(Rom) Sorgte am 15. Januar die Veröffentlichung des Buches „Aus den Tiefen unserer Herzen“[1] von Kardinal Robert Sarah und Benedikt XVI. für einen Paukenschlag, so sorgt seit dem 15. Februar die Veröffentlichung des nachsynodalen Schreibens Querida Amazonia von Papst Franziskus in bestimmten Kirchenkreisen für einen Katzenjammer – vor allem im deutschen Sprachraum. Seine Zusammenschau soll dem deutschen Publikum nicht vorenthalten bleiben.
Der Vatikanist Sandro Magister veröffentlichte einen Rückblick auf die Ereignisse, den er „Chronologie eines Alptraums“ nennt und von einem „deutschen Schisma“ spricht. Auch er weist der Veröffentlichung des Buches von Kardinal Sarah und Benedikt XVI. eine maßgebliche Bedeutung zu, zieht den Kreis aber weiter und nimmt vor allem das Verhältnis zwischen Papst Franziskus und der Deutschen Bischofskonferenz in den Fokus. Rückblickend habe sich eine Entfremdung angebahnt, die sich in den vergangenen zwölf Monaten immer mehr vertiefte. Verantwortlich dafür sei das rücksichtslose Vorstürmen von deutscher Seite gewesen. Franziskus mußte mit wachsendem Unbehagen feststellen, daß der Geist der deutschen Rebellen, den er selbst aus der Flasche gelassen hatte, sich sogar ihm zu widersetzen begann. Die geförderten Kinder, die sich gegen den Vater wenden, das mag Franziskus nicht.
Die Amazonassynode sei bereits „die zweite Synode hintereinander“, bei der Franziskus die Erwartungen jener enttäuschte, die sich davon Neuerungen erhofften. Diese Erwartungen seien vom Papst jeweils selbst genährt worden, indem er „Öffnungen“ in Aussicht stellte.
Erste Enttäuschung: die Jugendsynode
Die erste „Enttäuschung“ war die Jugendsynode 2018. Die Erwartungen zu ihr betrafen die Homosexualität. Es gehört zum Stil von Franziskus, die heiklen Fragen, zu denen Interventionsbereitschaft zeigt, unscheinbar zu verpacken. Der Paragraph 197 des Arbeitspapiers für diese Synode sah ausdrücklich einen Paradigmenwechsel in der kirchlichen Haltung zur Homosexualität vor. Natürlich kommt die Endfassung dieses Instrumentum laboris nur mit Billigung des Papstes zustande.
„Doch nichts. Sobald sich die Synode versammelte, erlegte ihr Franziskus zu diesem Thema Schweigen auf, und bekam es auch. Weder war in der Diskussion im Plenum etwas davon zu hören noch im Schlußdokument ein Wort darüber zu lesen, erst recht nicht im nachsynodalen Schreiben Christus vivit“
Nachdem die Jugendsynode aber ihrer „einzigen pikanten Zutat beraubt“ war, so Magister, wurde daraus „die unnötigste und langweiligste Synode der Geschichte“.
Das hatte damit zu tun, weil die Jugendsynode, wie das päpstliche Umfeld unüberhörbar zu verstehen gab – Magister sagt es nicht so deutlich –, eigens mit Blick auf die Homo-Frage einberufen worden war. Anders ausgedrückt: Die wesentlich damit befaßten Kreise hatten weder ein Interesse an Fragen, wie Jugendliche heute evangelisiert werden könnten, noch hatten sie sich darauf vorbereitet. Deshalb mußte die Synode ohne Homo-Agenda zur Totgeburt werden. So verwundert es auch nicht, daß das nachsynodale Schreiben Christus vivit bisher keine nennenswerte Resonanz fand, nicht einmal in bergoglianischen Kreisen – oder vielleicht gerade dort nicht. Es wurde letztlich für den Papierkorb produziert.
