
Dem heute vom Corriere della Sera veröffentlichten „Interview“ mit Benedikt XVI. setzt der Vatikanist Marco Tosatti folgendes Märchen entgegen (es wurden deutsche Vornamen gewählt):
Der seltsame Fall von Sepp Razzinghis Vermächtnis
Es war einmal ein guter Familienvater namens Sepp Razzinghi, der ein weiser Mann und großer Gelehrter war. Als er alt und krank geworden war, schrieb er einen Letzten Willen, um sein reiches Erbe gleichmäßig auf seine fünf Kinder aufzuteilen.
Als der alte Sepp im Sterben lag, stahl Jörg, sein viertes Kind, der besonders gierig und ungerecht war, das Testament, zerriß es, schrieb ein neues vollständig zu seinen Gunsten und fälschte die Unterschrift seines Vaters. Dann goß er einige Tropfen Cyanid in dessen Glas Wasser auf dem Nachttisch und wartete.
Sepp starb kurz darauf, und als der Notar wenig später das Testament verlas, waren die anderen Brüder, Raimund, Karl, Nikolaus und Mino, wie Benjamin, der jüngste, genannt wurde, erstaunt und bestürzt, während Jörg sich zufrieden freute und das gesamte Familienvermögen einstrich.
Die entrechteten Brüder konnten sich trotz ihrer Empörung nicht auf eine gemeinsame Vorgehensweise einigen.
Raimund, der älteste Sohn, ein Gelehrter wie sein Vater, konnte nicht verstehen, was vorgefallen war. Er war voller Zweifel und rief ständig Jörg an, um von ihm Erklärungen zu erbitten, aber sein Bruder antwortete ihm nicht einmal.
Der zweite Sohn, Karl, ebenfalls sehr gebildet, aber entschlossener, begann seinen verstorbenen Vater zu kritisieren und beschuldigte ihn, unfair gewesen zu sein, der seine Kinder zum Spaß ruinieren wollte. Sein Groll richtete sich auch gegen seinen Großvater und Urgroßvater: Für Karl hätte keiner der Vorfahren, zumindest bis zum Ururgroßvater, von sich behaupten können, des Namens Razzinghi würdig zu sein.
Der dritte Sohn namens Nikolaus mit mystischerem und religiöserem Charakter war verzweifelt, schwieg jedoch und lud die Brüder ein, zu Gott zu beten, auf daß Jörg Buße tun würde oder sogar (weniger fromm), daß er sterben möge, damit das gesamte Erbe wieder an die Familie zurückfällt.
Der fünfte und jüngste Sohn, Mino, war noch ein Junge, schnappte aber einige interessante Gerüchte im Dorf auf: In der Taverne hatte ein gewisser Daniel Goffred großspurig erzählt, daß er vor mehreren Jahren Jörg geholfen habe, einen Plan zu schmieden, das väterliche Testament zu seinen Gunsten zu ändern.
Mino, neugierig geworden, überprüfte darauf das Testament und bemerkte grobe Grammatikfehler im Text, die für einen so gebildeten Mann wie seinen Vater undenkbar waren. Wahrscheinlich waren also auch Nachlaßbestimmungen falsch. Der Jüngling erinnerte sich an den seltsamen Geruch von Bittermandeln aus dem Glas des Vaters auf dessen Nachtkästchen. Der Geruch war immer noch da, denn aus Pietät war vereinbart worden, vorerst im Sterbezimmer nichts zu verändern. Vielleicht war der alte Sepp gezwungen worden, diese Welt vorzeitig zu verlassen.
So begann Mino, der seinen Vater sehr liebte und sich nicht vorstellen konnte, wie dieser ihn enterben konnte, seine Zweifel gegenüber den Brüdern Raimund, Karl und Nikolaus zu äußern und sie aufzufordern, einen Anwalt einzuschalten: Es war absolut notwendig, das Testament anzufechten, ein graphologisches Gutachten einzuholen und eine wissenschaftliche Untersuchung des Wasserglases in Auftrag zu geben. Vielleicht wäre es auch gar nicht nötig, der Sache wirklich auf den Grund zu gehen: Jörg, erst einmal beschuldigt, würde wahrscheinlich aus Angst vor dem Gefängnis die Flucht antreten und Häuser und Grundstücke aufgegeben.
Die Angelegenheit könnte also wie Schnee in der Sonne schmelzen, und alles würde wieder an seinen Platz zurückkehren in einer Familie, die von einer heimtückischen Gegenwart gereinigt wäre.
Aber Raimund, Karl und Nikolaus, die von ihren eigenen Gedanken ergriffen waren, hörten Mino nicht zu, weil er, der jüngste der Brüder, nur ein Junge war und die Erbschaftssache sicherlich viel komplexer sein mußte und sicherlich nicht mit ein paar Gutachten zu lösen wäre.
Mino hatte einen schwierigen Charakter: Da seine Brüder nicht auf ihn hörten, wurde er wütend, errötete, und je mehr er seine Gründe erklärte, desto weniger hörten seine Brüder auf ihn.
