
Von Msgr. Dr. Marian Eleganti*
Die Rede von der Geschwisterlichkeit aller, egal, was sie glauben, wenn sie nur Menschen guten Willens sind, hat sich in der Kirche etabliert, und zwar nicht nur zwischen Katholiken und Protestanten, sondern auch zwischen solchen (Katholiken und Protestanten) und den Anhängern anderer Religionen. Ich finde das sehr bedenklich, um nicht zu sagen: falsch!
Ich würde lieber von Freundschaft sprechen, wenn diese Verhältnisse im Einzelfall den Namen verdienen, was aber allgemein nicht der Fall ist. Ich würde lieber vom Nächsten reden, den zu lieben (bis zum Feind) uns das Evangelium aufträgt. Aber von Brüdern und Schwestern? Von Geschwistern? Was ist das für eine Geschwisterlichkeit z. B. zwischen Christentum und Islam, der den christlichen Glauben in den meisten Ländern, wo er herrscht, verfolgt oder unterdrückt? Die Christen werden erwiesenermassen in islamischen Ländern am meisten verfolgt. Aber auch im kommunistischen China sieht es nicht wesentlich besser aus. Die sogenannte «patriotische Vereinigung» unter Xi Jinping in China ist der erfolgreiche Versuch, sich die katholische Kirche zu unterwerfen und sie zu sinisieren (umzudeuten und umzuformen), was viele Blinde immer noch als einen Gewinn sehen. Wie bedauerlich! Glaubt Ihr wirklich an das Wohlwollen der kommunistischen Partei Chinas, des Islam oder orthodoxen Judentums gegenüber dem Christentum im Allgemeinen und dem Katholizismus im Besonderen? Auch der Hinduismus tritt gegenüber Christen in jüngster Zeit wieder viel aggressiver auf. Wie viele katholische Kirchen wurden von unseren sogenannten «Geschwistern» z. B. in Frankreich angezündet? Wie viele katholische Priester wurden umgebracht? Es geschieht jährlich. Wie viele Gläubige wurden angeklagt und zum Tode verurteilt oder von islamischen Terrorbanden einfach niedergemacht, z. B. in Ländern Afrikas? In Jerusalem kann es geschehen, dass man von orthodoxen Juden als Christ mit offener Verachtung behandelt wird. Die Liste ist lang. Ich gebe hier nur ein paar Hinweise. In welcher Blase bzw. Parallelwelt bewegt sich die Rede von der universalen Geschwisterlichkeit gemessen an den weltweiten Fakten im interreligiösen Verhältnis?
Wie können wir, Katholiken, in diesem Kontext unterschiedslos von unseren «Geschwistern» reden, unter ihnen militante Exponenten ihrer Religion oder Ideologie. Sie glauben nicht an Jesus Christus, den Sohn Gottes, den Weg, die Wahrheit und das Leben, die einzige Tür zum Vater. Sie bekämpfen dieses Credo und alle, die ihm anhangen. Die christlichen Märtyrer werden jedenfalls nicht weniger. Wie können ihre Verfolger meine Brüder und meine Schwestern, meine Geschwister sein? Sie können es nicht. Damit rüttle ich nicht am Evangelium vom barmherzigen Samariter. Auch schränke ich nicht die Nächstenliebe ein, die sogar die Feinde umfasst. Ich nenne letztere aber auch nicht meine Geschwister, jedenfalls nicht, solange sie die Kriterien des Glaubens nicht erfüllen, diesen ablehnen, bekämpfen – manchmal bis aufs Blut – oder ihn nur dulden um den Preis massiver Diskriminierung und Unterdrückung. Auch sagt Johannes ganz ausdrücklich im Prolog zu seinem Evangelium, dass Jesus Christus uns die Macht gegeben hat, Kinder Gottes zu werden, und dass es dafür eine Zeugung von oben braucht: im Geist und in der Wahrheit. Wir sind es also nicht von Natur, sondern aufgrund des Glaubens an Jesus Christus und der Taufe, die Er zur Bedingung des Heils gemacht hat.
Die Rede von der universalen Geschwisterlichkeit ist realitätsfern, um nicht zu sagen sentimental. Sie ist in unserem Munde eine Art naiver und gut gemeinter Captatio Benevolentiae der Andersgläubigen, aber die Fakten sprechen dagegen. Jeder Irrtum auf ihrer Seite wird dadurch «salonfähig». Im Munde der anderen findet sich diese Rede im interreligiösen Kontext ohnehin nicht oder nur sporadisch, wenigstens meiner Wahrnehmung nach. Ich sage aber dazu, dass ich muslimische Verwandte und Freunde habe und dies seit meiner Jugendzeit.
Anders verhält es sich zwischen Getauften. Das brauche ich nicht auszuführen. Aber auch in diesem Verhältnis gibt es keine wirkliche Einheit ausser in der Wahrheit. Und letztere ist römisch-katholisch. Das muss in aller Deutlichkeit gesagt werden. Dies ergibt sich nicht aus meinem Hochmut, meiner Einbildung, meine Psyche oder aus einem mir unterstellten Extremismus, sondern aus dem Glauben der röm.-kath. Kirche, an die wir bekanntlich glauben und die wir im Credo bekennen. Damit haben wir das Problem beim Namen genannt, was man im Allgemeinen vermeidet. Wird es ausgeklammert, ist die viel beschworenen Einheit nicht mehr als eine als vermeintliche «Vielfalt» schön gefärbte Diskordie, Widersprüchlichkeit und heillose Heterogenität von Glaubensansichten. Bei näherem Hinsehen und strukturell ist dieser Ökumene-Modus alles andere als eine Einheit in der Wahrheit. Ich glaube nicht an eine Liebe ohne Wahrheit. Nicht die Liebe, sondern die Wahrheit macht uns eins, genauso wie nicht die Liebe, sondern die Wahrheit uns trennt.
All dieser Rede von Geschwisterlichkeit und Vielfalt liegt deshalb die Ausklammerung der Wahrheitsfrage zugrunde, um bessere Beziehungen zu erreichen. Im Verhältnis zu den Andersgläubigen bedeutet sie die Relativierung des Absolutheitsanspruches Jesu, die Ausklammerung seiner Einzigartigkeit und Normativität für alle Menschen; und im Verhältnis mit den anderen Christen bedeutet sie die Relativierung der Heilsnotwendigkeit der römisch-katholischen Kirche, ihrer Sichtbarkeit, ihrer universalen Heilsbedeutung und Mittlerschaft, ihrer Sakramente und last but not least die Relativierung bzw. Herabstufung ihres Papsttums auf einen Ehrenprimat bei maximalem Entgegenkommen.
Ich wiederhole meine These: Wer keine Wahrheit hat, kann mit allen fusionieren und zu allen lieb sein, ohne dass es wehtut. Er kann alles und jedes inkludieren. Exklusivität und Alleinstellung sind dann von gestern. Man wünscht dies auch. Sobald aber die Wahrheitsfrage in ihrer ganzen Bandbreite und Tragweite gestellt wird, kommt es zur Polarisierung, Distanzierung, Ablehnung und zum Martyrium oder zur Bekehrung im besten Sinn des Wortes: die Annahme des katholischen Glaubens, der Taufe, der röm.-kath. Kirche in ihrer Sichtbarkeit, Einzigkeit, Katholizität und Apostolizität, ihrer Sakramente, ihrer apostolischen Sukzession und ihrer Einheit sub Petro et cum Petro (Papsttum). Das entzweiende Schwert der Wahrheit, die Jesus Christus für Sich beansprucht und mit Sich selbst identifiziert hat, geht nach seinen Worten durch die Familien. Wir unterstellen Jesus keine Lieblosigkeit. Wir stimmen Ihm zu, dass Er die Wahrheit ist, und dass diese von vielen abgelehnt wird. Daher also die Rede vom Schwert. Ein gewalttätiges kennt Jesus nicht im Gegensatz zu Mohammed. Von diesem Schwert sagte ER, dass man es in die Scheide stecken soll (und dies ausgerechnet zu Petrus, der die Wahrheit des überlieferten Glaubens verbürgen soll). In dieser Hinsicht ist von den anderen Religionen kein Entgegenkommen zu erwarten und auch keine Zustimmung, ausser sie bekehren sich zur geoffenbarten, göttlichen Wahrheit, so, wie sie sich in Jesus Christus zeigt.
Aber auch mit den von uns getrennten Christen gibt es keine wahre Einheit, ausser sie bekehren sich zur römisch-katholischen Kirche – wie es die Konvertiten schon immer getan haben – und kehren zur Einheit mit Petrus und seinem Nachfolger zurück. Auf diesen Felsen hat Christus Seine Kirche gegründet. Seine Schlüsselgewalt bedeutet im biblischen Sinn Vollmacht über das ganze Haus, lateinisch Jurisdiktion, nicht nur Ehrenvorsitz, auch nicht nur Erster in der Liebe, sondern Fels und verbindlicher Garant der Einheit in der vollen Wahrheit des überlieferten Glaubens. Bei den getrennten Christen geht es dabei auch um die Rückgewinnung der Sakramente, die sie verloren haben, der apostolischen Sukzession und der wirklichen Einheit im Glauben, die sie auch unter sich nicht finden. Komm Heiliger Geist! Konsensgespräche werden es nicht richten.
*Msgr. Marian Eleganti OSB, promovierter Theologe, war von 1999 bis 2009 Abt der Benediktinerabtei St. Otmarsberg im Kanton Sankt Gallen, dann von 2009 bis 2021 Weihbischof der Diözese Chur. Bischof Eleganti betreibt einen eigenen Blog.
Bild: Wikicommons
Die bisherigen Klarstellungen von Bischof Eleganti:
- Klarstellungen 15: Wer keine Wahrheit hat bzw. einfordert, kann zu allen lieb sein!
- Klarstellungen 14: Migration und Grenzen des Wachstums
- Klarstellungen 13: Die nicht mehr verliebte Braut. Gedanken zum Heiligen Jahr 2025
- Klarstellungen 12: Die Dekonstruktion des Priesters und der Frau
- Klarstellungen 11: Synodalität ist keine neue Offenbarung
- Klarstellungen 10: Wäre ein Ehrenprimat des römischen Pontifex ein echter ökumenischer Fortschritt?
- Klarstellungen 9: Kein Zugang zum VATER ohne JESUS CHRISTUS. Mission ist ein Auftrag Jesu
- Klarstellungen 8: Ihr könnt uns kein Schlangenöl verkaufen!
- Klarstellungen 7: Überlegungen zur Ökumene seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil
- Klarstellungen 6: Patriarch des Westens?
- Klarstellungen 5: Eine erste Reaktion zum Neuen Dokument über die Ausübung des Petrusamtes
- Klarstellungen 4: Anmerkungen zu den neuen Normen für den Umgang mit Privatoffenbarungen
- Klarstellungen 3: Unendliche oder unantastbare Würde?
- Klarstellungen 2: Der sakramentale Lockdown der Kirche war ein Kniefall vor der Politik
- Klarstellungen 1: Synodalismus und Gremienkatholizismus