
Von Roberto de Mattei*
Wie Theologen erklären, ist die von Jesus Christus gegründete Kirche das Reich Gottes in dieser Welt, die Erfüllung der Erlösung, die Vollendung des Werkes des Heiligen Geistes, die herrlichste Manifestation der Heiligsten Dreifaltigkeit. Die Verherrlichung der Heiligen Dreifaltigkeit ist das letzte Ziel der Kirche und der gesamten Schöpfung. Die Heiligkeit des einen und dreifaltigen Gottes ist der Grund für die Heiligkeit der Kirche, die von Natur aus heilig, rein und unbefleckt ist, auch wenn sie aus Sündern besteht. Diese Heiligkeit wird von ihren Gliedern bezeugt. Wie groß auch immer die Verdorbenheit innerhalb der Kirche sein mag, es wird immer eine ausreichende Zahl von Heiligen geben, die den wahren Glauben bewahren und ein Leben der Vollkommenheit führen. Die Heiligkeit des mystischen Leibes verlangt nicht, daß alle seine Glieder Heilige sind, aber daß es Heilige gibt und daß ihre Heiligkeit als Frucht der Grundsätze und Regeln der Heiligkeit erscheint, die Christus der Kirche anvertraut hat (Konrad Algermissen: Christliche Sekten und Kirche Christi, 1928, zitiert nach der ital. Ausgabe La Chiesa e le chiese, S. 3–15).
Leider ist diese übernatürliche Dimension der Kirche nicht nur denjenigen fremd, die sie bekämpfen, sondern manchmal auch jenen, die sie verteidigen. Die Kirche hatte schon immer ihre Kritiker und ihre Verteidiger, aber heute besteht die Gefahr, daß selbst die letzteren sie wie ein Unternehmen oder eine politische Bewegung betrachten.
Papst Franziskus zum Beispiel erscheint oft eher als politischer Führer denn als Nachfolger Petri. Aber jenseits der fragwürdigen Ausübung seiner Regierungsgewalt und der Darstellung in den Medien bleibt er der rechtmäßige Stellvertreter Christi, der 266. Papst der katholischen Kirche.
Legitime Nachfolger der Apostel sind die Kardinäle, die ihn umgeben und denen es obliegt, seinen Nachfolger zu wählen. Die Kontroversen um die Person des amtierenden Papstes erstrecken sich jedoch auch auf das Heilige Kollegium, und zwar aufgrund der Irrtümer, zu denen sich einige Kardinäle öffentlich bekennen, und der moralischen Skandale, in die einige von ihnen – zu Recht oder zu Unrecht – verwickelt sind. Skandale und Irrtümer haben das Leben der Kirche seit ihren Anfängen begleitet, und die Kirche hat in ihrem Inneren kirchliche Gerichte eingerichtet, die die Anschuldigungen überprüfen und die Schuldigen mit den gebührenden kirchlichen Strafen belegen können. Eine besorgniserregende neue Tatsache ist, daß Verurteilungen und Freisprüche jetzt in den Medien verkündet werden, bevor sie in den kirchlichen Gerichtssälen verkündet werden, wodurch die Tradition der Diskretion und der Gerechtigkeit, die die interne Arbeitsweise der Kirche immer gekennzeichnet hat, umgestoßen wird.
In den vergangenen Tagen hat die internationale Presse den Fall des peruanischen Kardinals Juan Luis Cipriani Thorne, emeritierter Erzbischof von Lima, in den Vordergrund gerückt. Laut der Rekonstruktion des Falles durch die spanische Tageszeitung El País am 25. Januar und der anschließenden Intervention des Kardinals sowie einer Erklärung des vatikanischen Presseamtes hat der Heilige Stuhl Maßnahmen ergriffen, die seine öffentlichen Aktivitäten, seinen Wohnsitz und die Verwendung der Kardinalsinsignien einschränken. Der Grund dafür ist, daß der Papst offenbar der Meinung ist, daß er sich schwerer moralischer Vergehen schuldig gemacht hat, und ihn strafrechtlich sanktioniert hat, ohne daß jemand die Beweise kennt, auf denen diese Sanktionen beruhen. Kardinal Cipriani hat seine Unschuld beteuert und gegen die Nichteinhaltung der Rechtsnormen protestiert. Wie Kardinal Cipriani hat auch der peruanische Erzbischof José Antonio Eguren, der in die jüngsten Ereignissen involviert war, die zur Unterdrückung des Sodalitium Christianae Vitae führten, angeprangert, daß er einem Prozeß unterworfen wurde, bei dem seine Rechte nicht respektiert wurden, was darauf hindeutet, daß der Heilige Stuhl auf juristischer Ebene mit Praktiken vorgeht, die der Kirche Christi unwürdig sind.
Es besteht die Gefahr, daß die moralischen Mißstände, die diesen Prälaten vorgeworfen werden, von ebenso schwerwiegenden rechtlichen Mißständen überlagert werden. Dies kann einen Nebel der Unsicherheit um die zahlreichen Skandale aufkommen lassen, die das Kardinalskollegium in den vergangenen Jahren des Pontifikats betroffen haben, beginnend mit dem Fall des US-Kardinals Theodore McCarrick, der im Februar 2019 von Papst Franziskus wegen des sexuellen Mißbrauchs, in den er verwickelt war, aus dem Klerikerstand entlassen wurde.
