(Rom) „Die wirkliche Revolution von Franziskus erfolgt durch Ernennungen.“ Das schreibt der Vatikanist Sandro Magister zur Ernennung des neuen Erzbischofs von Mecheln-Brüssel. Die Ernennung des neuen Primas von Belgien nennt Magister „die Revanche von Danneels gegen Ratzinger“ und „den Triumph des Clubs von Sankt Gallen“.
Um die Kurienreform und die Vatikanfinanzen kümmere sich Papst Franziskus eigentlich nur, weil er müsse, aber „nicht aus Leidenschaft“. Er habe dazu weder einen „Gesamtplan“ noch setze er auf die richtigen Leute. Mehr noch, der argentinische Papst „setzt zu oft auf die falschen Männer und Frauen“. Inzwischen sei ganz anderes klargeworden: „Papst Franziskus will das Bischofskollegium revolutionieren“. Und das betreibe er, im Gegensatz zur Kurienreform, „systematisch“.
Die Reden an den Episkopat der USA und Italiens
Die beiden Reden, die er im Herbst an die Episkopate der USA und Italiens richtete, „unterscheiden sein Pontifikat von seinen Vorgängern“.
Wenn es zwei bedeutende Länder der westlichen Welt gab, deren Episkopate mehr als 200 Bischöfe zählen, und die am meisten den Vorgaben der Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. gefolgt sind, „dann waren das genau jene der USA und Italiens“, so Magister.
Beide wurden von zwei beachtenswerten Führungspersönlichkeiten geleitet: Kardinal Francis George in den USA und Kardinal Camillo Ruini in Italien. Rund um Kardinal George entstand eine „homogene und starke Mannschaft von Kardinälen und Bischöfen“, die ein gemeinsames Kirchenverständnis, aber auch eine gemeinsame Handlungsweise verband. Rund um Kardinal Ruini hingegen nicht.
Als es um Kardinal Ruini altersbedingt ruhiger wurde, bedurfte es für Franziskus nur wenig, „um die italienische Bischofskonferenz zu demolieren, um sie dann ‚ex novo‘ “ nach seinen Wünschen und Vorstellungen wieder aufzubauen. Gleiches ist ihm in den USA nicht gelungen, wie die jüngste Bischofssynode gezeigt habe. Die amerikanischen Synodalen bildeten zusammen mit den afrikanischen und osteuropäischen die entscheidende Sperrmauer gegen die Neuerer.
Befehl an die Episkopate der USA und Italiens „Marschrichtung zu ändern“
Am 23. September 2015 hielt Papst Franziskus seine Rede an die Bischöfe der USA in Washington, am 10. November 2015 seine Rede an die Bischöfe Italiens in Florenz.
„Es ist nicht meine Absicht, ein Programm abzustecken oder eine Strategie zu umreißen“, sagte der Papst in den USA. Ebensowenig wollte er, nach eigenen Worten, der in Florenz versammelten Führungsspitze der Kirche in Italien eine bestimmte Agenda diktieren. „Es besteht aber kein Zweifel, daß Papst Franziskus sowohl im einen wie im anderen Fall beiden Episkopaten befohlen hat, die Marschrichtung zu ändern“, so Magister.
Die beiden Reden seien zwar anders ausgearbeitet, „doch beide sind unmißverständlich darin, von den Bischöfen eine Änderung in Sprache, Stil und pastoralem Handeln“ zu verlangen.
