(Rom) Innerhalb von zehn Tagen wurde durch das Ausscheiden der Kardinäle Pell, Müller, Meisner und Scola der innerkirchliche Widerstand gegen Papst Franziskus stark geschwächt. Dieser Meinung ist die New York Times. Sie veröffentlichte in ihrer Ausgabe vom vergangenen 16. Juli die Kolumne „Pope Francis‘ Next Act“ aus der Feder von Ross Douhat, der seit 2009 ständiger Kolumnist unter anderem für Religionsfragen ist. Douhat sieht den Weg offen für eine mögliche Beschleunigung der „Revolution“ in der Kirche, zu der vor allem „Freunde“ und „Verbündete“ des Papstes drängen würden. „Unvorhersehbar“ sei derzeit noch, ob Franziskus das Tempo beschleunigen werde.
Innerhalb von zwei Wochen vier führende Kardinäle aus dem Amt geschieden
Das Jahr 2017 sei verhältnismäßig ruhig verlaufen in Rom, so Douhat. Das habe mit dem Konflikt der vergangenen zwei Jahre rund um die Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten zu tun gehabt. Die Kirche sei in einen Stillstand geführt worden, da Bischöfe auf der ganzen Welt gegensätzliche Positionen einnahmen, während Papst Franziskus dazu schwieg.
Im zurückliegenden Monat hätten sich die Dinge dann beschleunigt. Vier führende Kardinäle sind in schneller Folge, innerhalb von nur zehn Tagen, aus dem Amt geschieden, verstorben oder wurden von Franziskus vor die Tür gesetzt. Alle vier standen, wenn auch in sehr unterschiedlicher Weise, dem Papst im Weg.
29. Juni: George Kardinal Pell
Der erste war Kardinal Pell, Präfekt des vatikanischen Wirtschaftssekretariats und Vertreter des fünften Kontinents im C9-Kardinalsrates, der den Papst in der Leitung der Weltkirche und mehr noch bei der Kurienreform berät. Am 29. Juni mußte er bekanntgeben, seine Kurienämter „ruhen“ zu lassen, weil er in seiner Heimat Australien von einem Gericht des Staates Victoria vorgeladen wurde. Dabei geht es darum, ob der ehemalige Erzbischof von Sydney (2001–2014) ausreichend Maßnahmen gegen sexuellen Mißbrauch von Minderjährigen durch Kleriker ergriffen hatte. Der Kardinal gilt weltlichen Medien als „konservativ“. Er unterstützt die Forderung, zuletzt mit Nachdruck von Kardinal Robert Sarah vorgebracht, in der Heiligen Messe wieder zur Zelebrationsrichtung ad orientem zurückzukehren. Er gehört zu den dreizehn Kardinälen, die am Beginn der Bischofssynode 2015 über die Familie dem Papst einen Protestbrief gegen „vorgefertigte Ergebnisse“ übermittelten. Ein Brief, dessen Bekanntwerden Franziskus und sein Umfeld sehr nervös machte.
Die Rechtsbeistände des Kardinals sprechen laut Douhat davon, daß die Staatsanwaltschaft den Mißbrauchsskandal als „Lizenz“ für Hexenjagden gegen kirchliche Vertreter zu mißverstehen scheine. Kardinal Pell ist nach Australien zurückgekehrt, um sich dem Gericht zu stellen. Wann seine Rückkehr in sein Amt im Vatikan möglich sein wird, weiß derzeit niemand zu sagen.
30. Juni: Gerhard Kardinal Müller
Am Tag danach, dem 30. Juni, teilte Franziskus in einer Blitzaudienz von einer Minute dem wichtigsten Mitarbeiter des Papstes, dem Präfekten der Glaubenskongregation mit, daß er ihn nicht im Amt bestätigt. Am nächsten Tag ernannte er einen Jesuiten zum Nachfolger. Kardinal Müller gehört ebenfalls zu den Unterzeichnern des Protestbriefes vom Oktober 2015. Er stellte sich öffentlich vor allem in Sachen Amoris laetitia gegen Franziskus und wiederholte, daß „niemand“, auch nicht der Papst, die Lehre Jesu ändern könne. Die Entlassung ging so unerwartet und offenbar so kalt über die Bühne, daß sich Kardinal Müller seither in Mediengesprächen mehrfach über die Art und Weise seiner Entlassung beklagte.
