ge­schränk­ten Sou­ve­rä­nen Mal­te­ser­or­dens ernannt, um Kar­di­nal Ray­mond Bur­ke, den Kar­di­nal­pro­tek­tor und damit offi­zi­el­len Dele­ga­ten des Pap­stes beim älte­sten Rit­ter­or­den der Welt, aus­zu­schal­ten. Becciu genoß das unein­ge­schränk­te Ver­trau­en von Fran­zis­kus und ver­tei­dig­te als des­sen treu­er Mit­ar­bei­ter auch berg­o­glia­ni­sche Son­der­we­ge mit loya­ler Vehe­menz.

Nach hef­ti­gen Kon­flik­ten mit Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Pie­tro Paro­lin, die unter ande­rem mit eini­gen Eigen­mäch­tig­kei­ten Becci­us zu tun hat­ten, wur­de der Sar­de 2018 von Fran­zis­kus aus dem Staats­se­kre­ta­ri­at abge­zo­gen und zum Prä­fek­ten der Kon­gre­ga­ti­on für die Selig- und Hei­lig­spre­chungs­pro­zes­se ernannt und noch im sel­ben Jahr zum Kar­di­nal kre­iert. Seit­her ist Becciu einer der poten­ti­el­len Papst­wäh­ler in einem Konklave.

Der Skandal

Im Herbst 2019 sicker­ten Gerüch­te durch, Becciu dür­fe den Vati­kan nicht mehr ver­las­sen, befin­de sich mög­li­cher­wei­se gar unter Haus­ar­rest. Die Spat­zen pfif­fen etwas von einem gro­ßen Finanz­skan­dal von den Dächern Roms. Sep­tem­ber 2020 folg­te dann ein Pau­ken­schlag. Offi­zi­ell wur­de ver­laut­bart, Kar­di­nal Becciu habe als Prä­fekt der Kon­gre­ga­ti­on um sei­ne Ent­bin­dung gebe­ten und Fran­zis­kus den Rück­tritt ange­nom­men. Grün­de für den Schritt wur­den kei­ne genannt.

Zugleich bestä­tig­te sich, daß die vati­ka­ni­sche Staats­an­walt­schaft seit 2019 Ermitt­lun­gen gegen Becciu und invol­vier­te Kon­sor­ten durch­führ­te: wegen Amts­miß­brauchs, Betrugs und Ver­un­treu­ung. Grund waren spe­ku­la­ti­ve Geschäf­te mit Luxus­im­mo­bi­li­en in Lon­don, bei denen der Hei­li­ge Stuhl durch schlech­te Bera­ter offen­bar Geld im drei­stel­li­gen Mil­lio­nen­wert ver­lo­ren hat­te. Die Ent­schei­dun­gen dazu waren über Becci­us Tisch als Sub­sti­tut gelau­fen. Wäh­rend Pro­fi­teu­re rund 60 Mil­lio­nen an Pro­vi­sio­nen ein­strei­chen konn­ten, blieb der Vati­kan auf einem gigan­ti­schen Finanz­loch sit­zen. Wie sich her­aus­stell­te, waren auch Gel­der aus dem Peters­pfen­nig für das Immo­bi­li­en­pro­jekt ein­ge­setzt wor­den, was erheb­li­chen Unmut unter den Gläu­bi­gen ins­be­son­de­re in den USA auslöste.

Noch ein wei­te­rer Schat­ten leg­te sich über die gan­ze Ange­le­gen­heit, denn es ent­stan­den hart­näcki­ge Gerüch­te, daß es einen Zusam­men­hang mit For­men der Miß­wirt­schaft und der grau­sa­men Dis­kre­di­tie­rung von Kar­di­nal Geor­ge Pell gab, der als Prä­fekt des Wirt­schafts­se­kre­ta­ri­ats eige­ne Unter­su­chun­gen über das Finanz­ge­ba­ren im Vati­kan begon­nen hat­te, dar­an aber bru­tal gehin­dert wur­de, indem gegen ihn Ermitt­lun­gen wegen angeb­li­chen sexu­el­len Miß­brauchs ein­ge­lei­tet wur­den und er sich in Austra­li­en vor Gericht zu ver­ant­wor­ten hat­te, sogar für über ein Jahr ins Gefäng­nis gehen muß­te. Die Anschul­di­gun­gen erwie­sen sich letzt­lich als halt­los, wes­halb Pell schließ­lich frei­ge­spro­chen wur­de und nach Rom zurück­keh­ren konn­te, wo er aber kein Amt mehr hat­te, da ihn Fran­zis­kus eil­fer­tig abser­viert und fal­len­ge­las­sen hat­te, als hät­te jemand im Vati­kan nur auf die­se Gele­gen­heit gewar­tet, sich des inte­gren Austra­li­ers zu ent­le­di­gen (sie­he Ver­gif­te­ter Schlag­ab­tausch zwi­schen zwei Kar­di­nä­len). Auch die Reha­bi­li­tie­rung wur­de von Fran­zis­kus hin­ter­trie­ben, weil Pell zu den schärf­sten Kri­ti­kern des berg­o­glia­ni­schen Pon­ti­fi­kats gehör­te. Kurz­um, im Vati­kan spiel­te jemand ein sehr schmut­zi­ges Spiel und schreck­te zur Ver­tu­schung eige­ner Mis­se­ta­ten mög­li­cher­wei­se nicht davor zurück, einen inte­gren Kar­di­nal auf übel­ste Wei­se durch den Dreck zu zie­hen. Auch das war das Pon­ti­fi­kat von Franziskus.

