Die Kirche und ihre „koloniale“ Vergangenheit

Die Verzerrung der Wirklichkeit


"Cruz de la Parra", das Kreuz, das Christoph Kolumbus bei seiner ersten Entdeckungsreise am 1. Dezember 1492 in der Nähe der heutigen Stadt Baracoa auf Kuba aufstellen hat lassen. Es wird in der dortigen Konkathedrale des Bistums Guantánamo-Baracoa aufbewahrt.
"Cruz de la Parra", das Kreuz, das Christoph Kolumbus bei seiner ersten Entdeckungsreise am 1. Dezember 1492 in der Nähe der heutigen Stadt Baracoa auf Kuba aufstellen hat lassen. Es wird in der dortigen Konkathedrale des Bistums Guantánamo-Baracoa aufbewahrt.

Wider­spruch von Rino Cammilleri*

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Es genügt, wenn drei oder vier selbst­er­nann­te „Ver­tre­ter“ der India­ner­völ­ker Süd­ame­ri­kas ihre Stim­me und ihre Fäu­ste erhe­ben, und die Kle­ri­ker fal­len auf die Knie und ent­schul­di­gen sich eilig, auch für das, was die Kir­che nicht getan hat.

Vor Jah­ren, bei einem der vie­len „Gip­fel­tref­fen“ in Rio zur „Ret­tung“ des Ama­zo­nas-Regen­wal­des, in Anwe­sen­heit von „Exper­ten“ wie Sting, Bono, Rigo­ber­ta, herrsch­te blan­kes Ent­set­zen, als ein Yan­om­ami-Häupt­ling in einem Leo­par­den­fell auf­tauch­te. Wie, wir sind hier, um die Umwelt zu ret­ten, und Sie töten ein geschütz­tes Tier? Der India­ner ant­wor­te­te sera­phisch: Was soll ich denn tun, wenn mich ein Pan­ther im Dschun­gel angreift? Und dann füg­te er hin­zu: Die Wahr­heit ist, daß ihr wollt, daß wir wie ein Zoo zu eurer tou­ri­sti­schen Unter­hal­tung leben, aber wir wol­len auch beheiz­te Häu­ser, Han­dys, Inter­net und Flug­zeu­ge, um das näch­ste Kran­ken­haus zu errei­chen, ange­sichts der Ent­fer­nun­gen hier.

Nun, da in den Medi­en nur die Schlag­zei­len zäh­len, ist es nicht nötig, den genau­en Wort­laut des Doku­ments zu lesen: Inzwi­schen ist all­ge­mein bekannt, daß sich der Vati­kan von sei­ner alten „kolo­nia­len“ Dok­trin „distan­ziert“.

Dem­nach wäre es vor fünf Jahr­hun­der­ten falsch gewe­sen, Spa­ni­en zu „zwin­gen“, die erste – und ein­zi­ge – Mis­si­ons­na­ti­on der Geschich­te zu wer­den, indem von ihr ver­langt wur­de, die India­ner zu evan­ge­li­sie­ren. Da staunt man schon, daß ein mäch­ti­ger König wie Fer­di­nand von Ara­gon und sei­ne Frau Isa­bel­la von Kasti­li­en angeb­lich den Papst um Erlaub­nis gebe­ten hät­ten, sich in der Neu­en Welt nie­der­zu­las­sen. Frank­reich und Eng­land haben sich ja schließ­lich davor gehütet.

Außer­dem: Ist Evan­ge­li­sie­rung gleich­be­deu­tend mit Kolo­ni­sie­rung oder, schlim­mer noch, mit Versklavung?

Etwas Nach­hil­fe­un­ter­richt: Der erste Kon­takt von Kolum­bus mit den Arau­ka­nern ver­lief fol­gen­der­ma­ßen: Sie baten ihn um Hil­fe gegen die benach­bar­ten Kari­ben, die Kan­ni­ba­len waren. Das­sel­be geschah mit Cor­tés und Pizar­ro, die von den Völ­kern, die von den Azte­ken und Inkas als Men­schen­op­fer benutzt wur­den, als Befrei­er begrüßt wur­den und sich mit ihnen verbündeten.

