Kardinal George Pell ist verstorben – sein beispielloser Leidensweg

Schon zu Lebzeiten wurde versucht, seine Stimme zum Schweigen zu bringen


Mit Kardinal George Pell verliert die Kirche die mahnende Stimme eines Konservativen, die man schon zu Lebzeiten abzuwürgen versuchte.
Mit Kardinal George Pell verliert die Kirche die mahnende Stimme eines Konservativen, die man schon zu Lebzeiten abzuwürgen versuchte.

(Rom) Fünf Tage nach dem Begräb­nis von Bene­dikt XVI. ist gestern der austra­li­sche Kar­di­nal Geor­ge Pell im 82. Lebens­jahr ver­stor­ben. Der Kar­di­nal war tat­kräf­tig und eine kraft­vol­le Stim­me der Kir­che. Das gefiel nicht allen. An kaum einem Kir­chen­mann der jüng­sten Zeit wur­de ein grau­sa­me­res Exem­pel sta­tu­iert, um sein Wir­ken ein­zu­schrän­ken und sei­nen Ein­fluß zu bre­chen. Vor dem Kon­kla­ve 2013 galt er noch als ein Papa­bi­le, weni­ge Jah­re spä­ter wur­de er an den Pran­ger gestellt. Er ließ sich aber nicht brechen.

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Geor­ge Pell, der Sohn einer katho­li­schen Mut­ter und eines angli­ka­ni­schen Vaters, wur­de 1966 für die austra­li­sche Diö­ze­se Ball­arat im Peters­dom in Rom zum Prie­ster geweiht. Sei­ne Stu­di­en absol­vier­te er an der Päpst­li­chen Uni­ver­si­tät Urba­nia­na und der Uni­ver­si­tät Oxford in Eng­land, wo er zugleich auch Haus­ka­plan am Eli­te-Col­lege Eton war. 1971 nach Austra­li­en zurück­ge­kehrt, war er in ver­schie­de­nen Auf­ga­ben als Seel­sor­ger tätig, zudem in füh­ren­den Posi­tio­nen im katho­li­schen Bildungswesen.

1987 ernann­te ihn Papst Johan­nes Paul II. zum Weih­bi­schof von Mel­bourne. 1996 wur­de er Erz­bi­schof die­ser Diö­ze­se. 2001 folg­te sei­ne Beru­fung auf den bedeu­ten­de­ren Bischofs­stuhl von Syd­ney und 2003 sei­ne Erhe­bung zum Kardinal.

Da Pell der ein­zi­ge Pur­pur­trä­ger Ozea­ni­ens war, berief ihn Papst Fran­zis­kus nolens volens in den von ihm errich­te­ten Kar­di­nals­rat, in dem – so die Anfangs­idee – jeder Erd­teil durch einen Kar­di­nal ver­tre­ten sein soll­te. Um ihn aus sei­ner star­ken Posi­ti­on in Austra­li­en zu ent­fer­nen, wur­de er 2014 von Fran­zis­kus an die Römi­sche Kurie „weg­be­för­dert“ und zum ersten Prä­fek­ten des eben­falls neu­errich­te­ten Wirt­schafts­se­kre­ta­ri­ats ernannt. Der fähi­ge Ver­wal­ter erleb­te mit sei­ner bri­ti­schen Nüch­tern­heit in Rom zunächst einen Kul­tur­schock. Damit hät­te er sich wohl noch abge­fun­den, doch sei­ne Auf­ga­be woll­te er pflicht­be­wußt erfül­len und stieß damit in ein Wes­pen­nest. Die Fol­gen waren unglaublich.

