(Rom) Heftige Vorwürfe gegen Papst Franziskus kommen von Don Nicola Bux, einem international renommierten Liturgiker und persönlichen Freund von Benedikt XVI. Papst Franziskus müsse von den Finanzoperationen von Kardinal Becciu gewußt haben, weil es undenkbar sei, daß das vatikanische Staatssekretariat wichtige Transaktionen ohne Wissen des Papstes durchgeführt habe. Don Bux geht noch weiter: Die von Papst Franziskus verkündete „arme Kirche für die Armen“ sei eine Utopie. Nicht einmal der heilige Franz von Assisi habe davon gesprochen. Zur Kirchenkrise sagte Don Bux: Alles beginne mit der Vernachlässigung der Liturgie und ende bei einer zerrütteten Moral. Die verweltlichten Priester seien in großem Maße verantwortlich für die stattfindende Entchristlichung. Die italienische Tageszeitung La Verità veröffentlichte heute ein Interview mit dem Liturgiker. Anlaß war die Unterzeichnung der neuen Enzyklika Omnes fratres von Papst Franziskus und der Finanzskandal um Kardinal Becciu. Don Bux war Consultor der Glaubenskongregation und der Heiligsprechungskongregation sowie des Amtes für die liturgischen Feiern des Papstes. Das Interview führte Alessandro Rico.
Auf den Fall Becciu angesprochen erinnert Don Bux daran, daß Becciu „nicht von diesem Papst ernannt wurde“, aber dennoch die fast acht Jahre dieses Pontifikats im Amt geblieben ist.
Frage: Hätte man in Santa Marta früher erkennen müssen, wenn etwas nicht stimmt?
Don Bux: Wenn es sich nicht um eine totale persönliche Unehrlichkeit handelt, müssen wir sagen, daß ein Diplomat wie Becciu nicht ohne das Mandat seines Oberen handeln kann.
Frage: Der Papst selbst?
Don Bux: Becciu war auch Nuntius, und die Nuntien vertreten nicht den Vatikan, sondern den Papst persönlich.
Frage: Viele zeichnen aber das Bild eines von seinen Mitarbeitern betrogenen Franziskus.
Don Bux: Das ist ein verständliches, aber nicht gerechtfertigtes Narrativ.
Frage: Warum?
Don Bux: Die Verantwortung von Gestalten wie Becciu ist immer auf den Papst zurückzuführen. Natürlich kann es sein, daß er er bestimmte Details nicht kannte. Es ist aber undenkbar, daß das Staatssekretariat wichtige Operationen ohne die Genehmigung des Papstes durchführt.
Frage: Hat sich das Staatssekretariat im Laufe der Jahre zu einem selbstbezogenen Organ verwandelt?
Don Bux: Die Gewohnheit, Gelder da und dort zu horten und das geheimzuhalten, stirbt nur schwer aus. Deshalb hatte Benedikt XVI. zusammen mit Ettore Gotti Tedeschi [2009–2012 Vorsitzender der Vatikanbank IOR] die Einführung und Umsetzung der Bestimmungen gegen die Geldwäsche vorangetrieben.
Frage: Das heißt?
Don Bux: Zu den Gegnern von Gotti Tedeschi gehörte auch Becciu.
Frage: Das beweist was?
Don Bux: Es kann sein, daß das Staatssekretariat nur seine Selbstverwaltung bewahren wollte – und seinen eigenen Geldbeutel.
Frage: Besser also die „arme Kirche für die Armen“?
Don Bux: Schon im Apostelkollegium gab es einen, der die Kasse verwaltete. Und es gab eine Reihe wohlhabender Frauen, die Christus erlöst hatte wie die Frau des Verwalters des Herodes, die ihren Besitz zur Verfügung stellten.
Frage: Das heißt?
Don Bux: Diese ‚arme Kirche für die Armen‘ scheint mir eine Utopie zu sein. Die Mission hat ihre Kosten. Was zu verurteilen ist, ist die Anhäufung für sich selbst.
Frage: Wofür soll das Geld eingesetzt werden?
Don Bux: Für die beiden Hauptdienste der Kirche: die Wahrheit und die Nächstenliebe.
Frage: Warum ist dieses pauperistische Motto dann so in Mode?
Don Bux: Ich denke, daß es sich um eine Ideologie südamerikanischer Provenienz handelt. Nicht einmal der heilige Franziskus theoretisierte dergleichen.
Frage: Nicht? Hat der Poverello von Assisi nicht?
Don Bux: Der heilige Franziskus postulierte für sich und für jene, die ihm folgen wollten, eine Entscheidung für die persönliche Armut. Doch auch er hatte Jacopa de Settesoli, die ihm in ökonomischer Hinsicht half.
Frage: Was sollte getan werden, um „den Vatikan zu säubern“?
Don Bux: Das sind Parolen, die mich verblüffen.
Frage: In welcher Hinsicht?
Don Bux: Besonders diese erinnert mich an Glasnost in der letzten Phase der Sowjetunion.
Frage: Wollen sie darauf anspielen, daß die UdSSR nach der Perestroika zusammengebrochen ist?
Don Bux: Genau. Ich würde diese Angleichung an den politischen Sprachgebrauch meiden: Transparenz, Nulltoleranz …
Frage: Man sprach davon während der Synode über die Mißbrauchsfälle.
