(Rom) Der Rechtsbeistand von Kardinal George Pell fordert eine „internationale Untersuchung über ein Komplott“ gegen seinen Mandanten. Damit reagierte Robert Ritcher, der Kardinal Pell bereits vor Gericht verteidigt hatte, auf die jüngsten Enthüllungen, daß die Ankläger, die dem Kardinal sexuellen Mißbrauch Minderjähriger vorgeworfen und ihn damit vor Gericht gebracht hatten, von Kardinal Angelo Becciu dafür bezahlt worden sein sollen. Kardinal Pell mußte durch den Instanzenweg gehen, bis er Anfang April 2020 vom Obersten Gerichtshof von Australien einstimmig freigesprochen wurde. Bis dahin mußte er Jahre der Vorverurteilung und der Verurteilung erster und zweiter Instanz zu sechs Jahren Gefängnis über sich ergehen lassen, bis die Höchstrichter seine Unschuld feststellten und die untergeordneten Instanzen für die Verurteilung rügten.
Rechtsanwalt Robert Ritcher forderte die australischen und die italienischen Behörden auf, Ermittlungen zur Geldüberweisung aufzunehmen. Italienische Medien hatten zuvor von einer Zahlung von 700.000 Euro berichtet, die in den Ermittlungsunterlagen der vatikanischen Staatsanwaltschaft aufgetaucht sei. Getätigt haben soll sie der damalige Substitut des vatikanischen Staatssekretariats und heutige Kardinal Angelo Becciu. Gegen Beccciu wird im Zusammenhang mit dem Kauf von Luxusimmobilien in London mit dem Geld des Vatikans im Wert von mehreren Hundert Millionen Euro ermittelt. Auch noch zu weiteren Transaktionen ermittelt die vatikanische Staatsanwaltschaft. Becciu wurde von Papst Franziskus deshalb aller Ämter enthoben. Die Kardinalswürde wurde ihm belassen, allerdings unter Verzicht auf alle damit verbundenen Rechte. Damit darf Becciu nicht an einem eventuellen Konklave zur Wahl des nächsten Papstes teilnehmen.
„Ich denke, daß diese Informationen eine ordnungsgemäße Untersuchung durch die Steuerbehörden erfordern, um das Geld aufzuspüren, das nach Australien gekommen ist“, sagte Ritcher der Financial Review.
Italienische Medien berufen sich als Quelle auf einen Mitarbeiter Beccius in dessen Zeit als Substitut, der aussagte, das Geld sei zur Bezahlung von Zeugen und einer Medienkampagne gegen Kardinal Pell verwendet worden.
Kardinal Becciu bestreitet die Medienberichte „kategorisch“. Er habe in „keiner Weise“ in den Justizfall von Kardinal Pell eingegriffen. Er bestreitet auch alle anderen Anschuldigungen, die derzeit gegen ihn im Zusammenhang mit dem Finanzskandal erhoben werden.
Tatsache ist, daß es zwischen Kardinal Pell und und dem damaligen Substituten Becciu erhebliche Gegensätze im Zusammenhang mit der von Pell aufgenommenen Finanzreform gab. Der bekannte Liturgiker und persönliche Freund von Benedikt XVI., Don Nicola Bux, bestätigte gestern in einem Interview, daß Becciu zu den Intriganten gegen Kardinal Pell gehörte.
Becciu habe versucht, die großen Geldtransaktionen für den Kauf der Londoner Immobilien zu verschleiern, dennoch habe das von Kardinal Pell geleitete Wirtschaftssekretariat diesen Versuch entdeckt. Hochrangige Beamte des Wirtschaftssekretariats teilten CNA mit, der damalige Substitut Becciu habe Kardinal Pell, als er damit begann, Nachforschungen anzustellen und Einzelheiten zu den Krediten einzufordern, insbesondere zu Krediten der inzwischen abgewickelten Schweizer Bank BSI, ins Staatssekretariat rufen lassen, um ihm eine „Rüge“ zu erteilen.
2016 half Becciu, die vom australischen Kardinal eingeleiteten Reformen zu stoppen. Obwohl Papst Franziskus das Wirtschaftssekretariat mit dem Auftrag einer eigenständigen Aufsichts- und Kontrollbehörde für die Finanzen und die Verwaltung errichtet und Kardinal Pell als Präfekten berufen hatte, lieh er dann Gegnern der Finanzreform wie Becciu das Ohr und beschnitt massiv die Zuständigkeiten des Wirtschaftssekretariats. Becciu habe eigenmächtig weitere Eingriffe vorgenommen, indem er vom Wirtschaftssekretariat bereits angesetzte Anhörungen im Zuge einer externen Finanzprüfung wieder absagte.
Becciu habe, laut CNA, Papst Franziskus überzeugen können, seine Eingriffe nachträglich gutzuheißen. Schließlich folgte die Kriminalisierung von Kardinal Pell durch falsche Anschuldigungen, die in Australien gegen ihn erhoben wurden und ihn zwangen sein Amt als Präfekt des Wirtschaftssekretariats ruhend zu stellen, um sich in seiner Heimat vor Gericht zu verteidigen.
Papst Franziskus demontierte Kardinal Pell vollends just zum Zeitpunkt, als der Oberste Gerichtshof von Australien dessen Einspruch gegen die Verurteilung für zulässig erklärt hatte. Im November 2019 enthob er ihn seines Amtes und ernannte einen neuen Präfekten des Wirtschaftssekretariats. Ebenso entfernte er den Kardinal als Vertreter Ozeaniens aus dem C9-Kardinalsrat. Beide Entscheidungen mußten im laufenden Gerichtsverfahren den Eindruck erwecken, daß das Kirchenoberhaupt von der Schuld Pells überzeugt sei. Auch das ist eine Form, die Position eines Angeklagten zu schwächen.
Kardinal Pell traf am 29. September in Rom ein, wurde aber bisher nicht von Papst Franziskus empfangen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: InfoCatolica