Wäh­rend er in Rom gegen Mau­ern anrann­te und auf Wider­stän­de unge­ahn­ter Art stieß, wur­de in Austra­li­en ein Anschlag auf sei­ne Inte­gri­tät vor­be­rei­tet, der sein wei­te­res Leben zeich­nen soll­te. Alles begann mit einer Medi­en­kam­pa­gne, die den Kar­di­nal zum sexu­el­len Miß­brauchs­tä­ter stem­pel­te. Der Miß­brauchs­skan­dal, der die Kir­che in den ver­gan­ge­nen 15 Jah­ren beu­tel­te, ließ eine gro­ße Wun­de in der Kir­che offen­bar wer­den, die ihr von einer klei­nen Täter­grup­pe zuge­fügt wur­de. Der Umgang damit über­for­der­te eini­ge Ober­hir­ten, ande­re ver­tusch­ten schuld­haft. Bis heu­te wird das Haupt­übel, die Homo­se­xua­li­tät, nicht beim Namen genannt, schon gar nicht von Papst Franziskus.

Nur: Kar­di­nal Pell hat­te sich nichts zuschul­den kom­men las­sen. Er hat­te weder sexu­ell miß­braucht noch Miß­brauchs­tä­ter gedeckt. All das wur­de ihm jedoch zum Vor­wurf gemacht. Am Bei­spiel Pell zeig­te sich, daß der Miß­brauchs­skan­dal – als wäre er für sich nicht schon schlimm genug – auch als Tot­schlag­in­stru­ment miß­braucht wur­de: inner­halb der Kir­che, um Gegen­spie­ler aus dem Weg zu räu­men, außer­halb der Kir­che, weil eine kir­chen­fer­ne Medi­en­meu­te bereit­wil­lig auf jeden Zug auf­springt, mit dem die Kir­che ange­grif­fen wer­den kann.

Bis heu­te hält sich die The­se, daß der gegen Kar­di­nal Pell in Austra­li­en ent­fes­sel­te Miß­brauchs­skan­dal sei­nen Aus­gangs­punkt im Vati­kan hat­te, um ihn als Prä­fekt des Wirt­schafts­se­kre­ta­ri­ats los­zu­wer­den.

Pell, vom römi­schen Wider­stand und den unge­rech­ten austra­li­schen Anschul­di­gun­gen in die Zan­ge genom­men, ent­schied sich, einen Weg zu gehen, der erstaun­te und gro­ßen Respekt ver­dient. In Rom muß­te er ent­täuscht fest­stel­len, daß Papst Fran­zis­kus, der ihn geru­fen hat­te, nicht hin­ter ihm stand, als es dar­um ging, die vati­ka­ni­schen Wider­stän­de zu über­win­den, weil sich die ein­zel­nen Dik­aste­ri­en nicht in ihre Finan­zen schau­en las­sen woll­ten. Viel­mehr hat­te sich Fran­zis­kus 2016 auf die Gegen­sei­te geschla­gen und die Zustän­dig­kei­ten Pells mas­siv ein­ge­schränkt. Es hat­te in San­ta Mar­ta miß­fal­len, daß der Austra­li­er bei der Fami­li­en­syn­ode 2014 die kirch­li­che Ehe- und Moral­leh­re ver­tei­digt und 2015 zusam­men mit zwölf ande­ren Kar­di­nä­len einen Brief an Fran­zis­kus unter­zeich­net hat­te, mit dem sie gegen vor­ge­fer­tig­te Ergeb­nis­se bei der Bischofs­syn­ode über die Fami­lie pro­te­stier­ten. Nicht min­der hat­te es miß­fal­len, daß Pell auch eine ableh­nen­de Hal­tung gegen­über den Neue­run­gen ein­nahm, die im umstrit­te­nen nach­syn­oda­len Schrei­ben Amo­ris lae­ti­tia ent­hal­ten sind.

Als ihm Fran­zis­kus fak­tisch die Anwei­sung erteil­te, nach Austra­li­en zurück­zu­keh­ren und sich den Anschul­di­gun­gen zu stel­len, ent­schloß sich der Kar­di­nal im Juni 2017 Rom zu ver­las­sen, um genau das zu tun und den Kampf gegen die ver­bre­che­ri­schen Ver­leum­dun­gen auf­zu­neh­men. Papst Fran­zis­kus unter­nahm nichts, um sei­nen Mit­ar­bei­ter zu hal­ten. Offen­bar war die Gele­gen­heit sogar will­kom­men, den lästig gewor­de­nen Austra­li­er los­zu­wer­den. Die New York Times froh­lock­te, daß der inner­kirch­li­che Wider­stand gegen Fran­zis­kus inner­halb von weni­gen Tagen mas­siv geschwächt wor­den war. Nur einen Tag nach Pells Abrei­se hat­te Fran­zis­kus Kar­di­nal Ger­hard Mül­ler als Glau­bens­prä­fek­ten ent­las­sen. Und der Tod von Kar­di­nal Joa­chim Meis­ner öff­ne­te neue Wege für die Kir­che in Deutsch­land, die auf das Pon­ti­fi­kat von Fran­zis­kus über­durch­schnitt­li­chen Ein­fluß nimmt.

