Die „totale und vollständige“ Rehabilitierung der Befreiungstheologie

Die Etappen einer geplanten „Versöhnung“


Pünktlich zur Amazonassynode wird die „totale und vollständige" Rehabilitierung von Gutsavo Gutierrez und der Befreiungstheologie vollzogen.
Pünktlich zur Amazonassynode wird die „totale und vollständige" Rehabilitierung von Gutsavo Gutierrez und der Befreiungstheologie vollzogen.

(Rom) Gustavo Gut­ier­rez, der „Vater der Befrei­ungs­theo­lo­gie“ kehrt erneut in den Vati­kan zurück, dies­mal als Kon­fe­renz­red­ner. Damit gelangt ein 2013 von Papst Fran­zis­kus begon­ne­ner Weg an sein Ziel: die „tota­le und voll­stän­di­ge“ Reha­bi­li­tie­rung von Gut­ier­rez und der Befrei­ungs­theo­lo­gie.

Anzei­ge

Am 10. Juli gab die Päpst­li­che Kom­mis­si­on für Latein­ame­ri­ka das Pro­gramm für die inter­na­tio­na­le Tagung „40 Jah­re Ver­samm­lung von Pue­bla: Kom­mu­ni­on und Par­ti­zi­pa­ti­on“ bekannt, die vom kom­men­den 2.–4. Okto­ber 2019 an der Gene­ral­ku­rie des Jesui­ten­or­dens in Rom statt­fin­den wird – just genau vor Eröff­nung der Ama­zo­nas­syn­ode.

Im mexi­ka­ni­schen Pue­bla fand Anfang 1979 die III. Gene­ral­kon­fe­renz des Latein­ame­ri­ka­ni­schen Bischofs­rats (CELAM) statt. Die II. Gene­ral­kon­fe­renz 1968 im kolum­bia­ni­schen Medel­lin war ein maß­geb­li­cher Impuls für die Aus­brei­tung der mar­xi­stisch gepräg­ten Befrei­ungs­theo­lo­gie. 1968 gilt als ihr Ent­ste­hungs­jahr.

Internetseite der Lateinamerikakommission des Vatikans.
Inter­net­sei­te der Latein­ame­ri­ka­kom­mis­si­on des Vatikans.

Die Pue­bla-Ver­samm­lung (CELAM III) ende­te mit einem sage und schrei­be 232 Sei­ten dicken Schluß­do­ku­ment. Der dama­li­ge Geschäfts­füh­rer des Latein­ame­ri­ka-Hilfs­werks Adve­ni­at der deut­schen Bischö­fe, Emil Steh­le, gab sofort eine deut­sche Über­set­zung in Auf­trag. Adve­ni­at übt seit Jahr­zehn­ten durch Geld­trans­fer und ein­her­ge­hen­dem Ideen­trans­fer einen umstrit­te­nen Ein­fluß in Latein­ame­ri­ka aus. Das gilt vor allem für Bra­si­li­en, wo der deut­sche Ein­fluß durch eine star­ke deutsch­stäm­mi­ge Gemein­schaft beson­ders groß ist. 

Der Über­set­zungs­auf­trag wur­de an Horst Gold­stein erteilt, der bereits das Buch „Theo­lo­gie der Befrei­ung“ von Gustavo Gut­ier­rez ins Deut­sche über­setzt hat­te, das für die viru­len­te Strö­mung namen­ge­bend wurde.

In der Deut­schen Bischofs­kon­fe­renz waren die Mehr­heits­ver­hält­nis­se und die Aus­rich­tung 1979 noch etwas anders als heu­te. Die Über­set­zung Gold­steins, die sehr genau wie­der­gab, was die Autoren des Pue­bla-Papiers mein­ten, fand nicht die Bil­li­gung der Bischofs­kon­fe­renz. Er hat­te bei­spiels­wei­se das erste Kapi­tel des 4. Teils mit „Bedin­gungs­lo­se Ent­schei­dung für die Armen“ über­schrie­ben. Der Gold­stein-Text wur­de durch eine wört­li­che Über­set­zung ersetzt. Dort fin­det sich seit­her die For­mu­lie­rung „Vor­ran­gi­ge Opti­on für die Armen“, die all­ge­mei­ne Ver­brei­tung in der Kir­che fand. 