Zweite Enttäuschung: die Amazonassynode
Das war 2018. Ein Jahr später folgte die Amazonassynode, und wieder schnellten die Erwartungen nach oben, erhöhte sich die Spannung mit näher rückendem Termin, um schließlich in sich zusammenzufallen wie ein Luftballon, dem die Luft ausgelassen wird. In die neue Synode über den exotischen Regenwald im fernen Amazonas wurde die Frage des Priestertums hineingepackt. Es ging um Bestrebungen zur Zulassung verheirateter Männer zur Priesterweihe und von Frauen zum Weihesakrament. Was arglistig geplant war, endete im faktischen Nichts. Doch hören wir dazu Magister:
„Diesmal wurde bei der Synode über die am meisten erwartete und am meisten bekämpfte Änderung diskutiert: die Priesterweihe für verheiratete Männer. Im Schlußdokument wurde der Vorschlag mit mehr als zwei Dritteln der Stimmen angenommen. Noch Anfang Januar waren sich viele sicher, daß ihn Franziskus sich zu eigen machen und im nachsynodalen Schreiben genehmigen werde, das jeden Tag erwartet wurde.“
Doch es folgte das Unerwartete.
„Dann aber kam, zur entschiedenen Verteidigung des zölibatären Priestertums, das explosive Buch des emeritierten Papstes Benedikt XVI. und Kardinal Robert Sarahs, das von den Neuerern als dunkle Vorahnung aufgenommen wurde.“
Magister gibt zu verstehen, daß das Buch der entscheidende Anstoß für die Vollbremsung war, die Franziskus kurz darauf zum Thema Weihesakrament und Zölibat hinlegte.
Im nachsynodalen Schreiben Querida Amazonia findet sich nach jahrelangem Hinarbeiten plötzlich kein Wort mehr zu diesem Themenkomplex. Damit bleibe den verbissenen Neuerern nichts anderes mehr übrig, so Magister, als sich an letzte Strohhalme zu klammern wie Msgr. Victor Manuel Fernandez, der päpstliche Augapfel in Argentinien. Für dessen Ernennung zum Rektor der Päpstlichen Katholischen Universität von Argentinien hatte sich der damalige Erzbischof von Buenos Aires, Jorge Mario Bergoglio, sogar mit der römischen Bildungskongregation angelegt und sich durchgesetzt. Fernandez ist der Ghostwriter des Papstes, wenngleich es in jüngster Zeit ruhiger um ihn wurde, denn Franziskus sandte ihn als Erzbischof von La Plata nach Argentinien zurück. Er – und nicht nur er – klammert sich an jenen Satz, in dem der Papst einlädt, das Synodenschlußdokument zu lesen und sich davon „bereichern“ zu lassen. Das ist allerdings auch schon die einzige Erwähnung dieses Textes im ganzen Schreiben.
Die Findigkeit eines Papst-Vertrauten
Fernandez ist, was Magister noch nicht berücksichtigt, inzwischen schon weitergegangen. Am 17. Februar veröffentlichte er einen „Interpretationsschlüssel“ für Querida Amazonia auf der Internetseite seines Erzbistums und, was aber viel wichtiger ist, auch im Osservatore Romano. Nach den ersten Reaktionen „von Weinen oder Triumph“ sei es „opportun“, das nachsynodale Schreiben in Ruhe zu lesen, „damit spezifische Beiträge nicht unbeachtet bleiben, und um zu hören, was der Heilige Geist seiner Kirche sagen will“. Im deutschen Sprachraum wurde dieser Kommentar zwar berichtet, nicht aber die wahrscheinlich wichtigste Passage. Auf ihn verweist hingegen Maike Hickson. Es handelt sich um das letzte Kapitel am Ende des Kommentars. Er ist dem „amazonischen Ritus“ gewidmet, den Franziskus in Querida Amazonia erwähnt, und siehe da, ausgerechnet in einer Fußnote. Fußnoten sind unter Franziskus seit Amoris laetitia berüchtigt. Die Fußnote 120 lautet lapidar:
„Bei der Synode wurde ein eigener ‚amazonischer Ritus‘ vorgeschlagen.“
Das, so Fernandez, zeige, daß Franziskus in Querida Amazonia doch die Tür zu den „viri probati“, so lautet der Tarnbegriff für die Zölibatsaufhebung, geöffnet habe. Im Klartext: Franziskus wolle „nicht von oben“ entscheiden, sondern habe den Weg geebnet, auf lokaler Ebene einen „langsamen, langen und reichen“ Prozeß der Unterscheidung zu beginnen mit dem Ziel, einen „amazonischen Ritus“ zu schaffen. In diesem Prozeß, „mit Treue zum Heiligen Geist“ und einer Haltung der Einheit, wäre dann auch der „geeignete Rahmen“ gegeben, um besser die „Eventualität“ unterscheiden zu können, „einige ‚viri probati‘ zu weihen“.
Anders ausgedrückt: ein neuer Ritus, ein neues Priestertum.
Ist alles nur ein taktisches Manöver, um einmal die Widerstände der glaubenstreuen Kreise zu umgehen, die sonst „einen Wirbel“ machen, wie Franziskus 2015 seinem getreuen Sondersekretär der Familiensynode, Erzbischof Bruno Forte von Chieti-Vasto, erklärte? Beginnt alles über eine Fußnote von vorne?
So ganz einfach wird die Sache aber nicht werden. Die neomodernistischen Kreise, die Franziskus bisher unterstützt haben und sich nun enttäuscht und getäuscht fühlen, werden nicht auf Knopfdruck wieder in Euphorie verfallen. Auch ihnen hat sich Franziskus zu sehr entzogen, als daß das Vertrauen in ihn ungebrochen wäre.
Doch setzen wir nach diesem aktuellen Einschub Magisters Rekonstruktion fort, der die Antwort auf die Frage, was Franziskus dazu getrieben hat, die ihn unterstützenden neomodernistischen Kreise im Regen stehenzulassen, „in Deutschland“ sucht.
Die deutsche Entfremdung: Hinweis 1
Der Vatikanist verweist auf den „Synodalen Weg“ der Deutschen Bischofskonferenz, der am 1. Dezember 2019 seinen Auftakt mit dem erklärten Ziel nahm, innerhalb von zwei Jahren die Zölibatsbestimmung aus dem Weg zu räumen, die maßgeblichen Kirchenkreisen nördlich der Alpen verhaßt ist, auch Frauen zum Weihesakrament zuzulassen, Homo-Verbindungen zu segnen und die Leitung der Kirche zu demokratisieren.
Der „Synodale Weg“ wurde als „logische“ Nachfolgeveranstaltung zur Amazonassynode konzipiert. Die Macher stellten sich vor, daß Franziskus die Amazonassynode zum Vorwand für die Zölibatsbeseitigung nehmen würde und sie ihrerseits dann schon bereitstehen, um verheiratete Männer zum Priestertum zuzulassen. Dasselbe Szenario war für die Klerikalisierung der Frau geplant und die Anerkennung der Homosexualität, die sich diese Kreise schon im Zuge der Jugendsynode erhofft hatten.
„Was die verheirateten Priester und die Frauenämter betrifft, zielte die deutsche Synode auf die Amazonassynode als Wegbereiter. Wären von dort [der Amazonassynode] Öffnungen gekommen zu diesen Fragen, auch nur geringste, wäre der Weg frei gewesen, um sie auch im Herzen Europas zu wiederholen und zu verstärken. Papst Franziskus wußte das.“
Er habe im vergangenen Jahr „viel unternommen“, so Magister, um die katholische Kirche in Deutschland zur Ordnung zu rufen, doch ohne Erfolg.
„Das doppelte Schweigen, das er am Amazonas zu verheirateten Priestern und Diakoninnen einnahm, wurde in Deutschland und anderswo als weiterer Schritt des Papstes gesehen, die Fahrt der deutschen Kirche in Richtung einer immer akzentuierteren Eigenständigkeit zu bremsen.“
Die ersten Reaktionen im deutschen Sprachraum waren „Enttäuschung“, aber auch „trotzige Bekräftigung“ des Willens, diesen Weg weiterzugehen. Darin versuchte sich auch schon Kardinal Reinhard Marx, der Erzbischof von München-Freising und noch Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Er betonte nicht das nachsynodale Schreiben, sondern die Öffnungen der Amazonasynode in ihrem Schlußdokument zu verheirateten Priestern und Frauenämtern, und meinte, der Papst habe keine „konkreten Entscheidungen“ getroffen. Anders ausgedrückt, er habe nichts verboten, sondern nur geschwiegen, weshalb „die Diskussion weitergehen“ könne. Man kann es sich immer drehen, wie man will.
