(Rom) Derzeit ist viel in Bewegung, politisch wie kirchlich – und nicht überall werden die beiden Bereiche voneinander getrennt. Vor allem nicht im Rahmen der neuen „Ostpolitik“ des Vatikans.
Kardinal Tagles Sprung nach Rom
Kardinal Luis Antonio Tagle hat den Sprung von den Philippinen nach Rom absolviert und sein neues Amt als Präfekt der Kongregation für die Evangelisierung der Völker angetreten. Immerhin gilt er manchen Kirchenkreisen schon seit mehreren Jahren als der „vollkommene Franziskus-Interpret“ und damit als „idealer Nachfolger“ von Papst Franziskus.
Am 8. Dezember 2019 berief ihn Franziskus an den Heiligen Stuhl (siehe Der Aufstieg des Luis Antonio Tagle). Am vergangenen Sonntag zelebrierte der Kardinal seine letzte Messe als Erzbischof von Manila. Bereits am späteren Abend startete sein Flugzeug Richtung Italien.
Am Montag, als Tagle bereits in Rom gelandet war, gab das vatikanische Presseamt bekannt, daß Papst Franziskus Weihbischof Broderick Pabillo zum Apostolischen Administrator sede vacante des Erzbistums Manila ernannt hatte. Msgr. Pabillo gehört zu den Kritikern des kirchenfeindlichen Staatspräsidenten Rodrigo Duterte, der seit Juni 2016 das volkreichste katholische Land Asiens regiert. Um genau zu sein, sind die Philippinen neben Osttimor, das seit 2002 selbständig ist, das einzige katholische Land des größten Kontinents der Erde.
Die Berufung von Kardinal Tagle nach Rom wird als weitere Etappe auf dem Weg der Nachfolgeregelung für Papst Franziskus gesehen. Aber diesbezüglich hält derzeit niemand das letzte Wort für gesprochen.
Der Verzicht von Kardinal Marx
Unterdessen gab Kardinal Reinhard Marx, der mächtigste Kirchenmann Europas, bekannt, nach zwei Amtsperioden, also sechs Jahren an der Spitze der Deutschen Bischofskonferenz, nicht mehr für das Amt des Vorsitzenden zu kandidieren. Die Ankündigung erfolgte überraschend, nachdem er erst vor zehn Tagen die erste Runde des von ihm gewollten „Synodalen Weges“ im alten Frankfurter Dom hatte durchführen können. An diesem „Synodalen Weg“ scheiden sich die Geister, vor allem der Weltkirche außerhalb Deutschlands. John Henry Westen, der Chefredakteur von LifeSiteNews, warf Kardinal Marx bei einer Pressekonferenz am 18. Januar in München vor, ein „falscher Prophet“ zu sein.
Als „Zeichen der Mißbilligung“ wird von manchen gewertet, daß der jüngste Sturm das Dach des Frankfurter Kaiserdoms St. Bartholomäus beschädigte, wo Kardinal Marx die „seltsame Synode“ durchführen ließ.
Das dürfte Marx allerdings weniger beeindruckt haben. Wesentlicher ist, daß er am 3. Februar, gleich nach der ersten Etappe des „Synodalen Weges“, nach Rom eilte und von Papst Franziskus in Audienz empfangen wurde. Über den Inhalt des Gesprächs wurde nichts bekanntgegeben. Die nun erfolgte Ankündigung steht damit aber sicher in Zusammenhang. Die nächsten Wochen werden mehr Klarheit bringen. Bekannt ist, daß sich Franziskus und der machtbewußte deutsche Kardinal charakterlich nicht sehr nahestehen, aber durch eine gemeinsame Agenda verbunden sind. In den Details gehen die Meinungen allerdings auseinander. Franziskus mag es gar nicht, wenn man ihn zu etwas drängen will. Er will Wegbegleiter, aber größtmöglichen Spielraum.
Bisher war nur einmal, mit Kardinal Karl Lehmann, ein einfacher Bischof Vorsitzender der Bischofskonferenz. Mainz war allerdings früher das größte Bistum des Reiches und der Bischofsstuhl mit der Kurfürstenstimme verbunden. Lehmann führten allerdings andere Eigenschaften an die Spitze der Deutschen Bischofskonferenz, an der er gleich von 1987–2008 verharrte, am längsten von allen Vorsitzenden. Nur Kardinal Adolf Bertram, Fürsterzbischof von Breslau, war von 1920–1945 länger im Amt, allerdings damals noch der Fuldaer Bischofskonferenz. Da das Erzbistum Köln zuletzt 1987 den Vorsitzenden stellte, wäre der bedeutendste Bischofssitz wieder an der Reihe. Kardinal Rainer Woelki vertritt aber nur eine Minderheit unter den Bischöfen, wie seine Eingabe an den Papst mit nur sechs Mitbrüdern gegen die Einführung der Interkommunion zeigte. Damit ist nicht ausgeschlossen, daß mit Franz-Josef Bode, Bischof von Paderborn, erneut ein einfacher Bischof an die Spitze tritt und die Kirche in Deutschland vom Regen in die Traufe kommt. Als „Kompromißkandidat“ scheint Heiner Koch, der Erzbischof von Berlin, bereitzustehen, was den Zustand der Kirche in der Bundesrepublik Deutschland trefflich beschreibt.