Revidierte Fassung der „1000 Änderungen“

Vor allem aber regier­te 1979 in Rom Papst Johan­nes Paul II. und nicht mehr Paul VI. Die­ser hat­te 1968 das Schluß­do­ku­ment von Medel­lin, mit sei­nen offe­nen Anklän­gen an den Mar­xis­mus, am Ende der Ver­samm­lung ein­fach tele­fo­nisch abge­seg­net. Johan­nes Paul II. hin­ge­gen woll­te den Text sehen und ließ eine Revi­si­on durch­füh­ren. Aus die­sem Grund wur­den alle Teil­neh­mer von Pue­bla ange­wie­sen, nichts vom Inhalt bekannt­zu­ma­chen, bevor nicht die päpst­li­che Appro­ba­ti­on vor­liegt. Erz­bi­schof Hel­der Cama­ra und ande­re hiel­ten sich aber nicht dar­an. Der römi­schen Revi­si­on wur­de von befrei­ungs­theo­lo­gi­schen Krei­sen vor­ge­wor­fen, die Aus­sa­gen des ursprüng­li­chen Tex­tes „kor­ri­giert“ und „abge­schwächt“ zu haben. Vor allem der Begriff „Befrei­ung“, der zu offen­kun­dig an den mar­xi­sti­schen Dis­kurs anknüpf­te, wur­de ersetzt. Dar­aus kon­stru­ier­ten unduld­sa­me, vor­wie­gend euro­päi­sche und euro­pä­isch­stäm­mi­ge Krei­se, die sich zwi­schen Pro­gres­sis­mus und Mar­xis­mus beweg­ten, den Mythos der „1000 Ände­run­gen“. Denn eines stand fest: Der Feind saß in Rom, das miß­traui­scher beäugt wur­de, als Mos­kau und Havanna.

Gustavo Gutierrez, Prinz-von-Asturien-Preisträger (2003)
Gustavo Gut­ier­rez (2003)

In Rom, Latein­ame­ri­ka und den west­li­chen Staa­ten wie Deutsch­land fand ein viel­schich­ti­ges Tau­zie­hen statt zwi­schen jenen, die kein zwei­tes „Medel­lin“ woll­ten, und jenen, die noch über Medel­lin hin­aus­dräng­ten. In West­eu­ro­pa waren sich Ende der 70er Jah­re selbst anti­kom­mu­ni­sti­sche Krei­se nicht mehr sicher, ob der Vor­marsch des Sozia­lis­mus nicht wirk­lich unauf­halt­sam sei. Der noch schlag­kräf­ti­ge und selbst­be­wuß­te Ost­block lenk­te und beein­fluß­te im Westen und in Latein­ame­ri­ka zahl­rei­che Grup­pie­run­gen, auch kir­chen­na­he. In vie­len Staa­ten der dama­li­gen Drit­ten Welt zogen kom­mu­ni­sti­sche Gue­ril­la­or­ga­ni­sa­tio­nen und in West­eu­ro­pa kom­mu­ni­sti­sche Ter­ror­or­ga­ni­sa­tio­nen eine blu­ti­ge Bahn.

Als einer der beson­ders laut­star­ken Kri­ti­ker der revi­dier­ten Fas­sung tat sich Bischof Samu­el Ruiz Gar­cia von San Cri­sto­bal de las Casas her­vor, beson­ders was die Abschwä­chung der Bedeu­tung der „Basis­ge­mein­den“ betraf, die in die­sen Krei­sen als Aus­druck des „neu­en Früh­lings“ und als künf­ti­ges „Modell“ für die Kir­che gese­hen wur­den. Der 2011 ver­stor­be­ne Bischof spielt durch sein „Chia­pas-Expe­ri­ment“ im Zusam­men­hang mit der bevor­ste­hen­den Ama­zo­nas­syn­ode wie­der eine wich­ti­ge Rol­le. Kein Zufall.

