Einige Überlegungen zu einem ganz speziellen Punkt wegen der teils irritierenden Haltung der Kirche gegenüber dem Islam.
Von Rino Cammilleri*
Einige fragen sich immer noch, wie Oriana Fallaci es getan hat, warum die Kirche keine klare Haltung gegenüber dem Islam einnimmt, wie sie es jahrhundertelang getan hat. Ja, genau, denn wenn wir heute nicht alle Muslime sind, ist das der Kirche zu verdanken.
Es war ihrem Beharren zu verdanken, daß die Kreuzzüge 1098 einsetzten, als der byzantinische Kaiser verzweifelt seine christlichen Brüder im Westen um Hilfe bat. Es war Papst Urban II., der in Clermont gegenüber dem zerstrittenen Feudaladel mit kräftiger Stimme die Greueltaten aufzeigte, die an christlichen Pilgern begangen wurden, und der sagte: Meine Herren, wenn Sie wirklich Ihre Hände führen wollen, warum gehen Sie nicht und tun es, um die Brüder des Ostens zu verteidigen? Und er wurde gehört.
Es war ein anderer Papst, der heilige Pius V., der das Geld und die diplomatischen Verbindungen einsetzte, die für die Organisation der Expedition von Lepanto im Jahr 1571 erforderlich waren.
Bereits ein Jahrhundert zuvor war 1456 die Befreiung Belgrads der Kirche zu verdanken, für die alle Geistlichen besteuert und eine christliche Armee versammelt wurde. Es war einer ihrer Männer, der heilige Franziskaner Johannes Capistranus, der die bewaffnete Schar entflammte und Johann Hunyadi den Sieg ermöglichte. Dieser Tag wird immer noch gefeiert, es ist der 6. August, das Fest der Verklärung (eingeführt, um die Freude zu symbolisieren, die das Gesicht Europas ‚verklärt‘ hat). Seitdem läuten auf Anweisung von Papst Calixtus II. zur Mittagsstunde die Glocken der gesamten Christenheit.
1683 war es erneut ein Papst, der Wien von der Belagerung durch die Mohammedaner (Wien, im Herzen Europas) befreite und finanziell alles aufbot, was ihm zur Verfügung stand (der deutsche Kaiser Leopold I. hatte keinen Taler). Und wieder trat ein Franziskaner auf, der selige Marco d’Aviano, und spielte mit seinem Mut und seiner Entschlossenheit eine entscheidende Rolle, während Frankreich unter Ludwig XIV. mit den Türken „packelte“, wie man abschätzig in Wien sagte. Das war nichts Neues: Im Jahrhundert davor hatte das bereits der französische König Franz I. gegen Kaiser Karl V. getan.
Den Franziskanern ist die Kustodie für das Heilige Land deshalb anvertraut, weil sie den höchsten Blutzoll in den Beziehungen zum Islam zahlten. Die ersten fünf Getöteten des Ordens (die sogenannten franziskanischen Protomartyrer) predigten in Marokko. Als der portugiesische Regularkanoniker vom Heiligen Kreuz Fernando Martins de Bulhões ihre Leichen sah, beschloß er, Franziskaner zu werden. Mit dem Namen Antonius von Padua sollte er bekannt und heilig werden. Nur die Malaria zwang ihn, die beabsichtigte Mission im muslimischen Afrika aufzugeben.
Franz von Assisi selbst versuchte dreimal in die islamische Welt zu gehen, beim dritten Mal als Feldgeistlicher des Fünften Kreuzzuges. Bei dieser Gelegenheit forderte er Sultan Malik al-Kamil zur Feuerprobe auf, um zu sehen, wer zwischen Christus und Mohammed Recht hatte (aber die Mullahs lehnten vorsichtshalber ab).
Der Vater des christlich-muslimischen ‚Dialogs‘ ist immer noch der katalanische Franziskaner, der Diener Gottes Ramon Llull (Raimundus Lullus). Als ehemaliger Soldat gründete er im 13. Jahrhundert eine Schule, in der die Franziskaner Arabisch lernten und den Koran studierten, um den Kontakt zwischen den beiden Welten, der christlichen und der islamischen, zu suchen. Aber nach einem Leben, in dem er den Islam und die Muslime analysiert hatte (Llull gilt als einer der größten Gelehrten aller Zeiten), gelangte er zu dem Schluß, daß es keine Möglichkeit für einen sinnvollen Dialog mit dem Islam gab, und ging dazu über, den endgültigen Kreuzzug zu predigen, für den er die Verschmelzung aller christlichen Ritterorden erhoffte. Er starb in Afrika, gesteinigt. Man rate, von wem.
Diese historischen Beispiele könnten lange fortgesetzt werden, sie reichen, um Bücher zu füllen. Die Kirche, die die Völker zähmt und in Christus zivilisiert, also dem wahren Wesen des Menschseins näherbringt, hat es geschafft, die Hunnen und die Wikinger, die Magyaren und sogar die Vandalen zu zähmen. Aber mit den Muslimen ist sie nie, ich betone nie, zu einem wirklichen Ergebnis gekommen. Tatsächlich herrscht seit dem 7. Jahrhundert, von mehr oder weniger langen Intervallen abgesehen, ein dauerhafter Zustand des Konflikts. Das sage nicht ich, das sagt die Geschichte.
Zurück zur Ausgangsfrage: Warum sucht die Kirche heute also so verzweifelt nach einem Dialog, obwohl sie aus ihrer langen Erfahrung weiß, daß es sich um einen Dialog mit Gehörlosen handelt?
Weil es kein Abendland mehr gibt.
Die ausgesäten Dracheneier der -ismen (beginnend mit der Aufklärung und endend mit dem Kommunismus) haben das einstige Abendland, den Okzident oder Westen mit herabgelassenen Hosen zurückgelassen, und die Päpste wissen seit über zwei Jahrhunderten, daß niemand einen Finger rühren wird, um den armen Elenden zu helfen, die Christus bekennen (natürlich im Geheimen) an Orten, an denen Muslime herrschen.
Jedes ‚falsche‘ Wort des Papstes kann Tausende von Christen das Leben kosten, und niemand im einstigen Abendland, unserem Westen, wird es bekümmern. Es wird schon viel sein, wenn eine Zeitung in einem kleinen Absatz auf irgendeiner Innenseite darüber berichtet.
Deshalb muß sich die Kirche mit Ayatollahs und Imamen, Mullahs und Muftis befassen und auf ihr Wohlwollen hoffen. Leider wollte es das Schicksal, daß die Anhänger des „Propheten“ auf fast dem gesamten Erdöl der Welt sitzen und sich keinen Deut um wirtschaftliche Sanktionen scheren müssen. Daher der ‚Dialog‘.
*Rino Cammilleri, 1950 auf Sizilien geboren, Studium der Politikwissenschaften, militanter Aktivist der außerparlamentarischen Linken, Bekehrung zum katholischen Glauben, akademische Laufbahn, Dozent für Diplomatisches und Konsularisches Recht und Soziologie an der Universität Pisa, lebt heute als freier Publizist in Mailand.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: NBQ