(Rom) Zwei Tage nach der ersten Runde des „Synodalen Weges“ der Deutschen Bischofskonferenz wurde Kardinal Reinhard Marx am Montag von Papst Franziskus empfangen. Das Tagesbulletin des Heiligen Stuhls teilte gestern die Audienz mit. Zum Inhalt des Gesprächs zwischen dem Papst und dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz wurden keine Angaben gemacht. Dennoch sind einige Rückschlüsse möglich.
Im Tagesbulletin wurde Kardinal Marx als „Koordinator des Wirtschaftsrats“ des Vatikans angeführt. Es besteht aber kein Zweifel, daß es in der Audienz nicht um Wirtschaftsfragen ging, sondern Papst Franziskus sich über die erste Runde des „Synodalen Weges“ informieren ließ. Diese Berichterstattung des Kardinals legt nahe, daß der „deutsche Weg“ der „synodalen Kirche“ in enger Absprache und mit Billigung des Papstes stattfindet. Er ist es, der den deutschen Vorstoß erst ermöglichte, indem er in den vergangenen Jahren die Voraussetzungen dafür schuf. Dabei ist nicht zu bestreiten, daß es durchaus ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen der Mehrheit der Deutschen Bischofskonferenz, angeführt und repräsentiert durch Kardinal Marx und Bischof Bode, und Santa Marta gibt, allerdings weniger inhaltlicher, sondern mehr strategischer und taktischer Natur. Die deutsche Unduldsamkeit, die bereits vor 500 Jahren großes Unglück über Deutschland und die lateinische Kirche brachte, drückt zweifelsfrei ungestümer auf das Gaspedal. In der Sache herrscht weitgehende Einmütigkeit, denn Jorge Mario Bergoglio wurde als Kandidat der „deutschen Fraktion“ auf den Stuhl Petri gehoben.
Papst Franziskus als Regisseur im Hintergrund
Ohne Papst Franziskus gäbe es keinen „Synodalen Weg“, denn ein Alleingang wäre der Weg ins offene Schisma. Die wichtigsten Etappen, mit denen Franziskus den Boden für den „Synodalen Weg“ ebnete, sollen in Erinnerung gerufen werden:
- er verkündete am Beginn seines Pontifikats die „Synodalität“ der Kirche, eine Wortneuschöpfung, die anzeigte, daß er neue Wege beschreiten bzw. ermöglichen will;
- er verkündete eine „Dezentralisierung“ der Kirche, die den Ortskirchen Zuständigkeiten gibt, die sie bisher nicht hatten, und die auf Kosten der Einheit eine „diversifizierte“ Entwicklung einleitete mit dem einzigen Zweck, es ganzen Bischofskonferenzen oder einzelnen Ortsbischöfen mit progressiver Gesinnung zu ermöglichen, Neuerungen einführen zu können, die von der kirchlichen Tradition und der Position der Weltkirche abweichen; im Zusammenhang mit Amoris laetitia wird dieses Zerfransen der Kirche bereits praktiziert, und nicht nur dort;
- er erteilte Bischof Erwin Kräutler und Kardinal Claudio Hummes grünes Licht, daß die Aufweichung des priesterlichen Zölibats für ihn kein Tabu darstellt, was in die Einberufung der Amazonassynode mündete, die allein eine Entscheidung von Franziskus war;
- er erteilte dem „Synodalen Weg“ grünes Licht, ohne das die Deutsche Bischofskonferenz, Drohungen hin oder her, diesen „Weg“ nicht beschritten hätte.
Diese Weichenstellungen summierte Franziskus in den Aussagen, er wolle nur „Prozesse“ anstoßen, und er werde nichts beschließen oder erlauben. Aussagekräftiger ist dazu eine dritte Aussage, von ihm selbst angedeutet und von seinem Umfeld eindeutiger ausgesprochen, daß diese angestoßenen „Prozesse“ allerdings „irreversibel“ sein sollen.
Die Nebelwerfer
Das für den Betrachter oft nebulöse Bild erhält schlagartig Tiefenschärfe, wenn auf das Szenario ein Filter angewandt wird, der Filter, daß es letztlich um die Vollendung der neomodernistischen Agenda geht. Gemeint ist jene Agenda, die beim Zweiten Vatikanischen Konzil auftrat und in der unmittelbaren Nachkonzilszeit prägend wurde, aber – laut progressivem Narrativ – durch das Zaudern von Paul VI. nicht vollendet und durch die Wahl von Johannes Paul II. zum Erliegen kam.