Die Ära Lorscheider und Adveniat

Johan­nes Paul II. ver­such­te im Gefol­ge von Pue­bla eine neue CELAM- und eine neue CLAR-Spit­ze zu eta­blie­ren. CLAR ist der Dach­ver­band der latein­ame­ri­ka­ni­schen Ordens­leu­te. Ver­su­che, über per­so­nel­le Ände­run­gen eine Kurs­än­de­rung zu errei­chen, hat­ten vor allem im Bra­si­li­en von Kar­di­nal Aloi­sio Lor­schei­der und Erz­bi­schof Hel­der Cama­ra, bei­de Ver­tre­ter der Befrei­ungs­theo­lo­gie, nur wenig Erfolg. Lor­schei­der, Sohn deut­scher Ein­wan­de­rer, war zur Zeit der Pue­bla-Ver­samm­lung CELAM-Vor­sit­zen­der. In den 70er Jah­ren war er Vor­sit­zen­der der Bra­si­lia­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz (CNBB) und sein Cou­sin, Bischof Ivo Lor­schei­ter, war deren Gene­ral­se­kre­tär. Lor­schei­ter wur­de Lor­schei­ders Nach­fol­ger als CNBB-Vor­sit­zen­der bis 1987. Die „Lor­schei­der-Ära“ nach dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil, die abge­schwächt bis 2004 dau­er­te (Aloi­sio wur­de 1962, Ivo 1965 Bischof) wur­de zum Syn­onym für den Links­ruck der Orts­kir­che, der von Adve­ni­at mit deut­schem Geld gespon­sert wur­de. Hel­der Cama­ra wur­de von Johan­nes Paul II. eme­ri­tiert, Lor­schei­der auf einen klei­nen Bischofs­stuhl abge­scho­ben und Leo­nar­do Boff kam sei­ner Exkom­mu­ni­ka­ti­on zuvor, indem er selbst sein Prie­ster­ge­wand für einen eigens für ihn errich­te­ten Lehr­stuhl an der Uni­ver­si­tät Bue­nos Aires ein­tausch­te. Dort erwei­ter­te er die Befrei­ungs­theo­lo­gie um öko­lo­gi­sche The­men wie sie nun als Öko­be­frei­ungs­theo­lo­gie zur Grund­la­ge der Ama­zo­nas­syn­ode wird, wenn­gleich Boff selbst sie „Theo­lo­gie des Lebens“ nann­te. In der Abtrei­bungs­fra­ge, wo es bedin­gungs­los um Leben oder Tod geht, war sei­ne Stim­me nicht zu hören.

Aloisio Lorscheider und Helder Camara
Aloi­sio Lor­schei­der und Hel­der Cama­ra sind bei­de Unter­zeich­ner des „Kata­kom­ben­pakts“ (1965).

Der bra­si­lia­ni­sche Epi­sko­pat ist bis heu­te stark befrei­ungs­theo­lo­gisch geprägt. Die­se poli­tisch moti­vier­te Ach­sen­ver­schie­bung mit ihrer Abkehr vom tra­di­tio­nel­len Kir­chen­ver­ständ­nis löste einen gewal­ti­gen Ero­si­ons­pro­zeß aus, der mit einer mil­lio­nen­fa­chen Abwan­de­rung von Katho­li­ken zu evan­ge­li­ka­len Frei­kir­chen bis heu­te anhält.

So gese­hen erwie­sen sich die CELAM-Ver­samm­lun­gen von Pue­bla (1979) bis Apa­re­ci­da (2007) – von Medel­lin (1968) ganz zu schwei­gen –, als unge­eig­net bis fatal für die Kir­che in Latein­ame­ri­ka. Apa­re­ci­da ist für Papst Fran­zis­kus beson­ders wich­tig ist, da er ver­ant­wort­li­cher Redak­teur des Schluß­do­ku­ments war. Apa­re­ci­da war übri­gens der Bischofs­sitz, auf den Kar­di­nal Lor­schei­der abge­scho­ben wor­den war. 

Müh­sam bemüh­ten sich die Päp­ste Johan­nes Paul II. und Bene­dikt XVI. die mar­xi­sti­sche, und wenn nicht mar­xi­sti­sche, dann zumin­dest sozio­lo­gi­sche Strö­mung in Latein­ame­ri­kas Kir­che zurück­zu­drän­gen. Mit der Wahl von Papst Fran­zis­kus, die einen Ver­tre­ter der sozio­lo­gi­schen Strö­mung mit wohl­wol­len­der Sym­pa­thie für die mar­xi­sti­sche auf den Papst­thron brach­te, sind die­se Bemü­hun­gen vor­erst geschei­tert. Die Ten­denz geht seit­her in die ent­ge­gen­ge­setz­te Rich­tung, wie der stark poli­ti­sche Ansatz von Fran­zis­kus im Ver­hält­nis zu Latein­ame­ri­ka und sei­ne Appro­ba­ti­on des unsäg­li­chen Instru­men­tum labo­ris für die bevor­ste­hen­de Ama­zo­nas­syn­ode zeigt, das Kar­di­nal Wal­ter Brand­mül­ler „eine Neu­auf­la­ge des klas­si­schen Moder­nis­mus“ nann­te.

