Von Msgr. Marian Eleganti*
Ich bringe hier noch einmal einige Überlegungen zur Ökumene im Zusammenhang meiner Auseinandersetzung mit dem Studiendokument „Der Bischof von Rom“, das vor kurzem vom Dikasterium zur Förderung der Einheit der Christen unter Kardinal Kurt Koch vorgestellt wurde. Es macht Vorschläge für die weiteren Gespräche mit den getrennten Christen. Dazu habe ich über die folgende Stellungnahme hinaus bereits dreimal Stellung genommen:
- Eine erste, spontane Reaktion zum Neuen Dokument über die Ausübung des Petrusamtes
- Das Petrusamt: Erwiderung von Msgr. Eleganti auf Kardinal Kurt Koch
- Patriarch des Westens?
Ich persönlich mache schon einen Unterschied zwischen dem Vaticanum I, das eine unfehlbare Dogmatisierung vorgelegt hat, und einem Vaticanum II, das erklärtermassen (nur) ein pastorales Konzil sein wollte. Es ist nachvollziehbar, dass es die Spitzenaussagen des Ersten Vaticanum in die Kollegialität der Bischöfe einbinden wollte, um einen gewissen Ausgleich zu erreichen im Verhältnis zwischen Papst und Bischöfen. Das bedeutet ja nicht, dass man inhaltliche Abstriche machen konnte oder kann am Ersten Vaticanum.
Allerdings ist mir bereits in der Jugend aufgefallen, dass viele Textpassagen von Vaticanum II für Auslegungen offen sind und sehr stark den Charakter eines Kompromisses oder einer gewissen Unschärfe aufweisen, die mich schon damals gestört hat. Ich war damals ein zwanzigjähriger Novize.
Schon als Ministrant hatte ich erlebt, wie rabiat und übertrieben eine Liturgiereform durchgesetzt wurde, die weder von den Konzilsvätern so intendiert war noch den Konzilstexten zu entnehmen ist. Als Ministrant wurde ich vom alten in den neuen Ritus umgeschult. Da waren eher die Kommissionen (Bugnini) als die Konzilsväter am Werk. Sicher sind einige nach Hause gegangen vom Konzil, um den Spielraum, den die Konzilstexte bieten, so weit wie möglich auszulegen. Mit der Zeit haben das wohl auch Ratzinger und Wojtyla etwas kritischer gesehen. Heute sehen leider viele von den Texten selbst ab, auch da, wo sie sich an das Konzil halten müssten. Ich denke, dass damals (60er Jahre), wie auch im säkularen Bereich (Fortschrittsglaube), in der Ökumene eine übertriebene Begeisterung und Zuversicht herrschten. Mit dieser Generation ist nicht mehr weiter-zukommen.
Die heutigen jungen Gläubigen, das konnte ich als Jugendbischof sehr gut sehen, kennen das Konzil überhaupt nicht und interessieren sich auch nicht dafür. Sie haben kaum einen Text gelesen, fühlen sich aber von der alten Liturgie angezogen, ohne ideologisch zu sein. Auch im jungen Klerus gibt es als Reaktion auf die letzten 50 Jahre «Kirchenreform» eine klare, konservative Wende.
Ich glaube, dass die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. noch viel zu stark mit dem Vaticanum II biographisch verwoben waren, um der Generation von morgen mit einer grösseren inneren Freiheit gegenübertreten zu können. Ich sehe einige Dinge im Pontifikat und Charakter von Johannes Paul II. und von Benedikt XVI. durchaus kritisch. Letzterer hat aber mit seiner Forderung einer Hermeneutik der Kontinuität gegenüber jener des Bruches das Problem seit dem Vaticanum II klar erfasst. Kardinal Suenens sprach von einer Revolution ähnlich der französischen, die die katholische gesellschaftliche Ordnung des «Ancien régime» zerstört hat.
