Bernie Sanders und Papst Franziskus und die neue Achse Washington-Vatikan


Bernie Sanders mit Evo Morales im Vatikan
Bernie Sanders mit Evo Morales im Vatikan

(Rom) Ber­nie San­ders, der laut Eigen­be­zeich­nung ein­zi­ge „demo­kra­ti­sche Sozia­list“  unter den der­zeit noch fünf Kan­di­da­ten um die Prä­si­dent­schaft der USA, war auch als ein­zi­ger vom Papst-Ver­trau­ten Mar­ce­lo Sanchez Sor­on­do zu einer Tagung in den Vati­kan ein­ge­la­den wor­den. Ver­gan­ge­ne Woche wur­den in San­ta Mar­ta die Fun­da­men­te für eine neue Ach­se Washing­ton-Vati­kan gelegt. Sie set­zen aller­dings vor­aus, daß Ber­nie San­ders erster jüdi­scher Prä­si­dent der USA wird, was ziem­lich unwahr­schein­lich sein dürf­te. Doch egal, wer die Vor­wah­len der Demo­kra­ti­schen Par­tei und die Prä­si­dent­schafts­wah­len gewin­nen soll­te, San­ders Kan­di­da­tur ver­än­dert nicht nur die Demo­kra­ti­sche Par­tei der USA. Zusam­men mit Papst Fran­zis­kus ver­schiebt er die gan­ze Welt ein gutes Stück nach links. Die im März 2015 in Bue­nos Aires gefor­der­te Papi­sti­sche Inter­na­tio­na­le als Ersatz für die ehe­ma­li­ge Kom­mu­ni­sti­sche Inter­na­tio­na­le ist rea­li­sti­scher als gedacht. Vat­ti­mos For­de­rung, der ein neben ihm sit­zen­der Sanchez Sor­on­do sicht­lich Zustim­mung zoll­te, wur­de bis­her kaum beach­tet, besten­falls belä­chelt. In Wirk­lich­keit webt Papst Fran­zis­kus eif­rig und durch­aus erfolg­reich an die­sem Netzwerk.

Das zufällige Treffen zwischen Papst und Sanders, das gar keines gewesen sein soll

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Da die ein­sei­ti­ge Ein­la­dung als Par­tei­nah­me im US-Wahl­kampf in- und außer­halb der Kir­che für Kri­tik sorg­te, ver­zich­te­te Papst Fran­zis­kus am ver­gan­ge­nen Frei­tag kurz­fri­stig dar­auf, per­sön­lich an der Tagung teil­zu­neh­men. Eine Audi­enz wie für Staats­prä­si­dent Evo Mora­les aus Boli­vi­en, der Papst Fran­zis­kus Bücher über den Koka-Anbau mit­ge­bracht hat­te, kam daher auch nicht in Fra­ge. Die Begeg­nung fand daher „impro­vi­siert“ statt, gera­de so, als sei­en sich der Papst und der jüdi­sche Sena­tor aus Ver­mont zufäl­lig über den Weg gelau­fen, was so schwie­rig dann auch wie­der nicht war, da San­ders am 15. und 16. April im vati­ka­ni­schen Gäste­haus San­ta Mar­ta unter­ge­bracht war. Am frü­hen Sams­tag mor­gen schüt­tel­ten sich Fran­zis­kus und San­ders die Hän­de, bevor der Papst um 7.17 Uhr vom Flug­ha­fen in Rom in Rich­tung Les­bos abhob. Es sei ganz zufäl­lig gewe­sen, weil San­ders eben zufäl­lig in San­ta Mar­ta wohn­te und zufäl­lig dort erfah­ren haben muß­te, um wel­che Uhr­zeit, es war kurz nach 6 Uhr mor­gens, der Papst außer Haus gehen wür­de. Da habe San­ders ihn abge­war­tet. Der Papst habe ihn selbst­ver­ständ­lich gegrüßt, das gebie­te die Höf­lich­keit. Wer in einem Hän­de­druck eine Ein­mi­schung in die Poli­tik der USA zu sehen mei­ne, dem emp­fahl Fran­zis­kus, „sich einen Psych­ia­ter zu suchen“. Hin­ter den Kulis­sen hat­te ein har­tes Tau­zie­hen zwi­schen der per­sön­li­chen poli­ti­schen Linie des Pap­stes und der offi­zi­el­len poli­ti­schen Linie des Vati­kans stattgefunden.