Magister identifiziert in Kardinal Marx den „Anführer der Neuerer“. Am „Synodalen Weg“ nehmen aber nicht nur die 69 Bischöfe der Deutschen Bischofskonferenz teil, sondern mit gleichem Stimmrecht auch viele Vertreter des umstrittenen Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) sowie Vertreter der religiösen Orden und Gemeinschaften und weitere Exponenten, die zumeist dem progressiven Spektrum angehören. Die Unterschiede beschränken sich auf die Radikalität, mit der die neomodernistische Agenda vertreten wird. Auch für diese typisch protestantische Synoden-Zusammensetzung war es Franziskus, der im September 2018 mit der Apostolischen Konstitution Episcopalis Communio die kirchenrechtlichen Voraussetzungen geschaffen hatte. Man täte Marx und der Mehrheit der Deutschen Bischofskonferenz Unrecht, wenn man ihnen unterstellen würde, eigenmächtig gehandelt zu haben. Sie haben nur vielmehr immer rasch und konkret umgesetzt, wofür ihnen Franziskus grünes Licht gab. Und natürlich ging dem grünen Licht jeweils intensives deutsches Lobbying voraus, das nicht zuletzt über Kardinal Walter Kasper erfolgte.
Niemand bezweifelt, daß die große Mehrheit der Synodalen des „Synodalen Weges“ für radikale Veränderungen ist und auch keine Probleme damit hätte, mit der kirchlichen Tradition zu brechen. Das „sentire cum ecclesia“ ist vielen von ihnen ziemlich fremd geworden. Wen wundert es, wenn man bedenkt, in welch prekärem Geist in den vergangenen 60 Jahren ganze Generationen von Klerikern, Theologen und anderem Kirchenpersonal herangebildet wurden und Schlüsselpositionen besetzen konnten. Manche wissen wahrscheinlich wirklich nicht, was sie tun. Für die Bischöfe gilt das freilich nicht. Die Durchsetzung des eigenen Willens, koste es was es wolle, ist zur starken Triebfeder geworden. Wer dazu aus der Reihe tanzt, hat in bestimmten Diözesen keinen leichten Stand. Die Bischöfe stehen diesbezüglich selbst unter starkem Druck durch den Verbandskatholizismus und den Apparat der Hauptamtlichen. Mitleid verdienen sie dafür nicht, denn sie haben diese Situation selbst geschaffen bzw. zugelassen.
Die abweichenden Stimmen auf dem „Synodalen Weg“ lassen sich an wenigen Fingern abzählen. Magister erinnert an die Theologin und Ratzinger-Preisträgerin Marianne Schlosser. Sie gab am 21. Dezember 2019 ihren Rückzug vom „Synodalen Weg“ bekannt, nachdem sie gesehen hatte, in welche Richtung der Wagen rollt und wie aussichtslos aufgrund der vorgefertigten Mehrheitsverhältnisse jede Gegenposition ist.
Auch unter den Bischöfen lassen sich Gegenpositionen an zwei Händen abzählen. Kardinal Rainer Maria Woelki ist ihr ranghöchster Exponent. Der Erzbischof von Köln warnte mehrfach vor der Gefahr eines Schismas. Andere deutsche Kardinäle wie Gerhard Müller, Walter Brandmüller und Paul Josef Cordes leisten energischen Widerstand, weshalb sie vorsorglich auch nicht in den „Synodalen Weg“ eingebunden wurden. Eine wirkliche Diskussion oder gar Wahrheitssuche will man nicht wirklich. Der „Synodale Weg“ folgt dem Synodenmodell der vorgefertigten Ergebnisse.
Kardinal Brandmüller bezichtigte die Synodenmacher in einem Interview mit der Tagespost, in den Fußstapfen Martin Luthers eine neue protestantische Regionalkirche schaffen zu wollen, als gäbe es diese nicht schon seit 500 Jahren.
Ebensowenig wie beim „Synodalen Weg“ bestanden Zweifel über die Mehrheitsverhältnisse bei der Amazonassynode. Zu ausgetüftelt war die Selektion der Synodalen. Auch das wußte Franziskus, hatte er doch die Auswahlkriterien gebilligt. Der abrupte Meinungsumschwung von Franziskus kann daher weder mit der Amazonassynode zusammenhängen noch mit den vier deutschen Kardinälen, die den „Synodalen Weg“ kritisieren, denn keiner von ihnen gehörte bisher zu jenen, denen Franziskus sein Ohr leiht. Ganz im Gegenteil.
