(Canberra) Der Rechtsphilosoph John Finnis, emeritierter Professor an der Universität Oxford, veröffentlichte in der Fachzeitschrift Quadrant eine Analyse des Urteil gegen den australischen Kardinal George Pell. Finnis argumentiert weder politisch noch philosophisch noch religiös, sondern strikt juristisch und legt dar, warum die Verurteilung des Kardinals eine Justizkatastrophe ist, die alle entsetzen sollte, denen der Rechtsstaat etwas bedeutet.
Finnis ist trotz seines Alters noch Lehrstuhlinhaber an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der University of Notre Dame in den USA. Seine akademischen Schwerpunkte liegen in den Bereichen Rechtswissenschaft, politische Theorie und Verfassungsrecht. Er wurde 1979 als Rechtsanwalt auch an den höheren Gerichten zugelassen und praktizierte bis 1995. 2017 wurde er ehrenhalber zum Queen’s Counsel ernannt.
Von 1989 bis zu seiner Emeritierung 2010 war er Professor für Rechtsphilosophie an der Universität Oxford. Er war viele Jahre Berater der australischen Regierung zu Verfassungsfragen und rechtlichen Aspekten der bilateralen Beziehungen zum Königreich Großbritannien. Er nominierte 1989 die ihm von Oxford her bekannte, heutige birmanische Regierungschefin und langjährige Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi für den Friedennobelpreis, der der Sacharow-Preisträgerin 1991 verliehen wurde. Finnis
Finnis wirkte in seiner Lehrtätigkeit vor allem für die Wiederentdeckung des Naturrechts, was ihn weltweit bekannt machte. Auch sein persönlicher Lebensweg wurde davon geprägt und veranlaßte ihn zur katholischen Kirche zu konvertieren.
Finnis scheut sich nicht vor kontroversen Aussagen, die er mit größter Sachlichkeit und völliger Unaufgeregtheit vorträgt. So publizierte er aufgrund jüngster Gesetze zum Verhältnis von Staat und Homosexualität und widersprach jeder Sonderbehandlung, die derzeit im Namen der „Gleichberechtigung“ und „Nicht-Diskriminierung“ erfolgt. Das brachte ihm nicht nur Angriffe durch die Homo-Lobby, sondern auch Kritik von progressiven Kirchenkreisen ein.
Vor einigen Monaten wurde von Studenten in Oxford sogar eine Petition gestartet, Finnis wegen seiner Position zur Homosexualität den Titel eines Emeritus abzuerkennen.
Der von US-Präsident ernannte Höchstrichter Neil Gorsuch war sein Schüler.
Urteil spiegelt Voreingenommenheit der Richter wider
In dem nun von ihm veröffentlichten Kommentar „Wo das Urteil gegen Kardinal auf fatale Weise schiefgelaufen ist“ beschränkt sich Finnis auf eine strikt rechtliche Argumentation. Auf dieser Grundlage übt er scharfe Kritik an dem Verfahren, das vor Gerichten des australischen Staates Victoria stattfand. Dort wurde Kardinal Georg Pell wegen des angeblichen sexuellen Mißbrauchs von zwei Ministranten im Jahr 1996 zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Das Urteil erster Instanz wurde am 21. August in zweiter Instanz bestätigt.
Wem der Rechtsstaat, ein faires Strafverfahren, die Unschuldsvermutung und weitere Rechtsinstitute am Herzen liegen, müsse über die Verurteilung des Kardinals entsetzt sein, so Finnis. Sie seien zu achten und zu verteidigen und nicht dazu da, um gegen politische Gegner eingesetzt zu werden.
Finnis lenkt das Augenmerk auf den Kern des Verfahrens, das rund um einen sexuellen Mißbrauch konstruiert wurde, den Kardinal Pell an zwei, damals 12 und 13 Jahre alten Ministranten nach einem Hochamt in der Sakristei der Kathedrale von Melbourne begangen haben soll. Selbst laut der von der Staatsanwaltschaft vertreten Version der Ereignisse hätte der damalige Erzbischof bestenfalls fünf oder sechs Minuten Zeit gehabt, um die Straftat zu begehen.
Finnis führt gegen das Urteil drei Kritikpunkte an.
Im ersten Punkt spricht der bekannte Jurist von einer durch die Anklage „auf den Kopf gestellten logischen Sequenz“. Gemeint ist damit die „Unwahrscheinlichkeit“ und „Unmöglichkeit“ der Tat, die von der Verteidigung vertreten wird, die darauf beharrt, daß sich Pell zum genannten Zeitpunkt in einem ganz anderen Teil der Kirche aufhielt. Eine beachtliche Anzahl von Zeugen haben vor Gericht die Unwahrscheinlichkeit und Unmöglichkeit erhärtet, daß Pell die Straftat begangen haben kann. Das Gericht, so Finnis, habe diese Aussagen aber nicht unter dem Gesichtspunkt gewürdigt, die Verteidigungslinie des Kardinals zu bestätigen oder zu widerlegen, die besagt, daß die Anklage an sich unwahr ist.
„Indem die Unwahrheit als getrennte Argumentation (und nicht als Schlußfolgerung anderer Argumente) gesehen wird, weist das Urteil eine grundlegende Verwirrung auf, was die fundamentale Logik des Falles betrifft, leugnet die rationale Überlegung der Verteidigung und stellt die Beweislast de facto auf den Kopf.“
Die Umkehr der Beweislast stellt den zweiten Kritikpunkt dar. Sie ist für Finnis am Bedenklichsten, was die Sicherstellung eines fairen Strafverfahrens betrifft.
„Das Urteil gegen Pell besagt, daß seine Autoren von der Wahrhaftigkeit und der Sorgfalt der Ankläger überzeugt sind, noch bevor sie die Gegenbeweise geprüft haben.“
Mit anderen Worten: Die Richter sind voreingenommen und a priori überzeugt, daß die Anklage der Wahrheit entspricht. Das aber, so Finnis, widerspricht allen geltenden Rechtsstandards. Die Richter haben aufgrund dieser Voreingenommenheit dem Kardinal die Beweislast auferlegt. Nicht die Anklage hatte Pells Schuld zu beweisen, sondern der Kardinal hatte seine Unschuld zu beweisen.
Als seine Verteidiger die Beweise vorlegten, die Pell entlasten, wurden diese, so Finnis in seinem dritten Kritikpunkt, auf „inkohärente Weise“ gesammelt und geordnet. Auf diese Weise wurde die gesamte Verteidigungslinie des Kardinals geschwächt, die auf dem Nachweis der Unwahrscheinlichkeit, ja sogar der Unmöglichkeit beruht, daß Pell die ihm zur Last gelegte Straftat begangen haben kann.
Das Urteil wurde von den Richtern, so der Rechtsphilosoph, zudem durch widerrechtliche Einschübe, unlogische Sprünge und viel „off course“ durchsetzt.
Finnis sieht darin die Unverfrorenheit jener, die ein Urteil fällten, das bereits feststand.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Quadrant/Catholic Weekly (Screenshots)
Nur „Blinde“ sehen den Justizskandal nicht.
Die Leute sehen den Justizskandal. Das Problem ist, dass sie es nicht sehen wollen.