„Streitbare Sprache“ aufgeben
Den US-Bischöfen sagte Franziskus:
„Aber weh uns, wenn wir das Kreuz zu einem Banner weltlicher Kämpfe machen und dabei vergessen, dass die Bedingung für einen dauerhaften Sieg darin besteht, sich durchbohren zu lassen und sich selbst zu entäußern.“
„Es ist uns nicht erlaubt, uns von der Angst lähmen zu lassen, indem wir einer Zeit nachtrauern, die nicht wiederkehrt, und harte Antworten auf die schon erbitterten Widerstände vorbereiten.“
„Eine erbitterte und streitbare Sprache der Spaltung ziemt sich nicht für die Lippen eines Hirten, hat kein Heimatrecht in seinem Herzen, und obschon diese für einen Augenblick eine scheinbare Vorherrschaft zu sichern scheint, ist letztlich nur der dauerhafte Reiz der Güte und der Liebe wirklich überzeugend.“
„Mir gefällt eine unruhige Kirche“
Und den italienischen Bischöfen sagte er:
„Wir dürfen nicht auf die Macht versessen sein, auch dann nicht, wenn sie das Gesicht einer nützlichen und funktionalen Macht für das soziale Erscheinungsbild der Kirche hat.“
„Möge Gott die italienische Kirche vor jedem Ersatz durch Macht, durch Ansehen und durch Geld bewahren. Die evangelische Armut ist kreativ, die nimmt an, stützt und ist reich an Hoffnung.“
„Mir gefällt eine unruhige italienische Kirche, die den Verlassenen, den Vergessenen, den Unvollkommenen immer näher wird.“
„Mir ist eine ‚verbeulte‘ Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist. Ich will keine Kirche, die darum besorgt ist, der Mittelpunkt zu sein, und schließlich in einer Anhäufung von fixen Ideen und Streitigkeiten verstrickt ist.“
Synodaler Weg „in jeder Pfarrei, jeder Gemeinschaft, jeder Diözese“
Diese letzten Worte sind dem Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium entnommen, einem Dokument, das Papst Franziskus selbst als „programmatisch“ für sein Pontifikat bezeichnet hat. Franziskus forderte die italienische Kirche auf, in den kommenden Jahren den „synodalen“ Weg „zu vertiefen“, und das auf allen Ebenen, „in jeder Gemeinschaft, in jeder Pfarrei, in jeder Diözese, in jeder Region“.
Seine Forderung unterstrich er mit der Ermahnung, der nie ganz erloschenen Häresie des Pelagianismus zu widerstehen.
„Der Pelagianismus bringt uns dazu, Vertrauen in die Strukturen, in die Organisationen, in die perfekten, weil abstrakten Planungen zu haben. Oft bringt er uns sogar dazu, einen Stil der Kontrolle, der Härte, der Normen anzunehmen. Die Norm gibt dem Pelagianer die Sicherheit, sich überlegen zu fühlen, eine klare Orientierung zu haben. Darin findet er seine Kraft, nicht in der Leichtigkeit des Wehens des Geistes. Vor den Übeln der Probleme der Kirche ist es sinnlos, Lösungen in Konservativismen und Fundamentalismen, in der Restauration von Verhaltensweisen und überholten Formen zu suchen, die nicht einmal kulturell die Fähigkeit haben, von Bedeutung zu sein. Die christliche Doktrin ist kein geschlossenes System, das unfähig ist, Fragen und Zweifel hervorzubringen. Sie ist vielmehr lebendig, weiß zu beunruhigen, weiß zu animieren. Sie hat kein strenges Gesicht, sondern einen Körper, der sich bewegt und sich entwickelt, hat ein zartes Fleisch: die christliche Lehre heißt Jesus Christus.“
Magister dazu: „Es ist geradezu unnötig zu erwähnen, daß die Gedanken der anwesenden italienischen Bischöfe beim Hören eines solchen Verweises nicht nur zur umkämpften Synode vom vergangenen Oktober und dem erwarteten päpstlichen Dokument wanderten, mit denen der Papst die Summe ziehen wird, sondern auch zur Ära Ruini und dessen ‚Kulturprojekt‘.“
Lob für progressive Führung der 1970er Jahre – Richtungswechsel Cupich
In Washington „vergaß es der Papst nicht, positiv die progressistische Führung der amerikanischen Bischöfe in den 70er und 80er Jahren unter Kardinal Joseph Bernardin in Erinnerung zu rufen“, dessen Motto „seamless garment“ Papst Franziskus wiederholte und durch seine eigenen Worte ergänzte: „Die unschuldigen Opfer der Abtreibung, die Kinder, die verhungern oder unter Bomben sterben, die Immigranten, die auf der Suche nach einer Zukunft ertrinken, die Alten oder die Kranken, auf die man gerne verzichten würde, die Opfer von Terrorismus, Krieg, Gewalt und Drogenhandel, die Umwelt, die von einer räuberischen Beziehung des Menschen zur Natur zerstört wird.“
Kardinal Bernardin war Erzbischof von Chicago. Auch Kardinal George war Erzbischof von Chicago und symbolisierte einen Richtungswechsel. „Und nun ist es seit einem Jahr Blase Cupich, der Mann, den Franziskus überraschend auf diesen entscheidenden Stuhl für die künftige Führerschaft eines amerikanischen, an den neuen Kurs angepaßten Episkopats setzte“.
Cupich von „liberalen“ Hauptstadt-Bischöfen McCarrick und Wuerl gewollt
„Cupich“, so Magister, „ist nach dem Urteil vieler nicht auf der Höhe seiner Vorgänger. Und er war unter den anderen Bischöfen nicht einmal beliebt, wie die wenigen Stimmen zeigen, die er 2014 bei den Wahlen zum Präsidenten und Vizepräsidenten der Bischofskonferenz erhielt. Seine Beförderung nach Chicago war jedoch von zwei amerikanischen Kardinäle der ‚liberalen‘ und ‚moderaten‘ Minderheit wärmsten empfohlen, von Theodor McCarrick und Donald Wuerl, die beide nacheinander Erzbischöfe von Washington waren.“
An McCarrick erinnert man sich in den USA vor allem noch wegen der Vertuschung des Schreibens, das vom damaligen Kardinal Joseph Ratzinger 2004 an die amerikanischen Bischöfe gerichtet war, mit dem sie ermahnt wurden, Politikern, die Abtreibungsbefürworter sind, nicht die Kommunion zu spenden.
Von Wuerl, der soeben altersbedingt seinen Rücktritt einreichte, ist vor allem seine kämpferische Haltung bei der Bischofssynode vom Oktober in Erinnerung. Dabei war er nicht von den amerikanischen Bischöfen zum Synodalen gewählt worden, sondern, genauso wie Cupich, von Papst Franziskus persönlich ernannt worden. Franziskus berief ihn auch gleich in das Redaktionskomitee für den Schlußbericht. Ein zehnköpfiges Komitee, dessen einseitige Besetzung mit Kasperianern so erdrückend war, daß sie schon plump wirkte. „Gestärkt durch diese Ernennungen griff Wuerl öffentlich die dreizehn Kardinäle an, die sich am Beginn der Synode an den Papst wandten, und unter denen sich auch US-Amerikaner befanden, darunter der Erzbischof von New York, Timothy Kardinal Dolan.“
Im Gegensatz zu den Gegenspielern wurde Wuerl auch zu einer der täglichen Pressekonferenzen der Synode eingeladen.
Franziskus‘ progressive Ernennungen in den USA
„Die vier von der amerikanischen Bischofskonferenz gewählten Synodalen gehörten alle der von Wojtyla und Ratzinger geprägten Mehrheitsströmung an. Auch der erste der Nicht-Gewählten, Erzbischof Salvatore Cordileone von San Francisco, gehört dieser Richtung an.“ Cupich war erst der zweite Nicht-Gewählte. „Doch Franziskus überging bei den 45 von ihm persönlich ernannten Synodalen den ersten und ernannte Cupich und fügte noch einen weiteren weitgehend unbekannten Bischof derselben Prägung wie Cupich, den Jesuiten Georg V. Murry von Youngstown hinzu.“
Noch zwei weitere Bischofsernennungen des Papstes in den USA wurden von den „Liberalen“ begeistert als „Franziskus-konform“ aufgenommen: die Ernennung von John Charles Wester zum neuen Erzbischof von Santa Fe und von Robert W. McElroy zum neuen Bischof von San Diego.
„Nach der Rede von Washington ist vorhersehbar, daß dieser von Franziskus begonnene Austausch des US-Episkopats mit erhöhtem Tempo fortgesetzt werden wird.“
Die im Zweijahresrhythmus stattfindenden Wahlen für den Vorsitz in der Bischofskonferenz werden bereits im kommenden Jahr Auskunft über Verschiebungen geben.
Franziskus‘ progressive Ernennungen in Italien
In Italien „wurde der erste und entscheidende Schlag gegen die von Kardinal Ruini geprägte Bischofskonferenz“ bereits Ende 2013 gesetzt. Papst Franziskus entließ den damaligen Generalsekretär Mariano Crociata und „verbannte ihn in die kleine, periphere Diözese Latina“. An seiner Stelle ernannte der Papst Nunzio Galantino zum neuen Generalsekretär und damit ausgerechnet den Bischof „mit den wenigsten Stimmen auf der langen Liste der Vorgeschlagenen, die das ständige Komitee der Bischofskonferenz dem Papst vorgelegt hatte“.
Doch „die Letzten werden die Ersten sein“, und so bewegt sich Galantino „seither mit absoluter und uneingeschränkter Macht“, da er und alle anderen Bischöfe Italiens wissen, „daß er Papst Franziskus besonders nahesteht“. Damit mußte der Vorsitzende der Italienischen Bischofskonferenz gar nicht ausgetauscht werden, was für Aufsehen gesorgt hätte. Wer aber achtet schon auf einen Sekretärswechsel. Galantino, der „Mann des Papstes“, hat mit dieser informellen Visitenkarte Kardinal Angelo Bagnasco längst neutralisiert und in den Schatten gestellt.
