Was das Zweite Vatikanische Konzil wirklich war – laut einem Papabile

Die Hoffnungen und Enttäuschungen von Kardinal Matteo Zuppi


Eine Bilanz des Zweiten Vatikanischen Konzil aus dem Mund eines bergoglianischen Papabile.
Eine Bilanz des Zweiten Vatikanischen Konzils aus dem Mund eines bergoglianischen Papabile.

Am 11. Okto­ber vor 60 Jah­ren wur­de das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil eröff­net. Aus die­sem Anlaß wur­de mit Kar­di­nal Matteo Zup­pi ein Inter­view geführt, um Rück­schau zu hal­ten und Bilanz zu zie­hen: Was war das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil und was ist davon geblie­ben? Matteo Zup­pi, Mit­glied der Gemein­schaft von San­t’E­gi­dio, wur­de 2015 von Papst Fran­zis­kus, ganz im Sin­ne einer berg­o­glia­ni­schen „Freund­lich­keit“, als Nach­fol­ger von Car­lo Kar­di­nal Caf­farra zum Erz­bi­schof von Bolo­gna ernannt, 2017 von Fran­zis­kus in Bolo­gna besucht, 2019 zum Kar­di­nal kre­iert und 2022 von ihm in sei­ner Ver­tre­tung zum Vor­sit­zen­den der Ita­lie­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz ernannt. Seit er den Pur­pur erhielt, gilt Kar­di­nal Zup­pi als mög­li­cher Papa­bi­le im kom­men­den Kon­kla­ve, wes­halb sei­nen Aus­füh­run­gen beson­de­re Bedeu­tung zukommt. Die Histo­ri­ke­rin und Publi­zi­stin Cri­sti­na Sic­car­di ana­ly­sier­te das Interview.

Das Zweite Vaticanum und die Hoffnungen und Enttäuschungen von Kardinal Zuppi

Anzei­ge

Von Cri­sti­na Siccardi*

Als das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil vor 60 Jah­ren, am 11. Okto­ber 1962, eröff­net wur­de, war die pro­gres­si­ve Frak­ti­on der Ver­samm­lung, eine Min­der­heit, am Schar­ren. Ihre Haupt­ak­teu­re stan­den bereit, vor­be­rei­tet und enthu­sia­stisch, für die revo­lu­tio­nä­ren Ver­än­de­run­gen, die dank Papst Johan­nes XXIII. kom­men soll­ten, der ohne erkenn­ba­ren Grund beschlos­sen hat­te, ein Kon­zil für eine Kir­che ein­zu­be­ru­fen, die durch neue und auf­re­gen­de Zie­le „ent­staubt“ wer­den soll­te – vor allem dadurch, nicht mehr die theo­lo­gi­schen Irr­tü­mer und Feh­ler der Welt zu ver­ur­tei­len, son­dern ent­schlos­sen sich auf die säku­la­ri­sier­ten und anti­christ­li­chen „Zei­chen der Zeit“ ein­zu­las­sen und ihnen zu folgen.

Die Zeit ist, wie man so schön sagt, ein „Gen­tle­man“, wir müs­sen nur die Tugend der Geduld üben, und die Ursa­chen die­ser revo­lu­tio­nä­ren Ent­schei­dun­gen haben zu einer phy­sio­lo­gi­schen Ent­glei­sung ihrer Aus­wir­kun­gen geführt. Durch den Lauf der Jahr­zehn­te kön­nen wir eine fun­dier­te Ein­schät­zung von Moti­ven und Fol­gen vor­neh­men und haben dafür den Beweis in den Prot­ago­ni­sten jener Zeit selbst, die wir mit gro­ßer christ­li­cher Pie­tät hören und lesen. In ihren Aus­füh­run­gen ist eine Armut und Karg­heit, die pein­lich beein­druckt: Es sind ehe­ma­li­ge Revo­lu­tio­nä­re, die sich selbst glo­ri­fi­ziert haben und nun fas­sungs­los sind, nichts mehr zu sagen haben und im Dun­keln tap­pen, indem sie Halt suchen, den sie nicht fin­den, und über die Scher­ben stol­pern, die sie selbst zer­bro­chen haben.

Es ist eine sich auf­lö­sen­de ver­welt­lich­te Kir­che, die kei­ne Ant­wor­ten mehr hat, die nichts mehr zu leh­ren hat und die sich gegen­über allen – außer der Kir­che aller Zei­ten – auf eine Hal­tung des „Zuhö­rens“ als letz­ten Zweck beschränkt. Die zehn ägyp­ti­schen Pla­gen haben Rom erreicht, doch wie der anti­ke Pha­rao zur Zeit des Mose bre­chen die­se Kir­chen­män­ner lie­ber mit einem beein­drucken­den Stolz zusam­men, als sich zu beu­gen. Sie üben kei­ne Selbst­kri­tik und knien nicht mehr vor Gott nie­der, son­dern wie­der und wie­der und sinn­frei vor den Menschen.

All das konn­ten wir am 6. Okto­ber auf dra­ma­ti­sche Wei­se und mit außer­ge­wöhn­li­chen Bewei­sen in einem Inter­view mit Kar­di­nal Matteo Zup­pi, Erz­bi­schof von Bolo­gna und Vor­sit­zen­der der Ita­lie­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz, im Fern­seh­sen­der der Bischö­fe TV2000, über­nom­men auch von der Tages­zei­tung der Bischö­fe Avve­ni­re, erle­ben. Die Ant­wor­ten, die Gen­na­ro Fer­ra­ra, dem Gast­ge­ber des Abends, gege­ben wur­den, an dem auch Mon­si­gno­re Lui­gi Bet­taz­zi, der letz­te noch leben­de ita­lie­ni­sche Kon­zils­va­ter, teil­nahm (die ande­ren Gäste waren: die Theo­lo­gin Simo­na Sego­lo­ni; der Jour­na­list und Vati­ka­nist Gian Fran­co Svi­der­co­schi; Erne­sto Pre­zio­si, Prä­si­dent des Zen­trums für histo­ri­sche und sozia­le Stu­di­en CENSES; Rober­to Bet­taz­zi, der Gitar­rist der ersten Beat-Mes­se in Ita­li­en, die am 26. Janu­ar 1969 in der Kir­che San­ta Maria di Cafag­gio gefei­ert und vom Isti­tu­to Luce gefilmt wur­de), waren stot­ternd, hin­kend, unsi­cher, ver­schwom­men, vol­ler „viel­leicht“ und Kon­di­tio­nal­sät­zen im Kon­junk­tiv, ohne jemals die Stur­heit auf­zu­ge­ben, trotz der schlech­ten Früch­te die­ses Bau­mes auf dem Weg der Kon­zils­irr­tü­mer zu ver­har­ren. Der Titel der Sen­dung lau­te­te „1962–2022: das Kon­zil der Zukunft“, bei der mit gro­ßer Klar­heit die Wahr­heit zuta­ge trat, was das Kon­zil objek­tiv wirk­lich war: eine auf Sand gebau­te Sandburg.

Der Kar­di­nal schaff­te es, in den knapp 18 Minu­ten und 54 Sekun­den (samt den Fra­gen und einem doku­men­ta­ri­schen Ein­schub von Papst Fran­zis­kus), den authen­ti­schen Sinn die­ses Kon­zils und des­sen, was es her­vor­ge­bracht hat, zu ver­mit­teln: eine Kata­stro­phe, die regel­rech­te Selbst­zer­stö­rung der Kir­che. Aber sehen wir uns im Detail an, was gesagt wur­de, um die­ses 60. Jah­res­ta­ges der Illu­sio­nen und zuwei­len Hal­lu­zi­na­tio­nen zu „geden­ken“ (bes­ser gesagt, ihn zu ver­sen­ken), die damals gerit­ten und völ­lig ent­täuscht wurden.

