Die Worte seines persönlichen Sekretärs Georg Gänswein sind unmißverständlich: Die 2005 im Konklave unterlegene „Partei“ führte Krieg gegen Papst Benedikt XVI. Sein Tod zerbricht ein prekäres Gleichgewicht in der Kirche, so der katholische Publizist Lorenzo Bertocchi in seiner Analyse.
Für Profane könnte alles nur eine menschliche Erklärung haben, aber in Wirklichkeit betrifft der Kampf letztlich die „Geister der Lüfte“, die über die materielle Welt hinausgehen, so Bertocchi. In diesen Tagen vor dem Begräbnis des „emeritierten“ Papstes Benedikt XVI. besteht die Gefahr, daß das Klima der Trauer und der aufrichtigen Ergriffenheit, das in der Kirche und in den Kommentaren herrscht, „verdeckt, was der Kirche schon immer widerfahren ist: das Wirken des ‚Spalters‘, des Diaballo, desjenigen, der Zwietracht sät, kurzum, des Teufels.“
Msgr. Georg Gänswein, der langjährige Sekretär von Papst Joseph Ratzinger, sprach es in einem gestern von La Repubblica veröffentlichten Interview aus, als ihn Ezio Mauro fragte: In den Jahren des Pontifikats von Benedikt XVI., den Jahren von Vatileaks, des Mißbrauchsskandals, der Vatikanbank IOR, „haben Sie da die Gegenwart des Teufels gespürt?“
„Ich habe ihn sehr gespürt in dem Widerspruch gegen Papst Benedikt“, antwortete Don Georg trocken und gab der Sache damit eine ganz andere Note. Die Antwort läßt tiefer blicken.
In einem Interview mit der deutschen Tagespost nahm Gänswein noch eine Klarstellung vor, indem er sagte, daß Benedikt XVI. „mit Schmerz im Herzen“ das Motu proprio Traditionis custodes gelesen habe, mit dem Papst Franziskus im Sommer 2021 das Motu proprio Summorum Pontificum seines Vorgängers eliminierte.
Das Repubblica-Interview, das gestern unter dem Titel „Im Vatikan hat der Teufel gegen Benedikt XVI. agiert“ veröffentlicht, aber bereits wenige Tage vor dem Tod des emeritierten Papstes gegeben wurde, betont vor allem und zum x‑ten Mal, daß der Rücktritt von Benedikt XVI. nicht unter einer Art Erpressung erfolgte. Sein Amtsverzicht sei „frei“ erfolgt und wurde von einer persönlichen Einschätzung Ratzingers diktiert, der körperlich nicht mehr in der Lage gewesen sei, das Amt weiter auszuüben. Viele der Freunde Benedikts XVI. waren mit dieser Entscheidung gar nicht einverstanden, nicht einmal Gänswein selbst, wie er im selben Interview sagt. Der Rücktritt hat vor allem die Gegner Benedikts XVI. glücklich gemacht, aber nicht etwa wegen kleinlicher Machtfragen, sondern gerade wegen der Bedeutung für die Ekklesiologie und die Interpretation der Figur des Papstes selbst. Es geht um radikale Fragen, tiefe Bruchlinien und Verwerfungen, vor denen die Kirche zittert. Darauf stürzen sich die „Geister der Lüfte“ mit Begeisterung und aller Wut.
Die Wahl von Papst Franziskus im Konklave 2013, das einberufen wurde, um die Sedisvakanz nach dem Amtsverzicht von Benedikt XVI. zu beenden, wurde immer wieder als Rache jener „Partei“ bezeichnet, die im Konklave 2005 besiegt worden war, wenn man es so nennen kann. Msgr. Gänswein selbst sagte, die Wahl Benedikts XVI. sei das Ergebnis „eines dramatischen Kampfes zwischen der sogenannten ‚Salz der Erde“-Parteiung um die Kardinäle López Trujíllo, Ruini, Herranz, Rouco Varela und Medina und der sogenannten St.-Gallen-Gruppe um die Kardinäle Danneels, Martini, Silvestrini, Kasper, Lehmann und Murphy-O’Connor. Die Agenda des Jesuitenkardinals Carlo Maria Martini, die er auf der Bischofssynode von 1999 kurz und bündig formulierte, wird in gewisser Weise als Manifest der Liberals angesehen:
- Lockerung der Morallehre (mit Aushöhlung der Enzykliken Humanae vitae von Paul VI. und Veritatis splendor von Johannes Paul II.);
- neue Rolle (Ämter) für die Frau;
- Weihe verheirateter Priester;
- eine Kirche der permanenten Synode.
Diese Hinweise reichen aus, um zu verstehen, warum der Vatikanist Sandro Magister bereits im Oktober 2013, wenige Monate nach der Wahl von Jorge Mario Bergoglio, titelte: „Papst Martini, ein Wirklichkeit gewordener Traum“.
Der Bruch ist, wie gesagt, abgrundtief und kann nicht geleugnet werden. Franziskus ist der regierende Papst und Benedikt war seit zehn Jahren der „emeritierte“ Papst. Sie haben sich gegenseitig respektiert und anerkannt und eine scheinbar ruhige und kooperative Koexistenz aufgebaut, aber sie blieben zwei ganz unterschiedliche und weit voneinander entfernte Persönlichkeiten. Nicht einmal Benedikt XVI. hatte, wie er seinem Biographen Peter Seewald anvertraute, mit der Wahl von Kardinal Bergoglio gerechnet, vielleicht, wie unvorsichtigerweise gerade Kardinal Martini sagte, weil er erwartete, daß „es ein Konklave geben wird, das vielleicht [Angelo] Scola“ wählen würde (Martini in einem Dialog mit Renata Patti, einem ehemaligen Mitglied der Fokolar-Bewegung).