Hong Kongs Bischof von Pekings Gnaden
Von noch größerer Bedeutung ist aktuell die Ernennung des neuen Bischofs von Hong Kong. Von 1996 bis 2009 wurde das Bistum vom Salesianer Joseph Kardinal Zen geleitet, zunächst als Bischof-Koadjutor, ab 2002 als Bischof. 2006 erhob ihn Papst Benedikt XVI. in den Kardinalsrang. In Zens Amtszeit fielen der Rückzug Großbritanniens aus der einstigen Kronkolonie und die Rückgabe des Stadtstaates an die Volksrepublik China. Seither ist Hong Kong eine demokratische Enklave im kommunistischen Großreich. Diese Situation machte Kardinal Zen, der in Hong Kong mehr Spielraum besaß als seine Mitbrüder unter Pekings Knute, zur grauen Eminenz der chinesischen Untergrundkirche.
Von 2009–2017 folgte ihm Kardinal John Tong Hon als Bischof von Hong Kong, den Benedikt XVI. 2012 ebenfalls zum Kardinal kreierte, um ihm die größtmögliche Autorität gegenüber Peking und eine Führungsrolle für die ganze Kirche Festlandchinas zu verleihen. Kardinal Tong war allerdings nicht aus demselben Holz wie Kardinal Zen geschnitzt, in dessen Fußstapfen er nicht zu treten vermochte.
Ende 2016 ernannte Papst Franziskus Michael Yeung Ming-cheung zum Bischof-Koadjutor, der im Sommer 2017 Kardinal Tong als Bischof nachfolgte. Diese Ernennung erfolgte bereits unter den Gesichtspunkten der neuen Ostpolitik des Vatikans gegenüber Peking. Im September 2018 wurde in Peking ein Geheimabkommen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem kommunistischen Regime unterzeichnet. Inhalt des Abkommens soll ein Agreement über die Bischofsernennungen sein. Das alleinige Vorschlagsrecht habe Franziskus an die Kommunistische Partei Chinas abgetreten, wofür er das alleinige Ernennungsrecht zugestanden bekommen habe. Der Nutzen dieses Abkommens, vor dem Kardinal Zen mit Nachdruck, aber erfolglos warnte, hat sich bisher noch nicht erwiesen.
Vor einem Jahr, am 3. Januar 2019, verstarb überraschend Bischof Yeung Ming-cheung keine 18 Monate nach seiner Amtseinführung. Ein Jahr lang beließ Franziskus den Bischofssitz von Hong Kong, der ein Stachel im Fleisch des kommunistischen Regimes ist, unbesetzt. Die Länge der Vakanz verdeutlicht die Schwierigkeiten Roms, einen geeigneten Kandidaten zu finden, zumal Peking auch in der Sonderverwaltungszone, so der offizielle Status Hong Kongs in der Volksrepublik China, ein Mitspracherecht geltend machte – dank des Geheimabkommens.
Das Ergebnis fiel entsprechend aus. Als „natürlicher“ Nachfolger galt Weihbischof Joseph Ha Chi-shing. Wegen seiner Nähe zu Kardinal Zen wurde er in Hong Kong und von den Untergrundkatholiken bevorzugt. Genau diese Nähe dürfte aber der Grund sein, weshalb er es nicht wird. Papst Franziskus soll vielmehr den Dogmatiker Peter Choy Wai-man zum neuen Bischof von Hong Kong ernannt haben. Er habe damit Hong Kong an das kommunistische Regime „verschenkt“ und Peking „freundlich zugezwinkert“. So und ähnlich lauten die Reaktionen auf die Nachricht, wobei letztere Anmerkung sarkastisch gemeint ist.
Offiziell wurde die Ernennung vom Vatikan noch nicht bekanntgegeben. Sie soll schon vor Wochen erfolgt sein. Die Catholic News Agency (CNA) berichtete bereits am 16. Januar darüber. Als Grund für die Geheimhaltung der Ernennung nannte CNA, daß sich der Heilige Stuhl bewußt sei, eine Spaltung der Kirche in Hong Kong zu riskieren, und das zu einem Zeitpunkt, da auf politischer Ebene ein hartes Ringen um die Verteidigung der demokratischen Rechte gegen die Pekinger Begehrlichkeiten stattfindet, da das kommunistische Regime die Stadt unter bedingungslose Kontrolle bringen will.
Auch die Rückwirkungen auf die chinesische Untergrundkirche lassen sich nicht abschätzen. Hong Kong ist für die verfolgte Kirche ein wichtiger Stützpunkt und der entscheidende Verbindungspunkt zur Weltkirche. Die Stadt ist der Ort, wo die Kirche in China frei ist. Solange Kardinal Zen lebt, hat die Untergrundkirche in ihm einen unerschütterlichen Mentor. Allerdings ist der Kardinal bereits 88 Jahre alt, und auch zu den Untergrundchristen hat sich durchgesprochen, daß Papst Franziskus im Gegensatz zu seinem Vorgänger nicht auf ihn hört.
