
Von Msgr. Dr. Marian Eleganti*
Ein Leben lang habe ich nur Probleme bekommen und die Rolle des Aussenseiters gespielt, des Ruhestörers. weil es für mich in allen Dingen eine Wahrheit gibt, die man suchen und für die man eintreten muss. Natürlich habe ich sie nicht gepachtet, wie man so gerne vorwirft. So primitiv im Denken bin ich nicht. Sechs Jahre lang habe ich mich mit Wahrheitstheorien befasst (Was ist Wahrheit? Kann man sie finden? Gibt es Kriterien der Gewissheit, sie gefunden zu haben etc.). Ich bin in dieser Frage keineswegs naiv, auch nicht intolerant oder anmassend. Ich kenne die skeptischen Theorien, die Pluralitätsthese und den Relativismus als ihre Konsequenz. Ich kenne auch die Vorwürfe gegenüber der Religion: dass Absolutheitsansprüche angeblich ipso facto zu Gewalt und Unfrieden führen. Ein ganzes Leben lang musste ich mich gegen die diesbezüglichen, immer wieder gleichen Vorwürfe und philosophischen Plattitüden verteidigen. Ich bin es müde, sie allesamt hier beim Namen zu nennen und zu widerlegen in all ihren Variationen.
Wahrheit ist, weil Gott ist. Auch die Atheisten wollen nicht getäuscht werden. Auch sie setzen die Übereinstimmung von Denken, Reden und Fakten voraus, wenn sie reden oder zuhören. Etwas anderes wäre nicht wünschenswert. Wir wollen wissen, ob der Partner Ehebruch begangen hat oder nicht. So einfach ist es. Also müssen wir die Wahrheit suchen und Schein überwinden. Einmal festgestellt, nimmt eine Wahrheit keine Rücksicht auf Gefühle und Befindlichkeiten. Hier liegt das Problem. Intolerant sind nur jene Menschen, die Widerspruch nicht ertragen, oder jene, die ihre eigene Sicht und ihre eigenen Interessen durchsetzen wollen. Für diese sind dann alle Mittel recht, und sie werden täglich angewandt. Die wahren Zeugen der Wahrheit aber sterben für sie, nicht immer blutig. Eine andere Seite dieser Medaille ist die Gerechtigkeit. Auch sie bringt Märtyrer hervor.
Wer keine Wahrheit hat, die ihn in die Pflicht nimmt, kann zu allen nett sein. Er stösst nirgends an. Er kann alles und jeden irgendwie in seine Haltung inkludieren und tolerieren. Er hat ein annehmliches Leben und wird beliebt.
Sobald man aber widerspricht, weil die Wahrheit einen dazu verpflichtet, wird es ungemütlich. Schaut in die Welt hinaus und erkennt, wie viele davon ein Lied singen könnten!
Unsere Zeit hat keine Wahrheit. Deshalb hat sie verlernt, um ihretwillen über sich selbst hinauszugehen. Das gilt auch für den einzelnen. Da es keine Wahrheit gibt, die grösser ist als die eigene Befindlichkeit, bleibt nur letztere. Diese gilt dann als wahr. Auf diese Weise bilden sich Männer ein, Frauen zu sein, um nur das bekannteste Beispiel zu nennen. Psychologische Probleme sind immer involviert, wenn man von Objektivität und Wahrheit redet. Sie sind auch der Grund für Intoleranz, Fanatismus u. a. m., abgesehen von knallharten Interessen, die schon immer die stärksten Gegner der einsam dastehenden Wahrheit waren. Denken wir an Christus vor Pilatus.
Ich plädiere für einen neuen Sinn für Objektivität. Es gibt einen Unterschied zwischen Wahrheit und Befindlichkeit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, Exklusion (von Sünde und Irrtum) und Inklusion (des Sünders), zwischen Gegebenem (Wirklichkeit) und Gewolltem, auch zwischen Amt und Träger. Das Amt ist grösser als sein Träger. Auch das begreift unsere Zeit nicht. Sie jubelt der Dekonstruktion des Amtes zu und hält es für Demut.