Jedenfalls hat das ganze bisherige Pontifikat von Franziskus mit den zehn Jahren von Ratzingers Leben als „Emeritus“ koexistiert. Zehn Jahre, in denen die beiden Seelen der tellurischen Bruchlinie in der Kirche sofort aufeinandergeprallt sind und zwar konkret seit der Doppelsynode über die Familie in den Jahren 2014 und 2015. In gewisser Weise hat Papst Benedikt, wenn auch weitgehend schweigend, als Gegengewicht zum Pontifikat von Franziskus gewirkt, und das nicht nur in einer polarisierenden journalistischen Interpretation, sondern gerade auch innerhalb des Kirchenkörpers. Für die einen war Benedikt eine lästige reaktionäre Bremse, für die anderen aber ein „Katechon“, das weiterhin wirkte.
Das Pontifikat von Benedikt XVI. wurde von Vatileaks, dem Mißbrauchsskandal – zu dessen Aufarbeitung übrigens Benedikt als Kardinal und als Papst die stärksten und maßgeblichsten Anstöße gegeben hat, nicht Franziskus –, schließlich Skandalen bei der Vatikanbank IOR überschattet, all das ist an die Oberfläche gedrungen, weil der Dämon, den Gänswein „gegen Papst Benedikt“ in Aktion sah, in der Welt wohnt, und dem „pastore tedesco“ nichts „durchgehen“ ließ, um jenes niederträchtige Urteil über den 2005 gerade neugewählten Papst Benedikt XVI. anzusprechen, das Bertocchi in Erinnerung ruft und das erklärt werden muß.
Es handelte sich um ein übles Wortspiel, das die kommunistische Tageszeitung Il Manifesto am Tag nach der Wahl Benedikts zusammen mit einem Bild des neuen Papstes auf die Titelseite setzte. Das Wortspiel konnte sowohl als „deutscher Hirte“, aber viel wahrscheinlicher, da umgangssprachlich geläufig, als „Deutscher Schäferhund“ gelesen werden. Genau das war beabsichtigt. Die radikale Linke, die heute als Fußtruppe und Sturmabteilung den höchsten Etagen des globalistischen Establishments dient, begrüßte Benedikt XVI. mit seiner Herabwürdigung als Hund. Papst Franziskus hingegen knüpfte schnell beste Kontakte zum Manifesto, von dem er sogar eines seiner Bücher herausgeben und vertreiben ließ.
„Dem Teufel gefällt es, um den Altar herumzustreifen und die Gestalt eines kirchlichen Deep State anzunehmen, der nicht nur an der Römischen Kurie lauert, sondern sich in den Episkopaten, Universitäten, Seminaren, Bewegungen und Vereinigungen eingenistet hat und den tiefen Bruch über das Kirchenverständnis und die Weitergabe des Glaubens, seiner Tradition und Vertiefung oder seiner Weiterentwicklung, sowie die Beziehung zwischen Glauben und Geschichte nährt und fördert. Hier hat Ratzinger seine Widersacher und seinen ärgsten Feind gefunden“, so Bertocchi.
Papst Paul VI. sagte nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, es sei „durch irgendeinen Spalt der Rauch Satans in den Tempel Gottes eingedrungen“. Und heute?
Der Tod von Benedikt XVI. könnte das Pontifikat von Franziskus in mancher Hinsicht noch schwieriger machen, nicht so sehr wegen wer weiß welcher Angriffe von Konservativen, sondern wegen der nun fehlenden Dynamik, sodaß einige seiner „Freunde“ sich endgültig enttäuscht abwenden könnten. Dabei ist, Bertocchi erwähnt es nicht, schwer zu sagen, was schwerer wiegt, daß Franziskus und sein Hofstaat nun „freie Fahrt“ haben, oder daß sich ein nicht unerheblicher Teil der Kirche vollends verwaist fühlt.
Bertocchi ist zuzustimmen, wenn er sagt, daß man mit Blick auf ein neues Konklave schon seit einiger Zeit von großen Manövern hört, aber sich das Panorama der Papstwähler heute als von schwieriger Lesart erweist. Papst Franziskus hat durch exotische und eigenwillige Ernennungen den Wahlkörper so umgebaut, daß Prognosen nach den bisher bekannten Kategorien von 2005 und 2013 kaum möglich sind. Von den aktuell 125 Kardinälen (126 mit Kardinal Angelo Becciu), die zur Papstwahl berechtigt sind, wurden 81 bzw. 82 von Franziskus ernannt.
Sicher ist, daß die große Bruchlinie, die die Kirche seit über einem halben Jahrhundert martert, weiterhin vorhanden und noch tiefer geworden ist. Dennoch sind Überraschungen immer möglich, denn ein bekanntes römisches Sprichwort sagt: Der Teufel macht den Topf, aber nicht den Deckel.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshot)
Dieser Artikel ist extrem gut, denn er zeigt sehr deutlich auf, nicht in allen Einzelheiten, um was es geht und wo die Frontlinien verlaufen.
Es ist nicht zu 100% ausgeschlossen, daß die noch von Benedikt ernannten Kardinäle ein Konklave einberufen und einen der ihren zum Nachfolger des „Papstes emeritus“ wählen werden.
Auf jeden Fall werden die Benedikt-treuen Kardinäle und Bischöfe nicht mehr alles mitmachen oder Dinge zu verkleistern suchen wie es leider Kardinal Müller bei Amoris Laetitia zu tun versuchte- und damit gescheitert war und ist; mit „lustig“ ist jedenfalls Schluß. Der Tod von Benedikt gibt ihnen dazu soz. freie Hand. Die Zeit der Gegenrevolution ist m.Er. angebrochen und das betrifft über die Kirche hinaus auch die Welt.