(Canberra) Kardinal George Pell wurde am vergangenen 7. April nach 13 Monaten und 11 Tagen aus der Haft entlassen. Nun wird ein Buch über seine Gefangenschaft erscheinen.
Nach einer beispiellosen Hetzkampagne australischer Medien war der Kardinal im Dezember 2018 wegen angeblichen sexuellen Mißbrauchs zweier Minderjähriger zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden. Am 27. Februar 2019 wurde er verhaftet, doch am 7. April 2020 folgte der Paukenschlag: Der Oberste Gerichtshof von Australien fällte einen Freispruch und tadelte die Richter der untergeordneten Instanzen wegen ihrer Verurteilung des Kardinals.
Kardinal Pell führte während der Haft ein Tagebuch. Seine Aufzeichnungen werden nun im US-Verlag Ignatius Press in Buchform veröffentlicht. Das kündigte Verlagsleiter P. Joseph Fessio SJ an. Der bekannte Jesuit gehört zum Schülerkreis Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI.
Gegenüber der Presseagentur CNA sagte P. Fessio:
„Das Tagebuch zeigt Kardinal Pell, den ich kenne, wie er ist und wie ihn alle Gläubigen kennen sollten“.
Aus dem Gefängnis hatte der Kardinal im Sommer 2019 auch zum Arbeitspapier der Amazonassynode Stellung genommen und vor einer darin versteckten Agenda gewarnt.
Pell, der in Melbourne, an der römischen Urbaniana und in Oxford studierte, wurde in Kirchengeschichte promoviert und absolvierte ein Masterstudium in Erziehungswissenschaften. Er war Kaplan am elitären Eton College in England, ab 1996 Erzbischof von Melbourne, ab 2001 Erzbischof von Sydney und wurde 2013 zum Mitglied des C9-Kardinalsrats bestellt und 2014 als erster Präfekt an die Spitze des neuerrichteten vatikanischen Wirtschaftssekretariats berufen.
In letzterer Funktion wurde der Australier, als er Opfer von Intrigen wurde, von Papst Franziskus im Regen stehen gelassen. In Australien arbeitete sich eine kirchenfeindliche Presse an ihm ab und wollte damit die katholische Kirche insgesamt treffen. Im Schraubstock eingeklemmt zwischen einer Vorverurteilung durch die australische Presse und einer vatikanischen Intrige gegen seine Versuche einer Reform des Finanz- und Verwaltungsbereichs, warf er Mitte 2017 das Handtuch, als er merkte, in Franziskus keinen Rückhalt zu finden. Dieser hatte vielmehr darauf gedrängt, daß er den Vatikan verlassen solle. Enttäuscht und entnervt kehrte Pell nach Australien zurück und stellte sich dem Gerichtsverfahren. 2019 verzichtete er darauf, einen Antrag auf Hausarrest zu stellen, solange das Urteil nicht rechtskräftig war. Er war ein Opfer simultaner Angriffe geworden, weshalb manche sogar die Vermutung äußerten, der australische Mißbrauchsskandal, der sich am Ende als Fiktion herausstellte, habe seinen Ausgang im Vatikan genommen. Die Angriffe in Australien gegen ihn begannen just, kurz nachdem er ein kolossales Loch in den Finanzberichten des Heiligen Stuhls entdeckt hatte.
Indem Kardinal Pell ins Gefängnis ging, machte er allen seinen Opferstatus sichtbar, was durch den Freispruch vor dem Obersten Gerichtshof offenkundig wurde.
405 Tage mußte Kardinal Pell bis dahin im Gefängnis verbringen. Papst Franziskus hatte sich bereits vor der erstinstanzlichen Verurteilung indirekt von ihm distanziert, indem er ihm die Mitgliedschaft im Kardinalsrat entzog, was prompt von Medien in Australien dahingehend gedeutet wurde, daß auch Franziskus von seiner Schuld überzeugt sei. Manche sahen darin grünes Licht für die Richter. Später entzog er dem Kardinal auch die Präfektenstelle an der Spitze des Wirtschaftssekretariats und besetzte diese neu, sodaß eine Rückkehr Pells in sein Amt unmöglich gemacht wurde.
Auch nach dem Freispruch rief Franziskus seinen Mitbruder nicht zu sich. P. Fessio deutet einen Grund an, warum es zu der wilden Kampagne gegen den Kardinal gekommen war:
„Kardinal Pell verkündigte Christus und die Morallehre der Kirche ohne Angst und mit dem vollen Bewußtsein, was es ihn kosten könnte.“
Es sollte ihn viel kosteten. Er wurde der erste Kardinal der Kirchengeschichte, der wegen sexuellen Mißbrauchs verurteilt wurde – und das zu Unrecht. Seine Unschuld unterstreicht das Paradox des sexuellen Mißbrauchsskandals durch Kleriker. Trotz des nicht geringen Versagens verschiedener hoher und höchster Prälaten, die sich selbst des sexuellen Mißbrauchs schuldig machten, oder zumindest der Vertuschung, wurde Jagd auf einen Unschuldigen gemacht. Grund dafür ist eine gehörige Portion Heuchelei, die hinter der Anklage gegen die Kirche steckt: Der sexuelle Mißbrauch dient manchen als Vorwand, um die Kirche angreifen und schwächen zu können. Der sexuelle Mißbrauchsskandal in der Kirche scheint daher mehr eine Frage zu sein, welcher Richtung jemand in der Kirche angehört: Konservative müssen über die Klinge springen, ob schuldig oder nicht, während Progressive geschont werden.
Pells Hafttagebuch soll im Frühjahr 2021 in den Buchhandel kommen. Es sei noch nicht entschieden, ob es sich um eine gekürzte Fassung handeln wird oder um den ersten Band der rund tausend Seiten umfassenden Aufzeichnungen, die von herausragender Qualität seien, so P. Fessio:
„Ich habe bereits die erste Hälfte des Tagebuchs gelesen, und es ist außergewöhnlich.“
Es sind die Aufzeichnungen eines unschuldigen Kirchenmannes, der zu Unrecht eines schändlichen und niederträchtigen Verbrechens beschuldigt, verurteilt und eingesperrt wurde.
„Ich denke, es wird ein Klassiker der Spiritualität“, so P. Fessio.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Ignatius Press (Screenshot)