Patriarch des Westens?

Klarstellungen 6


Papst Leo dem Großen (440 bis 461) wurde vom römischen Kaiser der Titel eines Patriarchen des Abendlandes (Okzidents, Westens) zugeschrieben, weil der Staat kurz zuvor die Reichsteilung in West und Ost vollzogen hatte. Für die Kirche intern änderte das nichts. Allerdings begünstigte dieser staatliche Eingriff wohl spätere zentrifugale Bestrebungen im Osten.
Papst Leo dem Großen (440 bis 461) wurde vom römischen Kaiser der Titel eines Patriarchen des Abendlandes (Okzidents, Westens) zugeschrieben, weil der Staat kurz zuvor die Reichsteilung in West und Ost vollzogen hatte. Für die Kirche intern änderte das nichts. Allerdings begünstigte dieser staatliche Eingriff wohl spätere zentrifugale Bestrebungen im Osten.

Von Msgr. Mari­an Eleganti*

Auf der Home­page der Deut­schen Bischofs­kon­fe­renz (DBK) lesen wir bei der Vor­stel­lung des Doku­men­tes „Der Bischof von Rom“: „Im Blick auf die Leh­re des Ersten Vati­ka­ni­schen Kon­zils über den Juris­dik­ti­ons­pri­mat wird eine Relec­tu­re („re-wor­ding“) gefor­dert, das heisst eine aktua­li­sie­ren­de Inter­pre­ta­ti­on und Neu­for­mu­lie­rung unter Berück­sich­ti­gung der histo­ri­schen Umstän­de und der Wei­ter­ent­wick­lung der Leh­re ins­be­son­de­re durch das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil.“ Bei die­ser sog. Relec­tü­re, die ja in sol­chen Fäl­len mei­stens zu etwas ande­rem führt, als es dem bis­he­ri­gen Ver­ständ­nis ent­spricht, gilt die Enzy­kli­ka von Johan­nes Paul II. „Ut unum sint“ (25. Mai 1995) als Start­schuss. Dort heisst es in der Nr. 95 der Enzy­kli­ka: „Ich bin über­zeugt, dies­be­züg­lich eine beson­de­re Ver­ant­wor­tung zu haben, vor allem wenn ich die öku­me­ni­sche Sehn­sucht der mei­sten christ­li­chen Gemein­schaf­ten fest­stel­le und die an mich gerich­te­te Bit­te ver­neh­me, eine Form der Pri­mats­aus­übung zu fin­den, die zwar kei­nes­wegs auf das Wesent­li­che ihrer Sen­dung ver­zich­tet, sich aber einer neu­en Situa­ti­on öff­net.“ Und wei­ter: „Der Hei­li­ge Geist schen­ke uns sein Licht und erleuch­te alle Bischö­fe und Theo­lo­gen unse­rer Kir­chen, damit wir ganz offen­sicht­lich mit­ein­an­der die For­men fin­den kön­nen, in denen die­ser Dienst einen von den einen und ande­ren aner­kann­ten Dienst der Lie­be zu ver­wirk­li­chen vermag.“

Unmit­tel­bar vor­her (Nr. 94) aber beschreibt Johan­nes Paul II. den Pri­mat des Pap­stes mit fol­gen­den Wor­ten: „Mit der Voll­macht und Auto­ri­tät, ohne die die­ses Amt illu­so­risch wäre, muss der Bischof von Rom die Gemein­schaft aller Kir­chen gewähr­lei­sten. Dadurch ist er der Erste unter den Die­nern an der Ein­heit. Die­ser Pri­mat wird auf ver­schie­de­nen Ebe­nen aus­ge­übt; sie betref­fen die wach­sa­me Auf­sicht über die Wei­ter­ga­be des Wor­tes, über die Fei­er der Sakra­men­te und der Lit­ur­gie, über die Mis­si­on, über die Dis­zi­plin und über das christ­li­che Leben. Dem Nach­fol­ger des Petrus obliegt es, an die For­de­run­gen des Gemein­wohls der Kir­che zu erin­nern, falls jemand ver­sucht wäre, dies zugun­sten eige­ner Inter­es­sen zu ver­ges­sen. Er hat die Pflicht hin­zu­wei­sen, zu war­nen und manch­mal die­se oder jene Mei­nung, die ver­brei­tet wird, für unver­ein­bar mit der Ein­heit des Glau­bens zu erklä­ren. Wenn es die Umstän­de erfor­dern, spricht er im Namen aller Hir­ten, die mit ihm in Gemein­schaft ste­hen. Er kann auch — unter ganz bestimm­ten, vom I. Vati­ka­ni­schen Kon­zil klar­ge­stell­ten Bedin­gun­gen — ex cathe­dra erklä­ren, dass eine Leh­re zum Glau­bens­gut gehört. Durch die­ses Zeug­nis der Wahr­heit dient er der Ein­heit.“ Wie aber soll das alles gehen ohne Jurisdiktion?