2013 beginnt Gutierrez salonfähig zu werden

Aus­ge­rech­net Kar­di­nal Ger­hard Mül­ler, den Bene­dikt XVI. noch weni­ge Mona­te vor sei­nem über­ra­schen­den Amts­ver­zicht zum Prä­fek­ten der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on mach­te, war es, der Gustavo Gut­ier­rez im Sep­tem­ber 2013 in Rom ein­führ­te und salon­fä­hig mach­te. Das scheint nicht ganz zusam­men­zu­pas­sen, bringt aller­dings die in Kir­chen­krei­sen des deut­schen Sprach­rau­mes ver­brei­te­te Sozi­al­ro­man­tik zum Aus­druck. Kar­di­nal Juan Luis Cipria­ni Thor­ne, der dama­li­ge Erz­bi­schof von Lima und Pri­mas von Peru, atte­stier­te Mül­ler dar­auf mit freund­li­chen Wor­ten, in die­sem Punkt „ein biß­chen naiv“ zu sein. Cipria­ni Thor­ne wuß­te, wovon er sprach. Er und Gut­ier­rez sind Perua­ner. Der Befrei­ungs­theo­lo­ge lehr­te an der Päpst­li­chen Katho­li­schen Uni­ver­si­tät von Peru, deren Groß­kanz­ler Cipria­ni Thor­ne 1999 wur­de und sie wie­der auf kirch­li­chen Kurs zu brin­gen ver­such­te. Papst Fran­zis­kus mach­te mit einem Feder­strich alle Bemü­hun­gen zunich­te und setz­te Cipria­ni Thor­ne vor die Tür.

Franziskus mit Jesuiten aus Zentralamerika (Panama 2019).
Fran­zis­kus mit Jesui­ten aus Zen­tral­ame­ri­ka (Pana­ma 2019).

Tra­gik der Geschich­te: Sowohl Kar­di­nal Mül­ler als auch Kar­di­nal Cipria­ni Thor­ne fie­len dem berg­o­glia­ni­schen Fall­beil zum Opfer, letz­te­rer zumin­dest illusionslos. 

Mül­ler wur­de als Glau­bens­prä­fekt durch den per­sön­lich tadel­lo­sen P. Luis Lada­ria Fer­rer ersetzt, einem Jesui­ten, von dem Fran­zis­kus bedin­gungs­lo­se Treue erwar­ten kann. Cipria­ni Thor­ne hin­ge­gen wur­de, ganz berg­o­glia­nisch, durch „den Pro­gres­siv­sten“ ersetzt. Ein Haupt­merk­mal der Ernen­nung von Car­los Castil­lo Mat­ta­so­glio zum Erz­bi­schof von Lima ist die damit ver­bun­de­ne Demü­ti­gung von Kar­di­nal Cipria­ni Thor­ne, eine Form der Rache, die Fran­zis­kus bereits mehr­fach genau jene Ober­hir­ten spü­ren ließ, die durch Glau­bens­treue und Ver­tei­di­gung eines tra­di­tio­nel­len Kir­chen­ver­ständ­nis­ses aus dem Epi­sko­pat herausragen.

Gustavo Gut­ier­rez, zu dem anfangs noch die Legen­de ver­brei­tet wur­de, Jor­ge Mario Berg­o­glio habe ein per­sön­lich sehr distan­zier­tes Ver­hält­nis zu ihm, weil er einen argen­ti­ni­schen Befrei­ungs­theo­lo­gen und lai­sier­ten Prie­ster im Stich gelas­sen habe, wur­de seit 2013 bereits drei­mal von Fran­zis­kus emp­fan­gen. Das argen­ti­ni­sche Kir­chen­ober­haupt signa­li­sier­te damit unmiß­ver­ständ­lich, der Befrei­ungs­theo­lo­gie Wohl­wol­len ent­ge­gen­zu­brin­gen. Es wäre natür­lich nicht Berg­o­glio, wenn er rund um die­ses Wohl­wol­len nicht auch eini­ge Nebel­ker­zen für jene gezün­det hät­te, die noch um die Gefähr­lich­keit die­ser Rich­tung wis­sen. Die Grund­aus­rich­tung ist aller­dings klar.