5. Juli: Joachim Kardinal Meisner
Am 5. Juli starb Joachim Kardinal Meisner, einer der vier Unterzeichner der Dubia (Zweifel) gegen das umstrittene nachsynodale Schreiben Amoris laetitia. Er galt damit in den Augen der Bergoglianer als erklärter Feind des Papstes und wurde in den vergangenen Monaten entsprechend schlecht behandelt. Die vier Kardinäle und ihre Dubia stellen den massivsten Widerstand gegen Franziskus dar. Sie haben dem regierenden Papst die Rute ins Fenster gestellt. Dieser ignoriert die Dubia und die Kardinäle, die sie unterzeichnet haben, doch die Fragen, deren Beantwortung er verweigert, kann er damit nicht aus der Welt schaffen. Sie überschatten sein Pontifikat mit noch unabsehbaren Folgen.
Douhat weist zudem darauf hin, daß Kardinal Meisner in der Nacht gestorben ist, nachdem ihm Kardinal Müller die Umstände seiner Entlassung durch Franziskus berichtet hatte. Meisner war von Papst Franziskus als Erzbischof von Köln emeritiert worden.
7. Juli: Angelo Kardinal Scola
Am 7. Juli schließlich emeritierte Franziskus den Erzbischof von Mailand, Angelo Kardinal Scola, „ein Vertrauter von Benedikt XVI.“, so Douhat. Der italienische Kardinal war der direkte Gegenspieler von Franziskus im Konklave von 2013. Scola hatte neben Bergoglio die meisten Stimmen erhalten. Er war 2015 zunächst auch als Unterzeichner des Protestbriefes gegen die päpstliche Synodenregie genannt worden, ließ seine Unterschrift aber dementieren. Es spricht manches dafür, daß auch Benedikt XVI. ihn als möglichen Nachfolger gesehen haben könnte, da er den ehemaligen Patriarchen von Venedig zum Erzbischof von Mailand machte. Eine solche Verschiebung von einem der renommiertesten Bischofssitze auf einen anderen ist zumindest ungewöhnlich. Franziskus verfügte bereits als Erzbischof von Buenos Aires über keinen guten Draht zur neuen Gemeinschaft Comunione e Liberazione (CL), aus der Scola stammt. Die päpstlichen Kontakte beschränken sich aus jener Zeit auf einen kleinen römischen Zirkel innerhalb CL, die seit der Wahl Bergoglios zum Papst als Pressure Group innerhalb der Gemeinschaft auftritt.
Der Effekt: Widerstand gegen Franziskus auf höchster Ebene ausgedünnt
So unterschiedlich die vier Kardinäle Pell, Müller, Meisner und Scola auch sind, und so unterschiedlich in der Vergangenheit auch ihr Widerspruch gegen den Kurs von Papst Franziskus war, der Effekt ihres Ausscheidens steht in einem direkten Zusammenhang, so Douhat: Der Widerstand gegen Franziskus in den höchsten kirchlichen Sphären wurde geschwächt. An der Spitze der Kirche werde der Widerstand „dünner“ und es verblasse das Kirchenverständnis, das Benedikt XVI. und Johannes Paul II. bewegte.
Mit einem Schlag habe Franziskus mit geringerem Widerstand zu rechnen, wenn er seinen Kurs fortsetzt, auf dessen Agenda – so Douhat ‑Themen wie „Interkommunion mit den Protestanten, verheiratete Priester, gleichgeschlechtliche Beziehungen, Euthanasie, Frauendiakonat, künstliche Geburtenkontrolle und mehr“ stünden.
Politische Auswirkungen: USA als Ziel
Douhat sieht aber auch politische Auswirkungen, zumal die Abneigung des Papstes gegen US-Präsident Donald Trump und gegen die politische und religiöse Rechte in den USA bekannt ist. Ein erster Frontalangriff gegen eine politische Allianz von Katholiken mit evangelikalen Protestanten wurde bereits von einem der engsten Mitarbeiter des Papstes, von Pater Antonio Spadaro in der römischen Jesuitenzeitschrift La Civiltà Cattolica abgefeuert.