Wir hal­ten fest:

  1. Ohne Voll­macht (vgl. Juris­dik­ti­on) und Auto­ri­tät (vgl. Pri­mat) ist das Papst­amt nach Johan­nes Paul II. illu­so­risch. Das heisst, es wäre nicht mehr das, was es sein soll: „Mit der Voll­macht und Auto­ri­tät, ohne die die­ses Amt illu­so­risch wäre, muss der Bischof von Rom die Gemein­schaft aller Kir­chen gewähr­lei­sten“ (94).
  2. Der Pri­mat umfasst nach Ut unum sint Nr. 94 ver­schie­de­ne Ebe­nen, auf denen der Papst «klä­rend und mit Auto­ri­tät» ein­grei­fen kann. Sie betref­fen die „wach­sa­me Auf­sicht“ über die „Wei­ter­ga­be des Wor­tes“, die „Fei­er der Sakra­men­te und der Lit­ur­gie“, die „Mis­si­on“, die „Dis­zi­plin und das christ­li­che Leben“ (94). Dem Nach­fol­ger Petri obliegt es (ich fas­se zusam­men): a) das Gemein­wohl der Kir­che zu schüt­zen, b) zu war­nen, c) irri­ge Ansich­ten zu ver­ur­tei­len, die der Ein­heit im Glau­ben wider­spre­chen. d) Er kann im Namen aller Hir­ten spre­chen, die mit ihm in Gemein­schaft ste­hen und e) er kann ex cathe­dra eine Leh­re vor­le­gen, die von allen zu glau­ben ist. Abschlie­ssend: „Durch die­ses Zeug­nis der Wahr­heit dient er der Ein­heit“ (94).

Mit dem von ihm ange­reg­ten „Dienst der Lie­be“, über den es nach­zu­den­ken gilt, kann also m. E. nicht etwas ganz ande­res gemeint sein, etwa ein Ehren­pri­mat des Patri­ar­chen des Westens ohne Juris­dik­ti­on über die ande­ren des Ostens und über die übri­gen bis dato von uns getrenn­ten Christen.

Mit dem „Dienst der Lie­be“ kann es m. E. auch nicht einen dop­pel­ten Stan­dard bzw. eine dop­pel­te Wahr­heit in Bezug auf das Petrus­amt geben, ohne die­ses zu dekon­stru­ie­ren: eine(n) für die römisch-katho­li­sche Kir­che (sozu­sa­gen das latei­ni­sche Patri­ar­chat) mit maxi­ma­ler Juris­dik­ti­on gemäss Vat. I. über die gan­ze Kir­che und eine(n) für die ande­ren, von ihr bis­her getrenn­ten Kir­chen (Patri­ar­cha­te des Ostens) und kirch­li­chen Gemein­schaf­ten (die aus dem Pro­te­stan­tis­mus her­vor­gin­gen) ohne Juris­dik­ti­on über sie.

Mei­ner Mei­nung nach wäre das dann nicht eine Relec­tü­re des Vat. I. (Pastor aeter­nus), son­dern sei­ne Auf­he­bung. Da wir davon aus­ge­hen, dass das Dog­ma der Unfehl­bar­keit des Pap­stes und sei­nes Juris­dik­ti­ons­pri­ma­tes unfehl­bar die Wahr­heit über das Petrus­amt zum Aus­druck bringt und im Hei­li­gen Geist defi­niert wur­de, muss sie für alle Chri­sten gel­ten. Es gibt kein Zurück in frü­he­re Zeiten.

*Msgr. Mari­an Ele­gan­ti OSB, der pro­mo­vier­te Theo­lo­ge war von 1999 bis 2009 Abt der Bene­dik­ti­ner­ab­tei St. Otmars­berg im Kan­ton Sankt Gal­len, dann von 2009 bis 2021 Weih­bi­schof der Diö­ze­se Chur.

Bild: Minia­tur von Leo dem Gro­ßen im Meno­lo­gi­on Basi­lei­os’ II. (um 985), Vati­ka­ni­sche Bibliothek

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4 Kommentare

  1. Ich dan­ke Hoch­wür­den Mari­an Ele­gan­ti für die Klar­heit und Wahr­heit sei­ner Wor­te. Sie sind geeig­net, dass Vie­le die Wahr­heit des Glau­bens wiederfinden.