Woher kommt das Schwert der Wahrheit, ihre Eigenart, zu polarisieren, auszuschliessen und zu verurteilen? Ich antworte: Aus ihrem Wesen selbst! Wahrheit ist unbeugsam, unerbittlich, exklusiv (gegenüber dem Irrtum und der Lüge), intolerant gegenüber jeder Art von Falschheit und Schein. Sie bleibt in Ewigkeit. Und je nachdem, mit was sich die Menschen verbinden, bekommen sie es mit Wahrheit und Gerechtigkeit in aller Härte (Unbiegsamkeit) zu tun. Diese (gefühlte) Härte aber stammt nicht aus der Wahrheit selbst, sondern aus dem Widerspruch zu ihr (die Wahrheit kann man nicht biegen). Am letzteren (Widerspruch) halten viele Menschen fest. Umso empfindlicher ihre Reaktion, sobald man die Wahrheit sagt, Widersprüche und falschen Schein aufdeckt.
Der Fels Petri ist Fels, weil er die Wahrheit Christi verkündet und gegen Irrtum verteidigt. Solange er sie ausspricht und verkündet, ist er auch Stein des Anstosses. Daran führt kein Weg vorbei, denn der Knecht steht nicht über dem HERRN.
Wehe einer Kirche, die es allen recht machen will, die jeder Befindlichkeit in ihrer Lehre entgegenkommt, sich dem Geschmack und den Wünschen der Zeit anpasst mit Abstrichen an den Geboten Christi, Freundschaft mit der Welt sucht, von ihr akzeptiert werden will. Das geht immer auf Kosten des Evangeliums Jesu Christi. Wehe einer inklusiven Kirche, welche die Sünde nicht beim Namen nennt, Irrtümer nicht verurteilt, Christus nicht bezeugt als den einzig richtigen Weg, die (geoffenbarte) Wahrheit schlechthin und als das wahre, ewige Leben. Wehe einer Kirche, die alles gelten lässt, um von allen geliebt und akzeptiert zu werden.
Hoffen wir, dass das kommende Pontifikat in die richtige Richtung geht.
*Msgr. Marian Eleganti OSB, promovierter Theologe, war von 1999 bis 2009 Abt der Benediktinerabtei St. Otmarsberg im Kanton Sankt Gallen, dann von 2009 bis 2021 Weihbischof der Diözese Chur. Bischof Eleganti betreibt einen eigenen Blog.
Bild: Wikicommons
Die bisherigen Klarstellungen von Bischof Eleganti:
- Klarstellungen 14: Migration und Grenzen des Wachstums
- Klarstellungen 13: Die nicht mehr verliebte Braut. Gedanken zum Heiligen Jahr 2025
- Klarstellungen 12: Die Dekonstruktion des Priesters und der Frau
- Klarstellungen 11: Synodalität ist keine neue Offenbarung
- Klarstellungen 10: Wäre ein Ehrenprimat des römischen Pontifex ein echter ökumenischer Fortschritt?
- Klarstellungen 9: Kein Zugang zum VATER ohne JESUS CHRISTUS. Mission ist ein Auftrag Jesu
- Klarstellungen 8: Ihr könnt uns kein Schlangenöl verkaufen!
- Klarstellungen 7: Überlegungen zur Ökumene seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil
- Klarstellungen 6: Patriarch des Westens?
- Klarstellungen 5: Eine erste Reaktion zum Neuen Dokument über die Ausübung des Petrusamtes
- Klarstellungen 4: Anmerkungen zu den neuen Normen für den Umgang mit Privatoffenbarungen
- Klarstellungen 3: Unendliche oder unantastbare Würde?
- Klarstellungen 2: Der sakramentale Lockdown der Kirche war ein Kniefall vor der Politik
- Klarstellungen 1: Synodalismus und Gremienkatholizismus