(Neu Delhi) Die Frage nach der Zelebrationsrichtung stellt die mit Rom unierte syro-malabarische Kirche vor eine Zerreißprobe.
Die Thomas-Christen
Die syro-malabarische Kirche beruft sich auf die Missionstätigkeit des Apostels Thomas in Indien, wo dieser auch das Martyrium erlitt. Die Thomas-Christen traten in der Spätantike mit dem syrischen Christentum in Kontakt, wie sich noch heute im Namen zeigt. So übernahmen sie den ostsyrischen Ritus der Apostolischen Kirche des Ostens, die bis nach Tibet, China und in die Mongolei missionierte.
Als die Portugiesen Indien erreichten, kam es erstmals auch zu Kontakten mit der lateinischen Kirche, die 1599 in der Union mit Rom mündeten.
Die syro-malabarische Kirche zählt heute rund fünf Millionen Gläubige, vor allem im indischen Bundesstaat Kerala, ihrem historischen Territorium. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts existiert auch eine Hierarchie dieser Kirche außerhalb Keralas. Insgesamt zählt sie heute 35 Diözesen, davon 18 in Kerala und weitere dreizehn in Indien, 8.000 Priester und 3.300 Pfarreien. Die Hauptdiözese ist das Großerzbistum Ernakulam-Angamaly mit einer halben Million Gläubigen. Sie steht im Zentrum des aktuellen Streits.
Unter westlichem Einfluß kam es zu Formen der Latinisierung, die von Papst Pius XI. zum Teil wieder rückgängig gemacht wurden. Seither existieren jedoch zwei Fraktionen in der syro-malabarischen Kirche, die sich gegenüberstehen, und das zum Teil ziemlich feindselig. Die malayalamische Fraktion hält an den syro-malabarischen Traditionen fest, während eine lateinische Fraktion eine stärkere Latinisierung der Kirche wünscht.
Zelebrationsrichtung als Streitpunkt
Hauptstreitpunkt ist die Zelebrationsrichtung. Die lateinische Fraktion betont, daß die Zelebrationsrichtung vom Zweiten Vatikanischen Konzil geändert worden sei und der Priester dem Volk nicht mehr „den Rücken zukehren“ sollte. Die malayalamische Fraktion beharrt hingegen auf der eigenständigen Tradition, weshalb die nachkonziliare Liturgiereform des lateinischen Ritus von 1969 die syro-malabarische Kirche nicht betreffe.
Wegen des schwelenden Konflikts bekräftigte die Synode der syro-malabarischen Kirche 1999 einstimmig, daß die Zelebrationsrichtung zumindest bei der Eucharistiefeier weiterhin gemeinsam mit dem Volk ad orientem zu sein habe. Dabei handelt es sich um eine Kompromißformel zwischen der überlieferten Zelebrationsrichtung Osten der syro-malabarischen Tradition und der vollständigen Zelebrationsrichtung zum Volk hin der lateinischen Fraktion. Dieser Beschluß wurde seither mehrfach bestätigt, gegenüber den „lateinischen“ Rebellen aber nicht in letzter Konsequenz durchgesetzt. Ein verpflichtender Beschluß unter Androhung von Sanktionen erfolgte erst im Sommer 2021. Bis Ostern 2022 hatten alle Diözesen und Pfarreien zur einheitlichen Zelebrationsrichtung der Heiligen Qurbana, so wird das heilige Meßopfer im syro-malabarischen Ritus genannt, zurückzukehren.
Der Streit war wegen der Corona-Maßnahmen in der Pseudopandemie ausgebrochen, als auch die syro-malabarische Kirche dem päpstlichen Vorbild folgte und alle Zelebrationen aus Angst vor dem Virus untersagte. Auch in Indien wurde die Sonntagspflicht aufgehoben. Alternativ wurden Online-Meßübertragungen angeboten.
„Die Gläubigen erkannten, daß es zwei Möglichkeiten gibt, die Messe zu feiern, und so schrieben einige an den Vatikan und baten um eine einheitliche Art und Weise“, so Anthony Vadakkekra, der Sprecher der syro-malabarischen Kirche.
Papst Franziskus will Kompromißformel durchsetzen
Papst Franziskus versucht die Kompromißformel einheitlich durchzusetzen, womit allen Pfarreien eine neue Form des Ritus verordnet wird. Doch bisher scheiterte auch er am Widerstand des Klerus von Ernakulam-Angamaly.
Im weitaus größten Teil der syro-malabarischen Kirche gilt die Kompromißformel mit Teilen zum Volk hin und der Eucharistiefeier, die nach Osten zelebriert wird.
Die „lateinischen“ Pfarreien wollen von ihrer Praxis aber nicht mehr abrücken, die sie seit über 20 Jahren im Widerspruch zu den Synodenbeschlüssen beibehalten haben. Gerade die Metropolitankirche, das Erzbistum Ernakulam-Angamaly, zeigte sich unter ihrem Administrator Metropolitanvikar Anthony Kariyil gegenüber rebellischen Pfarreien so nachsichtig, daß diese ihre Position in der Diözese festigen konnten. Das Synodendekret von 2021 ließ auch der Metropolie keinen Spielraum mehr, weshalb sich Kariyil an Rom wandte, um von dort Rückendeckung gegenüber den eigenen rebellischen Pfarreien zu erhalten. Im März 2021 waren von rebellischen Priestern nämlich öffentlich Puppen von zwei Kardinälen verbrannt worden, von Großerzbischof George Alencherry, den Papst Benedikt XVI. 2011 in den Kardinalsrang erhoben hatte, und von Kardinal Leonardo Sandri, dem damaligen Präfekten der römischen Kongregation für die orientalischen Kirchen.
Diese Rückendeckung wurde gewährt. Papst Franziskus, der Kardinal Robert Sarah, dem damaligen Präfekten der Gottesdienstkongregation, energisch widersprochen hatte, als dieser 2016 alle Priester des lateinischen Ritus aufforderte, zur eigentlichen Zelebrationsrichtung ad orientem zurückzukehren, betonte am 3. Juli 2021 gegenüber den syro-malabarischen Christen, daß die gefaßten Beschlüsse einzuhalten und Richtung Osten zu zelebrieren sei.
Zudem setzte Franziskus im vergangenen Jahr mit Msgr. Andrews Thazhath, dem Erzbischof von Trichur, einen neuen Metropolitanvikar ein. Dieser war 2021 von einer Gruppe von Priestern seines Erzbistums im Bischofshaus gefangengesetzt worden, wodurch sie die Beibehaltung der Latinisierungen erzwingen wollten. Die Polizei mußte eingreifen.
Doch weder die päpstliche Aufforderung noch die Neubesetzung ließ die „lateinischen“ Rebellen zur Ruhe kommen. Exkommunikationsandrohungen und Proteste zeigen, daß der Konflikt fortbesteht.
Päpstlicher Delegat für Ernakulam-Angamaly
Franziskus ernannte den slowakischen Erzbischof und Jesuiten Cyril Vasil zu seinem Delegaten und sandte ihn zur Streitschlichtung nach Indien. Msgr. Vasil ist seit 2021 Bischof der mit Rom unierten slowakischen griechisch-katholischen Eparchie Kaschau. Ad personam erhob ihn Franziskus zugleich in den Rang eines Erzbischofs.
In Indien war Msgr. Vasil aber wenig erfolgreich. Am vergangenen 4. August wurde er von Rebellen mit Flaschen beworfen, als er unter Polizeischutz die Kathedrale von Ernakulam betrat und den Rebellen-Priestern ein Ultimatum stellte.
Am 23. August meldete die Hindustan Times, daß vier Priester wegen der Nicht-Einhaltung des Ultimatums strafversetzt wurden. Darauf meldete sich der indischen Befreiungstheologe Felix Wilfred zu Wort, der seine Ausbildung an der Jesuitenhochschule in Frankfurt am Main erhalten hatte, und meinte, daß die letzte Konsequenz die Exkommunikation sei, ein „mittelalterliches Disziplinierungsinstrument“, das „unserer Zeit fremd“ sei und dem Geist von Papst Franziskus „völlig widerspricht“. Wilfred ist seit 2007 Herausgeber der progressiven Theologenzeitschrift Concilium. Die Einheitlichkeit, die Rom durchsetzen wolle, „erinnert sehr an das Kastensystem“, so Wilfred.
Hauptbeweggrund für Franziskus und seine Berater ist hingegen der Wunsch, durch den Kompromiß die Einheit der syro-malabarischen Kirche zu bewahren angesichts des wachsenden und wenig freundlich gesinnten Hindu-Nationalismus.
Am 23. August hielt sich Msgr. Vasil in Rom auf, wo er Papst Franziskus persönlich über seine Reise in die Erzdiözese Ernakulam-Angamaly in Kerala informierte. Dabei wurde bekräftigt, daß sein Mandat als päpstlicher Delegat für diese Diözese aufrechtbleibt.
In der Erzdiözese Ernakulam-Angamaly ist der Klerus entschlossener denn je, an der lateinischen Form der protestantischen Zelebration zum Volk festzuhalten. Bis zum Ultimatum, das am 20. August ablief, haben nur sechs der 328 Pfarreien die Kompromißform übernommen, die von Erzbischof Vasil „einheitlicher Ritus“ genannt wird.
Im Anschluß an die Begegnung mit Papst Franziskus suchte Msgr. Vasil das Dikasterium für die orientalischen Kirchen auf.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: VaticanMedia (Screenshot)