Zwei Jah­re nach­dem Becciu wegen der Finanz­sa­che angeb­lich bei Fran­zis­kus in Ungna­de gefal­len war, lud ihn eben die­ser Fran­zis­kus 2022, obwohl bereits die Haupt­ver­hand­lung durch ein vati­ka­ni­sches Gericht ange­setzt war, aus­drück­lich zum Kar­di­nals­kon­si­sto­ri­um ein, womit er selbst den Nach­weis lie­fer­te, daß Becciu nach wie vor Kar­di­nal mit allen Rech­ten und Pflich­ten ist.

Das Jahr 2023 begann für Becciu erfreu­lich, denn er wur­de mit­ten in der lau­fen­den Haupt­ver­hand­lung von Fran­zis­kus in Audi­enz emp­fan­gen. Den­noch wur­de Becciu dann wegen Unter­schla­gung und Betrugs in erster Instanz von dem vati­ka­ni­schen Gericht zu fünf­ein­halb Jah­ren Haft und einer Geld­stra­fe ver­ur­teilt. Dage­gen leg­te er Beru­fung ein. Das Ver­fah­ren ist noch anhän­gig. Becciu selbst beteu­er­te stets sei­ne Unschuld: Er sei Opfer der­sel­ben win­di­gen Pro­fi­teu­re gewor­den, die den Hei­li­gen Stuhl geschä­digt hät­ten. Über­haupt zeig­te sich der Sar­de schwer ent­täuscht. Sum­ma sum­ma­rum gin­ge es, folgt man sei­ner Sicht, schlimm­sten­falls dar­um, zu prü­fen, ob er sei­ne Auf­sichts­pflicht ver­nach­läs­sigt hat­te. Im Vati­kan sieht man das aller­dings anders.

Das Problem mit dem Konklave

Der Fall Becciu betrifft nun aber das bevor­ste­hen­de Kon­kla­ve. Das war seit Jah­ren vor­her­seh­bar, wes­halb Katho​li​sches​.info bereits im Herbst 2020 dar­auf hin­ge­wie­sen hat­te. Im Zusam­men­hang mit dem über­ra­schen­den Rück­tritt Becci­us wur­de damals zugleich bekannt­ge­ge­ben, er blei­be Kar­di­nal, ver­zich­te jedoch auf die Rech­te und Pri­vi­le­gi­en eines Kar­di­nals. Die­se Kon­struk­ti­on war höchst omi­nös, juri­stisch aber nicht haltbar.

Ent­we­der ist jemand Kar­di­nal oder er ist nicht Kar­di­nal. Ein Kar­di­nal, der sel­ber erklärt, von sei­ner Wür­de kei­nen Gebrauch zu machen, ist voll­um­fäng­lich Kar­di­nal. Es gibt kei­ne Ganz‑, Halb- oder Vier­tel­kar­di­nä­le. Es steht natür­lich jedem Kar­di­nal frei, nicht zu einem Kon­kla­ve zu erschei­nen, also nicht die ihm zuste­hen­den Rech­te wahr­zu­neh­men. Jeder Kar­di­nal hat aber jeder­zeit das Recht und die Mög­lich­keit, sei­ne Pri­vi­le­gi­en aus­zu­üben, weil er Kar­di­nal ist.

Der selt­sa­me „Ver­zicht“ Becci­us wur­de zu kei­nem Zeit­punkt durch einen for­ma­len Rechts­akt bestä­tigt. Weder Becciu noch der Hei­li­ge Stuhl haben bis­her ein ent­spre­chen­des Doku­ment vor­ge­legt. Da Becciu, wie der Vati­kan damals selbst erklär­te, sei­nen „Ver­zicht“ ein­sei­tig bekun­de­te, aber Fran­zis­kus ihn in sei­ner Kar­di­nals­wür­de zu kei­nem Zeit­punkt sank­tio­nier­te, bedeu­tet das, daß er selbst­ver­ständ­lich, wenn er es will, in der kom­men­den Woche mit den ande­ren Kar­di­nä­len zum Kon­kla­ve in die Six­ti­ni­sche Kapel­le ein­zie­hen wird kön­nen. Wer soll­te es ihm ver­weh­ren? Wer hät­te das Recht dazu?

