Ein erster Nachruf von Giuseppe Nardi
In Dankbarkeit und Ehrfurcht verneigen wir uns vor Benedikt XVI., dieser großen Gestalt, die das Papsttum mit so großer Würde ausgefüllt hat und ein Lehrer der Menschen war. Im Gegensatz zu den unzähligen Schwätzern unserer Zeit war er jener, der der Menschheit etwas zu sagen hatte. Daß diese ihn kaum hören wollte, tut dem keinen Abbruch. In dieser ersten Reaktion auf sein Ableben ist nicht der Platz für eine umfassende Würdigung, dafür umso mehr aber für eine Verneigung vor dieser herausragenden Gestalt, die so vielen ein Hirte, Lehrmeister, Vater und Führer gewesen ist.
Unvergessen ist der Moment, als am 19. April 2005 von der Mittelloggia des Petersdomes sein Name als erwählter Papst verkündet wurde. Er gab der geschundenen Kirche neue Hoffnung, auf die all jene bereitwillig Antwort gaben, die willens waren, sich um Petrus zu scharen.
Unvergessen ist der Schock seines Amtsverzichts, der in seiner Art in der Kirchengeschichte beispiellos ist und Grund für anhaltendes Rätseln blieb.
Unvergessen sind als dräuendes Zeichen für das Kommende aber auch die Bilder jenes nicht minder beispiellosen Blitzeinschlags in die Peterskuppel am 11. Februar 2013, dem Tag, als er seinen bevorstehenden Rücktritt bekanntgab, eines Naturereignisses, das weder vorher noch seither dokumentiert und unweigerlich von vielen als Fingerzeig des Himmels gedeutet wurde.
Fast zehn Jahre mußte er seither selbstgewählter Zeuge werden, wie sein Bemühen, die Kirche wiederaufzurichten, von seinem Nachfolger und anderen Gegenspielern Stück um Stück demontiert wurde. Wie es ihm, der sich betend in das Kloster Mater Ecclesiae zurückgezogen hatte, dabei ergangen sein muß, behielt er wegen seiner feinen und edlen Art und seines großen Respekts vor dem Petrusamt in sich verborgen. Nur gelegentlich blitzte seine Autorität noch auf, zuletzt, als er zusammen mit Kardinal Robert Sarah im Januar 2020 in Buchform ein leidenschaftliches Plädoyer für das Weihesakrament und den priesterlichen Zölibat hielt. Darin sprach er von einer „dunklen Zeit“, die das Priestertum durchschreite, eine Einschätzung, die er als historischen Moment durchaus für die ganze Kirche verstanden wissen wollte. Es war wie ein letztes Aufbäumen. Ein Schritt, der in Santa Marta nicht ohne Eindruck blieb.
Anschließend ließen seine Kräfte bald und immer schneller nach. Im Sommer 2021 fühlte man sich im Gästehaus des Vatikans schließlich so sicher, daß man mit dem Motu proprio Traditionis custodes zum Angriff auf das Herzstück des benediktinischen Pontifikats ansetzte, dem Angriff auf den überlieferten Ritus.
Der aufmerksame Beobachter Martin Mosebach hatte bereits unmittelbar nach dem Amtsverzicht ein für den damaligen Moment sehr hart anmutendes Verdikt gefällt, indem er voraussagte, vom Pontifikat Benedikts werde, wenn überhaupt, nur sein Motu proprio Summorum Pontificum überdauern. Heute zeigt sich, wie klarsichtig dieses Resümee war, denn genau so kam es. Auch Summorum Pontificum wurde von seinem Nachfolger Franziskus beseitigt und Benedikt XVI. vor aller Welt wenn nicht als „Indietrist“, so zumindest als Förderer eines „Indietrismus“ denunziert.
Benedikt XVI. war keine Kämpfernatur, sein Kampf geschah auf einer inneren Ebene und im Gebet. Die gläubigen Seelen verstanden, trotz mancher Differenzen, instinktiv, daß er in seiner Intention das Richtige, das Gottgefällige wollte. Daran änderte auch nichts, daß er vor großen, entscheidenden Schritten zurückschreckte. So blieb er bei aller intellektuellen Redlichkeit bis zuletzt ein Verfechter des Zweiten Vatikanischen Konzils und versuchte einen Spagat, der nur am grünen Tisch des Hochgelehrten zu gelingen scheint – vielleicht. Er erkannte die negativen Folgen und die unzähligen Usurpationen, konnte sich aber nicht von diesem Teil seines eigenen Lebens trennen, der ihn damals, gewiß in guter Absicht, tief bewegt hatte. Er versuchte mit seiner antithetischen Hermeneutik der Kontinuität eine Korrektur und zeigte damit zumindest, daß sehr wohl neue Aspekte in die Diskussion eingebracht und diese wiederaufgenommen werden konnte. Er wagte auch nicht im Oktober 2012, als zumindest das Gerücht umging, bei der ersten internationalen Wallfahrt der Tradition zum Stuhl Petri selbst teilzunehmen und im Petersdom als Papst erstmals wieder im überlieferten Ritus zu zelebrieren. Liturgiker haben eingewendet, daß die Rekonstruktion der Papstmesse als erster und oberster Ausdruck der Liturgie gar nicht so ohne weiteres möglich sei. Benedikt hätte, als unübersehbares Signal, aber zumindest einem Pontifikalamt im überlieferten Ritus beiwohnen können. Die Welt ahnte zu jenem Zeitpunkt noch nicht, daß er bald das Undenkbare tun und zurücktreten würde. Er aber wußte es schon.