In der Ökumene teile ich den Optimismus des Konzils schon lange nicht mehr. Die Bemühungen haben nur die Atmosphäre verbessert, aber keine Einheit gebracht. Auch haben wir überall viel von unserer katholischen Substanz abgebaut und zur Disposition gestellt, ohne dass wirkliche Kircheneinheit entstanden wäre. Die Spaltungen gehen sogar immer weiter (vgl. Anglikanische Kirche; Ausstieg der koptischen Kirche seit Fiducia supplicans; der Bruch zwischen griechischen Orthodoxen (Bartholomäus) und Russisch-Orthodoxen (Kyrill); Ukraine/Kiew und Moskau/Kyrill; die Spaltungen innerhalb der katholischen Kirche unter diesem Pontifikat (vgl. z. B. die Reaktionen ganzer Bischofskonferenzen auf Fiducia supplicans). Das alles kann noch schlimmer werden.
Das Vaticanum II ist mit seinem pastoralen, eher antidogmatischen Ansatz aus seiner Zeit heraus zu verstehen und muss heute etwas differenzierter gelesen werden, während andererseits (das ist mein Punkt) die Dogmatisierung des Petrusamtes eine gewisse zeitlose Normativität behält, an der wir keine Abstriche machen können, um eine Ausübung des Petrusamtes zu entwickeln, die hinter dem Inhalt und Wortlaut des Dogmas zurückbleibt. Eine historische Relektüre dieses Konzils, die ja auch möglich ist, darf also nicht das Kind mit dem Bad ausschütten durch ein sogenanntes re-wording. Das wäre kein Fortschritt. Einheit gibt es nur in der (vollen) Wahrheit, meine Überzeugung. So lange letztere nicht erreicht ist, bleibt sie real nicht existierend. Die Liebe vermag daran nichts zu ändern.
Wir müssen in allen Dialogen von der Wahrheit ausgehen und in ihr bleiben. Wie auch in der Gesellschaft herrschen aber vielfach die Gefühle und die Interessen (Macht), nicht die objektive Wahrheit.
Ich persönlich würde mich lieber um Zusammenarbeit bemühen und in Anliegen wie z. B. Frieden, wo Übereinstimmung erreicht werden kann, diese Übereinstimmung propagieren. Aber zu meinen, wir könnten reformatorische Bekenntnisse (Gemeinschaften) zu einer Einheit im Glauben mit uns zurückbringen durch Konsensgespräche, ohne dass sie sich zum katholischen Glauben bekehren, bleibt für mich eine Illusion. Sie wollen ja erklärtermassen Protestanten bleiben und keine Rückkehrökumene: «Sie haben also nichts falsch gemacht im 16. Jh.». Mit den Orthodoxen ist es auf eine andere Weise ebenso aussichtslos. Wenn sie unter sich keine Einheit zustande bringen, wie dann ausgerechnet und noch dazu mit uns mit einem Patriarchat mehr? Auch «Stellvertreter Christi» wird im Annuario Pontificio unter die historischen Titel gereiht. Warum? Und warum taucht ausgerechnet «Patriarch des Westens» darin wieder auf? Die Pentekostalen expandieren selbstbewusst und sind wohl überzeugt, dass wir säkularisierten Katholiken gar nicht mehr richtig glauben. Das denken auch die Orthodoxen, die uns oft an der Basis wie eine Sekte behandeln, wenigstens wenn man auf Reisen ist.
Ich erwarte die Einheit von Christus, der wiederkommen wird in Herrlichkeit. Argumentativ wie in der bisherigen Form der Ökumene, die immer davon ausgeht, dass die anderen bei sich selbst bleiben dürfen wie auch wir, ist (argumentativ; Konsensgespräche) diese Einheit einfach nicht zu haben bzw. zu erreichen. Ich habe noch nie erlebt, dass ich jemanden durch Argumente von irgendetwas überzeugen konnte, wenn ihm nicht zuvor die Gnade innerlich schon Einsicht gegeben hätte, noch ehe ich meinen Mund ihm gegenüber geöffnet habe. Saulus wurde durch das innere Licht bekehrt, nicht durch die Argumente des Ananias.