Der Kanz­ler der Päpst­li­chen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten und der Päpst­li­chen Aka­de­mie der Sozi­al­wis­sen­schaf­ten, Sanchez Sor­on­do, hat­te im Vor­feld der Tagung erklärt, daß sich die exklu­si­ve Ein­la­dung an San­ders dadurch erklä­re, weil er der kirch­li­chen Sozi­al­leh­re unter allen Bewer­bern am näch­sten ste­he und als ein­zi­ger Papst Fran­zis­kus im Wahl­kampf zitiert habe. San­ders bestä­tig­te die­se Ein­schät­zung in sei­ner Rede im Vati­kan, in der er die Wall Street scharf kri­ti­sier­te und die kirch­li­che Sozi­al­leh­re lob­te. Es gebe welt­weit nichts Ver­gleich­ba­res an Schu­len und Strö­mun­gen, was so tief in die sozia­le Fra­ge ein­ge­drun­gen sei. Es brau­che ein drin­gen­des Han­deln, denn die sozia­le und wirt­schaft­li­che Lage der Mensch­heit sei heu­te „viel schlim­mer“ als zur Zeit von Papst Leo XIII., der vor 125 Jah­ren als erster Papst der Geschich­te eine eige­ne Sozi­al­enzy­kli­ka veröffentlichte.

Im Vati­kan ging es um die Sozia­le Fra­ge, wor­in Papst und San­ders in höch­stem Maße über­ein­stim­men. Was ver­tritt Ber­nie San­ders aber noch?

1972 schrieb San­ders in der Wochen­zei­tung Ver­mont Free­man, daß die Frau­en in ihren sexu­el­len Phan­ta­sien davon träu­men, ver­ge­wal­tigt zu werden.

Sei­ne Inter­net­sei­te als Sena­tor der USA ver­öf­fent­lich­te vor kur­zem einen Arti­kel der Schrift­stel­le­rin Judith Levi­ne, Mit­glied der mäch­ti­gen Ame­ri­can Civil Liber­ties Uni­on und Mit­glied von No More Nice Girls, einer Akti­ons­grup­pe, die mit Stra­ßen­thea­ter für die Tötung unge­bo­re­ner Kin­der wirbt. Levi­ne ist gleich­zei­tig eine Ver­fech­te­rin für die Locke­rung der Geset­ze, die Jugend­por­no­gra­phie und Sex mit Min­der­jäh­ri­gen ver­bie­ten. Dem­entspre­chend tritt sie für ein „Recht“ auf Abtrei­bung für min­der­jäh­ri­ge Mäd­chen auch ohne Wis­sen und Zustim­mung der Eltern ein. Levi­ne wur­de auch bekannt für das Skan­dal­buch Harmful to Minors. The Peri­ls of Pro­tec­ting Child­ren from Sex (Uni­ver­si­ty of Min­ne­so­ta Press, Min­nea­po­lis 2002). Das Vor­wort stammt von Joy­ce­lyn Elders, einer Kin­der­ärz­tin und im Rang eines Vize­ad­mi­rals unter US-Prä­si­dent Bill Clin­ton Sur­ge­on Gene­ral of the United Sta­tes, was einem ober­sten Inspek­tor des Gesund­heits­we­sens der USA ent­spricht. Elders, die erste Afro­ame­ri­ka­ne­rin in die­sem Amt, trat für die Dro­gen­frei­ga­be und die Gra­tis­ver­tei­lung von Ver­hü­tungs­mit­tel an den Schu­len ein. Obwohl für vier Jah­re ernannt, wur­de sie 1994 von Bill Clin­ton bereits nach 14 Mona­ten wegen ihrer in der Öffent­lich­keit umstrit­te­nen Posi­tio­nen ent­las­sen. Elders hat­te die För­de­rung der Mastur­ba­ti­on unter Jugend­li­chen gefor­dert, um sie von „Risi­ko­sex“ abzu­hal­ten, der zu anstecken­den Krank­hei­ten füh­ren könne.

Der Sozialist Bernie Sanders

Der heu­te 74 Jah­re alte Ber­nard „Ber­nie“ San­ders wur­de erst­mals im Novem­ber 1990 als Par­tei­lo­ser in den Kon­greß der USA gewählt. Acht Amts­pe­ri­oden (jeweils zwei Jah­re) war er Mit­glied des Reprä­sen­tan­ten­hau­ses. Im Novem­ber 2006 erfolg­te sei­ne Wahl als Unab­hän­gi­ger zum Sena­tor von Ver­mont. 2002 gelang ihm die Wie­der­wahl mit 71 Pro­zent der Stim­men. Im Senat stimm­te er in der Regel mit den demo­kra­ti­schen Sena­to­ren. Am 5. Novem­ber 2015 schloß er sich die­sen auch offi­zi­ell an.

San­ders Wur­zeln lie­gen im jüdi­schen Milieu Polens. Sei­ne Eltern waren Ein­wan­de­rer aus Polen. Der Vater, Eli­as San­ders, stamm­te aus Süd­po­len und wan­der­te 1921 in die USA. Die Mut­ter Dora Git­man wur­de bereits in den USA gebo­ren. Ihre Eltern waren 1904 aus der Lub­li­ner Gegend gekommen.

Im jüdi­schen Glau­ben erzo­gen, befaß­te sich Ber­nie San­ders wäh­rend sei­ner Stu­di­en­zeit – laut eige­nen Anga­ben – lie­ber mit dem Stu­di­um von Karl Marx, Fried­rich Engels und Leo Trotz­ki und wur­de Mit­glied der Jugend­or­ga­ni­sa­ti­on der Sozia­li­sti­schen Par­tei of Ame­ri­ca (SPUSA), die behaup­tet, glei­cher­ma­ßen Kom­mu­nis­mus wie Kapi­ta­lis­mus abzu­leh­nen. Die SPUSA ver­tritt einen „sozia­li­sti­schen Femi­nis­mus“ und sieht in der Abtrei­bung ein „Grund­recht“ der Selbst­be­stim­mung von Frau­en. Er stellt eine Mischung aus Radi­kal­li­be­ra­lis­mus und sozia­li­sti­scher Sozi­al- und Wirt­schafts­po­li­tik dar, der vom Ein­satz für Bür­ger­rech­te bis zum Anti­mi­li­ta­ris­mus reicht.

San­ders gehört nicht mehr sek­tie­re­ri­schen Split­ter­grup­pen des US-Sozia­lis­mus an. Er bekennt sich aber nach wie vor zu die­ser Ideo­lo­gie. Jack Ross schrieb jüngst in der Zeit­schrift The Ame­ri­can Con­ser­va­ti­ve, daß San­ders „demo­kra­ti­scher“ Sozia­lis­mus „ein­deu­tig die Zukunft“ der Demo­kra­ti­schen Par­tei sein wer­de. Ross‘ Buch The Socia­list Par­ty of Ame­ri­ca. A Com­ple­te Histo­ry (Poto­mac Books, Lin­coln, Nebras­ka, 2015) gilt bereits als Klassiker.

Gegner der neoliberalen Verbürgerlichung der amerikanischen Linken

San­ders bezeich­net sich selbst als “säku­la­ri­sier­ten Juden“. Er kämpf­te an der Sei­te von Mar­tin Luther King gegen die Ras­sen­tren­nung in den USA und leb­te eine zeit­lang in einem israe­li­schen Kib­buz. Er bekämp­fe alles, was sei­ne direk­te Kon­kur­ren­tin Hil­la­ry Clin­ton sym­bo­li­siert: die neo­li­be­ra­le Ver­bür­ger­li­chung der Demo­kra­ti­schen Par­tei, die in Sozi­al- und Wirt­schafts­fra­gen mehr bei den Magna­ten der Wall Street zu Hau­se sei als in den Elends­vier­teln der Armen und mili­ta­ri­stisch aus­ge­rich­tet sei.

San­ders, des­sen Rhe­to­rik eine Mischung aus Charles-Dickens-Roman und einer pho­to­gra­phi­schen schwarz-weiß Abbil­dung der Welt­wirt­schafts­kri­se von 1929 dar­stellt, scheint wirk­lich die Zukunft der ame­ri­ka­ni­schen Lin­ken zu ver­kör­pern. Die Zustim­mung aus dem Volk, die sein trotz allem ziem­lich chan­cen­lo­ser Angriff gegen das US-Estab­lish­ment fin­det, weist in die­se Rich­tung. Zudem öff­net sich die Sche­re in den USA immer mehr. Die Lin­ke rutscht wei­ter nach links, wäh­rend die Rech­te um ihre Iden­ti­tät ringt, da sie Trump für einen schrä­gen Popu­li­sten hält, der ihre Iden­ti­tät unter­gräbt. Dazwi­schen befin­det sich ein demo­kra­tisch-repu­bli­ka­ni­sches Estab­lish­ment, das in bei­den Par­tei­en ver­sucht, die Kon­trol­le zu behal­ten und sei­ne Kan­di­da­ten durch­zu­set­zen, damit alles mehr oder weni­ger bere­chen­bar so bleibt wie es ist. Sowohl San­ders als auch Trump stel­len auf ihre jewei­li­ge Art einen Wider­spruch gegen die­ses Estab­lish­ment dar und ver­än­dern damit auf bei­den Sei­ten die poli­ti­schen Lager.