Ganz anders ist das mit Kardinal Walter Kasper, der von Franziskus seit seiner Papstwahl sehr geschätzt wird und großen Einfluß auf das Pontifikat ausübt. Franziskus gewährte „den Deutschen“ schon viel, jeweils auf Kaspers Empfehlung: zuerst die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener, dann auch die Zulassung protestantischer Ehegatten von Katholiken zur Kommunion.
Die deutsche Entfremdung: Hinweis 2
Bergoglios Versuch, die deutschen Bestrebungen unter Kontrolle zu behalten, „erfolgten in mehreren Etappen“, die von Lucas Wiegelmann Ende 2019 in der Herder-Korrespondenz und in Italien in der Dehonianer-Zeitschrift Il Regno rekonstruiert wurden.
Demnach erfolgte die erste Etappe im Frühjahr 2019. Die kämpferischen Ankündigungen („Wir sind keine Filiale Roms“, O‑Ton Marx), die aus dem Norden nach Rom drangen, und die besorgten Berichte des Apostolischen Nuntius in Berlin, Erzbischof Nikola Eterovic, die auf den vatikanischen Schreibtischen landeten, riefen ranghohe Kurienvertreter auf den Plan, die auf den Papst eindrangen, endlich den Ernst der Lage zu erkennen und auch die Notwendigkeit, etwas dagegen zu unternehmen.
„In diese Richtung bewegten sich die Kardinäle Marc Ouellet, Präfekt der Bischofskongregation, Luis Ladaria, Präfekt der Glaubenskongregation, Beniamino Stella, Präfekt der Kleruskongregation, und Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin.“
Apropos Bischofskongregation und Nuntius Eterovic, der im September 2013 von Franziskus nach Berlin entsandt wurde, die beide aufgrund ihres Amtes maßgeblichen Anteil an Bischofsernennungen haben sollten, freilich unter Franziskus nur bedingt haben: Von Papst Franziskus wurden bereits 13 von insgesamt 27 Bischofsstühlen in der Bundesrepublik Deutschland besetzt.
Was nicht unbedingt etwas über die Qualität des vorbergoglianischen Episkopats aussagt. Kardinal Marx wurde von Johannes Paul II. zum Bischof von Trier ernannt und von Benedikt XVI. zum Erzbischof von München und Freising befördert und zum Kardinal kreiert. Auch dessen Vize an der Spitze der Deutschen Bischofskonferenz, der Bischof von Osnabrück Franz-Josef Bode, ist eine Ernennung von Johannes Paul II. im Jahr 1995.
Doch zurück zu den erwähnten Kardinalpräfekten. Es wurde Kardinal Ladaria, Jesuit wie Franziskus und oberster Glaubenshüter nach dem Papst, von den anderen Kardinälen darum gebeten, Franziskus persönlich aufzusuchen, um ihm ein Mahnschreiben an die Deutsche Bischofskonferenz nahezulegen. Franziskus veröffentlichte am 29. Juni 2019 tatsächlich ein Schreiben, allerdings nicht vertraulich und damit deutlicher an die deutschen Bischöfe, sondern einen offenen Brief „an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland“.
Um den Brief schreiben zu können, bat Franziskus Kardinal Kasper um Hilfe, wie dieser selbst später in einem Interview der Herder-Korrespondenz enthüllte. Bei der Begegnung zwischen dem Papst und dem deutschen Kardinal sei die Gesamtlage der Kirche in Deutschland besprochen worden.
„Bergoglio setzte das Schreiben in seiner Muttersprache Spanisch auf und vertraute es Kardinal Ladaria für die Übersetzung ins Deutsche an.“
Kern des päpstlichen Schreibens an die deutschen Katholiken ist die Betonung der Notwendigkeit, „den Primat der Evangelisierung zurückzugewinnen“, anstatt ständig „strukturellen, organisatorischen oder funktionalen Wandel“ anzustreben, so Franziskus, „die nichts oder so gut wie gar nichts mit dem Missionsauftrag der Kirche zu tun haben“, so Magister ergänzend.
