(Rom) Papst Franziskus entschied einen Disput, indem er anordnete, daß alle Diözesen der gesamten Kirche das heilige Meßopfer ad orientem, versus Deum, zu zelebrieren haben. Gemeinsam haben Priester und Volk, so Franziskus, nach Osten zu schauen, von wo nach apostolischer Überlieferung die Wiederkunft des Herrn erwartet wird. Keine Satire. Sie haben richtig gelesen. Wie kann das aber sein?
Als Kardinal Robert Sarah, damals Präfekt der römischen Gottesdienstkongregation, alle Priester dazu aufrief, zur Zelebrationsrichtung Osten zurückzukehren, widersprach Papst Franziskus ihm energisch. Und nun ein Sinneswandel?
Versuchen wir das Rätsel zu lösen.
In seiner Ansprache bei der Generalaudienz am 27. September 2006 sagte Benedikt XVI:
„Schließlich erinnern wir noch daran, daß einer alten Überlieferung zufolge Thomas zuerst Syrien und Persien evangelisierte (so berichtet schon Origines, zitiert von Eusebius von Caesarea, Hist. eccl. 3,1), dann bis in das westliche Indien vordrang (vgl. Thomasakten 1–2 und 17 ff.), von wo aus er schließlich auch Südindien erreichte.“
Der Blick richtet sich also nach Indien. Dort gingen aus dem Wirken des Apostels Thomas die sogenannten Thomaschristen hervor, die heute als Syro-malabarische Kirche bezeichnet werden. Diese entstand 1599 und ist seither mit Rom uniert. Der Überlieferung nach hielt sich der Apostel Thomas in den Jahren 53 bis 60 in Indien auf, bis er dort das Martyrium erlitt. Der heutige Name der Kirche weist auf die syrische Tradition hin, mit der sie am Übergang der Antike zum Mittelalter in Verbindung trat. Mit Rom hatten die Thomaschristen hingegen viele Jahrhunderte kaum Kontakt, da ihr Gebiet außerhalb des Römischen Reiches lag. Dort entwickelte die Apostolische Kirche des Ostens, zu der auch die Thomaschristen gehörten, ihren eigenen ostsyrischen Ritus. Die Christen Indiens hatten spätestens seit dem 8. Jahrhundert eigene Metropoliten und eine eigene Hierarchie, blieben aber mit der Kirche des Ostens verbunden.
Mit der Ankunft der Portugiesen in Indien im 16. Jahrhundert kam es zu Kontakten mit Rom, die zur Herstellung der Union in der vollen Einheit führten.
Heute gilt der ostsyrische Ritus in vier Ostkirchen, von denen zwei, die syro-malabarische Kirche und die chaldäisch-katholische Kirche, mit Rom uniert sind, während dies für die Assyrische Kirche des Ostens und die 1968 durch ein Schisma aus ihr hervorgegangene Alte Kirche des Ostens nicht der Fall ist.
Die syro-malabarische Kirche hat am Glauben festgehalten, der ihr vom Apostel Thomas hinterlassen wurde, und sie ist eine kraftvolle, lebendige Ostkirche. Diese Kirche ist „gekrönt wie eine Braut und erfüllt mit jeder Gnade und jedem Segen“ (Heilige Qurbana).
Ihr gehören heute rund fünf Millionen Gläubige an, die sich vor allem im südindischen Bundesstaat Kerala konzentrieren, dem historischen Territorium dieser Kirche. Oberhaupt ist der Großerzbischof von Ernakulam-Angamaly. Der amtierende Großerzbischof George Alencherry wurde 2011 von Benedikt XVI. ernannt und in den Kardinalsrang erhoben. Die Kirche zählt 35 Bistümer, 31 davon in Indien (von diesen dreizehn außerhalb des kanonischen südindischen Territoriums) und vier im angelsächsischen Raum (Großbritannien, USA, Kanada, Australien), 8.000 Priester, Diözesan- und Ordenspriester, und etwa 3.300 Pfarreien. Außerhalb des Staates Kerala gibt es eine Jurisdiktion erst seit den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts.
Konflikt um die Zelebrationsrichtung
Konflikte entstanden durch die Latinisierung der Kirche, die im 20. Jahrhundert von Papst Pius XI. teilweise wieder rückgängig gemacht wurde. Seither gibt es in der Kirche eine lateinische und eine malayalamische Fraktion.
In jüngerer Zeit wurde die Zelebrationsrichtung zu einem neuen Streitpunkt, der in den vergangenen Monaten eskalierte. Im Zuge einer „liturgischen Erneuerung“ sollte die Zelebrationsrichtung, nach Meinung einer Minderheit, im „Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils“ umgedreht werden. Der Priester sollte, wie es im Novus Ordo der lateinischen Kirche üblich ist, nicht mehr mit dem Volk Richtung Osten schauen, sondern sich dem Volk zuwenden. Diese Umkehrung der Zelebrationsrichtung geht auf Martin Luther im 16. Jahrhundert zurück, der ein unübersehbares Unterscheidungsmerkmal zur „Papstkirche“ schaffen wollte.
In dem Streit, der sich in der syro-malabarischen Kirche zuletzt zuspitzte, griff schließlich kurz vor Ostern der Heilige Stuhl ein und entschied, daß die überlieferte Zelebrationsrichtung wie bisher beizubehalten ist.