Pole­mi­sche Klam­mer auf: Ist das Wort „Kolo­nie“ wirk­lich so schlimm?

Die Römer haben es erfun­den – es kommt von lat. „cole­re“, „das Land bestel­len“ – und mit gro­ßem Erfolg ange­wandt. Und man könn­te, sagen wir, die Afri­ka­ner fra­gen, ob es ihnen heu­te bes­ser geht, weil die wei­ßen Kolo­ni­sa­to­ren weg sind, jene Kolo­ni­sa­to­ren, die sie zumin­dest davon abge­hal­ten haben, sich gegen­sei­tig abzu­schlach­ten, wie sie es seit­her wie­der häu­fig getan haben; und danach, wer die­je­ni­gen sind, die heu­te ihren Topf füllen…

Doch dann kamen die Sozi­al­ro­man­ti­ker, dann die Mar­xi­sten und nah­men sich der „Kolo­nie“ an und mach­ten „Kolo­nia­lis­mus“ daraus.

Es schmerzt mich, es zu sagen, aber der Initia­tor der schlech­ten Gewohn­heit, sich bei denen zu ent­schul­di­gen, die sich eigent­lich ent­schul­di­gen soll­ten, war Papst Woj­ty­la. Die­ser wenn auch gro­ße Papst hielt es für gut und rich­tig, das drit­te Jahr­tau­send mit einem Mea cul­pa, einer Ent­schul­di­gungs­bit­te, zu eröff­nen. Er hat­te es gut gemeint. Er mein­te so etwas wie: Mei­ne Her­ren (und Damen) Säku­la­ri­sten, wenn die Katho­li­ken, die ich ver­tre­te, Ihnen im Lau­fe der Jahr­hun­der­te Unrecht getan haben, dann bit­te ich Sie um Ver­zei­hung, hier ist die Hand und las­sen Sie uns in die Zukunft schauen.

Sie spuck­ten aber auf die­se Hand und sag­ten: Seht ihr, wir hat­ten Recht! Die kle­ri­ka­li­sti­schen Pfaf­fen woll­ten die Hosen nicht run­ter­las­sen, aber jetzt hat es der Papst gesagt!

Es genügt, den Film „Mis­si­on“ anzu­schau­en. Es war der auf­ge­klär­te Frei­mau­rer Mar­quis von Pom­bal, der die India­ner ver­skla­ven woll­te, die – anders als im Film dar­ge­stellt – von den Jesui­ten bewaff­net und in den Kampf gegen die Pau­li­stas und Band­ei­ran­tes, die Skla­ven­jä­ger aus São Pau­lo, geführt wurden.

Im eng­li­schen Nord­ame­ri­ka hin­ge­gen gab es kei­ne „Schwarz­kit­tel“, kei­ne Jesui­ten-Evan­ge­li­sie­rer. Und sie­he da, dort sind die India­ner, anders als im Süden, tat­säch­lich von der Bild­flä­che verschwunden.

Die Mil­lio­nen-Dol­lar-Fra­ge, die (wegen der famo­sen Tabui­sie­rung) nie­mand stellt, weil sie die gan­ze Dis­kus­si­on in Win­des­ei­le ent­lar­ven und im Nichts auf­lö­sen wür­de, lau­tet schlicht und ein­fach: Ging es den India­nern bes­ser, bevor die Spa­ni­er sie evangelisierten?

*Rino Cam­mil­le­ri, 1950 auf Sizi­li­en gebo­ren, Stu­di­um der Poli­tik­wis­sen­schaf­ten, mili­tan­ter Akti­vist der außer­par­la­men­ta­ri­schen Lin­ken, Bekeh­rung zum katho­li­schen Glau­ben, aka­de­mi­sche Lauf­bahn, Dozent für Diplo­ma­ti­sches und Kon­su­la­ri­sches Recht und Sozio­lo­gie an der Uni­ver­si­tät Pisa, lebt heu­te als frei­er Publi­zist in Mailand.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Wiki­com­mons


Wei­te­re Bei­trä­ge von Rino Cammilleri:

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