(Rom) Die Rehabilitierung von Kardinal Angelo Becciu geht weiter. Oder doch nicht? Derzeit wetteifern italienische Medien: Während die einen die Wiedereinsetzung des sardischen Purpurträgers in seine Rechte als Kardinal melden, dementieren andere eine Rehabilitierung des ehemaligen Dikasterienleiters. Doch war ursprünglich nicht ohnehin alles ganz anders?
Der Vatikandiplomat Angelo Becciu stieg nach Aufgaben als Apostolischer Nuntius in Afrika und auf Kuba in die höchsten Ränge der Römischen Kurie auf. Von 2011 bis 2018 war er Substitut des Kardinalstaatssekretärs und von 2018 bis 2020 Präfekt der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse. Zugleich kreierte ihn Papst Franziskus zum Kardinal.
Dann hieß es plötzlich, der Kardinal dürfe den Kirchenstaat nicht mehr verlassen, was strafrechtliche Ermittlungen gegen ihn nahelegte. Doch der Vatikan bestätigte nicht. Im Frühherbst 2020 platzte schließlich die Bombe. Es wurde bekannt, daß gegen Becciu wegen der Spekulationen um Londoner Luxusimmobilien ermittelt wird, die den Vatikan eine Summe in dreistelliger Millionenhöhe gekostet habe. Als Substitut hatte er diverse Funds, darunter der Peterspfennig, zu verwalten. Das sind Spenden der Gläubigen für den Unterhalt von Papst und Kurie und die wohltätigen Werke des Papstes. Die Bekanntgabe der Ermittlungen führten zu einem Vertrauensverlust und einem starken Einbruch des Peterspfennigs.
Kardinal Becciu bestritt alle Anschuldigungen, trat jedoch am 24. September 2020 von allen Ämtern zurück und erklärte seinen Verzicht auf alle Rechte und Privilegien eines Kardinals, aber die Kardinalswürde zu behalten. Katholisches.info machte damals darauf aufmerksam, daß eine solche Konstruktion rechtlich nicht existiert. Entweder legt jemand die Kardinalswürde nieder oder wird vom Papst entlassen oder ist weiterhin Kardinal mit allen Rechten und Pflichten. Niemand könnte Becciu dann daran hindern, an einem Konklave teilzunehmen – oder einem Konsistorium. Ein solches wurde von Franziskus für kommenden Samstag, Montag und Dienstag einberufen.
Die Folge war ein im derzeitigen Pontifikat allerdings nicht neues Durcheinander. Wikipedia berichtete Beccius Streichung aus der Liste der Kardinäle, ebenso Catholic Hierarchy. Die Online-Enzyklopädie behauptet unter Berufung auf Vatikanmedien noch immer einen „Rücktritt“ von „den mit dem Kardinalat verbundenen Rechten“, den es gar nicht gibt. Becciu könnte, ging die Initiative von ihm aus, bestenfalls selbst und aus freien Stücken von Fall zu Fall entscheiden, ob er an einer Kardinalsversammlung teilnimmt oder zu Hause bleibt, ob er die Privilegien eines Kardinals in Anspruch nimmt oder nicht. Niemand außer dem Papst kann ihn aus der Liste der Papstwähler streichen.
Die seltsame Konstruktion führte schnell zu Spekulationen darüber, ob Becciu beim Papst, seinem Gönner, wirklich in Ungnade gefallen ist, wie bergoglianische Medien mit Nachdruck behaupteten, um den Imageschaden wegen des Spekulationsskandals, in dem ein so naher Papstvertrauter unter Verdacht steht, für Papst und Kirche gering zu halten. Die Spekulationen bekamen neue Nahrung, als Franziskus Becciu am Gründonnerstag 2021 besuchte.
Fakt ist, daß am 27. Juli 2021 das Hauptverfahren gegen Becciu vor dem vatikanischen Gerichtshof eröffnet wurde und seither dort anhängig ist. Die Richter haben die Vorwürfe der Veruntreuung und des Amtsmißbrauchs zu klären. Dabei geht auch darum, zu klären, wohin wieviel Geld zur Vorteilsnahme geflossen ist. Neben Kardinal Becciu sind eine Reihe weiterer Personen angeklagt.