Ohne römi­schen Rück­halt war Pell in sei­ner Hei­mat zum Frei­wild gewor­den. Sein Fall wur­de zum Schand­fleck für Austra­li­ens Medi­en, die ihn vor­ver­ur­teil­ten, weil es ihnen gefiel, einen so hohen kon­ser­va­ti­ven katho­li­schen Wür­den­trä­ger zu Fall zu brin­gen. Der deut­sche Sprach­raum hat­te die Ent­fes­se­lung die­ser nie­de­ren Instink­te einer Jagd­ge­sell­schaft gegen Kir­chen­män­ner schon in den 90er Jah­ren erlebt.

Auch das Vor­ge­hen der austra­li­schen Justiz war kein Ruh­mes­blatt. Die Staats­an­walt­schaft schien den Miß­brauchs­skan­dal als „Lizenz“ für eine „Hexen­jagd“ miß­ver­stan­den zu haben. Kar­di­nal Pell wur­de vor Gericht gestellt und von einem offen­sicht­lich vom Medi­en­ge­heul beein­fluß­ten Geschwo­re­nen­ge­richt als erster Pur­pur­trä­ger der Geschich­te wegen angeb­li­chen sexu­el­len Miß­brauchs am 11. Dezem­ber 2018 zu einer lang­jäh­ri­gen Haft­stra­fe ver­ur­teilt. Gleich am näch­sten Tag warf ihn Papst Fran­zis­kus aus dem Kar­di­nals­rat. Auch in die­ser Situa­ti­on ging der tief ver­letz­te Pell einen ganz unge­wöhn­li­chen Weg. Um sei­ne Unschuld zu unter­strei­chen, lehn­te er in Erwar­tung der zwei­ten Instanz es ab, einen Haft­auf­schub oder Haus­ar­rest zu bean­tra­gen, son­dern ging ins Gefäng­nis. Das hat­te die Welt auch noch nicht gesehen.

In zwei­ter Instanz wur­de dann von einem Rich­ter­se­nat die Ver­ur­tei­lung am 21. August 2019 bestä­tigt, doch einer der drei Rich­ter ver­trat eine kon­trä­re Posi­ti­on und zeig­te alle Schwä­chen und Feh­ler von Pells Ver­ur­tei­lung auf (sie­he auch „Kar­di­nal Pell ist unschul­dig, sei­ne Anklä­ger sind es nicht“). Vor dem Ober­sten Gerichts­hof erhielt der Kar­di­nal schließ­lich am 7. April 2020 mit einem Votum von sie­ben zu null Stim­men in vol­lem Umfang recht. Das Urteil wur­de kas­siert, der Kar­di­nal frei­ge­spro­chen und umge­hend enthaftet.

Über ein Jahr hat­te Pell in ver­schie­de­nen austra­li­schen Gefäng­nis­sen ver­brin­gen müs­sen und dort ein Haft­ta­ge­buch geführt, das eine gro­ße gei­sti­ge und geist­li­che Rei­fe und Stär­ke zeigt und das er anschlie­ßend ver­öf­fent­lich­te. Aus dem Gefäng­nis nahm der Kar­di­nal auch zu kirch­li­chen Fra­gen Stel­lung und warn­te im Zusam­men­hang mit der Ama­zo­nas­syn­ode vor fal­schen Wegen. In sei­nen inner­kirch­li­chen Posi­tio­nen ist wohl auch der tie­fe­re Grund für den Alp­traum zu sehen, den er durch­ma­chen mußte.