Ent­we­der es gibt einen Rechts­akt, mit dem Fran­zis­kus ihm die Kar­di­nals­wür­de ent­zo­gen hat, wie er es 2018 gegen­über dem päd­era­sti­schen Homo-Miß­brauchs­tä­ter Theo­do­re McCar­ri­ck getan hat­te, oder Becciu ist wie jeder ande­re Pur­pur­trä­ger im Voll­be­sitz sei­ner Rech­te und Pflich­ten. Solan­ge kein recht­gül­ti­ges Doku­ment vor­ge­legt wer­den kann, daß Becciu nicht mehr Kar­di­nal ist, liegt es allein an ihm selbst, zu ent­schei­den, ob er am Kon­kla­ve teil­neh­men wird oder nicht.

Der Fall Becciu scheint über den Tod von Fran­zis­kus hin­aus emble­ma­tisch für des­sen impro­vi­sier­te Amts­füh­rung zu sein, die nicht nur die­se eine Situa­ti­on her­vor­brach­te, die nicht Hü und nicht Hott ist. Tat­sa­che ist, daß daß sich das Ver­fah­ren um die Lon­do­ner Luxus­im­mo­bi­li­en schon seit sechs Jah­ren hin­zieht, ohne daß ein rechts­kräf­ti­ges Urteil zu Becci­us Rol­le vor­liegt. Medi­en­be­rich­te auch im deut­schen Sprach­raum sind daher falsch, daß Becciu ein „ver­ur­teil­ter Ex-Kar­di­nal sei“: Er ist weder rechts­kräf­tig ver­ur­teilt noch ist er ein „Ex-Kar­di­nal“.

Posthume Briefe mit einem F

In den ersten Gene­ral­kon­gre­ga­tio­nen, die noch vor der Beer­di­gung von Fran­zis­kus statt­fan­den, soll Becci­us alter Riva­le, Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Pie­tro Paro­lin, zwei Brie­fe vor­ge­legt haben, die angeb­lich von Fran­zis­kus mit einem F para­phiert wur­den und Becciu die Teil­nah­me am Kon­kla­ve ver­bie­ten sol­len. Ein „Brief“ stam­me aus dem Jahr 2023, der ande­re aus der Zeit in der Gemel­li-Kli­nik. Doch wel­che recht­li­che Rele­vanz soll­ten die­se Brie­fe haben? War­um Brie­fe? War­um nur mit einem „F“ para­phiert? Das sind die selt­sa­men Doku­men­te, die wäh­rend des Kli­nik-Auf­ent­halts von Fran­zis­kus auf­tauch­ten. War­um zwei Brie­fe? Laut der ita­lie­ni­schen Tages­zei­tung Doma­ni sag­te Paro­lin, bei­de Brie­fe sei­en mit einem „F“ gezeich­net. Sol­che Doku­men­te sind aus der Zeit vor Berg­o­gli­os Kli­nik-Auf­ent­halt aber nicht bekannt. War­um soll­te also ein Brief aus dem Jahr 2023 nur mit einem F unter­schrie­ben sein? Es gilt in der Sache jedoch: Ent­we­der hat Fran­zis­kus mit einem kla­ren Rechts­akt Becciu die Kar­di­nals­wür­de ent­zo­gen oder nicht. Die Vari­an­te: Becciu ist Kar­di­nal, darf aber nicht am Kon­kla­ve teil­neh­men, ist als absurd aus­zu­schlie­ßen. Von kei­nem Rechts­akt ist aber etwas bekannt. Und war­um soll­te Fran­zis­kus post­hum sei­nen Staats­se­kre­tär einen Brief vor­le­gen las­sen? Was soll das für eine Rechts­form sein? Alles zwei­fel­haf­te Din­ge, die Juri­sten sich die Haa­re rau­fen las­sen. Wer hat hier wel­che Interessen? 

Soll­te Becciu aus frei­en Stücken auf die Teil­nah­me ver­zich­ten, ist die Sache klar. Soll­te er aber teil­neh­men wol­len, wird es ihm nie­mand ver­weh­ren kön­nen, ohne Gefahr zu lau­fen, die Wahl selbst in Gefahr zu brin­gen. Soll­te ein Wahl­be­rech­tig­ter mit Gewalt von der Wahl­teil­nah­me aus­ge­schlos­sen wer­den, wäre das Risi­ko einer Wahl­an­fech­tung und damit Wahl­an­nul­lie­rung gege­ben. Es kann kein ernst­haf­tes Inter­es­se des Kar­di­nal­staats­se­kre­tärs sein, das näch­ste Pon­ti­fi­kat a prio­ri durch einen sol­che Rechts­streit über­schat­ten zu las­sen, nach­dem es schon zu Fran­zis­kus lang­jäh­ri­ge, sehr unter­schied­li­che und nie ver­stumm­te Zwei­fel an der Gül­tig­keit der Wahl gege­ben hat­te, wenn­gleich sich kei­ne der The­sen auch nur annä­hernd durch­set­zen hat­te können.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vati­can­Me­dia (Screen­shot)

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