  2. Für einen der Tra­di­ti­on ver­bun­de­nen Katho­li­ken ist es sicher­lich unge­wöhn­lich, ‚Pastor Aeter­nus‘ für höchst pro­ble­ma­tisch zu hal­ten. Trotz­dem ver­hält es sich bei mir so. Kann man wirk­lich intel­lek­tu­ell red­lich Uni­ver­sal­pri­mat und Unfehl­bar­keit in der Lese­art von Pastor aeter­nus für in der Offen­ba­rung ent­hal­ten glau­ben? Nicht zu unrecht wirft die ortho­do­xe Kir­che der römi­schen Neu­dog­men-Fabri­ka­ti­on vor.
    Für den Bereich des Occi­dents ( also der [einst] latei­ni­schen Kir­che) besteht natür­lich der päpst­li­che Pri­mat (wie für alle ande­ren Patri­ar­chen), aller­dings unter Selbst­bin­dung an die Nor­men, nicht über die­se hin­weg ( wie P.Ae.behauptet).
    Mit P.Ae. haben die Inte­gri­sten um Pius IX den der Tra­di­ti­on Ver­bun­de­nen von heu­te eine schwe­re Bür­de auf­er­legt. Natür­lich war es damals nicht abseh­bar, daß der Papst selbst zum Haup­te der inner­kirch­li­chen Sub­ver­si­on gera­ten wür­de. Aber ein Blick in die Kir­chen­ge­schich­te (über die kastrier­ten Lehr­bü­cher für den Semi­nar­ge­brauch hin­aus) hät­te davon über­zeu­gen müs­sen, daß das Papst­tum kei­nes­falls immer ein „Fel­sen“ war.
    Wer hat­te in der alten Kir­che die Gesamt­lei­tungs­funk­ti­on? Die drei, dann vier, dann fünf Patri­ar­cha­te unter der fak­ti­schen Lei­tung der Römi­schen Kai­ser (die auch den uni­ver­sel­len Kon­zi­len vorstanden).
    Auch im Abend­land stan­den die Kai­ser bis zur Gre­go­ria­ni­schen Reform über dem Papst; wie­der­holt wur­den unwür­di­ge Päp­ste von ihnen abge­setzt. Lei­der fehlt uns heu­te ein Kai­ser für dies Aufgabe…

    • Für die Lei­tung der Gesamt­kir­che muß es ein zen­tra­les Lehr­amt geben, weil alles ande­re frü­her oder spä­ter in Zwist und Anar­chie endet. Daher hal­te ich das Vati­ka­ni­sche Kon­zil 1869/​1870 mit sei­nen Dog­men für fol­ge­rich­tig. Fra­gen Sie doch ein­mal unter den öst­li­chen Schis­ma­ti­kern vom Mos­kau­er und Kie­wer Patri­ar­chat, ob Ruß­lands Staats­prä­si­dent Wla­di­mir Putin in sei­nem Krieg gegen die Wolo­dym­yr-Selen­ski-Ukrai­ne unter­stützt wer­den soll. Sie wer­den frei­lich zwei völ­lig ent­ge­gen­setz­te Ant­wor­ten erhalten.

  3. Ich habe glau­be, Pastor Aeter­nus hat eine immense histo­ri­sche Rele­vanz. Es war in sei­ner Wir­kung nie unan­tast­ba­rer als in die­ser End­zeit. Ein­mal dis­qua­li­fi­ziert es den gegen­wär­ti­gen Ursu­pa­tor in Rom. Jeder kann gemäß des frei­en Wil­lens sei­ne eige­ne Per­son for­men. Dies tat Berg­o­glio so, daß sei­ne heu­ti­ge Per­son defi­niert wer­den kann als der histo­ri­sche Ver­sa­ger gegen­über Pastor Aeter­nus. „Wer bin ich…“ ist sei­ne Aus­sa­ge auf das Doku­ment. Es ist offen­sicht­lich, Berg­o­glio wird gera­de durch das Doku­ment histo­risch als Nicht-Papst entlarvt. 

    Das zwei­te ist die ein­ma­li­ge Ver­kün­di­gung eines Unfehl­bar­keits­dog­mas. Alles ist dadurch anders. Als Pius XII die leib­li­che Auf­nah­me Mari­ens in den Him­mel ver­kün­de­te, war es eine Revo­lu­ti­on des christ­li­chen Glau­bens. Weil Maria in den Him­mel auf­ge­nom­men wur­de, ist sie gött­li­che Für­spre­che­rin. Die unmit­tel­ba­re Ver­bin­dung Mari­ens mit dem Hei­li­gen Geist resul­tiert dar­aus. Und das Ver­ständ­nis für gött­li­che Offen­ba­rung in der End­zeit ist gege­ben. Die Bibel hat uns nicht dar­über infor­miert, daß Maria als ewi­ge Für­spre­che­rin da ist. Wir wis­sen nur eines: „Als Jesus sei­ne Mut­ter sah und bei ihr den Jün­ger, den er lieb­te, sag­te er zu sei­ner Mut­ter: Frau, sie­he, dein Sohn! Dann sag­te er zu dem Jün­ger: Sie­he, dei­ne Mut­ter! Und von jener Stun­de an nahm sie der Jün­ger zu sich“. 

    Seit der Ver­kün­di­gung des Dog­mas ist es für das Chri­sten­tum amt­lich. Die Mensch­heit hat ein weib­li­ches Gegen­über im Jen­seits. Die Got­tes­mut­ter ist unse­re akti­ve Leh­re­rin. Und das Gebet zur Jung­frau hat die Dimen­si­on einer gött­li­chen Wirkung. 

    Gott läßt zu, daß alle Gemein­schaf­ten inner­halb der Kir­che zer­stört wer­den. Er läßt zu, daß die hei­li­ge Lit­ur­gie, das Opfer abge­schafft wird. Die Mari­en­wall­fahrts­or­te blei­ben unberührbar.

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