(Rom) In Rom gilt, wer unter den Kardinälen durch Autobiographien auf sich aufmerksam macht und sich darin auch zu den umstrittensten Aspekten in der Amtsführung von Papst Franziskus positiv äußert, will sich selbst als „Papabile“ für das nächste Konklave in Stellung bringen. Da Papst Franziskus im fünften Jahr seines Pontifikats steht und im Dezember 81 wird, machen sich einige aus seinem Unterstützerumfeld von 2013 Gedanken über seine Nachfolge. Als „Initiativbewerber“ fiel bisher vor allem der philippinische Kardinal Luis Antonio Tagle auf. Nun meldete auch Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga seine Bewerbung um die Franziskus-Nachfolge an und tat dies mit einer abschätzigen Verbalattacke gegen Kardinal Burke und die Franziskus-Kritiker.
Die „Option Tagle“ kann gerade im deutschen Sprachraum auf nicht unerhebliche Sympathien zählen. Auf der Franzisceischen Klaviatur der „prophetischen Kirche der Armen“ und der „Kirche der Letzten“ lernte Tagle besonders schnell zu spielen. Als er im Vorjahr seine Autobiographie „Ich habe von den Geringsten gelernt“ vorlegte, attestierte dem Erzbischof von Manila kein „Geringerer“ als Alberto Melloni, der Leiter der progressiven Schule von Bologna, ein „vollkommener Franziskus-Interpret“ zu sein. Melloni, der Gralshüter der „Hermeneutik des Bruchs“, gab damit am 10. November 2016 in der Tageszeitung La Repubblica (der einzigen, die Franziskus täglich liest) zu verstehen, daß er in Kardinal Tagle den idealen Nachfolger von Papst Franziskus sieht.
Maradiagas Buch „Nur das Evangelium ist revolutionär“
Nun trat mit Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga, dem Erzbischof von Tegucigalpa in Honduras, ein weiterer „Initiativbewerber“ derselben Richtung an die Öffentlichkeit und erklärte sich selbst zum „Papabile“. Der Koordinator des von Papst Franziskus geschaffenen C9-Kardinalsrates hat einiges mit Tagle gemeinsam. Nur ein Aspekt: Tagle ist Vorsitzender, Maradiaga war Vorsitzender der Caritas Internationalis. Auch Maradiaga unterhält gute Kontakte in den deutschen Sprachraum und spricht, im Gegensatz zu Tagle, sogar deutsch. Seit der Wahl von Kardinal Jorge Mario Bergoglio ist auch an den letzten „Rändern“ klar geworden, welches Gewicht „den Deutschen“ in einer bestimmten Richtung zukommt.
Am 2. Mai legte Kardinal Maradiaga sein neues Gesprächsbuch „Solo il Vangelo è rivoluzionario“ (Nur das Evangelium ist revolutionär) vor. Als Lateinamerikaner fällt ihm der Sprachstil von Franziskus, beispielsweise der häufige Gebrauch von Begriffen wie „Revolution“, nicht schwer. In den wenigen Sätzen, mit denen der Verlag das Buch bewirbt, ist alles enthalten, worum es geht. Es werden alle offenbar relevanten Stichworte präsentiert, mit denen sich der honduranische Kardinal für die Nachfolge von Papst Franziskus in Stellung bringt:
- „Er gehörte bei den beiden jüngsten Konklaven zum Kreis der ‚Papabili‘.“
- „Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga ist einer der Männer, die Bergoglio am nächsten stehen“.
- Papst Franziskus ist „sein brüderlicher Freund seit den Tagen der Zusammenarbeit in der lateinamerikanischen Bischofskonferenz“.
- Es geht ihm um „das Ziel einer konkreten und nicht nur theoretischen Synodalität“, um eine Kirche, die „immer weniger rom-zentriert und immer mehr universal“ ist. Maradiaga enthüllt im Buch „die vielen Widerstände gegen die Veränderung“ und die Reformen, „durch jene, die laut Maradiaga ‚mit Franziskus nicht barmherzig sind‘.“
- Der Kardinal sieht eine „Kirche, die hinausgeht“, eine „Kirche der Armen für die Armen“ und eine „unruhige Kirche“.
Kardnal Burke? „Das ist nur ein armer Mensch“
Wie im Fall von Kardinal Tagle wurde das Buch (und vorerst nur) in italienischer Sprache vorgelegt. Italienisch ist die inoffizielle Sprache der Kirche. Sie sichert größtmögliches Gehör und vor allem Aufmerksamkeit in Rom. Entsprechend widmete die Bergoglio-nahe, römische Internetseite Faro di Roma dem Buch gleich zwei Artikel. Einer davon ist ein Frontalangriff gegen Kardinal Raymond Burke, dem profiliertesten Kritiker der Amtsführung von Papst Franziskus.
„Maradiaga antwortet auf Burke: Das ist ein armer Mensch. Anti-Bergoglio-Lobbying im Konklave“, titelte Faro di Roma und zitiert längere Passagen aus dem Maradiaga-Buch. Unter anderem geht es dabei um die Dubia (Zweifel) von vier namhaften Kardinälen zum umstrittenen nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia. Sie baten im September 2016 Papst Franziskus mit fünf Fragen um Klärung von zweideutigen Formulierungen, die „große Verwirrung“ in der Kirche stiften. Kardinal Burke gilt unter Bergoglianern als „Rädelsführer“ der Kritiker. Über ihn ätzte nun Kardinal Maradiaga:
„Dieser Kardinal, der das behauptet, ist ein enttäuschter Mensch, weil er Macht wollte, sie aber verloren hat. Er glaubte die höchste Autorität der USA zu sein. Wie sagte die kleine Therese: ‚Ich bevorzuge klein zu sein, denn wenn ich stolpere, ist der Schlag nicht so groß; jene, die aber höher oben sind, machen Lärm, wenn sie fallen, und tun sich sehr weh.‘ Er ist nicht das Lehramt: Der Heilige Vater ist das Lehramt und lehrt die ganze Kirche. Der andere gibt nur seine Meinung wieder und verdient keine weiteren Kommentare. Das sind nur die Worte eines armen Menschen.“
Franziskus ist „vom Herrn gewollt – die anderen wollen nur Macht nicht Wahrheit“
Zum Konklave von 2013 sagt Maradiaga, daß es „Lobbying“ gab, „sogar sehr starke“, aber laut Meinung des Honduraners nur für „andere Tendenzen“, nicht für Bergoglio. Doch die Kardinäle, die als „Papabili“ galten, seien Kardinäle geblieben, während „der, den der Herr wollte, gewählt wurde“.
Meinungsunterschiede im Konklave seien verständlich, denn „nicht alle können gleich denken“. Kritik an der Amtsführung von Papst Franziskus läßt Kardinal Maradiaga aber nicht gelten:
„Es ist Petrus, der die Kirche leitet, und daher: Wenn wir Glauben haben, müssen wir die Entscheidungen und den Stil des Papstes, der vom Ende der Welt kam, respektieren.“
Um dann deutlicher zu werden:
„Diese Seilschaften der katholischen Rechten sind Personen, die Macht und nicht Wahrheit suchen, und die Wahrheit ist nur eine. Wenn sie behaupten, daß sie, unter Anführungszeichen, irgendeine Häresie in den Worten von Franziskus finden, dann irren sie sich gewaltig, weil sie nur wie Menschen denken und nicht wie der Herr will.“
„Die einfachen Leute sind mit dem Papst – die anderen sind arme Kerle“
Zugleich kritisierte Maradiaga, ohne die Dubia namentlich zu nennen, daß „Schriftstücke gegen den Papst veröffentlicht“ werden, die „nicht ihn schädigen, sondern die einfachen Leute schädigen“. Um den vier Unterzeichnern der Dubia, den Kardinälen Brandmüller, Burke, Caffarra und Meisner, einen Strick drehen zu können, verschweigt Maradiaga allerdings, daß die vier ihre Zweifel dem Papst persönlich übermittelten. Öffentlich gemacht wurden sie erst zwei Monate später, weil Franziskus ihnen weder eine Antwort gab noch das Gespräch mit ihnen suchte.
Im polemischen Ton geht es bei Maradiaga weiter:
„Was tut eine zu einigen Themen verschlossene Rechte? Nichts! Sie vertreibt die Leute, und die einfachen Leute sind mit dem Papst. Jene, die hingegen stolz und überheblich sind, die glauben, einen höheren Intellekt zu haben .… arme Kerle.“
Kardinal Caffarra, einer der vier Unterzeichner der Dubia hatte Anfang des Jahres gesagt: „Nur ein Blinder kann leugnen, daß wegen Amoris laetitia in der Kirche die größte Verwirrung herrscht“. Maradiaga nennt Caffarra nicht beim Namen, repliziert aber. Wenn „Verwirrung“ unter den Leuten herrsche, dann deshalb, weil sie „Aussagen von Bischöfen und Kardinälen gegen den Heiligen Vater lesen“. Dem hält der honduranische Purpurträger die Forderung nach „Loyalität gegenüber Petrus“ entgegen:
„Was Jesus von mir verlangt, ist, Petrus gegenüber loyal zu sein. Wer das nicht tut, sucht nur Popularität.“
Zumindest letztere Äußerung muß verblüffen, da Papst Franziskus in der veröffentlichten Meinung die Popularität geradezu monopolisiert.
Kardinal Maradiaga meldet mit dem Buch seine Kandidatur beim nächsten Konklave an und tut das mit einem unter Kardinälen bisher unbekannten, ja verpönten, polemischen Zungenschlag. Er äußert sich ungewöhnlich abschätzig über Mitbrüder. Mit dieser ungestümen Verteidigung von Papst Franziskus begeht er einen Tabubruch, der eine weitere Verschärfung des Konfliktes ankündigt. Spätestens für das nächste Konklave zeichnet sich ein harter Zusammenprall ab.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL/Friar’s Life/Youtube