Aus­gangs­punkt war der Abend des 11. Okto­ber 1962, des Tags, an dem Matteo Zup­pi sei­nen sieb­ten Geburts­tag fei­er­te. Von die­sem Tag erin­nert er sich jedoch an nichts mehr und sag­te: „Viel­leicht habe ich die Strei­chel­ein­hei­ten bekom­men, die mir, sagen wir, von Papst Johan­nes emp­foh­len wur­den“ (gemeint ist die medi­en­wirk­sa­me legen­dä­re „Mond­re­de“). Er kommt daher sofort auf die Erin­ne­run­gen sei­nes Vaters zu spre­chen, der bei der Sonn­tags­aus­ga­be des Osser­va­to­re Roma­no arbei­te­te und sich bei der Aus­ga­be zum Kon­zils­ab­schluß außer­or­dent­lich enga­gier­te: „Ich bewah­re sie noch immer mit so vie­len Zeug­nis­sen auf, genau mit die­ser Kon­zil­s­emo­ti­on des Kon­zils­ab­schlus­ses“. In den 1970er Jah­ren war Zup­pi ein akti­ver Haupt­dar­stel­ler des kirch­li­chen „Früh­lings“ in der Gemein­schaft San­t’E­gi­dio. Die­se Jah­re, so der Mode­ra­tor, waren vol­ler Hoff­nun­gen und Erwar­tun­gen an die Kir­che und die Welt, wes­halb er, um bei der Kir­che zu blei­ben, die Fra­ge stell­te: „Wel­che der Erwar­tun­gen, die Sie als Jun­ge hat­ten, haben sich Ihrer Mei­nung nach erfüllt und wel­che wur­den dage­gen ent­täuscht?“ Zup­pi ant­wor­te­te wie folgt: „Gute Fra­ge. Die viel­leicht am mei­sten erfüll­te Erwar­tung ist die des Wor­tes [Got­tes], schließ­lich war es die Ent­deckung des Wor­tes, der All­täg­lich­keit des Wor­tes einer Kir­che und eines Evan­ge­li­ums, die nicht in den Sakri­stei­en oder in der sakra­len Sphä­re ver­schlos­sen blieb, son­dern uns beglei­te­te.“ Daher, so Fer­ra­ra, „die per­sön­li­che Lek­tü­re“, was Zup­pi bekräf­tig­te: „Die klei­nen Bibeln, viel­leicht erin­nert sich jemand an die Flo­ren­ti­ner, die vom Ver­lag Fio­ren­ti­na, die­se klei­nen, die­se ersten klei­nen Bibel­chen“, die zu den Ver­samm­lun­gen mit­ge­bracht wur­den, „das war eine Beglei­tung, eine Ent­deckung, sagen wir eines Evan­ge­li­ums, das man in der Tasche trug, genau, sagen wir es ein­mal so“, „und viel­leicht haben wir das ein wenig ver­ges­sen und es zu sehr dem Lek­tio­nar über­las­sen, und das ist gut so, aber viel­leicht soll­ten wir mehr als das Sonn­tags- oder Wochen­tags­lek­tio­nar eine per­sön­li­che, direk­te Bezie­hung zum Wort haben“.

Und wor­in blieb er enttäuscht? 

Kar­di­nal Zup­pi:Auch dort war eine gro­ße Ent­deckung jener Jah­re die Gemein­schaft, eine Dimen­si­on der Gemein­schaft… Die Kir­che war Gemein­schaft… Das Risi­ko besteht dar­in, daß wir Gemein­schaft zum Eti­kett mach­ten, aber es zu wenig gewor­den sind… Die Kir­che ist zu wenig Gemein­schaft gewor­den… zu sehr Indi­vi­du­um… manch­mal… so… daß… eine Bezie­hung mehr der Orga­ni­sa­ti­on… mehr struk­tu­rell als die schö­ne Ent­deckung der Dimen­si­on der Brü­der­lich­keit, der Gemein­schaft, der Fami­lie… Ich wür­de sagen, daß sie sich viel­leicht nicht so sehr ver­än­dert hat, wie sie es hät­te tun kön­nen und sol­len, wie die Kir­che zu sein hat.“

Die Idee, die hin­ter der Aus­wahl des Titels für den Abend stand, bezog sich auf den vom Kon­zil auf­ge­zeig­ten Weg und somit auf die Fra­ge Fer­ra­ras: „Ist es immer noch ein Weg, der zu gehen ist? Was bedeu­tet es zu sagen, daß wir ein­fach dem aus­ge­wie­se­nen Weg fol­gen müs­sen? Oder, wenn wir mit dem Titel spie­len: Brau­chen wir gar ein neu­es Konzil?“

Kar­di­nal Zup­pi: „Nein, erst ein­mal müs­sen wir es noch ver­ste­hen, es leben. Das Kon­zil… es gibt eine Les­art, es gibt natür­lich die­sen Geist, die­sen Enthu­si­as­mus, die­se Per­spek­ti­ve… die wir noch in die Pra­xis umset­zen müs­sen… Alle Kon­zi­le hat­ten offen­sicht­lich einen… ihre Zei­ten. Nicht? … Zei­ten der Umset­zung, weil die Kir­che ein sehr kom­pli­zier­ter Kör­per ist… es ist nie eine Richt­li­nie, selbst in den ver­ti­kal­sten Zei­ten war es nie so… ein Knopf, etwas, das dann her­ab­stieg… nach Mei­nung eini­ger ist sogar das Kon­zil von Tri­ent in irgend­ei­nem Teil nicht ange­kom­men, also geschwei­ge denn… wir haben noch Zeit, sagen wir es so. Aber wir müs­sen… und ich habe den Ein­druck, daß wir sie voll und ganz leben… die­se Suche.“

Kar­di­nal Zup­pi zitier­te dann Bene­dikt XVI., indem er ihm Wor­te zuschrieb, die sich aller­dings nicht fin­den lassen.