„Totale und vollständige Rehabilitierung“ in vielen Schritten

So ist es kein Zufall, daß die bevor­ste­hen­de Tagung zu „40 Jah­re Pue­bla-Ver­samm­lung“ an der Gene­ral­ku­rie des Jesui­ten­or­dens statt­fin­den wird. Der Orden stellt die treue­sten Legio­nen des Pap­stes, und das der­zeit viel­fach mit einer inne­ren Über­zeu­gung, die über das Treue­ge­lüb­de hin­aus­geht, das auch sei­nen Vor­gän­gern galt. Gut­ier­rez wird, erwar­tungs­ge­mäß, über „Die vor­ran­gi­ge Opti­on für die Armen“ spre­chen, womit nach der ursprüng­li­chen Fas­sung von Pue­bla „Die bedin­gungs­lo­se Ent­schei­dung für die Armen“ gemeint ist.

Papst Franziskus gratuliert Gutierrez zum 90. Geburtstag (2018)
Papst Fran­zis­kus gra­tu­liert Gut­ier­rez zum 90. Geburts­tag (2018)

Die­se Ein­la­dung an Gut­ier­rez, bei einer offi­zi­el­len, vati­ka­ni­schen Tagung zu refe­rie­ren, ist als „tota­le und voll­stän­di­ge“ Reha­bi­li­tie­rung von Gut­ier­rez per­sön­lich, aber auch der Befrei­ungs­theo­lo­gie zu sehen, wie Reli­gi­on Digi­tal, die bedeu­tend­ste pro­gres­si­ve Nach­rich­ten­sei­te des spa­nisch­spra­chi­gen Raums jubelnd fest­stell­te, und damit die Stim­mung der ein­schlä­gi­gen Krei­se wie­der­ge­ben dürf­te. Die Rede von Gut­ier­rez wird den Abschluß eines Weges zahl­rei­cher Schrit­te sein, der seit der Wahl von Papst Fran­zis­kus ein­ge­schla­gen wurde.

Berg­o­glio such­te, zum Papst gewählt, die Nähe zu Gut­ier­rez. Die erste Begeg­nung erfolg­te, wie erwähnt, im Sep­tem­ber 2013 auf Ver­mitt­lung von Kar­di­nal Mül­ler. Nähe­res wur­de damals nicht bekannt. Heu­te weiß man, daß es auch zu einer Kon­ze­le­bra­ti­on des Befrei­ungs­theo­lo­gen mit Fran­zis­kus kam. Der Papst selbst erzähl­te die­ses bis­her unbe­kann­te Detail im Janu­ar 2019, als er sich am Ran­de des Welt­ju­gend­ta­ges in Pana­ma mit Jesui­ten aus Zen­tral­ame­ri­ka traf. Dort erklär­te er sei­nen Ordens­mit­brü­dern sinn­ge­mäß, daß der Schrecken vor der Befrei­ungs­theo­lo­gie im gro­ßen und gan­zen nur ein Kom­mu­ni­ka­ti­ons­feh­ler gewe­sen sei. Gut­ier­rez nann­te er bei die­ser Gele­gen­heit einen „gro­ßen Verfolgten“.

„Es gibt vie­le Arten sie zu inter­pre­tie­ren. Es stimmt, daß eini­ge in die mar­xi­sti­sche Ana­ly­se fie­len, aber ich erzäh­le Euch etwas Lusti­ges: Der gro­ße Ver­folg­te, Gustavo Gut­ier­rez, der Perua­ner, hat mit mir die Mes­se konzelebriert.“

Gutierrez-Interview des Osservatore Romano im September 2013.
Gut­ier­rez-Inter­view des Osser­va­to­re Roma­no im Sep­tem­ber 2013.

Bereits im Zuge der ersten Begeg­nung ver­öf­fent­lich­te der Osser­va­to­re Roma­no ein Inter­view mit dem Befrei­ungs­theo­lo­gen, was kur­ze Zeit zuvor noch undenk­bar gewe­sen wäre. Andrea Tor­ni­el­li, der Haus­va­ti­ka­nist von Papst Fran­zis­kus, lie­fer­te auf Vati­can Insi­der die Les­art für die gewünsch­te Ent­span­nung: Fran­zis­kus sei gegen­über den mar­xi­sti­schen, theo­lo­gi­schen Ten­den­zen in Bue­nos Aires uner­bitt­lich gewe­sen. Er sei daher ein authen­ti­scher Inter­pret der „Ver­söh­nung zwi­schen der Befrei­ungs­theo­lo­gie und dem Vatikan“. 