Durch seinen großen Intellekt und durch göttliche Gnade erkannte er viel, wo andere mit Blindheit geschlagen sind. Es fehlte ihm als Mensch des Geistes aber die Kraft zu den sich aus dem Erkannten ergebenden notwendigen Schritten. Er hoffte auf eine organische Entwicklung über Generationen hinweg, die ganz seinem Kirchenverständnis entsprach. Er würde die ihm möglichen Weichen stellen, die dann von seinen Nachfolgern beschritten werden können. Doch schon sein unmittelbarer Nachfolger tat dies nicht. Die Gnade des Todes, den die Päpste vor ihm hatten, um eventuell nachfolgende Fehlentwicklungen nicht miterleben zu müssen, blieb ihm aus eigenem Wollen versagt. Manche sahen darin eine „Strafe“ für seine Amtsniederlegung. So mußte er Zeuge einer fortgesetzten Demontage der Kirche im allgemeinen und seiner Bemühungen, dieser entgegenzutreten, im besonderen sein. Man erahnt vielleicht ein wenig, was eine Vorwegnahme des Fegefeuers auf Erden sein könnte.
Heute wurde ihm die Gnade geschenkt, diese Zeugenschaft, die Folge seines Amtsverzichts ist, beenden zu können. Bischof Athanasius Schneider sagte vor kurzem, die Kirche gehöre nicht dem Papst und die Gläubigen sollten darum bitten, daß ihr ein heiliger Papst geschenkt werde. Wir dürfen annehmen, daß Benedikt XVI. nicht anders dachte und in diesen letzten Jahren seines Erdenlebens mit Nachdruck in diesem Anliegen den Himmel bestürmt haben wird.
Im Gegensatz zu zweifelhaften Benennungen, die sein Nachfolger vornahm, können wir aus Überzeugung und reinen Gewissens sagen, daß Benedikt XVI. wirklich „ein Großer“ war, der nun aus unserer Mitte gegangen ist, um in der Läuterung alles zu erkennen, wonach er sich gesehnt und auf Erden in bester Absicht ausgestreckt hat.
In paradisum deducant te angeli;
in tuo adventu suscipiant te martyres,
et perducant te in civitatem sanctam Ierusalem.
Chorus angelorum te suscipiat,
et cum Lazaro, quondam paupere,
æternam habeas requiem.
Ins Paradies mögen die Engel dich geleiten,
bei deiner Ankunft die Märtyrer dich empfangen
und dich führen in die heilige Stadt Jerusalem.
Der Chor der Engel möge dich empfangen,
und mit Lazarus, dem einst armen,
mögest du ewige Ruhe haben.
Requiescat in pace.
Bild: Vatican.va (Screenshots)
Weiterführend:
- Benedikt und Franziskus: Wer ist Papst?
- Don Nicola Bux: „Die Kirche muß einen Papst haben, der das sagt, was katholisch ist“
- Verwirrende Aussagen: War Benedikt XVI. für Franziskus ein Prophet der „Kirche der Zukunft“ oder hatte er sie nicht verstanden?
- Motus in fine velocior
- Emeritierter Papst, verhinderter Papst – braucht die Kirche neue Normen?
- Das Motu proprio Summorum Pontificum ist tot
- Das verschollene Filmdokument
- Das Ende eines Pontifikats und ihre Unbekannten
- Franziskus länger Papst als Benedikt XVI.
- „Die Göttliche Vorsehung zwingt Benedikt XVI. das Debakel mitanzusehen, das er ausgelöst hat“
- Als Benedikt XVI. 2005 die Hermeneutik der Kontinuität verkündete
- Benedikt XVI. und Franziskus – Die ungeklärte Situation zweier Päpste
- „Konzil stürzte Kirche und Gläubige in eine doppelte Krise“ – Interview von Benedikt XVI.
- Fünf Jahre Amtsverzicht von Benedikt XVI. und viele offene Fragen
- Als Kardinal Martini zu Benedikt XVI. sagte: Du mußt zurücktreten
- Es gibt nur einen Papst – Katholiken dürfen nicht progressiver Versuchung erliegen
- Das Komplott: Benedikt XVI. wurde vom heuchlerischen Gutmenschentum beseitigt
- Noch einmal Rücktritt von Papst Benedikt XVI. – Von der Zweideutigkeit eines Pontifikates
- Das Ende einer Zivilisation – „Wer die Kirche liebt, verteidigt sie“
- Benedikt XVI. hinterläßt eine verwaiste Kirche – Haben die Wölfe seine Kräfte aufgezehrt?