Kar­di­nal Zup­pi: „Vor zehn Jah­ren hielt Papst Bene­dikt eine sehr wich­ti­ge Rede anläß­lich des 50. Jah­res­ta­ges der Kon­zils­er­öff­nung, in der er sag­te: ‚Wir müs­sen die­se nüch­ter­ne Trun­ken­heit des Kon­zils leben, die auch von den Ent­täu­schun­gen geprägt ist, die die­ser Enthu­si­as­mus in Wirk­lich­keit damals ver­ur­sacht hat, bes­ser… die die­ser Enthu­si­as­mus, die­se Hoff­nung, die Erwar­tung, die das Kon­zil in sich trug, nicht zu ver­wirk­li­chen wuß­te. Wir müs­sen wie­der von die­ser nüch­ter­nen Trun­ken­heit aus­ge­hen, von die­sem Pfing­sten.‘ Der Papst sag­te: ‚Was müs­sen wir tun? Uns wie­der auf den Weg machen. Wie­der auf­bre­chen‘, und er zeig­te auf den Weg nach Sant­ia­go, um zu sagen, schau, ‚so vie­le bre­chen auf, machen sich auf den Weg, wir müs­sen mit ihnen gehen‘. Es scheint mir, daß das, was wir mit Papst Fran­zis­kus tun, gera­de weil wir heu­te die­se nüch­ter­ne Trun­ken­heit auch mit der Lei­den­schaft und dem Enthu­si­as­mus wie­der­erle­ben müs­sen, wenn wir so wol­len, auch mit die­ser Nai­vi­tät, die­ser Hoff­nung, die das Kon­zil… gebo­ten hat… auch wenn wir vie­le Schwie­rig­kei­ten fest­stel­len, und wir auch vie­le Pro­ble­me fest­ge­stellt haben, die uns in die­sen Jah­ren beglei­tet haben.“

Las­sen Sie uns, wirft Fer­ra­ra ein, über die­se Rei­se spre­chen, die offen­sicht­lich eine Rei­se nach vorn ist. Zup­pi sagt: „Man­che Leu­te wür­den es vor­zie­hen, rück­wärts zu gehen“, und zwi­schen einem Kichern und dem näch­sten fügt der Kar­di­nal hin­zu: „Die besten Wün­sche… im all­ge­mei­nen aber… jeden­falls geht das Leben weiter“.

Uns stellt sich spon­tan die Fra­ge: Wei­ter­ge­hen, obwohl wir uns ver­lau­fen haben und wei­ter im Dun­keln tappen?

Gen­na­ro Fer­ra­ra erin­ner­te dann dar­an, daß der Kar­di­nal kürz­lich in einem Inter­view mit dem Osser­va­to­re Roma­no gesagt hat­te, daß wir kei­ne Nost­al­gie nach der Chri­sten­heit haben brau­chen, daß wir die Logik der Zah­len über­win­den müs­sen, daß wir auf den Durst ach­ten und nicht über die Wüste kla­gen sol­len. „Was bedeu­tet das kon­kret für die Kir­che?