Der Telefonanruf des Papstes
Gestern meldete die sardische Tageszeitung L’Unione Sarda, Papst Franziskus habe Kardinal Becciu angerufen und ihn aufgefordert: „Komm zum Konsistorium“. Daraus folgerte die Zeitung, daß der sardische Kardinal wieder „in seine Funktionen eingesetzt“ werde. Die Quelle? Kardinal Becciu selbst.
Der Purpurträger hatte den Telefonanruf des Papstes am Sonntag bei einer Privatmesse in Golfo Aranci auf Sardinien bekanntgegeben, wo er gerade einige Urlaubstage verbringt. Es sei der Wunsch des Papstes, daß Becciu mit dem für Samstag einberufenen außerordentlichen Konsistorium „in seine Rolle als Kardinal reintegriert wird“, so L’Unione Sarda, von der wörtlich wiedergegeben wurde, was der Kardinal am Sonntag gesagt hatte:
„Am Samstag rief mich der Papst an, um mir mitzuteilen, daß ich wieder in mein Amt als Kardinal eingesetzt werde, und um mich zu bitten, an einem Treffen mit allen Kardinälen teilzunehmen, das in den nächsten Tagen in Rom stattfinden wird, weshalb ich am kommenden Sonntag nicht an der Messe teilnehmen kann, da ich in Rom beschäftigt bin.“
Sollte diese Darstellung des Kardinals stimmen, würde jene nicht stimmen, die im Herbst 2020 verbreitet wurde. Entweder „verzichtete“ Becciu aus freien Stücken auf seine Privilegien, dann braucht ihn niemand in seine Rechte wiedereinzusetzen, oder er wurde von Papst Franziskus als Kardinal „suspendiert“. Eine Suspendierung vom Kardinalat existiert zwar nicht, doch in der Kirche, in der sich in der Person des Papstes der oberste Gesetzgeber und Richter vereinen, wäre die Schaffung von Ad-hoc-Bestimmungen nicht ausgeschlossen.
Kardinal Becciu zeigte sich gegenüber Medien jedenfalls tief bewegt:
„Ich bin sehr berührt von dieser Geste des Papstes“, meldete die italienische Presseagentur ANSA. „Ich danke ihm von ganzem Herzen und bestätige meine volle Verbundenheit mit ihm“.
Dann geschah jedoch Ungewöhnliches: Vatican News dementierte die Behauptung, daß Franziskus Kardinal Becciu rehabilitiert habe – unter Berufung auf anonyme vatikanische Quellen. Man staunt.
Der Haken ist genau in der von Becciu gewählten Darstellung zu suchen. Der Kardinal hielt sich exakt an die offizielle Sprachregelung, die seit 2020 Verbreitung fand. Und doch war alles falsch?
Vatican News hielt dieser nämlich entgegen, daß Becciu aus freien Stücken auf die mit der Kardinalswürde verbundenen Rechte „verzichtet“ habe. Im Klartext: Niemand habe ihm diese entzogen, weshalb ihn auch niemand „wiedereinsetze“. Noch deutlicher: Franziskus will – wieder einmal – mit nichts in Verbindung gebracht werden, weder damit, von Becciu im September 2020 den „Verzicht“ verlangt zu haben, noch damit, ihn nun wieder in seine Rechte „einzusetzen“.
Es besteht kein Zweifel, daß Kardinal Becciu tatsächlich am vergangenen Samstag von Franziskus angerufen und zur Teilnahme am kommenden Konsistorium aufgefordert wurde. Das ist eine Sache. Eine ganz andere Sache ist es, öffentlich damit in Zusammenhang gebracht zu werden. Es ist eine Frage des Images. Daher schreibt Vatican News reichlich umständlich:
„Die Quellen des Heiligen Stuhls erinnern daran, daß die Rechte des Kardinalats sich nicht auf die Teilnahme am Leben der Kirche beziehen; die Christen sind aufgerufen, entsprechend ihrem Status daran teilzunehmen: Im Fall der Kardinäle kann dies die – manchmal persönliche – Einladung zur Teilnahme an einigen ihnen vorbehaltenen Versammlungen beinhalten.
In verständlicher Sprache: „Wenn Dich der Papst schon einlädt, warum hältst Du nicht den Mund und kommst einfach?“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: VaticanMedia (Screenshots)