(Rom) Am 29. September wird US-Außenminister Michael R. Pompeo den Vatikan besuchen. Diesem Besuch schickte Pompeo seine Botschaft bereits voraus, damit die Gespräche zielführend stattfinden können. Pompeo ließ mit Tweets und auf der Seite der renommierten Zeitschrift First Things den Heiligen Stuhl wissen, daß dieser eine Verlängerung des Geheimabkommens mit dem kommunistischen Regime in der Volksrepublik China noch einmal gründlich überdenken sollte. Antonio Socci formulierte dazu am Montag in der Tageszeitung Libero: „Die USA versuchen dem Papst zu erklären, daß die Chinesen die Christen massakrieren“.
Im Weißen Haus wurde die Unterzeichnung des Geheimabkommens am 22. September 2018 als Alarmsignal gesehen, daß an einer Allianz mit der Volksrepublik China gebastelt wird, die Auswirkung auf die globalen Gleichgewichte haben wird. Eine Allianz, die sich gegen die USA richtet. Bereits bei seinen früheren Besuchen hatte Pompeo Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin und auch Papst Franziskus zu erklären versucht, daß das Abkommen mit dem kommunistischen Regime ein Fehler sei.
Nach Ablauf von zwei Jahren – das Abkommen wurde „provisorisch“ für diesen Zeitraum in Geltung gesetzt – weiß man auch im Vatikan, daß der Versuch gescheitert ist. In den vergangenen 24 Monaten wurden fünf Bischöfe in ihr Amt eingeführt, wovon zwei allerdings bereits vor der Unterzeichnung des Abkommens feststanden, also nicht auf dieses zurückgehen. Zur Anerkennung der verbleibenden drei Bischöfe läßt sich feststellen, daß das Geheimabkommen der regimehörigen Patriotischen Vereinigung in die Hände spielt und die Bischöfe, sollten sie nicht ohnehin der Patriotischen Vereinigung angehören, sie dieser wegen der offiziellen Anerkennung in die Arme treibt.
Die Chinesische Katholisch-Patriotische Vereinigung wurde 1957 von der Kommunistischen Partei Chinas als schismatische, von Rom unabhängige katholische Kirche Chinas gegründet. Die Zuständigkeiten für Religionsfragen waren zwar auf staatliche Behörden übertragen worden, zuletzt aber, im Zusammenhang mit der Unterzeichnung des Geheimabkommens, wieder direkt von der Kommunistischen Partei übernommen worden. Sofern von Papst Franziskus im Geheimabkommen nicht anderes zugestanden wurde, bedeutet die Mitgliedschaft in der Patriotischen Vereinigung automatisch die Exkommunikation. Papst Benedikt XVI. hatte 2007 die von Papst Pius XII. festgestellte Unvereinbarkeit zwischen der katholischen Kirche und der Patriotischen Vereinigung ausdrücklich bekräftigt.
„Historischer Wendepunkt“: Auf welcher Seite steht Papst Franziskus?
Mit seinem am 18. September in First Things veröffentlichten Aufsatz „China’s Catholics and the Church’s Moral Witness“ (Chinas Katholiken und das moralische Zeugnis der Kirche) erinnerte Pompeo den Heiligen Stuhl daran, daß sich die Lage für die chinesischen Christen in dieser Zeit verschlechterte. Dazu gehöre die geforderte „Sinisierung“ der Kirche, die Gott der Kommunistischen Partei Chinas unterwerfen will.
Auf Twitter schrieb Pompeo:
„Der Vatikan gefährdet seine moralische Autorität, sollte er das Abkommen erneuern.“
Auf First Things formulierte er so:
„Mehr denn je braucht das chinesische Volk das moralische Zeugnis und die Autorität des Vatikans zur Unterstützung der Gläubigen“.
Der US-Außenminister rechnete dem Heiligen Stuhl vor, welchen Nutzen das Regime aus dem Abkommen ziehen konnte, vor allem durch die Legitimierung der unrechtmäßigen, regimehörigen Bischöfe, während sich die Situation für die Christen sogar verschlechtert habe. Warum sollte das Abkommen also verlängert werden?
Vielmehr kompromittiere der Heilige Stuhl seine moralische Autorität: Während der brutalen Repression in Hongkong war aus dem Vatikan kaum ein Windhauch zu vernehmen, obwohl Kardinal Joseph Zen, der emeritierte Bischof der Stadt und die graue Eminenz der chinesischen Untergrundkirche, und andere mehrfach an Santa Marta appelliert hatten.