Don Bux: Für die Kirche sollten aber bestimmte vorgefertigte Phrasen keine Bedeutung haben.
Frage: Warum?
Don Bux: Wenn Christus die Nulltoleranz gewollt hätte, hätte er die ganze Welt schon längst verschwinden lassen.
Frage: Und die Transparenz?
Don Bux: Christus hat den Menschen vertraut. Ihr wirkliches Problem ist die Bekehrung.
Frage: Die Bekehrung?
Don Bux: Der Mensch muß sich bekehren, ob ein für allemal oder mehrmals in seinem Leben. Das Schlüsselwort muß daher lauten: Bekehrung.
Frage: Das heißt?
Don Bux: Nur ein Mensch, der sich bekehrt, ist ein Mensch, der die Dinge sauber und transparent macht – und imstande ist zu „tolerieren“.
Frage: Wie bekehrt man sich?
Don Bux: Die Schwierigkeit ist der Zusammenbruch des Interesses für den göttlichen Kultus.
Frage: Mit welchen Folgen?
Don Bux: Der Verfallszustand der heiligen Liturgie, des göttlichen Kultus, hat die Moral mit sich gerissen. Wenn der Gottesdienst manipuliert wird, manipuliert man auch leicht die Moral.
Frage: Können Sie ein Beispiel nennen?
Don Bux: Die zu einer psychologischen Sitzung reduzierte Beichte, in der man vielleicht eine Plauderei führt. Währenddessen setzt sich der Priester, anstatt die Stola zu tragen, nur im Hemd hin oder raucht während der Beichte eine Zigarette.
Frage: Gibt es eine Verweltlichung in der Kirche, auch ihrer Sprache?
Don Bux: So ist es. Und schuld daran sind vor allem die Kleriker, denn bei ihnen beginnt, wie Charles Péguy bereits vor einem Jahrhundert schrieb, die Entchristlichung.
Frage: Was stellen die Kleriker an?
Don Bux: Sie haben die Liturgie mit einer weltlichen Unterhaltung vertauscht. Was kann man sich dann auf moralischer Ebene erwarten? Es ist kein Zufall, daß auf den sexuellen Mißbrauch der Finanzmißbrauch folgt.
Frage: Was für eine Wirkung hat diese Verfehlung auf die Gemeinschaft der Gläubigen?
Don Bux: Die Masse der Oberflächlichen fühlt sich in ihrem Vorsatz bestätigt, sich von der Kirche zu entfernen, wenn nicht sogar der Taufe abzuschwören.
Frage: Gibt es auch einen nicht oberflächlichen Teil?
Don Bux: Das ist jener, der die Sünden der Kirchenmänner einzuordnen weiß, weil er um die Sünde der Menschen weiß, aber er ist nur gering.
Frage: Wohin wird das mit der Kirche führen? Wird sie eine Art NGO?
Don Bux: Die Reduzierung der Kirche zu einem großen sozialen Hilfswerk ist sicher eine Seite des Problems. Das belegt eine andere Parole, die derzeit in Mode ist.
Frage: Welche?
Don Bux: Der „Straßenpriester“. Wann ist der Priester je „von der Straße“ gewesen?
Frage: Sagen Sie es uns.
Don Bux: Es gibt sehr viele Priester, die sich um die sogenannten „Ausgegrenzten“ gekümmert haben, aber nicht mit dem bloßen Vorsatz, ihnen die Haare zu schneiden oder ihnen eine Dusche zu bieten, sondern mit der Absicht, sie zu evangelisieren und zur Kirche zu bringen.
Frage: Wird diese Krise auch eine positive Innovation bringen? Christus verhieß uns immerhin, daß die Flammen der Unterwelt seine Kirche nicht überwinden werden.
Don Bux: Die positive Seite ist, daß – wie Benedikt XVI. sagte – sich die Minderheiten, die sich für ein stärker geistlich geprägtes Leben entscheiden, um sich vor dieser Abirrung zu bewahren, multiplizieren. Aber auch da gilt es aufzupassen.
Frage: Worauf?
Don Bux: Häufig wird die sogenannte ‚Option Benedikt‘ genannt, die sowohl auf Benedikt XVI. als auch auf den heiligen Benedikt von Nursia bezogen wird.
Frage: Will heißen?
Don Bux: Der heilige Benedikt verabschiedete sich nicht aus der Welt, indem er sagte: „Schluß, Hauptsache, ich rette mich“.
Frage: Was tat er?
Don Bux: Er ging, das stimmt, zwar vom zentralen Problem aus: Allein Gott leben zu wollen, aber er blieb nicht allein.
Frage: Muß also immer eine gemeinschaftliche Dimension der Kirche vorhanden sein?
Don Bux: Ja. Das Ziel des heiligen Benedikt bestand nicht darin, sich von der Welt zu isolieren, sondern sie von innen heraus zu durchsäuern. Daher konnte die benediktinische Bewegung die Wurzeln Europas hervorbringen.
Frage: Wie kann diese radikalere Form, das Evangelium zu leben, wiedergewonnen werden?
Don Bux: Indem man vom göttlichen Kultus ausgeht. Er lag Benedikt XVI. besonders am Herzen.
Frage: Das heißt?
Don Bux: Die Ehre Gottes und das Heil der Seelen. Je mehr die Kirche dafür eintritt, desto mehr bleibt sie sie selbst und umso mehr ist sie imstande, die Menschheit zu retten.
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: MiL