Einen Monat später, im März 2019, mußte der emeritierte Erzbischof von Santiago de Chile Ricardo Ezzati Andrello, der 2014 von Papst Bergoglio selbst zum Kardinal ernannt worden war, als Erzbischof zurücktreten, weil er Vorwürfe des sexuellen Mißbrauchs von Minderjährigen vertuscht hatte. In denselben Tagen wurde in Frankreich Kardinal Philippe Barbarin zu einer sechsmonatigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt, weil er den sexuellen Mißbrauch durch einen Priester in seiner Diözese nicht gemeldet hatte. Obwohl die Verurteilung in der Berufung im Januar 2020 aufgehoben wurde, reichte Barbarin seinen Rücktritt als Erzbischof von Lyon ein, den Papst Franziskus im März 2020 annahm.
Am 24. September 2020 akzeptierte Papst Franziskus den Verzicht von Kardinal Becciu auf die „mit dem Kardinalat verbundenen Rechte“, einschließlich des Rechts, an einem künftigen Konklave teilzunehmen. Becciu war in einen Skandal um Immobilieninvestitionen in London verwickelt. Er hat immer seine Unschuld beteuert, aber im Dezember 2023 verurteilte ihn ein vatikanisches Gericht, das ausschließlich aus Laienrichtern bestand, zu fünf Jahren und sechs Monaten Haft und dem lebenslangen Ausschluß von öffentlichen Ämtern aufgrund von Wirtschaftsdelikten, darunter Veruntreuung, Geldwäsche, Betrug, Erpressung und Amtsmißbrauch. Der Fall von Kardinal Óscar Rodríguez Maradiaga, Erzbischof von Tegucigalpa und Koordinator des Kardinalsrats, der den Papst in der Leitung der Kirche beraten soll, scheint hingegen keine strafrechtlichen Folgen zu haben. 2017 stand der honduranische Kardinal im Mittelpunkt von Vorwürfen finanzieller Mißwirtschaft, einschließlich der Entgegennahme großer Geldsummen von der Katholischen Universität von Honduras, deren Kanzler er war, aber er trat erst 2023, im Alter von 81 Jahren, als Erzbischof der Diözese zurück.
Doktrinäre und moralische Skandale durchziehen inzwischen den gesamten sozialen Körper der Kirche und entstellen ihr Image. Wer sich in den Kirchengemeinden aufhält, kennt die traurige Situation, in der sich viele von ihnen befinden. Das Bild zeigt opportunistische und feige Pfarrer; geschäftstüchtige Bischöfe, die von Theologie und Kirchenrecht keine Ahnung haben; Ordensobere, die sich mehr um das Organisieren von Lobbys in ihren Kongregationen kümmern als um das Wohl der Gläubigen; Ordensmänner und ‑frauen, die der Kirche untreu geworden sind und ihr Ordensgelübde mit Füßen treten. Ganz zu schweigen vom Verfall der Kirchengebäude, wenn sie nicht durch kräftige staatliche oder europäische Beiträge unterstützt werden, aber am auffälligsten ist die Schlampigkeit und Gleichgültigkeit, mit der das heilige Meßopfer gefeiert wird, das sich nicht nur in der Form, sondern auch im Geist immer weiter von dem apostolischen entfernt.
Ist das ein Grund, alles in einen Topf zu werfen und die sichtbare Kirche mit Verachtung über Bord zu werfen? Das ist nicht das, was die Gottesmutter tun würde, die am Fuße des Kreuzes ihre Liebe zum verwundeten Leib unseres Herrn verdoppelt hat. Die Kirche auf Erden ist Christus selbst, der auf mystische Weise weiterlebt. Die Geschichte der Kirche spiegelt sein Leben wider. Das ganze Leben des Gottessohnes war ein Kreuzweg, und so ist es auch das Leben der Kirche durch die unruhigen Ereignisse der Geschichte. Und wie im Leben Jesu auf den Karfreitag der triumphale Ostersonntag folgte, so werden die Glieder der Kirche eines Tages an ihrer Verherrlichung teilhaben. Deshalb sagte Jesus zu seinen Jüngern: „Wer jedoch bis zum Ende standhaft bleibt, der wird gerettet“ (Matthäus 24,13–14).
Die Wunden, die der Kirche von ihren inneren Gliedern zugefügt werden, müssen daher unsere Beharrlichkeit und unser Vertrauen in die Unfehlbarkeit der Kirche nähren. Je mehr sie gedemütigt wird, desto mehr muß unser Wunsch wachsen, sie zu erhöhen und zu verherrlichen.
Großmütige Herzen vertrauen auf den endgültigen Triumph der Kirche, die dazu bestimmt ist, heilig und unbefleckt zu leuchten, nicht nur am Ende der Zeit, sondern in einer geschichtlichen Zukunft, die die Vorsehung sicher nach ihren geheimnisvollen Plänen verwirklichen wird.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017, und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen 2011.
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Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana