
(Rom) Kardinal George Pell ist gestern in Rom eingetroffen. Es handelt sich um seine erste Rückkehr an den Tiber, seit er im Juni 2017 den Vatikan in Richtung Australien verlassen hatte.
Die mehr als drei Jahre, die seit seiner Abreise vergangen sind, gestalteten sich für ihn als Leidensweg. In Rom hatte ihn Papst Franziskus als Präfekt des Wirtschaftssekretariats fallengelassen. Konkret wurden seine Zuständigkeiten beschnitten und ihm kein Schutz gegen die Angriffe und Intrigen anderer Kurialen gewährt. Durch den soeben explodierten Finanzskandal um Kardinal Angelo Becciu werden Hintergründe deutlicher, weshalb Kardinal Pell von 2014 bis 2017 die Arbeit als Präfekt des Wirtschaftssekretariats so schwer gemacht wurde. Es wird auch sichtbarer, daß Papst Franziskus in dem sich daraus ergebenden, vor allem hinter den Kulissen geführte Gezerre sich nicht auf die Seite Pells gestellt hatte.
Schließlich kam es in Australien zur Anschuldigung des sexuellen Mißbrauchs von Minderjährigen. Der Kardinal beteuerte seine Unschuld, fand aber auch beim Papst nicht das erhoffte Gehör. Dort wurde schon länger gegen den australischen „Störenfried“ intrigiert, der doch tatsächlich wagte zu tun, was seine Aufgabe war, nämlich die Verwaltung und die Finanzen des Vatikans zu überprüfen.
Daß es um eine größere „Operation“ ging, wird durch die Tatsache belegt, daß zur gleichen Zeit mit Kardinal Pell auch der Generalrevisor des Vatikans, Libero Milone, unsanft aus dem Vatikan hinausbefördert wurde. Milone wurde zu diesem Zweck mit Verhaftung gedroht, sollte er das Feld nicht freiwillig räumen. Kardinal Pell wurde von Papst Franziskus offenbar, glaubt man grundsätzlich zuverlässigen Quellen, persönlich unter dem Vorwand der Strafrechtsverfolgung aufgefordert, nach Australien zurückzukehren. Damit brach für den Purpurträger eine Welt zusammen, was ihn die Koffer packen ließ.
In Australien erwarteten ihn mediale Vorverurteilung und die Verurteilung in erster und zweiter Instanz. Der Oberste Gerichtshof fällte schließlich am vergangenen 7. April einen einstimmigen Freispruch aller sieben Richter und tadelte die untergeordneten Instanzen für die Verurteilung. Ein Richter der Berufungsinstanz hatte bereits die Anschuldigungen gegen den Kardinal zerpflückt und sich in einem Minderheitenvotum gegen seine beiden Richterkollegen für einen Freispruch ausgesprochen. Giuliano Ferrara, der Herausgeber der Tageszeitung Il Foglio, bezeichnete den Fall von Kardinal George Pell als neuen Fall Dreyfus.
Zwölf Monate der genannten Zeitspanne verbrachte der Kardinal sogar im Gefängnis. Am 27. Februar 2019 war er verhaftet worden und verzichtete auf die Möglichkeit, einen Antrag auf Hausarrest zu stellen. Rückblickend scheint es, als wollte er seinen Anklägern vor allem in der Kirche ihr Tun im Spiegel vorhalten. Noch am Tag des Freispruchs wurde der Kardinal aus dem Hochsicherheitsgefängnis Geelong freigelassen.
Seither lebt Kardinal Pell im Erzbistum Sydney. Trotz des Freispruchs erreichte ihn bisher keine Audienzeinladung von Papst Franziskus in den Vatikan. Zu sehr scheint sich das Kirchenoberhaupt im Juni 2017 in der Sache kompromittiert zu haben. Manche Beobachter sprachen sogar davon, daß der Freispruch im Vatikan gar nicht allen recht gewesen sei. Der nun explodierte Finanzskandal könnte vielleicht einige Antworten auf die offenen Fragen bringen.
Daß manche noch immer über Giftpfeile im Köcher verfügen, zeigten einige Reaktionen auf den Fall Becciu. Hinter vorgehaltener Hand wurde ausgestreut, Kardinal Pell stecke hinter den Enthüllungen, die zur Absetzung Beccius führten. Ein verzweifelter Verteidigungsversuch, in dem das geschilderte Intrigantentum aufblitzt.
Wahr ist, daß Kardinal Pell, der im Gegensatz zu Becciu einen Leidensweg hinter sich hat, auf dessen Sturz am 25. September mit einer kurzen Stellungnahme reagierte, in der er Papst Franziskus dazu gratulierte, mit der Reinigung des Stalles begonnen zu haben. Wer kann es ihm verdenken?
Nun reiste Kardinal Pell nach Rom. Ob Papst Franziskus ihn empfangen wird oder auch „zu beschäftigt“ ist, wird sich zeigen. Gestern sollte eine Audienz für US-Außenminister Mike Pompeo stattfinden. In Washington scheint man eine Ausladung geahnt zu haben, weshalb Pompeo seine Botschaft an Franziskus bereits vorab veröffentlichte. Aus seiner Abneigung gegen US-Präsident Donald Trump und dessen Regierung machte Franziskus nie ein Hehl. Die unfreundliche Geste gegenüber der amtierenden US-Regierung erinnert fatal an jenen blinden Radikalismus, der derzeit von linker Seite bereit scheint, jede Ordnung in Frage zu stellen, nur um das gesteckte Ziel zu erreichen. Vor allem wollte Franziskus nicht Pompeos Einwände gegen eine Verlängerung des Geheimabkommens mit der Volksrepublik China hören, das im September 2018 vom Vatikan unterzeichnet worden war.
Doch zurück zu Kardinal Pell. Diesem entzog Papst Franziskus das Präfektenamt des Wirtschaftssekretariats und den Sitz im Kardinalsrat (ex C9), in dem er Ozeanien vertreten hatte. Das Präfektenamt nimmt inzwischen ein Jesuit ein, der Sitz im Kardinalsrat wäre allerdings noch unbesetzt. Franziskus macht aber keine Anstalten, dem australischen Kardinal wieder ein Amt übertragen zu wollen. Auch daran läßt sich vorerst erahnen, daß im Vatikan nicht alle unglücklich waren, als der Kardinal im Juni 2017 seine Koffer packte, und auch nicht alle glücklich darüber sind, daß er nun als freier Mann wieder nach Rom zurückkehren kann.
Der Wunsch Pells nach kirchlicher Rehabilitierung, die durch Franziskus mit einem brüderlichen Empfang vor aller Welt sichtbar würde, ist auch ein halbes Jahr nach dem Freispruch unerfüllt. Doch nun ist er in Rom …
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshot)