(Washington) In der katholischen Kirche in den USA herrschen heftige Turbulenzen. Dafür verantwortlich ist nicht nur der sexuelle Mißbrauchsskandal, der die Ortskirche erschüttert. Noch älteren Datums sind jene Turbulenzen, die von Papst Franziskus provoziert und von außen in die Ortskirche hineingetragen wurden. Franziskus, so Freunde und Kritiker, denke global – und vor allem politisch.
Die USA als Schlüsselstaat
Die USA sind in den Augen von Papst Franziskus der Schlüsselstaat im weltweiten Konzert der Staaten. Als militärische Großmacht und ausgestattet mit der Weltleitwährung üben die USA enormen Einfluß aus, nicht nur in Europa. Dieser Einfluß wird an erster Stelle vom Präsidenten der USA verkörpert. Die Präsidentschaftswahl gilt daher als die wichtigste Wahl der Welt. Bekanntlich präferierte Papst Franziskus bei den jüngsten Wahlen im November 2016 den Linksaußen-Senator Bernie Sanders. Zugleich teilt er die Abneigung des linken Mainstream gegen US-Präsident Donald Trump.
Die Bedeutung der USA als Staat läßt sich nicht eins zu eins auf die katholische Kirche des Landes übertragen. Dennoch kommt auch ihr eine besondere Bedeutung zu. Das hat nicht nur mit ihrer zahlenmäßigen Stärke und ihrer Finanzkraft zu tun. Das Gewicht der Kirche in den USA nimmt proportional mit dem Gewichtsverlust der Kirche in Europa zu. In den USA wird um die Grundrechte wie Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit noch gekämpft, während in Teilen Europas die Kirche zu diesen Themen weitgehend verstummt ist. In den USA ist der Freiheitskampf für das Grundrecht aller Grundrechte, das Recht auf Leben auch der ungeborenen Kinder, noch nicht entschieden, während im deutschen Sprachraum die meisten Bischöfe am „politischen Konsens“ zur Abtreibung nicht mehr zu rütteln wagen. Insgesamt wirken die führenden Repräsentanten mancher Ortskirche mehr wie ein verlängerter Arm der Regierungen oder – um genau zu sein – des linken Mainstream.
Teile des US-Episkopat waren in den 70er Jahren sehr modernistisch ausgerichtet. Es bedurfte des langen Pontifikats von Johannes Paul II., um eine Kurskorrektur zu schaffen. Die dennoch verbliebenen Defizite wurden durch den sexuellen Mißbrauchsskandal schonungslos sichtbar. Die Bischofsernennungen von Benedikt XVI. waren, zumindest in den USA, deutlich effizienter.
Papst Franziskus will die Uhr wieder zurückdrehen. Er sieht in der Ortskirche in den USA das größte, weil einflußreichste Hindernis für die von ihm angestrebte, globale Kirchenpolitik. Durch den von ihm angestrebten strategischen Umbau des US-Episkopats erhofft er zweierlei: auf kirchlicher Ebene den innerkirchlichen Widerstand abzubauen und auf politischer Ebene die „religiöse Rechte“ zu schwächen, die entscheidend zum Wahlsieg von US-Präsident Trump beitrug, oder anders formuliert, maßgeblich die Wahl von Hillary Clinton verhinderte.
Diesen Umbau betreibt Franziskus seit dem Jahr 2013. Der sexuelle Mißbrauchsskandal gefährdet sein Projekt, da gerade die von ihm geförderte, progressive Richtung besonders intensiv darin verstrickt ist. Bisher läßt das Kirchenoberhaupt aber keine Kursänderung erkennen. Erkennbar sind nur taktische Verzögerungen, da die neue Situation nach dem McCarrick-Skandal, dem Pennsylvania Report und dem Viganò-Dossier neue Herausforderungen brachte. Unverkennbares Ziel bleibt es aber, dennoch die Grundagenda einer Richtungsänderung in der US-Ortskirche als „höheres“ Ziel – höher auch als der Schutz der Kinder und Jugendlichen vor sexuellen Mißbrauchstätern – zu erreichen. Jedenfalls wird ein Zusammenhang, etwa zwischen Homosexualität und Mißbrauch oder zwischen einer liberalen Sexualmoral und Mißbrauch, nicht erkannt oder geleugnet.
Der „Maulkorberlaß“
Im Kontext dieses vom Papst befeuerten Richtungsstreites ist auch der Maulkorb zu sehen, den Papst Franziskus vergangene Woche der Amerikanischen Bischofskonferenz umhängte, indem er den in Baltimore versammelten Bischöfen Entscheidungen zur Bekämpfung des Mißbrauchs untersagte. Andere Bischofskonferenzen, zum Beispiel die französische, konnten zeitgleich und von Rom unbeanstandet Entscheidungen treffen.
Erst nachdem selbst Papst Franziskus einsehen mußte, daß Kardinal Donald Wuerl als Erzbischof von Washington nicht länger gehalten werden konnte, willigte er in dessen Rücktritt ein, ernannte Wuerl aber im selben Augenblick wieder zum Apostolischen Administrator desselben Erzbistums.
Kardinal Blase Cupich, Erzbischof von Chicago, das von Papst Franziskus eingesetzte und zum Kardinal erhobene Oberhaupt der progressiven Richtung, bestritt in den vergangenen Tagen, daß er zusammen mit Kardinal Wuerl einen „alternativen“ Vorschlag zum sexuellen Mißbrauchsskandal für die Vollversammlung der Bischofskonferenz in Baltimore vorbereitet hatte.
Entsprechende Informationen waren nach dem Maulkorberlaß von Papst Franziskus, der offiziell als päpstlicher „Wunsch“ bezeichnet wurde, in Umlauf gekommen. Die Sorge, die derzeit den hohen Klerus umtreibt, besonders jenen, der Papst Franziskus nahesteht, sind Forderungen, daß selbst oder gerade Bischöfe, die sich des sexuellen Mißbrauchs oder offensichtlicher Vernachlässigung ihrer Aufsichtspflicht schuldig gemacht haben, aus ihren Ämtern zu entfernen sind. Entsprechende Forderungen wurden seit dem Spätsommer wiederholt erhoben, an erster Stelle von Kardinal Raymond Burke, selbst US-Amerikaner, und Weihbischof Athanasius Schneider.
Kardinal Burke wurde von Papst Franziskus bereits zweimal degradiert und übt kein wirkliches Amt mehr aus. Weihbischof Schneider wurde unter Beobachtung gestellt. Diese Beispiele zeigen, mit welcher Härte der erwähnte Richtungskampf von Papst Franziskus ausgetragen wird (siehe auch die Papststiftung).
In den USA herrscht eine empörte Stimmung. Die US-Bischöfe wollten darauf reagieren. In Rom herrschten jedoch Befürchtungen, es könnten Beschlüsse gefaßt werden, die nicht in die päpstliche Gesamtagenda passen, oder anders ausgedrückt, zu stark im nahestehende Personen treffen.
Der „alternative Plan“
Glaubwürdige Quellen, vor allem die Catholic News Agency (CNA), berichteten, daß Kardinal Cupich und Kardinal Wuerl einen „alternativen Vorschlag“ zur Verantwortung der Bischöfe wegen des sexuellen Mißbrauchsskandals vorbereitet hatten. „Die Anschuldigung ist falsch“ konterte der Kardinal und Erzbischof von Chicago am Sonntag gegenüber Crux Now. Es sei vor Beginn der Vollversammlung der Bischöfe nie die Rede von einem „alternativen Plan“ gewesen, so Cupich.
Der päpstliche „Wunsch“ zum derzeit brennendsten Thema der Kirche in den USA nichts zu entscheiden, hatte die US-Bischöfe schockiert. Vor allem läßt er sie vor der katholischen und vor der gesamten US-Öffentlichkeit schlecht dastehen. Der Eindruck ist, daß die Bischofskonferenz handlungsunfähig ist: eingeklemmt und gefangen zwischen Mißbrauchsskandal und Papst Franziskus.
Die Intervention des Papstes, so eine Lesart, sollte Beschlüsse verhindern, die ihm und seinen Vertretern im US-Episkopat unangenehm wären. Diese ließen durch Kardinal Cupich in der Vollversammlung der Bischofskonferenz einen eigenen Vorschlag verteilen, der eine „Antwort“ auf den Mißbrauchsskandal „auf lokaler statt auf nationaler Ebene“ vorsieht. Mit „lokaler Ebene“ ist die Kirchenprovinz gemeint, womit dem jeweiligen Metropoliten eine zentrale Rolle zukäme. Metropoliten sind rechtlich gesehen Wuerl und Cupich. Metropolit war auch McCarrick. Dahinter, so Beobachter, gehe es um Einfluß, aber auch darum, die progressive, von Papst Franziskus geförderte Richtung durch den Mißbrauchsskandal personell nicht zu gefährden.
Cupich und Wuerl sind beide Mitglieder der römischen Bischofskongregation, die für Bischofsernennungen und Disziplinarverfahren zuständig ist. Die Kongregation ließ über den Apostolischen Nuntius in den USA am 12. November die Führungsspitze der Bischofskonferenz über den päpstlichen „Wunsch“ informieren. Seither hält sich das hartnäckige Gerücht, daß hinter diesem „Wunsch“ die progressive Gruppe der US-Bischöfe um Cupich und Wuerl stehe.
Die Verzögerung unter dem Stichwort „global statt lokal“
Genau das wird von den Genannten mit Entschiedenheit bestritten. Man habe vor der Bekanntgabe nichts davon gewußt. Cupich bestritt gegenüber Crux Now auch, darüber mit Papst Franziskus oder mit Vertretern römischer Dikasterien gesprochen zu haben. Er kenne daher „nicht alle Motive“ der päpstlichen Entscheidung, der US-Bischofskonferenz Entscheidungen in Sachen sexuellem Mißbrauch zu untersagen. Man wolle aber „intensiv“ daran arbeiten, Papst Franziskus beim Sondergipfel „zu helfen“, den das Kirchenoberhaupt für Februar 2019 zum Thema plant. Ziel des Sondergipfels sei eine „globale Antwort“ auf den sexuellen Mißbrauchsskandal.
Beobachter in den USA sehen darin allerdings mehr einen Versuch, den Skandal, der vor allem für einige Bergoglianer brenzlig ist, durch die Anschuldigungen von Erzbischof Viganò sogar für Papst Franziskus selbst, auszusitzen. Einstweilen ist die „Antwort“ auf den Skandal um Monate verschoben worden. Eine wichtige Verschnaufpause für das katholische Kirchenoberhaupt. Wenn sich die Vertreter aller Bischofskonferenzen zum Sondergipfel versammeln, wird bereits ein halbes Jahr seit Veröffentlichung des Pennsylvania Reports und des Viganò-Dossiers vergangen sein.
Genau diese Verzögerung, so Kritiker, sei von Papst Franziskus gewollt – um seine „globale“, politische Agenda nicht gefährden. Auch, um die Homo-Lobby in der Kirche nicht zu gefährden?
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL