(Hong Kong) Kardinal Joseph Zen, unermüdliche und kraftvolle Stimme der chinesischen Untergrundkirche, will auch in Zukunft zur Lage in China nicht schweigen. Sein neues Buch läßt sich entsprechend mit den Worten zusammenfassen: „Ich schweige nicht!“
Am vergangenen Samstag, den 22. September, unterzeichnete der Heilige Stuhl ein „provisorisches“ Abkommen mit der Volksrepublik China – gegen den erklärten Willen von Kardinal Zen, der grauen Eminenz der romtreuen chinesischen Untergrundkirche.
Die Details des Abkommens sind unbekannt und sollen nach dem Willen der Unterzeichner auch bleiben. Kardinal Zen hält das kommunistische Regime aber grundsätzlich für nicht paktfähig. Das habe mit der atheistischen Staatsdoktrin und der damit verbundenen, konstitutiven Religionsfeindlichkeit zu tun. Die seit 1949 totalitär herrschende Kommunistische Partei Chinas sieht in der Religion nicht nur eine Konkurrenz, sondern eine Bedrohung. Das sei in den vergangenen vier Jahren durch antichristliche Aktionen und kirchenfeindliche Bestimmungen ausreichend unter Beweis gestellt worden. Das Regime wisse zwar aus Erfahrung, daß eine Auslöschung des Christentums unmöglich sei. Dafür wolle es jede religiöse Regung um so genauer kontrollieren und lenken.
Das Regime sei nur an noch mehr Kontrolle interessiert
Das sei der wirkliche Grund, so Kardinal Zen, weshalb sich das Regime überhaupt zu einem Abkommen mit dem Vatikan bereit fand. Das Regime erhoffe sich mit Hilfe Roms, eine noch größere Kontrolle über die Katholiken Rotchinas ausüben zu können. Bisher hatte sich ein erheblicher Teil im Rahmen der romtreuen Untergrundkirche dem Staat entzogen.
Rom betont die angestrebte Überwindung des Schismas und die Wiederherstellung der kirchlichen Einheit. Das sei zwar formal richtig, doch handle es sich um eine Wiederherstellung der Einheit unter staatlicher Kontrolle, und das sei ein Rückschritt. Die Kirche brauche mehr religiöse Freiheit und nicht mehr staatliche Überwachung.
Das Regime könne sich nun bei der Ausübung der totalen Kontrolle sogar auf Rom berufen, oder anders gesagt: Rom habe der Untergrundkirche faktisch die Unterstützung entzogen. Wer sich der staatliche Kontrolle nicht unterwerfe, stehe künftig alleine da.
Die regimehörigen, bisher schismatischen Bischöfe haben es Papst Franziskus nicht gedankt. Rom betont, daß sich erstmals wieder seit 1957 alle chinesischen Bischöfe in Einheit mit dem Papst befinden. Welche Einheit das aber genau sein solle, erscheint nicht nur Kardinal Zen zweifelhaft. Kurz nachdem die Unterzeichnung des Abkommens durch Rom offiziell bekanntgegeben wurde, gaben die regimehörigen Bischöfe, deren Exkommunikation Franziskus am Samstag aufhob, ein Treuebekenntnis zur Kommunistischen Partei ab, aber keines zum Papst. Dieser wurde erst gar nicht erwähnt. Ebensowenig wurde die Einheit betont, sondern im Gegenteil die „Unabhängigkeit“ und „Autonomie“ der „Katholischen Kirche Chinas“. Welche Einheit das also sein sollte, zumal die Einheit durch die Verbundenheit mit Petrus zum Ausdruck kommt, gehört zu den Rätseln der vom Vatikan derzeit betriebenen Annäherung an das kommunistische Großreich.
Das neue Buch: „Aus liebe zu meinem Volk“
Eine Gegenposition zur vatikanischen Neuauflage der „Ostpolitik“ legte Kardinal Joseph Zen nun auch schriftlich vor. „Aus Liebe zu meinem Volk schweige ich nicht“ (Originaltitel: Per amore del mio popolo non tacerò), lautet der Titel der Publikation, die bei Chorabooks in Hong Kong in italienischer Sprache erschienen ist. Die Veröffentlichung ist seit heute neben der gedruckten Ausgabe, die am 19. September erschienen ist, auch als E‑Book erhältlich.
Kardinal Zen liefert einen tiefen Einblick in die Lage der Kirche in China. Er skizziert in einem historischen Abriß die Brüche, die Herausforderungen und das Zeugnis einer überwältigenden Treue zu Christus und seiner Kirche. Ziel, so der Kardinal, sei die Wiederherstellung der kirchlichen Einheit, die von den kommunistischen Machthabern aus reinem Machtstreben 1957 zerstört wurde. Diese Versöhnung müsse jedoch in der Wahrheit und Freiheit erfolgen. Der vom Vatikan eingeschlagene Weg drohe diese Bestrebungen in eine Sackgasse zu führen und scheitern zu lassen. Das Abkommen, so der Kardinal, sei zum enormen Nachteil für die Kirche und begünstige das Regime. Die treuen Katholiken, die in der Untergrundkirche gegen jede Verfolgung ausgeharrt haben, würden nun dafür bestraft. Die schismatischen Katholiken, die sich dem kommunistischen Regime unterworfen und Karriere gemacht haben, werden von Rom belohnt.
Die Verfolgung der Christen habe in den vergangenen Jahren eine Intensivierung erlebt. Es stelle sich daher die grundsätzliche Frage, so der Kardinal, wie sinnvoll in einer solchen Situation ein Abkommen mit einem so feindselig gestimmten Gegenüber sei. Jeder Beobachter könne eine „schreckliche Verschlechterung“ der religiösen Freiheit in der Volksrepublik China feststellen. Was habe die Kirche also von einem Abkommen zu erwarten? Was zu gewinnen? Das Urteil des emeritierten Bischofs von Hong Kong fällt eindeutig und negativ aus. Es sei gerade so, als „würde man hoffen, der heilige Joseph könne durch einen Dialog mit Herodes etwas erreichen“.
Rückkehr zum Brief von Benedikt XVI.
Was sei also zu tun? Es brauche eine „Rückkehr zum Brief von Papst Benedikt XVI. an die chinesischen Katholiken“, so der Kardinal. Dieser Brief von 2007 „beweise eine große Liebe zur Kirche und zu den Chinesen. Er bringe aber auch die Notwendigkeit nach Wahrheit zum Ausdruck.“
Das am vergangenen Samstag unterzeichnete Abkommen sei hingegen „ein Meisterwerk“, allerdings „der Kreativität, mit vielen Worten nichts zu sagen“, so der Kardinal ironisch. „Man sagt, das Abkommen sei ‚provisorisch‘, ohne etwas über seine Dauer zu sagen. Man sagt, es werde periodische Überprüfungen geben, ohne zu sagen in welchem Abstand. Der Vatikan sagt, es sei ein Abkommen ‚über die Bischofsernennungen‘, ohne irgendwas über das Ergebnis zu sagen.“ Konkret sei nur die Aussage, daß ein Abkommen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Volksrepublik Chins über die Bischofsernennungen unterzeichnet wurde.
„Der ganze Rest sind nur sinnleere Worte.“
Kardinal Zen weiter:
„Wie lautet also die Botschaft, die der Heilige Stuhl den Gläubigen in China sendet? ‚Habt Vertrauen in uns und akzeptiert, was wir beschlossen haben‘? Und was wird die chinesische Regierung den Katholiken in China sagen? ‚Gehorcht uns, der Heilige Stuhl hat uns schon zugestimmt.
Einen Gehorsam zu fordern, ohne zu sagen, worum es überhaupt geht, ist ein ‚Kadavergehorsam‘, wie der heilige Ignatius sagt.“
Wer wirklich wissen will, was zwischen dem Vatikan und der Volksrepublik China derzeit geschieht, wird am neuen Buch von Kardinal Joseph Zen nicht vorbeikommen. Die Umschlagseite des Buches zeigt ein Bild von Kardinal Zen mit Papst Benedikt XVI. und nicht mit Papst Franziskus. Auch das ist eine Botschaft.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Chiesa e postconcilio/Chorabooks (Screenshot)