Wir dürfen die Wahrheit nicht auf irgendwelche (Teil-)Aspekte in ihr dekonstruieren, z. B. die Auferstehung auf «die Sache Jesu geht weiter» herunterbrechen, um die Athener (bis hierher hätten sie wohl zugestimmt) zu gewinnen, für welche die ganze, krude Wahrheit von der leiblichen Auferstehung Jesu Grund zum Ausstieg aus dem Dialog war (darüber ein anderes Mal). Wenn wir das mit dem Petrusamt auch so machen würden, wäre das für mich definitiv ein Irrweg.
Mit anderen Worten: Ehrenprimat; Dienst der Liebe; Vorsitz bei Synoden und Konzilien; Moderation; Schlichter; Sprachrohr; Primus inter pares etc. etc.: Das alles Ja (d. h. akzeptiert), aber ohne Schlüsselgewalt im Sinne des Vaticanum I., also ohne Jurisdiktion und Definitionshoheit über die ganze Kirche (in diesem Fall eher als communio ecclesiarum verstanden). Das wäre für mich eine auf die beschriebene Weise herabgestufte, dekonstruierte Wahrheit, die jedoch auf dem Vaticanum I unfehlbar definiert worden ist, aber von den getrennten Christen so nicht akzeptiert (Maximalforderung) wird.
Darauf könnten die Befürworter antworten: «Aber wenigstens haben wir etwas erreicht, einen Ehrenprimat.» Meine Antwort: Aber eben keine Einheit in der Wahrheit. Und auch in vielen anderen sichtbaren Bereichen blieben wir uneins und widersprüchlich wie bisher. Wenn sich Johannes Paul II. das so vorgestellt hat mit seinem Angebot (Ut unum sint, 95), dann lag er meiner Meinung nach so falsch, wie als er den Koran geküsst hat. Ausser man abstrahiert bei dieser Geste typischerweise wieder von der Wahrheit (d. h. vom eigenen Wahrheitsanspruch) und sieht in dieser Geste nur eine Ehrbekundung gegenüber dem, was dem anderen (aber eben nicht mir) heilig ist. Trotzdem: Wie kann man das Evangeliar küssen in der Liturgie und den Koran in der Begegnung, noch dazu, wenn man weiss, wie Muslime das sehen bzw. interpretieren?
*Msgr. Marian Eleganti OSB, promovierter Theologe, war von 1999 bis 2009 Abt der Benediktinerabtei St. Otmarsberg im Kanton Sankt Gallen, dann von 2009 bis 2021 Weihbischof der Diözese Chur. Bischof Eleganti betreibt einen eigenen Blog.
Bild: Wikicommons
Nun ja, bis zum Schisma von 1054 und bis zur Gregorianischen Reform WAR der Papst der Patriarch des Westens, danach wollten sich die Päpste an die Stelle der Kaiser setzen (Bonifaz!).
Bei den christlichen Religionsgemeinschaften wären allerdings streng zu unterscheiden: 1. Kirchen, welche die apostolische Sukzession, die Sakramente und das Priestertum bewahrt haben (d. s. Im großen die Ostkirchen) und 2. die aus der Reformation entstandenen Gemeinschaften, die all dies nicht bewahrten (lt. – nicht nur – EB Viganò ist die Konzilskirche im Begriffe, sich bei letzteren einzureihen). Es ist klar, daß eine wie immer geartete „Gemeinschaft“ mit dem Protestantismus nur auf Kosten der Substanz gehen kann (siehe Liturgiereform). Was soll da ein „Ehrenprimat“? Ein typisches Globalistenprojekt, passend für den Freund Schwabs, Al Gores, Soros‘,…