Doch das Schreiben erzielte nicht die von Franziskus erhoffte Wirkung. Das habe auch Kasper „mit Besorgnis“ festgestellt. Der Kardinal sagte, daß man den Brief zwar in jenen tonangebenden Kreisen der Kirche in Deutschland sehr geschätzt habe, die sein eigentlicher Adressat waren, aber dann gleich beiseitelegte, um genauso weiterzumachen, wie man es geplant hatte. Selbst Kasper gab zu bedenken, daß ohne Glaubenserneuerung jede strukturelle Reform, so gut die Absicht dahinter auch sein mag, nirgendwohin führe.
Papst Franziskus habe aber nicht resigniert, so Magister, sondern Etappe 3 angepeilt. Diesmal zog er Kardinal Ouellet zu Hilfe. Nachdem dieser im Sommer 2019 den Entwurf für die Statuten der deutschen Synode studiert hatte, richtete er am 4. September, „offensichtlich im Auftrag von Franziskus“, ein deutliches Schreiben an Kardinal Marx als Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz. Diesen erreichte der Brief am 13. September. Damit dieses Schreiben nicht so einfach umgangen werden konnte, wie zuvor das Schreiben von Franziskus, legte ihm Kardinal Ouellet ein Rechtsgutachten des Päpstlichen Rats für die Gesetzestexte bei. Darin stellte dieser klar, daß die zentralen Themen, mit denen sich der „Synodale Weg“ befassen will (Zölibatsaufhebung, Frauenordinierung, Homosexualität), nicht allein Deutschland, sondern die Weltkirche betreffen, weshalb eine Ortskirche dazu nicht entscheidungsbefugt ist.
Kardinal Marx und ZdK-Präsident Thomas Sternberg beschränkten sich in ihrer Reaktion darauf, dem Papst öffentlich für den Erhalt seines Schreibens vom 29. Juni zu danken und beharrten darauf, daß die angestrebten Strukturreformen Voraussetzung für die beabsichtigte und vom Papst gewünschte Evangelisierung seien.
Wäre es nicht so traurig, müßte man an dieser Stelle laut lachen.
Am 19. September wurde Marx sowohl von Papst Franziskus als auch von Kardinal Ouellet in Audienz empfangen. Im Anschluß sagte er gegenüber der Presse nichtssagend, bei beiden Gesprächen habe ein „konstruktiver Dialog“ stattgefunden.
„In Wirklichkeit werden die Synodenstatuten ein bißchen nachgebessert“, so Magister. Alle Synodalen, ob Bischöfe, Kleriker oder Laien, werden das gleiche Stimmrecht haben, aber die Letztentscheidung stehe nicht der Synode, sondern den Bischöfen zu. Die Themen, zu denen die Ortskirchen keine Entscheidungsgewalt haben, würden wie geplant behandelt und auch über sie abgestimmt und dann dem Heiligen Stuhl übermittelt, wie Marx wissen ließ. Magister schreibt dazu:
„In Rom herrscht weiterhin Mißtrauen. Vor und während der Amazonassynode sprechen sich zwei der hohen Kurienvertreter, die Franziskus alarmiert haben, die Kardinäle Ouellet und Stella, öffentlich für die Beibehaltung der Zölibatsnorm aus und gaben zu verstehen, daß sie Papst Franziskus auf ihrer Seite hätten.“
Dazu bestanden zu jenem Zeitpunkt erhebliche Zweifel, da im Zusammenhang mit der Amazonassynode schon zu viele Signale in eine andere Richtung gewiesen hatten. Kardinal Stella, von Franziskus an die Spitze der Kleruskongregation gesetzt, hatte selbst in einem Anfang 2018 erschienenen Buch bestätigt, daß Papst Franziskus die Aufhebung der Zölibatsnorm „prüft“, und enthüllte, daß Franziskus überlege, für den Amazonas und „abgelegene Pazifikinseln“ verheiratete Männer zu Priestern zu weihen. Daraus entstand im deutschen Sprachraum der dialektische Ruf, so durch den omnipräsenten österreichischen Pastoraltheologen Paul Zulehner: „Wir sind Amazonas“.
Kardinal Stella, der es bisher in seinem Amt an jeder Form von eigenständigem Profil mangeln ließ, war wenig geeignet, die Zweifel und Sorgen zu zerstreuen. Im Rückblick erwies er sich allerdings auch in dieser Sache als pflichtbewußter Notar des amtierenden Papstes.