Durch Einigung mit Piusbruderschaft zur Unterdrückung der vorkonziliaren Liturgie
Ebenso bekannt sei, so Douhat, eine tiefsitzende Abneigung des Papstes gegen traditionsverbundene Gruppen in der Kirche. Franziskus gebrauche die Einigungsbestrebungen mit der Priesterbruderschaft St. Pius X. um „den Traditionalismus in die Quarantäne“ zu verbannen. Franziskus, so Douhat, betreibe die Gespräche mit der Piusbruderschaft, um sie zuerst zur Wiedereingliederung zu bringen und dann aber „die vorkonziliare Liturgie für alle zu unterdrücken“.
Vor allem einige „Freunde“ des Papstes würden auf die „Revolution“ drängen. Douhat nennt diese „Freunde“ nicht beim Namen. Die „Revolution“ von Franziskus sei bisher auf halbem Weg steckengeblieben und zweideutig verlaufen. Auf diese Weise würden die revolutionären Ideen jedoch massiv durchschlagen.
Die „Freunde“ des Papstes und die Revolution
Der Papst verhalte sich vorerst weiterhin zurückhaltender als seine „Freunde“. Mit den Nachfolgern von Kardinal Müller und Kardinal Scola habe er „Gemäßigte“ nicht „Radikale“ ernannt. Seine „Freunde“ sind ungeduldig. Sie möchten mit schnellerem Tempo und radikaler, die Kirche umbauen. Das habe sich, so Douhat, auch im Fall des kleinen Charlie Gard gezeigt, dessen Schicksal noch ungewiß ist. Franziskus ließ die Päpstliche Akademie für das Leben umbauen.
Heute gehören auch mit der Abtreibung und der Euthanasie sympathisierende Vertreter zu den Akademiemitgliedern. Im Fall des kleinen Charlie Gard stellte sich Franziskus am Ende aber auf die Seite des Elternrechts, was in den Reihen seiner „Freunde“ und „Verbündeten“ zu einigem Raunen führte, so Ross Douhat in der New York Times.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicomms/Vatican.va/MiL (Montage)/New York Times (Screenshot)
Ich denke, auch wenn die genannten Kardinäle außer Amtes sind, steht es ihnen nach wie vor frei, sich in den Medien aktiv zu Wort zu melden.
Sie machen es Papst Franziskus aber irgendwo etwas zu einfach, mit ihrem Verständnis von Loyalität dem Papst gegenüber. Hier sollte, aus meiner Sicht, ein neues Verständnis gelten. Nicht die Loyalität zu der Person, die das Papstamt ausübt, sondern die Loyalität zu dem Papstamt selbst sollte als neue Prämisse gelten. Besonders auch bei Papst Franziskus gibt es da Verbesserungspotenzial. Noch besser wäre natürlich die Loyalität Gott gegenüber als ständig oberste Prämisse, der als letzte Instanz über jeden Menschen richtet.
Der Interpretationsspielraum für die Ausübung des Papstamtes macht es nicht möglich, übermäßig viel Politik zu machen und das Evangelium sowie die Vorschriften Gottes hintanzustellen. Genauso wenig ermöglicht es der Dienst des obersten Hirten in der katholischen Kirche, die Mithirten zu überwachen, zu unterdrücken und sie zu schikanieren.
Und die Laienchristen sollten klug genug sein zu wissen, dass sich die Auslegung, die Botschaft des Evangeliums Jesu Christi nicht nach 2000 Jahren plötzlich verändern kann.
Dankbar erscheint mir das seltene Wort Papst Benedikts XVI, der in seinen Worten zum Ableben von Kardinal Meisner wie auch früher schon den Zeitgeist kritisierte. Selbst das stieß bei den eigentlich geweihten Dienern Gottes auf Gegenkritik. Das zeigt in welchem Zustand sich der Klerus der Kirche heute befindet.