Es folgten eine ganze Reihe von Ernennungen, die dem Richtungswechsel Konturen verleihen. Darunter wichtige Diözesen: in Padua den Pfarrer Claudio Cipolla, in Palermo den Pfarrer Corrado Lorefice und in Bologna den bisherigen Weihbischof von Rom, Matteo Zuppi.
„Schule von Bologna“ und Geheimzirkel „Sankt Gallen“
Lorefice und Zuppi sind bekannt für ihre Zugehörigkeit zur progressiven „Schule von Bologna“, jener geschichtswissenschaftlichen Richtung, von der die in der Weltkirche noch heute vorherrschende Lesart des Zweiten Vatikanischen Konzils als „Bruch“ und „Neubeginn“ stammt.
„Man kann noch hinzufügen, daß Bergoglio Zuppi seit Jahren persönlich kannte. Als führendes Mitglied der Gemeinschaft Sant’Egidio war Zuppi mehrfach in Buenos Aires, um Hilfe zu bringen. Nie vergaß er, den damaligen Erzbischof der argentinischen Hauptstadt zu besuchen“, so Magister.
Gerade in Italien ernannte Franziskus nicht Bischöfe von Diözesen zu Kardinälen, die traditionell mit der Kardinalswürde verbunden sind, wie Venedig und Turin, sondern kleinere Diözesen wie Perugia, Ancona und Agrigent.
Neo-Kardinal Edoardo Menichelli, Bischof von Ancona, ist eng mit Kardinal Achille Silvestrini verbunden, dessen persönlicher Sekretär er war. „Silvestrini wiederum war Mitglied jenes progressiven Kardinalsclubs, der sich regelmäßig in Sankt Gallen in der Schweiz traf, um über die Zukunft der Kirche zu diskutieren und der in den beiden Konklaven dieses Jahrhunderts zuerst die Wahl von Papst Benedikt XVI. zu verhindern versuchte und dann die Wahl von Papst Franziskus betrieb.“ Ein Club mit den führenden Köpfen Walter Kasper, Karl Lehmann, Carlo Maria Martini, Basil Hume, Cormac Murphy‑O’Connor und Godfried Danneels.
Der Rest der Welt am Beispiel Brüssel
„Der ultraprogressive Danneels, emeritierter Erzbischof von Mecheln-Brüssel, gehört mit seinen 82 Jahren zu den Bevorzugten von Papst Franziskus. Sowohl 2014 als auch 2015 setzte er ihn an die Spitze der persönlich von ihm ernannten Synodalen, während er den amtierenden Erzbischof von Brüssel und Primas von Belgien, den konservativen André-Joseph Leonard zu Hause ließ“, so Magister.
Der argentinische Papst ließ sich „auch nicht davon beeindrucken, daß Danneels durch den Versuch 2010 die sexuellen Untaten des damaligen Bischofs von Brügge, Roger VanGheluwe zu decken, der seinen eigenen Neffen mißbrauchte, schwer diskreditiert ist“.
Am 6. November ernannte Papst Franziskus den neuen Erzbischof von Mecheln-Brüssel, der gleichzeitig Primas von Belgien, automatisch Vorsitzender der Belgischen Bischofskonferenz und Militärordinarius für Belgien ist. Ernannt wurde Bischof Jozef De Kesel, ein Protegé Danneels‘.
Danneels‘ Revanche
„Bereits 2010 wollte Danneels De Kesel als seinen Nachfolger. Benedikt XVI. verhinderte dies jedoch, indem er gegen die Empfehlung Danneels und des Apostolischen Nuntius, dem Deutschen Karl-Joseph Rauber, Leonard ernannte.“ Rauber kritisierte diese Ernennung später öffentlich, was ein offener Affront gegenüber dem Papst war. Ein Zeichen, wie sehr man in bestimmten Kreisen über die Ernennung Leonards, bzw. die Nicht-Ernennung de Kesels verärgert war.
„Doch selbst ein solcher Vertrauensbruch eines Nuntius beeindruckte Papst Bergoglio nicht und er ernannte De Kesel zum Erzbischof und belohnte Rauber mit der Kardinalswürde. Jener Würde, die er Erzbischof Leonard verweigerte. Die Ernennung Raubers erfolgte, weil ‚er sich im Dienst für den Heiligen Stuhl und die Kirche ausgezeichnet hatte‘“, so Magister.
Eine ganze Kette von deutlichen Signalen der Mißbilligung einer Richtung in der Kirche und der uneingeschränkten Förderung einer anderen.
Die „Revolution Franziskus“ erfolgt durch Ernennungen und wird damit noch Jahrzehnte nach seinem Abgang als Papst nachwirken.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Chiesa e postconcilio/CR/MiL