An einer ganz anderen Neuauflage der Achse Washington-Vatikan wird gebastelt

Soll­te Hil­la­ry Clin­ton der 45. Prä­si­dent der USA wer­den, wird sich die „San­der­si­s­ie­rung“ der Demo­kra­ti­schen Par­tei im sel­ben Tem­po fort­set­zen wie unter Barack Oba­ma. Soll­te ein Repu­bli­ka­ner die näch­sten vier oder acht Jah­re im Wei­ßen Haus sit­zen, wird sich die­ser Pro­zeß noch beschleu­ni­gen. San­ders ging als Außen­sei­ter ins Ren­nen. Ob er sich jemals rea­le Chan­cen aus­ge­malt hat, wird wohl ein Geheim­nis blei­ben. Sein Ziel ist es, die ame­ri­ka­ni­sche Lin­ke, die – aus sei­ner Sicht – unter dem Ehe­paar Clin­ton und Oba­ma zur neo­li­be­ra­len lin­ken Bür­ger­lich­keit ver­kom­men ist, aus die­ser Umar­mung zu befrei­en. Wer auch immer die Vor­wah­len gewin­nen wird, die Demo­kra­ti­sche Par­tei der USA muß sich auf einen erstark­ten lin­ken Flü­gel einstellen.

Soll­te San­ders wider Erwar­ten gewin­nen, hät­te er bereits die Fun­da­men­te zu einer neu­en Ach­se Washing­ton – Vati­kan gelegt. Nach­dem sich die pro­te­stan­tisch geführ­ten USA 200 Jah­re auf Distanz zu Rom hiel­ten, war es der Repu­bli­ka­ner Ronald Rea­gan, der nicht nur offi­zi­el­le diplo­ma­ti­sche Bezie­hun­gen zwi­schen den USA und dem Hei­li­gen Stuhl her­stell­te, son­dern mit Johan­nes Paul II. eine Ach­se bil­de­te. Ziel war die Befrei­ung Ost­eu­ro­pas von der kom­mu­ni­sti­schen Dik­ta­tur und die Zurück­drän­gung der sowje­tisch unter­stütz­ten mar­xi­sti­schen Befrei­ungs­theo­lo­gie, die vor allem in Latein­ame­ri­ka, aber auch in Tei­len Afri­kas und Euro­pas den Glau­ben zersetzte.

Die Ach­se San­ders – Papst Fran­zis­kus wäre aller­dings alles ande­re als eine Neu­auf­la­ge die­ser ersten Ach­se der Geschichte.

In Rom heißt es zudem, daß Ber­nie San­ders ein­deu­tig die erste Wahl von Papst Fran­zis­kus sei, Hil­la­ry Clin­ton aber nicht die zweite.

Text: Andre­as Becker
Bild: MiL (Screen­shot)

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2 Kommentare

  1. Ein Sozia­list steht immer neben der Wahr­heit, sonst wäre er kein Sozialist.

    Die Wahr­heit ist katho­lisch, nicht neu­ka­tho­lisch, femi­ni­stisch oder sonst irgend­wie gei­stig verquer.

    Auch ein Jude kann kein Sozia­list sein.

    • Die mei­sten Juden, die ins „Hei­li­ge Land“ ein­ge­wan­dert waren, waren Sozia­li­sten. Der Kib­buz ist eine genu­in sozia­li­sti­sche Einrichtung.
      Ich möch­te Sie dar­an erin­nern @ Kon­rad Kug­ler, daß sehr vie­le der kom­mu­ni­sti­schen Umstürz­ler 1917 in Ruß­land, so wie Karl Marx, Juden waren. Ohne die Juden ist die Schlag­kraft der sozia­li­sti­schen Bewe­gung gar nicht zu denken.
      Daß Ber­nie San­ders ein Jude ist, ver­wun­dert über­haupt nicht.

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