So sehr jede Bischofsernennung für Hong Kong seit der Emeritierung von Kardinal Zen eine Schwächung der kirchlichen Haltung gegenüber Peking war, stellt die Ernennung von Msgr. Choy doch eine völlig neue Situation dar. Erstmals ernennt ein Papst für das letzte freie Bistum Festlandchinas einen Bischof, der dem Regime in Peking zu Gesicht steht. Auf die gewaltsame Unterwerfung aller anderen Bistümer scheint mit 70 Jahren Verspätung die freiwillige Unterwerfung des letzten Bistums zu folgen. Der bisherige Generalvikar des Bistums fiel bereits in der Vergangenheit dadurch auf, dem Regime gegenüber gefällig aufzutreten. Das gilt vor allem für die Forderung einer „Sinisierung der Kirche“.
Der neue, wenn auch noch nicht bestätigte Bischof von Hong Kong steht der schismatischen Patriotischen Vereinigung und damit der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) nahe. Die Vereinigung ist eine Parallelkirche, die Ende der 50er Jahre von der KPCh ins Leben gerufen wurde, um die katholische Kirche des Landes von Rom abzuspalten und unter ihre Kontrolle zu bringen. Papst Franziskus, der die volle Verantwortung für das Geheimabkommen von 2018 mit dem Regime übernahm, erklärte damals, es gebe für ihn keine schismatische Kirche mehr, sondern nur die eine, katholische Kirche. Diese Linie vertritt auch Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, der bei der Ernennung des neuen Bischofs eine zentrale Rolle spielte. Franziskus hob im Vorfeld der Unterzeichnung des Geheimabkommens die Exkommunikation für alle schismatischen Bischöfe auf, ohne daß diese eine Gegenleistung erbringen mußten. Damit legitimierte er alle Bischöfe, auch jene, die von der Kommunistischen Partei ernannt wurden, als rechtmäßige Bischöfe. Eine Methode sui generis, ein faktisches Schisma zu beheben, das in Wirklichkeit fortbesteht.
Das Regime in Peking signalisierte bisher kein Entgegenkommen gegenüber Rom oder den Untergrundkatholiken. Ganz im Gegenteil. Die Daumenschraube gegen die Untergrundkirche wurde noch angezogen und ein Verbot jeglicher kirchlicher Aktivitäten mit Minderjährigen erlassen. Minderjährige dürfen in einigen der am meisten christlichen Gebiete nicht einmal eine Kirche betreten, weder zur Liturgie noch außerhalb.
Der Richtungswechsel, der Hong Kong von einem Stützpunkt der kirchlichen Freiheit und der Untergrundkirche zu einem Ableger des Regimes zu machen droht, wird auch Auswirkungen auf die Gesamtlage Hong Kongs haben. Obwohl die Katholiken dort nur eine Minderheit von sieben Prozent ausmachen, ist ihr Einfluß überproportional zu ihrer zahlenmäßigen Stärke, besonders in der Demokratiebewegung. Auch das wird Peking im Blick gehabt haben, als der frühe Tod von Bischof Yeung Ming-cheung unerwartet schnell die Möglichkeit eröffnete, Einfluß auf das Bistum und über das Bistum auf Hong Kong zu gewinnen.
Kardinal Zen bleibt der unerschrockene Streiter für die katholische Kirche in China, doch um ihn herum wird es immer einsamer.
Für das Geheimabkommen zwischen Rom und Peking mußten zwei rechtmäßige Diözesanbischöfe zurücktreten, um Platz zu machen für zwei schismatische, exkommunizierte Bischöfe, die Papst Franziskus allerdings legitimierte und als Teil des Abkommens zu rechtmäßigen Diözesanbischöfen machte.
Das Bistum Hong Kong ist das jüngste Opfer des Geheimabkommens, dessen Inhalt fast 17 Monate nach der Unterzeichnung noch immer geheim ist, aber die kirchliche Landschaft in China umpflügt.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: HSSCollege/AsiaNews
Franz Joseph Bode ist Bischof von Osnabrück und Paderborn ist ein Metropolitanbistum dem ein Erzbischoff vorsteht. Bode ist allerdings in Paderborn geboren.
Duterte ist nicht kirchenfeindlich, in den katholischen Philippinen ist die Scheidung verboten, und Duterte ist für die Beibehaltung des Scheidungsverbotes, obwohl seine erste Ehe annuliert wurde. Besonders seine einflussreiche Tochter setzt sich für das Scheidungsverbot ein, welches das Parlament gerne lockern würde. Der Konflikt zwischen philippinischer Kirche und Duterte hat ähnliche Hintergründe wie die Probleme zwischen Trump und Franziskus, wobei Duterte autöritärer und brutaler als Trump ist, vor allem gegenüber Rebellen und Drogenkriminiellen.