„In der Kir­che über die Armen zu spre­chen, bedeu­tet nicht Pau­pe­ris­mus, und die Unge­rech­tig­keit anzu­kla­gen, unter der die Schwäch­sten lei­den, bedeu­tet nicht, Mar­xi­sten, son­dern ein­fach Chri­sten zu sein.“

Soweit Tor­ni­el­li. Im Novem­ber 2014 wur­de Gut­ier­rez am Ran­de einer Gene­ral­au­di­enz von Papst Fran­zis­kus ein zwei­tes Mal begrüßt.

2015 konn­te Gut­ier­rez an der Sei­te von Kar­di­nal Oscar Rodri­guez Mara­dia­ga, einem engen Ver­trau­ten von Papst Fran­zis­kus, im Vati­kan an einer Pres­se­kon­fe­renz der Cari­tas teilnehmen. 

Gutierrez mit Kardinal Maradiaga, Caritas Internationalis-Pressekonferenz 2015
Gut­ier­rez mit Kar­di­nal Mara­dia­ga, Cari­tas Inter­na­tio­na­lis-Pres­se­kon­fe­renz 2015

Im Janu­ar 2018 emp­fing ihn Fran­zis­kus bei sei­nem Peru-Besuch in der dor­ti­gen Apo­sto­li­schen Nun­tia­tur zum drit­ten Mal.

Im Mai 2018 erhielt Gut­ier­rez Post von Fran­zis­kus. Der Papst gra­tu­lier­te ihm per­sön­lich zum 90. Geburtstag:

„Ich schlie­ße mich Dei­nem Dank für Got­tes Gna­den an und dan­ke Dir auch für das, was Du für die Kir­che und die Mensch­heit getan hast durch Dei­nen theo­lo­gi­schen Dienst und Dei­ne vor­ran­gi­ge Lie­be für die Armen und die aus der Gesell­schaft Aus­ge­sto­ße­nen. Dan­ke für alle Anstren­gun­gen und für Dei­ne Form das Gewis­sen eines jeden Ein­zel­nen anzu­spre­chen, damit nie­mand gleich­gül­tig bleibt, gegen­über dem Dra­ma der Armut und der Ausgrenzung.“ 

Zwei weitere Referenten der Puebla-Tagung

Ein ande­rer Refe­rent der Pue­bla-Tagung ist der Mexi­ka­ner Rodri­go Guer­ra, der inter­na­tio­nal vor allem durch die Ver­tei­di­gung des umstrit­te­nen ach­ten Kapi­tels des nach­syn­oda­len Schrei­bens Amo­ris lae­ti­tia von Papst Fran­zis­kus auf­fiel. Der Osser­va­to­re Roma­no ver­öf­fent­lich­te unmit­tel­bar nach Vor­stel­lung von Amo­ris lae­ti­tia einen Auf­satz Guer­ras, in dem er die Vor­ge­hens­wei­se und die Aus­le­gung von Fran­zis­kus ver­tei­dig­te. In den fol­gen­den Mona­ten war er inter­na­tio­nal häu­fi­ger Red­ner zu Amo­ris lae­ti­tia, beson­ders an katho­li­schen Uni­ver­si­tä­ten in Latein­ame­ri­ka und vor Bischofs­kon­fe­ren­zen. Dadurch trug er nicht unwe­sent­lich zur Ver­brei­tung jenes Bruchs mit der kirch­li­chen Tra­di­ti­on bei, wie sie zuletzt Papst Johan­nes Paul II. in Fami­lia­ris con­sor­tio 1981 fest­ge­schrie­ben hat­te. Zu die­sem Zweck ver­öf­fent­lich­te Guer­ra 2017 auch einen Auf­satz in der CELAM-Zeit­schrift Medel­linAmo­ris lae­ti­tia ver­ste­hen. Prä­mis­sen und Argu­men­te, Ant­wort auf Zwei­fel und Ein­wän­de, Weg und Hoff­nung“. Der Name der Zeit­schrift, eine Anspie­lung auf die CELAM-Ver­samm­lung von 1968, läßt die bis heu­te wir­ken­de Fehl­ent­wick­lung in Latein­ame­ri­kas Kir­che erkennen.