Kar­di­nal Zup­pi: „Nun… äh… es bedeu­tet… sagen wir, daß wir manch­mal das Gefühl haben… alles hat sich ver­än­dert, so viel hat sich ver­än­dert… viel­leicht gelan­gen wir zu einer star­ken Wahr­neh­mung davon, weil sich so vie­le Gemein­den phy­sisch ver­än­dern… der Ein­druck ist, daß… die Idee war, daß wir alles unter Kon­trol­le hat­ten, wir aber nicht mehr alles unter Kon­trol­le haben. In Wirk­lich­keit hat­ten die sen­si­bel­sten Men­schen die­se Erfah­rung schon gemacht, sie hat­ten es vor 80 Jah­ren ver­stan­den. Es beein­druckt mich immer, daß Don Pri­mo Maz­zo­la­ri 1938 das Buch I lon­ta­ni (Die Fer­nen) geschrie­ben hat und der Papst… Bischof Mon­ti­ni in Mai­land eine Volks­mis­si­on ins Leben geru­fen hat, gera­de weil er die Distanz, die Fer­ne gan­zer Bevöl­ke­rungs­schich­ten, vor allem der Arbei­ter­schaft, gespürt hat. Frank­reich, ein Mis­si­ons­land, war die gro­ße Fra­ge der 40er Jah­re… Was ich damit sagen will, ist, daß es ein Ver­ständ­nis gibt… sie hat­ten es schon vor dem Kon­zil geahnt… das Kon­zil war eine gro­ße Gele­gen­heit, zu den Men­schen zu spre­chen, den Men­schen von heu­te zu sagen, daß das Evan­ge­li­um nicht etwas aus der Ver­gan­gen­heit ist, von die­sem gro­ßen Para­dig­ma, das Paul VI. ange­deu­tet hat­te, das des Sama­ri­ters, das war die gro­ße Per­spek­ti­ve des Kon­zils. Ich wür­de sagen, daß wir heu­te wie­der mit allen ins Gespräch kom­men, und das ist auch ein… wir tun uns schwe­rer, wir stel­len auch eine Distanz fest, aber auch vie­le Fra­gen… die wir… die wir wie­der­fin­den, viel­leicht auf eine ande­re Art und Wei­se, mit ande­ren Moda­li­tä­ten, die uns manch­mal zu weit weg schei­nen… die wir nicht voll­stän­dig ent­schlüs­seln kön­nen, in Wirk­lich­keit scheint mir, daß die Per­spek­ti­ve von Evan­ge­lii gau­di­um genau dar­in besteht, uns auf die Stra­ße zu bege­ben, um wie­der mit allen zu spre­chen, um die vie­len Fra­gen zu ver­ste­hen, die ver­bor­gen sind, die viel­leicht… die anders for­mu­liert sind, aber die den­noch die Fra­gen sind, auf die das Evan­ge­li­um antwortet.“

Dann ging es mit dem The­ma der Kol­le­gia­li­tät wei­ter, einer Dimen­si­on, die mit der Syn­ode 2021–2023 unter dem Mot­to „Laßt uns gemein­sam als Kir­che im Hei­li­gen Geist wan­deln“ gelebt wird, ein Titel, der exakt an den Hir­ten­brief von Kar­di­nal Miche­le Pel­le­gri­no, damals Erz­bi­schof von Turin, vom 8. Dezem­ber 1971 erin­nert. Ver­zei­hen Sie, Herr Vor­sit­zen­der der ita­lie­ni­schen Bischö­fe, und das soll zukunfts­wei­send und weit­blickend sein? Wäre das ein Schritt vor­wärts, wohin? Sehen Sie nicht den Abgrund der See­len, die nicht ein­fach nur gehört wer­den wol­len, son­dern sich nach star­ken, ernst­haf­ten, muti­gen, kraft­vol­len geist­li­chen, evan­ge­li­schen und lehr­mä­ßi­gen Unter­wei­sun­gen von Ihnen, den Erben der Apo­stel, sehnen?

Bischof Bet­taz­zi hat­te vor Zup­pi erzählt, wie sehr er sich gefreut hat­te, bei der Ver­samm­lung 2500 Kon­zils­vä­ter aus der gan­zen Welt zu sehen: ein Bild der kol­le­gia­len, gemein­schaft­li­chen Kir­che. Die Syn­ode, so wur­de erklärt, knüp­fe an das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil an. Und was ist mit dem gan­zen Rest der zwei­tau­send­jäh­ri­gen Kir­che, wo ist er geblie­ben? Zup­pi sag­te dazu: „Die Syn­oda­li­tät ist der Weg, auf das gan­ze Volk Got­tes zu hören, wes­halb sie es [das Kon­zil] ver­voll­stän­digt“; „Die drei Tei­le: der Pri­mat des Pap­stes, die Kol­le­gia­li­tät als gro­ße Ent­deckung und Bewußt­sein des Kon­zils, also die Bischö­fe, die Syn­oda­li­tät, und das gan­ze Volk Got­tes. Sie ergän­zen sich alle gegenseitig.“

Schließ­lich folg­te eine Fra­ge des Inter­view­ers zur Lit­ur­gie: „Spre­chen wir über die Lit­ur­gie: Ist sie ein erfüll­tes oder ent­täusch­tes Ver­spre­chen? Einer­seits ist sie eine Frucht des Kon­zils, in der heu­ti­gen Spra­che und nicht mehr auf Latein, und doch kann man die­ses Vor­ha­ben, die Lit­ur­gie dem Leben derer, die sie fei­ern, näher­zu­brin­gen, auch heu­te noch nicht als voll­endet bezeich­nen…“.