Während der Junge vergeblich seine Stimme erhob, rief Raimund weiterhin Jörg an, beschwerte sich Karl weiterhin über seinen toten Vater und versank Nikolaus noch tiefer in Gebet und Mystik.
Da Mino, der sich über seine Brüder schwarz ärgerte, zu jung war, um sich allein an die Behörden zu wenden, brach er die Beziehungen zu seinen älteren Brüdern ab. Er ging auf die Straße, um seinem Unmut freien Lauf zu lassen. Er beschuldigte Jörg öffentlich, ein Fälscher zu sein und hoffte auf die Hilfe seiner Landsleute. Es war aber schwer, das Gewissen der Menschen aufzuwecken, und nur wenige interessierten sich für die Frage des Razzinghi-Erbes.
In der Zwischenzeit grinste Jörg hinter dem Rücken seiner Brüder und verschleuderte alle Besitztümer der Familie beim Glücksspiel.
So vergingen die Jahre: Der Fälscher unter den Brüdern antwortete weder auf Raimunds Zweifel noch konnten die von Karl verfluchten Vorfahren, die in ihren Gräbern schwiegen, ihm helfen, noch tat Gott jemals die Arbeit für Nikolaus. Mino bleib allein als Rufer in der Wüste, ohnmächtig und hilflos.
Der einzige „Sieg“ der Entrechteten war, daß Jörg, der am Ende seines zügellosen Lebens, nachdem er alles vergeudet hatte und bettelarm geworden war, sich eine Kugel durch den Kopf jagte.
Das Familienerbe aber war verlorengegangen und die Familie Razzinghi war für immer gespalten und und zerstört.
Postskriptum
Tosatti läßt das Märchen ohne Anmerkungen stehen. Es handelt sich um ein Märchen, die Charaktere und ihr Handeln sind frei erfunden und sollen den Lesern die Möglichkeit geben, die eigene Phantasie walten zu lassen. Dennoch soll versucht werden, den handelnden Personen eine reale Figur zuzuordnen.
Die beiden Hauptgestalten sind schnell benannt: Mit Sepp Razzinghi ist Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. und mit Jörg ist zweifellos Jorge Mario Bergoglio/Papst Franziskus gemeint.
Welche Vorlagen gibt es aber für die anderen vier Brüder? Orientierungshilfe bieten vielleicht wiederum die Namen. In Raimund läßt sich Raymond Kardinal Burke erkennen, er wandte sich 2016 mit drei weiteren Kardinälen mit Zweifeln (Dubia) zum umstrittenen nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia an Papst Franziskus, wurde aber von Franziskus bis heute weder empfangen noch erhielten er und seine Mitunterzeichner eine Antwort auf ihre Fragen. Zwei der vier Unterzeichner sind inzwischen verstorben.
Mit Karl ist der einstige Apostolische Nuntius Carlo Maria Viganò gemeint, der im August 2018 Papst Franziskus kritisierte, indem er dessen Verhalten im Fall McCarrick enthüllte und auch seither mit Kritik an der Amtsführung des derzeitigen Papstes an die Öffentlichkeit ging.
Mit Nikolaus dürfte der bekannte Liturgiker und persönliche Freund von Benedikt XVI., Don Nicola Bux, gemeint sein.
Schwieriger gestaltet sich die Identifizierung von Mino, zu dem Tosatti hinzufügt, daß er „Minuto“ genannt werde, was hier mit Benjamin wiedergegeben wurde. Die wiederholte Anspielung auf das Alter im Vergleich zu den anderen Figuren läßt an Don Alessandro Minutella denken, der bis zu seiner Exkommunikation Priester des Erzbistums Palermo war. Exkommuniziert wurde er wegen anhaltender Kritik an der „falschen Kirche“, die sich unter Papst Franziskus ausbreite (siehe Priester wird wegen Kritik an Papst Franziskus „exkommuniziert“). Der Familienname Minutella kommt vom lateinischen „minutus“ (klein, winzig), im übertragenen Sinn also der jüngste Sohn, der Benjamin der Familie.
Bleibt noch Daniel Goffred als namentlich genannte Figur, in der sich der 2019 verstorbene belgische Kardinal Godfried Danneels erkennen läßt, der von 1979–2010 Erzbischof von Mecheln-Brüssel und Primas von Belgien war. Als 2015 seine Biographie vorgestellt wurde, enthüllte er die Existenz eines innerkirchlichen Geheimzirkels, der seither die Mafia von Sankt Gallen genannt wird. Danneels selbst hatte den Geheimzirkel „die Mafia“ genannt. In der Stadt Sankt Gallen in der Schweiz fanden die Treffen dieses Zirkels statt.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Ccnull/Tim Reckmann
Sehr geehrter Herr Nardi,
vom Märchen zu den Fakten. Da wird durch Herrn Tosatti also vom Mord an Benedikt XVI fabuliert.
Ein Mord der noch erkennbar sein wird, tagelang. Ist das eine Vorhersage?
Im Nachgang zum Mord tritt die Spaltung ein. Das ist eine Vorhersage!
Ein Märchen ist es nicht!
Mit freundlichem Gruß, Falko