Erstaun­li­cher, aber nicht weni­ger bezeich­nend ist ein drit­ter Red­ner der Pue­bla-Tagung, der über­zeug­te Berg­o­glia­ner Austen Ive­reigh. Der Eng­län­der ist der erste Bio­graph von Fran­zis­kus, der eine vom Papst selbst auto­ri­sier­te Bio­gra­phie vor­leg­te. Ihr Titel: „Der gro­ße Refor­mer. Fran­zis­kus, Por­trät eines radi­ka­len Pap­stes“. Ive­reigh wird in Rom über „Die histo­ri­sche Ori­gi­na­li­tät eines latein­ame­ri­ka­ni­schen Pon­ti­fikats“ spre­chen. Bevor der Eng­län­der zum Papst-Bio­gra­phen wur­de, war er Spre­cher von Kar­di­nal Cor­mac Mur­phy-O’Con­nor, dem dama­li­gen Erz­bi­schof von West­min­ster und Pri­mas von Eng­land und Wales. Murphy‑O’Connor war Mit­glied des „Mafia“ genann­ten Geheim­zir­kels von Sankt Gal­len, in dem sich höch­ste, pro­gres­si­ve Kir­chen­ver­tre­ter seit den 90er Jah­ren kon­spi­ra­tiv orga­ni­siert hat­ten. Ive­reigh ent­hüll­te im Herbst 2014 als erster indi­rekt die Exi­stenz die­ses Geheim­zir­kels, indem er von geziel­ten Machen­schaf­ten im Vor­feld des Kon­kla­ves von 2013 berich­te­te, um Kar­di­nal Jor­ge Mario Berg­o­glio auf den Papst­stuhl zu heben. Ive­reigh sprach von einem Team Berg­o­glio, dem als beson­ders akti­ve Mit­glie­der die Kar­di­nä­le Wal­ter Kas­per, Karl Leh­mann, God­fried Dan­neels und Cor­mac Murphy‑O’Connor angehörten. 

Wei­te­re Refe­ren­ten wären zu nen­nen, doch soll es mit den Genann­ten genug sein.

Die Reha­bi­li­tie­rung der Befrei­ungs­theo­lo­gie am Vor­abend der Ama­zo­nas­syn­ode wirft auf alle Fäl­le einen wei­te­ren, bezeich­nen­den Schat­ten auf die bevor­ste­hen­de Sondersynode.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: PUCP/​OR/​Civiltà Cattolica/​America Lati­na (Screen­shots)

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2 Kommentare

  1. Ich glau­be man kann sich viel Zeit und Mühe spa­ren wenn man alle Tra­di­ti­ons­treu­en ein­fach ausschließt.
    Es sind nicht mehr so vie­le und die die es trifft kön­nen sich ja über­le­gen wohin es gehen soll.
    Ich fin­de es unglaub­lich das ich in mei­nem jun­gen Alter von 57 Jah­ren bewußt den Abfall der Kir­che im Glau­ben in einer Rasanz erlebe
    wie es wahr­schein­lich in der Geschich­te ein­ma­lig ist.

    • Befrei­ungs­theo­lo­gie bedeu­tet die Ein­mi­schung der katho­li­schen Kir­che in poli­ti­sche Ange­le­gen­hei­ten, es bedeu­tet men­schen­ge­mach­te Ideo­lo­gie. Das ist nicht der Weg von Jesus Chri­stus, der ja Weg, Wahr­heit und Leben ist(Johannes 14, 6).

      Jesus hat sich nie in poli­ti­sche Ange­le­gen­hei­ten ein­ge­mischt, hat sich immer an gesell­schaft­li­che und reli­giö­se Regeln gehal­ten und das in Zei­ten römi­scher Besat­zung, wo viel Unrecht Juden gegen­über geschah.
      Er sag­te, „Gebt dem Kai­ser, was dem Kai­ser gehört und Gott, was Got­tes ist“(Matthäus 22, 21).

      Papst Fran­zis­kus mischt sich stän­dig in poli­ti­sche Din­ge ein und plat­ziert über­all sei­ne deut­lich lin­ke poli­ti­sche Mei­nung. Er hat wohl von Euro­pa nicht viel gese­hen und kennt nur Süd­ame­ri­ka mit sei­nen Irr­we­gen, zu denen die Befrei­ungs­theo­lo­gie zwei­fels­oh­ne gehört.

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