Aus der Erfahrung der Ära von 1978–2013, die von progressiver Seite abschätzig als „restaurative“ Phase gesehen wird, zog man eine Lehre: die direkte Konfrontation zur Änderung einer Position auf weltkirchlicher Ebene vermeiden, da eine kaum überwindbare Hürde; stattdessen den Weg ebnen und ermöglichen, daß einzelne „Landeskirchen“ und Ortskirchen, in denen es progressive Entscheidungsträger gibt, eigene Wege gehen können; Bischöfe, die „konservativ“ bleiben wollen, könnten es dann ja bleiben.
Kardinal Kasper deutete dazu an, ganz im Sinne Hegels, daß er mit einer Dynamik rechne, die es dann nur mehr eine Frage der Zeit sein lasse, daß auch die „beharrenden“ Flecken auf der Landkarte in den progressiven Sog geraten würden. Das ist letztlich auch die Sichtweise, die dem Diktum zugrundeliegt, daß „irreversible Prozesse“ angestoßen werden sollen. Auch darin blitzt die geistige Nähe zwischen den Positionen von Papst Franziskus und Kardinal Kasper auf, dem „Theologen des Papstes“.
Die Hürden, die dank Franziskus keine sind
Kardinal Paul Josef Cordes, einer der deutschen Kardinäle, die nicht der „deutschen“, sondern der „römischen Fraktion“ angehören, bezeichnete den „Synodalen Weg“ als „illegitim und gefährlich“. Er sprach den 230 Delegierten, wie sie sich am vergangenen Wochenende in Frankfurt am Main versammelten, die Legitimation ab, Entscheidungen zu treffen. Diese berechtigte Kritik gibt das Kirchenrecht wieder. Allerdings kann kein Zweifel bestehen, daß die Marx-Bode-Mehrheit der Deutschen Bischofskonferenz diese Hürde durch einen zweiten, gesonderten Beschluß der Bischofskonferenz, mit dem die illegitimen Beschlüsse des „Synodalen Weges“ beschlossen werden, zu überspringen gedenkt. Die andere kirchenrechtliche Hürde, daß Ortskirchen über Fragen des Weihesakraments wie die Zulassung von verheirateten Männern oder von Frauen zum Priestertum oder Fragen der kirchlichen Morallehre und der Homosexualität nicht entscheiden können, da sie keine Zuständigkeit dafür besitzen, kann problemlos durch Papst Franziskus überwunden werden, wie sein grünes Licht für die Interkommunion zeigte, die von deutschen Bischöfen seit 2018 praktiziert wird.
Zuerst signalisierte Franziskus kryptisch, aber verständlich, daß er für die Zulassung protestantischer Ehegatten von Katholiken zur Kommunion ist. Zugleich erklärte er, das aber „nie“ erlauben zu werden, doch der einzelne Protestant könne das „vor seinem Gewissen“ sich selbst erlauben. Als die Mehrheit der deutschen Bischöfe, die verstanden hatten, entsprechende Beschlüsse faßten, und die Minderheit Rom zu Hilfe rief, vermittelte Franziskus als gewiefter Taktiker den Eindruck, die Marx-Bode-Fronde stoppen zu wollen. Damit beruhigte er konservative, glaubenstreue Kirchenkreise, die sich gerne beruhigen lassen. In Wirklichkeit stoppte Franziskus die römische Glaubenskongregation, die gegen den Marx-Bode-Vorstoß vorgehen wollte. Diese Gruppe verstand erneut das Signal und wußte, grünes Licht zu haben, die erste Etappe der Interkommunion in die Tat umsetzen zu können, ohne aus Rom etwas befürchten zu müssen. Rom schwieg und schaute weg, akzeptierte also den vollzogenen Bruch.
Nach demselben Muster lief die Amazonassynode ab und vollzieht sich nun der „Synodale Weg“. Für das apostolische Erbe und die kirchliche Tradition erweist sich dieser als Trampelpfad mit einem drohenden Ergebnis, das an die sprichwörtlichen Elefanten im Porzellanladen erinnert.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: vatican.va (Screenshot)