Kar­di­nal Zup­pi: „Es gibt zwei Dimen­sio­nen, die sich in der Eucha­ri­stie­fei­er, in der Lit­ur­gie, begeg­nen: die hori­zon­ta­le und die ver­ti­ka­le. Ich glau­be, wir müs­sen sowohl die eine als auch die ande­re zurück­ge­win­nen, und es ist kein Zufall, daß Papst Fran­zis­kus so sehr auf der ars cele­bran­di, auf der Homi­lie, auf der Teil­nah­me der Gemein­schaft an der Eucha­ri­stie­fei­er bestan­den hat. Die ver­ti­ka­le Dimen­si­on ist die­je­ni­ge… die­je­ni­ge, die viel­leicht in den Jah­ren nach dem Kon­zil vor allem mehr bei­sei­te gelas­sen wur­de, weil es einen gro­ßen Sinn für die Gemein­schaft gab, der vor­herr­schend war, für die Begeg­nung, für die Ver­samm­lung, für die Fami­lie Got­tes, für das Volk, das sich ver­sam­mel­te… Ich glau­be, wir müs­sen uns sehr um die Fei­er küm­mern, indem wir die­se bei­den Dimen­sio­nen wie­der­her­stel­len. Es gibt kei­ne Dimen­si­on… Wir kön­nen die hori­zon­ta­le Dimen­si­on der Teil­nah­me an der Ver­samm­lung, von der Sie spra­chen, der Teil­nah­me der Ver­samm­lung, der Auf­merk­sam­keit für das Leben, also das Leben, das in eucha­ri­sti­sche Zele­bra­ti­on ein­tritt, nicht wie­der­ge­win­nen, ohne die hori­zon­ta­le… Und dann hat­te Bolo­gna Kar­di­nal Ler­ca­ro, der, wie ich sagen wür­de, viel­leicht der Haupt­in­ter­pret des Kon­zils der Lit­ur­gie­re­form war, und es scheint mir, dass ich auch heu­te noch in den Kir­chen von Bolo­gna so viel Auf­merk­sam­keit und so viel Sorg­falt fin­de, die von der Auf­merk­sam­keit von Kar­di­nal Ler­ca­ro her­rüh­ren, daß er in vie­len, eini­gen der Altä­re der vie­len Kir­chen, die er gebaut hat, die­sen Vers aus der Dida­ché ange­bracht hat: ‚Wenn wir das Brot des Him­mels tei­len, wie soll­ten wir dann nicht auch das Brot der Erde teilen?‘“

Begei­stert von den musi­ka­li­schen Neue­run­gen, die die Lit­ur­gie­re­form (Revo­lu­ti­on der Lit­ur­gie) mit sich brach­te, erzähl­te Zup­pi lächelnd: „Ich hat­te eine gro­ße Lei­den­schaft für die soge­nann­te Beat-Mes­se.

Das ist das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil und das ist die Kir­che, laut Kar­di­nal Matteo Zuppi.

Nur noch eine Bemer­kung: Vie­les wird sich ändern müs­sen, und die Anzei­chen dafür, wenn auch miß­han­delt und iso­liert, sind bereits sicht­bar (auch dank des Inter­nets, das sie öffent­lich macht) im Unbe­ha­gen sehr vie­ler Gewis­sen auf der gan­zen Welt, die allen Gene­ra­tio­nen und allen sozia­len Schich­ten ange­hö­ren, ein­schließ­lich jener der Prie­ster und der Ordens­leu­te, Gewis­sen nicht des „Vol­kes Got­tes“, son­dern derer, die treu geblie­ben sind und derer, die dem Weg, der Wahr­heit und dem Leben treu sein wollen.

*Cri­sti­na Sic­car­di, Histo­ri­ke­rin und Publi­zi­stin, zu ihren jüng­sten Buch­pu­bli­ka­tio­nen gehö­ren „L’inverno del­la Chie­sa dopo il Con­ci­lio Vati­ca­no II“ (Der Win­ter der Kir­che nach dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil. Ver­än­de­run­gen und Ursa­chen, 2013); „San Pio X“ (Der hei­li­ge Pius X. Das Leben des Pap­stes, der die Kir­che geord­net und refor­miert hat, 2014); „San Fran­ces­co“ (Hei­li­ger Fran­zis­kus. Eine der am mei­sten ver­zerr­ten Gestal­ten der Geschich­te, 2019).

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana


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