Mike Pompeo erinnerte den Heiligen Stuhl daran, daß die wichtigsten Stimmen Hongkongs zur Verteidigung der Menschenwürde und der Menschenrechte zumeist katholische Stimmen sind. Er verwies zudem auf den Einsatz der Regierung Trump zugunsten der Religionsfreiheit und gab ein Bekenntnis ab, daß dies auch weiterhin so sein werde. Allerdings, so der US-Außenminister, auch der Heilige Stuhl müsse das Seine dazu beitragen.
Die Kirche habe, so Pompeo, immer gelehrt, daß das Recht der freien Religionsausübung das erste Bürgerrecht und die Solidarität einer der vier Grundpfeiler der katholischen Soziallehre sei. Heute müsse diese Lehre der Kirche gegen die Bestrebungen der Kommunistischen Partei Chinas betont werden, die religiösen Gemeinschaften der Partei und ihrem totalitären Programm unterwerfen zu wollen. Das sei eine Verantwortung des Vatikans gegenüber der gesamten Menschheit, denn sollte es der Kommunistischen Partei Chinas gelingen, werde das auch andere Regime ermutigen, die Grund- und Menschenrechte zu mißachten. Der Preis werde hoch sein, den die mutigen Gläubigen zu bezahlen haben werden, die das Bekenntnis zu Gott höher achten „als den gerade regierenden Autokraten“.
Pompeo schloß seine Ausführungen mit einem Appell:
„Ich bete dafür, daß der Heilige Stuhl und alle Gläubigen in den Beziehungen zur Kommunistischen Partei Chinas den Worten Jesu im Evangelium Gehör schenken: ‚Die Wahrheit wird euch freimachen‘.“
Mit Blick auf die bevorstehenden Verhandlungen über eine Verlängerung des Geheimabkommens haben auch 80 Organisationen zur Verteidigung der Menschenrechte und für die verfolgten Christen Papst Franziskus geschrieben und ersucht, seine China-Politik zu überdenken. Die Lage sei dramatisch. Man befinde sich an einem „historischen Wendepunkt“, so die Schreiber, denn der Konflikt zwischen dem freien Westen und dem kommunistischen China spitze sich immer mehr zu.
In dieser Situation von globaler Tragweite verstärkte sich in den vergangenen Jahren nicht nur im Weißen Haus der Eindruck einer Annäherung des Vatikans an das kommunistische Regime in Peking. Ein verheerender Eindruck: Während die Unterdrückung der Christen in China fortdauert und sich in manchen Bereichen sogar intensiviert, scheint sich Santa Marta in einem globalen geostrategischen Duell auf die Seite der Kommunisten zu stellen. Damit aber geschieht laut Antonio Socci Dramatisches:
„Auf diese Weise trennt sich der Vatikan vom freien Westen, vor allem aber von den verfolgten Christen.“
Vatikan von Pompeo-Kritik „überrascht“
Es wird am 29. September noch einiger Überzeugungsarbeit des US-Außenministers bedürfen, denn im Vatikan sieht man das nach wie vor anders. Auch die Cyberspionage änderte daran nichts. Dies bestätigte gestern, vier Tage nach Pompeos Aufsatz in First Things, die Reuters-Meldung des Vatikan-Korrespondenten Philipp Pullella:
„Funktionäre des Vatikans verteidigen nach Pompeo-Kritik das Abkommen mit China.“
Pullella, ein Bergoglianer mit entsprechend guten Kontakten, nennt keine Namen, seine Quellen – er spricht von „drei hochrangigen Vatikan-Funktionären“ – bleiben anonym. Es darf davon ausgegangen werden, daß er die aktuelle Position des vatikanischen Staatssekretariats wiedergibt.
Demnach sei man im Vatikan „überrascht“ über die Kritik des US-Außenministers. „Das ist nicht der normale Weg, um ein Thema festzulegen. Normalerweise gibt es zwischen Ministerien einen vertraulichen Austausch, um zu bestimmen, was auf der Tagesordnung stehen wird.“ Der Verweis auf die Formalismen signalisiert vielmehr eine Zurückweisung von Pompeos Forderung.