Was Magister sagen will: Das Buch von Benedikt XVI. und Kardinal Sarah war letztlich der maßgebliche Anstoß für Franziskus, auf die Bremse zu drücken. Dieser unerwartete Schritt habe sich aber wegen der aggressiven Haltung der von Marx und Bode angeführten Mehrheit in der Deutschen Bischofskonferenz bereits 2019 abgezeichnet. Das päpstliche Unbehagen habe in den vergangenen Monaten immer mehr zugenommen, je deutlicher wurde, daß der deutsche Wagen nach einem „deutschen“ Navigationssystem rollen und sich nicht mehr um Papst und Weltkirche scheren will.
Im Nachhinein zeichnete sich eine Entfremdung zwischen „den Deutschen“ und Franziskus also schon ab. Die deutschen „Erwartungen“ zur Amazonassynode, die 2019 immer offener und euphorischer ausgesprochen wurden, erzielten den gegenteiligen Effekt. Franziskus ist trotz gewisser Parallelen kein Paul VI. Er will sich die Zügel nicht aus der Hand nehmen lassen, auch nicht von den Deutschen, die ihn bisher maßgeblich unterstützt haben.
Die handgeschriebene Nachricht
Aus diesem Grund setzte der „Papst der Gesten“ einige Gesten mit Signalwirkung. Am vergangenen Sonntag, dem 16. Februar, berichtete der Corriere della Sera, daß Franziskus Kardinal Müller eine handgeschriebene, freundschaftlich gehaltene Nachricht zukommen ließ. Datiert ist sie vom 12. Februar. Das war neun Tage nach seiner Begegnung mit Kardinal Marx und noch am Tag der Präsentation von Querida Amazonia. Franziskus bedankte sich bei Kardinal Müller für die Übermittlung seines Buches „Der Papst: Sendung und Auftrag“ und für Müllers Kommentar im National Catholic Register, der „mir sehr gefallen hat“.
Franziskus war es, der Kardinal Müller 2017 in nur „einer Minute“ und ohne Nennung von Gründen als Glaubenspräfekt vor die Tür setzte und ihm, trotz seines verhältnismäßig jungen Alters, seither keine neue Aufgabe mehr anvertraute. Nun scheint er eine Wiederannäherung an „die anderen Deutschen“ zu suchen, die nicht zur schismatisierenden Fronde gehören. Ob er auch einen Schulterschluß sucht, muß sich erst zeigen.
Die handgeschriebene Nachricht ist auch deshalb bemerkenswert, weil Kardinal Müller mit dem erwähnten Kommentar seine Genugtuung darüber zum Ausdruck brachte, daß der priesterliche Zölibat durch Querida Amazonia unangetastet bleibt.
Magister nennt noch eine Beobachtung. Die Papst Bergoglio nahestehenden Medien hatten ab dem 12. Januar eine massive Kampagne gegen Benedikt XVI. und Kardinal Sarah wegen ihres jüngsten Buches durchgeführt. In den offiziellen Vatikanmedien gab es aber nur einen offiziösen Kommentar, von Andrea Tornielli, dem früheren Hausvatikanisten von Franziskus, den er im Dezember 2018 als Chefredakteur aller Vatikanmedien engagierte. Tornielli schrieb am 14. Januar im Osservatore Romano, daß zwischen dem regierenden und dem emeritierten Papst zum Zölibat völlige Übereinstimmung herrsche. Eine Behauptung, die zum damaligen Zeitpunkt kaum als glaubwürdig eingestuft werden konnte, war doch gerade durch die Veröffentlichung von „Aus den Tiefen unserer Herzen“ offensichtlich geworden, daß ein ganzes Buch zwischen die beiden Päpste, den amtierenden und seinen Vorgänger, paßte. Diese Einschätzung hatte Franziskus durch sein ganzes Verhalten und das seiner engsten Mitarbeiter zwischen April 2014 und Januar 2019 selbst herbeigeführt. Ein Verhalten, das detailliert dokumentiert ist.
Erst mit der Veröffentlichung von Querida Amazonia wurde der Öffentlichkeit am 12. Februar bekannt, daß Franziskus eine Kehrtwende vollzogen hatte.
