
(Rom) Am vergangenen Samstag, dem 2. Juli, führte Philip Pullella, Vatikan-Korrespondent von Reuters, ein ausführliches Interview mit Papst Franziskus, das am Montag veröffentlicht wurde. Ein Abschnitt ist der Volksrepublik China gewidmet. Darin bekräftigte Franziskus seine Haltung, daß das Geheimabkommen zwischen dem Vatikan und Peking zwar „nicht ideal“ sei, aber „funktioniert“. Deshalb hofft das Kirchenoberhaupt, daß die Vereinbarung im kommenden Herbst ein zweites Mal verlängert wird.
Das Geheimabkommen war im September 2018 zwischen dem Heiligen Stuhl und der kommunistischen Staatsführung Chinas unterzeichnet worden. Obwohl über den genauen Inhalt Stillschweigen herrscht, ist bekannt, daß es darin um die Bischofsernennungen geht.
Trotz massiver Kritik, insbesondere durch Kardinal Joseph Zen, die graue Eminenz der katholischen Untergrundkirche in China, wurde das Abkommen im Herbst 2020 für weitere zwei Jahre verlängert. Nun äußerte Papst Franziskus die Hoffnung auf eine weitere Verlängerung, die im kommenden Herbst ansteht.
Das erklärte Ziel des Vatikans ist, mit dem Abkommen das Schisma in der Kirche in China zu überwinden. Zu diesem war es Ende der 1950er Jahre gekommen, als die Kommunistische Partei Chinas zur besseren Kontrolle der Kirche eine regimehörige, von Rom losgelöste Kirche errichtete, die unter der Bezeichnung Patriotische Vereinigung bekannt wurde.
Als Vorbedingung des Abkommens hob Franziskus die Exkommunikation aller schismatischen Bischöfe auf und erkannte sie als legitime katholische Bischöfe an. Er ernannte jeden von ihnen zu einem kirchlich anerkannten Diözesanbischof. Dafür mußten zwei romtreue Bischöfe zurücktreten, damit bisher schismatische Bischöfe den Bischofsstuhl einnehmen konnten.
Im Gegenzug erkennen die bis dahin schismatischen Bischöfe den Papst als Kirchenoberhaupt an. Allerdings gaben sie gleich nach der Unterzeichnung des Geheimabkommens auch ein Treuebekenntnis zur Kommunistischen Partei ab.
Trotz des Geheimabkommens ist weiterhin fast die Hälfte der chinesischen Bischofssitze unbesetzt. Auch das erhoffte Ende staatlicher Repression trat nicht ein. Auch nach der Unterzeichnung des Abkommens wurden Kirchen zerstört, sowohl der romtreuen Untergrundkirche als auch der „offiziellen“ Kirche. Einige neue Bischöfe konnten ernannt werden, dafür wurden aber einige romtreue Bischöfe verhaftet. Kardinal Zen erklärte das Abkommen 2020 für gescheitert.
Ganz anders sieht das Papst Franziskus:
„Das Abkommen macht gute Fortschritte und ich hoffe, daß es im Oktober erneuert werden kann.“
Da es als „provisorisch“ gilt, beträgt seine Gültigkeit jeweils nur zwei Jahre.
In dem Reuters-Interview verteidigte Franziskus die Vereinbarung erneut als „Kunst des Möglichen“. Es gehe darum, so der Papst, mit dem Wenigen, das zur Verfügung stehe, zu arbeiten und zu versuchen, es zu verbessern.
Eine bemerkenswerte Einschätzung, zumal der bedeutendste Kritiker des Geheimabkommens, Kardinal Joseph Zen, erst am vergangenen 11. Mai in Hongkong unter fadenscheinigen Gründen festgenommen wurde und ihm nun der Prozeß gemacht wird. Davon sprach Franziskus nicht.
Schon in der Vergangenheit wurde das Thema Menschenrechte gemieden. Ebenso wie die Unterdrückung der Demokratiebewegung in Hongkong in Santa Marta nur sehr verhaltene Kritik auslösen konnte. Der inzwischen in den Ruhestand getretene politische Arm von Franziskus, Kurienbischof Marcelo Sánchez Sorondo, lobte im Vorfeld der Unterzeichnung des Geheimabkommens das kommunistische Regime Chinas als bestes Modell für die Globalisierung. Kurzum, die ganze Welt sollte einem totalitären KP-Regime unterworfen werden.
Stattdessen verglich er die Kritiker des Geheimabkommens mit jenen, die seine Vorgänger Johannes XXIII. und Paul VI. in den 60er und 70er Jahren wegen ihrer Politik „der kleinen Schritte“ kritisiert hatten. Das Ziel dieser Päpste sei es gewesen, die Kirche am Leben zu erhalten und ihre Verfolgung zu begrenzen, erklärte Franziskus und stellte sich selbst in die Tradition jener umstrittenen „Ostpolitik“. Die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. erwähnte er nicht. Wörtlich sagte er:
„Viele Leute haben viele Dinge gegen Johannes XXIII., gegen Paul VI. und gegen Casaroli gesagt.“
Kardinal Agostino Casaroli war der Architekt der vatikanischen „Ostpolitik“. Zuletzt bekleidete Casaroli das Amt des Kardinalstaatssekretärs. Franziskus weiter:
„So ist das mit der Diplomatie. Wenn man mit einer blockierten Situation konfrontiert ist, muß man den möglichen Weg finden, nicht den idealen Weg suchen, um aus ihr herauszukommen.“
„Diplomatie ist die Kunst des Möglichen und des Handelns, damit das Mögliche Wirklichkeit wird.“
Zum geringen Tempo der Bischofsernennungen in China – trotz des Geheimabkommens wurden in den vergangenen bald vier Jahren nur sechs Bischöfe ernannt –, sagte Franziskus:
„Die Ernennung von Bischöfen verläuft langsam, aber sie werden ernannt.“
Die Ernennungen erfolgten „auf die chinesische Art“, denn die Chinesen hätten ein anderes Zeitgefühl, sodaß man nichts überstürzen solle.
Die anhaltende Repression gegen die Christen reduzierte Franziskus auf „lokale“ Probleme:
„ Auch sie [die Chinesen] haben ihre eigenen Probleme, denn die Situation ist nicht in allen Regionen des Landes gleich. Auch die Behandlung [von Katholiken] hängt von den lokalen Verantwortlichen ab.“
Dabei wurde in diesen Tagen bekannt, daß das kommunistische Regime der Volksrepublik China Formen der Totalüberwachung einsetzt, die in der Menschheitsgeschichte beispiellos sind. Erst am Montag berichteten englische und russische Medien gleichermaßen entsetzt von einer Studie des Hefei Science Center, bei der an Mitgliedern der Kommunistischen Partei Chinas Tests durchgeführt wurden, um ihre Zuverlässigkeit und Linientreue gegenüber der Regierungspartei festzustellen. Dabei wurden 43 Probanden der Aufsicht von Künstlicher Intelligenz unterstellt. Das von den Wissenschaftlern entwickelte System wertet Gesichtsausdrücke und Gehirnströme aus. Die Techniken seien soweit entwickelt, daß sie kleinste Reaktionen interpretieren könnten.
Nachdem die Aufregung darüber sogar in China so groß war, löschte das Wissenschaftszentrum den Beitrag über die Studie von ihrer Internetseite, wie die Times berichtete. Die Tatsache bleibt jedoch und zeigt die Kehrseite auf: Selbst nützliche Instrumente können in den falschen Händen zur Bedrohung werden – auch die Digitalisierung, auch Künstliche Intelligenz…
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Reuters/VaticanMedia (Screenshot)