Pullella nennt als Inhalt des Abkommens, der nach wie vor geheim ist, daß es „dem Papst die endgültige Entscheidung über die Ernennung von Bischöfen in China ermöglicht und den chinesischen Katholiken, ihn als Oberhaupt der Weltkirche anzuerkennen“. Die Angabe ist zwar richtig, aber sehr verkürzt und beschönigend. Sie bedeutet nämlich, daß der Kommunistischen Partei Chinas das alleinige Nominierungsrecht für Bischöfe abgetreten wurde. Der Papst kann die Nominierten zwar ablehnen, aber ohne Zustimmung der Partei keine Bischöfe einsetzen. Für Kritiker wie Kardinal Zen hat sich der Heilige Stuhl damit selbst die Hände gebunden. Im besten Fall gebe es keine Bischofsernennungen, was für die Kirche fatal ist. Im schlimmsten Fall werden regimehörige Marionetten auf die Bischofsstühle gesetzt.
Offizielles Ziel des Vatikans ist es, mit dem Geheimabkommen das seit 1957 bestehende Schisma der Kirche in China zu überwinden und die Kirche unter der Führung Roms zu einen. Kritiker sprechen dagegen von einem Ausverkauf, indem die romtreue Untergrundkirche dem kommunistischen Regime ausgeliefert werde. Pullella stigmatisiert diese Kritiker als „konservative Katholiken“, eine im linksliberalen Mainstream abschätzig gemeinte Einordnung. Vor allem hebt sie die Frage der Bischofsernennungen und der freien Religionsausübung auf die Ebene politischer Präferenzen, was inakzeptabel sein müßte.
Er vergißt auch nicht, die Kritik Pompeos, trotz ihrer Bedeutung, als bloße Instrumentalisierung für innenpolitische Zwecke hinzustellen, und zitiert dafür Erzbischof Mark Coleridge von Brisbane in Australien, der von einer bloßen „Wahlagenda“ mit Blick auf die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA spricht. Coleridge, der 2012 von Papst Benedikt XVI. zum Erzbischof von Brisbane ernannt worden war, schwenkte unter Papst Franziskus auf eine immer progressivere Haltung um. Seit dem vorigen Jahr engagiert er sich besonders aktiv für eine Segnung Homosexueller in der Kirche. Seine Stellungnahme zur Pompeo-Kritik bestätigt diese Linie. Der Ablehnung von US-Präsident Donald Trump wird derzeit alles untergeordnet, selbst auf die Gefahr hin, daß es der Kirche schadet.
Unerwünschter Vergleich
Das päpstliche Umfeld, wie Pullella durchblicken läßt, scheint vor allem Pompeos direkter Vergleich von Papst Franziskus mit Papst Johannes Paul II. gestört zu haben. Dieser war von der vatikanischen Ostpolitik der 60er und 70er Jahre abgerückt und trug dadurch wesentlich zum Fall der Berliner Mauer von 1989 und dem Zusammenbruch des kommunistischen Ostblocks bei.
Im Vatikan wurde zudem aufmerksam registriert, daß der US-Außenminister seinen Aufsatz in einer Publikation veröffentlichte, die der Amtsführung von Papst Franziskus „äußerst kritisch“ gegenübersteht. 2019 hatte der Herausgeber von First Things einen langen Kommentar mit dem Titel „A Failing Papacy“ (Ein scheiterndes Pontifikat) geschrieben.
Pullellas Informanten beharren darauf, was von vatikanischer Seite seit mehr als zwei Jahren zu hören ist, daß erstmals seit 1949, dem Jahr der kommunistischen Machtergreifung, wieder ein direkter Dialog mit Peking möglich sei. Ein Gesprächspartner wird mit den Worten zitiert:
„Die Aufrechterhaltung des Dialogs ist eines der wenigen, wenn nicht das einzige Instrument zur Aufrechterhaltung der direkten Beziehungen zu China.“
Zu den Forderungen Pompeos sagte ein anderer:
„Wir können grandiose Aussagen machen, aber es gibt keinen Hinweis darauf, daß diese Auswirkungen haben werden, außer möglicherweise die Situation für unsere Katholiken zu verschlechtern.“
Es sieht nicht danach aus, als könnte Mike Pompeo die Achse Santa Marta–Staatssekretariat in Sachen neuer Ostpolitik gegenüber der Volksrepublik China doch noch umstimmen. Der Grund dafür ist nicht zuletzt in den nahenden US-Wahlen zu suchen, doch die Rechnung werden Chinas Katholiken bezahlen müssen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va/First Things (Screenshots)