Alles in den vergangenen Monaten, so Magister, sei so geschehen, wie es geschehen ist, vor dem Hintergrund eines drohenden deutschen Schismas, das zwar nie beim Namen genannt wurde, aber immer bedrohlich präsent war.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshot)
[1] Der Titel der deutschen Ausgabe lautet „Aus der Tiefe des Herzens“, was man angesichts der Ereignisse und auch der italienischen Ausgabe („Aus der Tiefe unseres Herzens“) bedauern kann.
Kehrtwende?
Es wäre schön, aber ich kann es nicht so recht glauben. Folgende Fragen beschäftigen mich:
Wieso ist Kardinal Marx immer noch im C9-Kardinalsrat, wenn Rom mit seinem Kurs nicht einverstanden ist?
Wieso wurde Erzbischof Gänswein zurück gepfiffen?
Wieso förderte Rom zuerst massiv die Synodalität, um sie dann wieder zu stoppen, wenn sie Fahrt aufgenommen hat?
Wieso werden die leidgeprüften Christen in China, wo es wirklich ernstere und größere Probleme gibt als im Amazonas, fallen gelassen, und die Christen im Amazonas so in den Mittelpunkt gerückt?
Das erscheint mir alles unlogisch, wenn man von einer Kehrtwende spricht.
Diese Fragen lässt der obige Text alle unberücksichtigt.
Was Weihbisch Athanasius Schneider in seiner jüngsten Zusammenfassung über Franziskus sagt, scheint mir im Kern offen zu legen, dass die Diskussion um die Aufweichung des Zölibats der Priester mitnischten beendet ist.
Bischof Schneider schreibt/zitiert:
Am Tag nach der Veröffentlichung von Querida Amazonia teilte Papst Franziskus mit einer Gruppe von US-Bischöfen seine Enttäuschung über die Reaktion auf seine Apostolische Schreiben. Bischof William A. Wack von Pensacola-Tallahassee berichtete über die folgenden Worte von Papst Franziskus: „Er sagte, einige Leute sagen, er sei nicht mutig, weil er nicht auf den Geist gehört habe. „Also sind sie nicht sauer auf den Geist. Sie sind sauer auf mich hier unten “, sagte er [Papst Franziskus].
Sagt Franziskus hier nicht indirekt: „Die Entscheidung vorerst am Zölibat festzuhalten war meine persönliche. Der Heilige Geist hätte anders entschieden.“
Somit können wir ziemlich sicher sein, dass Franziskus ein sehr schlechtes Bauchgefühl hat. Er kann den Menschen aber nicht erklären, was ihn trotzdem zu seinen Verlautbarungen bewegt hat. Wir werden es in mindestens 4 – 5 Jahren erfahren: „Das Projekt Mission von ausßerhalb ist gescheitert. Wir werden jetzt den Versuch der viri probati wagen.“
Wenn die nachkonziliare Kirche das Priestertum nicht grundlegend im vorkonziliaren Geist reformiert, sind alle Versuche eines neuen Glaubensaufbruchs für die Katz.
Ich würde sagen, daß sich nichts Wesentliches geändert hat. „Man“ hat zwar für den Moment Kreide „gefressen“, aber die Sache mit den viri probati und dem Frauenpriestertum ist nicht erledigt. Nicht die Bischöfe Deutschlands sollen da die ersten Plätze einnehmen, sondern der „Diktatorpapst“ (Henry Sire) selber.
Das Mißtrauen von Weihbischof Schneider ist voll gerechtfertigt. „Man“ lullt die Kirchetreuen ein, man schwächt die Abwehr, und die Rechnung scheint auch aufzugehen.
Andererseits aber hat sich m.Er. aber Papst em. Benedikt XVI. durchgesetzt, der mehr und mehr als eigentlicher Papst zu erkennen ist. Er regiert.
Ja, für mich ist
Papst em.Benedikt XVI.
der wahre Papst.
Und Franziskus vielleicht sein Generalvikar?
Hätte Franziskus klipp und klar erklärt, der Zölibat bleibt definitiv unberührt und das Weihetum für die Frau kommt ganz klar nicht, dann wäre ich weniger misstrauisch.
Aber weil er beide Dinge nicht erwähnt, bedeutet ja nicht automatisch, dass das Thema aus der Welt ist.
Man kann sie ja einige Zeit ‑einige Monate oder wenige Jahre- später wieder zum Thema machen und dann erneut auf die Tagesordnung setzen, mit einer bestimmten Absicht im Hinterkopf.