Zumin­dest eini­ge austra­li­sche Medi­en hat­ten den Anstand, sich anschlie­ßend bei Pell zu ent­schul­di­gen. Ande­re beharr­ten hoch­mü­tig und ver­such­ten krampf­haft neue Ankla­ge­punk­te zu finden.

Papst Fran­zis­kus wei­ger­te sich mehr als ein hal­bes Jahr sei­nen Kar­di­nal zu emp­fan­gen. War der Frei­spruch so unge­le­gen? Nach der feh­len­den Rücken­deckung in Rom, aber auch im Pro­zeß, ver­wei­ger­te Fran­zis­kus damit auch die sicht­ba­re Reha­bi­li­tie­rung des Kar­di­nals, den eine offi­zi­el­le Audi­enz vor aller Augen bedeu­tet hätte.

Mehr noch: Anstatt den Instan­zen­weg abzu­war­ten, ent­ließ ihn Fran­zis­kus wäh­rend des lau­fen­den Ver­fah­rens als Prä­fekt des Wirt­schafts­se­kre­ta­ri­ats. Das Signal war fatal und wur­de erwar­tungs­ge­mäß dahin­ge­hend inter­pre­tiert, daß auch San­ta Mar­ta von Pells Schuld über­zeugt sei.

Am 12. Okto­ber 2020 war es dann doch soweit. Fran­zis­kus emp­fing den Kar­di­nal, aller­dings nur in Pri­vat­au­di­enz, und über­trug dem inzwi­schen 79jährigen Kir­chen­mann kein Amt mehr, auch kein Ehren­amt, das eine Wert­schät­zung zum Aus­druck gebracht hät­te. Der „Papst der Gesten“ setz­te auch dadurch Zeichen.

Kar­di­nal Pell ging sei­nen Weg den­noch wei­ter, wo immer es ihm mög­lich war. Er hielt Kate­che­sen, ver­tei­dig­te in öffent­li­chen Dis­kus­sio­nen, so 2021 in Oxford, die kirch­li­che Moral­leh­re gegen libe­ra­le Jesui­ten, warn­te vor einer Syn­oda­li­tät mit Hin­ter­ge­dan­ken, kri­ti­sier­te das Geheim­ab­kom­men mit der Volks­re­pu­blik Chi­na und zeig­te sich skep­tisch über das Motu pro­prio Tra­di­tio­nis cus­to­des.

Vor weni­gen Tagen nahm er an der Bei­set­zung des von ihm ver­ehr­ten Bene­dikt XVI. teil. Nun wur­de er selbst abberufen. 

Requiescat in Pace

Vor weni­gen Tagen nahm Kar­di­nal Pell Abschied von dem im Peters­dom auf­ge­bahr­ten Bene­dikt XVI. 

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: MiL

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2 Kommentare

  1. Zum Tode von Kar­di­nal Pell erlau­ben Sie mir eini­ge Gedan­ken zu dem, was medi­zi­nisch dazu gesagt wur­de. Die Berich­te dar­über sind merk­wür­dig – vati­ka­nisch – knapp. Er war in einem Kran­ken­haus wegen einer „Hüft­ope­ra­ti­on“. Es wird berich­tet, der Kar­di­nal sei nach der Ope­ra­ti­on auf­ge­wacht und habe sich mit sei­nem Arzt unter­hal­ten. Dann heißt es, sei er gestor­ben. Zur Situa­ti­on: In die­sem post­ope­ra­ti­ven Zustand unter­liegt jeder Pati­ent einer post­ope­ra­ti­ven Über­wa­chung sei­ner Vital­funk­tio­nen, meist hat er einen Dau­er­tropf mit Medi­ka­men­ten und Nähr­lö­sung. Bei Ände­run­gen des Zustan­des – vor allem sei­ner Vital­funk­tio­nen – wird Alarm aus­ge­löst. Ein Herz­still­stand, die gefähr­lich­ste aku­te Kom­pli­ka­ti­on, könn­te so zeit­nah behan­delt wer­den. Das Schwei­gen über die Todes­ur­sa­che ist merkwürdig.

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