Die Vorboten dieses Streits reichen allerdings schon weit zurück, eben bis zur Liturgiereform von 1969/70 in der römisch-katholischen Kirche. 2003 ermahnte Papst Johannes Paul II. in seiner Ansprache die Bischöfe der syro-malabarischen Kirche bei ihrem Ad-limina-Besuch:
„Die Liturgie der syro-malabarischen Kirche, die seit Jahrhunderten einen festen Bestandteil der reichen und vielfältigen indischen Kultur bildet, ist der lebendigste Ausdruck der Identität eurer Völker. Die Feier des eucharistischen Mysteriums im syro-malabarischen Ritus hat wesentlich zur Ausbildung der Glaubenserfahrung in Indien beigetragen (vgl. Ecclesia in Asia, 27). »Die Eucharistie ist die heilbringende Gegenwart Jesu in der Gemeinschaft der Gläubigen und ihre geistliche Nahrung, sie ist das wertvollste Gut, das die Kirche auf ihrem Weg durch die Geschichte haben kann« (Ecclesia de Eucharistia, 9). Daher bestärke ich euch, diesen Schatz sorgfältig zu hüten und zu erneuern und nie zuzulassen, daß er als Quelle der Spaltung mißbraucht wird. Euer Zusammenkommen um den Altar, »von ihm erfüllt, der das All ganz und gar beherrscht« (Eph 1,23), kennzeichnet euch nicht nur als eucharistisches Volk, sondern es ist auch eine Quelle der Versöhnung, die dazu beiträgt, jene Hindernisse zu überwinden, die den Weg zur Einheit des Geistes und der Zielsetzungen versperren können. Als erste Hüter der Liturgie seid ihr stets aufgerufen, wachsam zu sein und ungerechtfertigte Experimente einzelner Priester zu vermeiden, die die Liturgie in ihrer Unversehrtheit verletzen und auch den Gläubigen zutiefst schaden können (vgl. Ecclesia de Eucharistia, 10).
Ich bestärke euch in euren Bemühungen um die Erneuerung eures »rituellen Reichtums« im Licht der Konzilsdokumente, unter besonderer Beachtung von Orientalium Ecclesiarum und im Kontext des Kodex des Ostkirchenrechts sowie meines Apostolischen Schreibens Orientale lumen.
Mit Besonnenheit, Geduld und einer angemessenen Katechese wird dieser Erneuerungsprozeß gewiß reiche Früchte tragen. Die zahlreichen positiven Ergebnisse, die bereits erreicht werden konnten, lassen diese Aufgabe weniger mühsam erscheinen und machen sie vielmehr zu einer Quelle künftiger Stärke. Ich ermutige euch, diese wichtige Arbeit fortzusetzen, damit die Liturgie nicht nur studiert, sondern in all ihrer Vollkommenheit und Schönheit gefeiert wird.“
Die Sache kam aber nicht zur Ruhe. In diesem Frühjahr kam es sogar zum lautstarken Protest einer Gruppe von Laien in Ernakulam, die nicht davor zurückschreckte, zwei Puppen mit den Gesichtern des Großerzbischofs Kardinal Alencherry und von Kardinal Leonardo Sandri, dem Präfekten der Kongregation für die orientalischen Kirchen, öffentlich zu verbrennen.
Kardinal Sandri hatte kurz zuvor, am 11. März 2022, denselben Hinweis zur Zelebrationsrichtung gegeben, wie er dann von Papst Franziskus in Letztinstanz entschieden wurde.
Der Synodenbeschluß der syro-malabarischen Kirche
1999 hatte die Synode der syro-malabarischen Kirche einstimmig beschlossen, daß die Zelebrationsrichtung, zumindest bei der Eucharistiefeier, gemeinsam mit dem Volk ad orientem zu sein habe. Dieser Beschluß wurde seither mehrfach bestätigt, aber nicht in letzter Konsequenz durchgesetzt. Im Sommer 2021 faßte die Synode schließlich den Beschluß, daß ab dem 28. November und bis spätestens Ostern 2022 alle Diözesen und Pfarreien die einheitliche Zelebrationsrichtung der Heiligen Qurbana, wie das heilige Meßopfer in der syro-malabarischen Kirche genannt wird, umzusetzen haben. Dabei handelt es sich um einen Kompromiß zwischen den seit den 70er Jahren praktizierten Formen. Der überlieferten Form, die ad orientem gefeiert wird; der neuen Form, die zur Gänze protestantisiert dem Volk zugewandt ist, und der Kompromißformel. Diese wurde 1999 beschlossen: Im ersten Teil der Messe und im Wortgottesdienst wendet sich der Priester dem Volk zu. Die Eucharistiefeier zelebriert er jedoch am Altar, der geostet ist, „in die Richtung, in die auch das Volk schaut“.
Heftiger Widerstand dagegen kam jedoch von den Pfarreien, die nach der Liturgiereform in der lateinischen Kirche, in deren Nachahmung, die Zelebrationsrichtung eigenmächtig geändert hatten und seither daran festhalten. Seit über 20 Jahren tun sie das im Widerspruch zum Synodenbeschluß.
Vor allem die Metropolitankirche, das Erzbistum Ernakulam-Angamaly, geleitet vom Metropolitanvikar Antony Kariyil, gewährte bisher den Pfarreien an der von ihnen gepflegten Praxis festzuhalten. Er weigerte sich, den Synodenbeschluß umzusetzen. Das neue Synodendekret vom August 2021 ließ ihm aber kaum mehr Spielraum. Da er sich selbst diesem verweigerte, wandte er sich an Rom, um seinen Kurs bestätigt zu bekommen.
Die Kongregation für die orientalischen Kirchen reagierte am vergangenen 11. März aber abschlägig. Der Synodenbeschluß sei einzuhalten, so Kardinalpräfekt Sandri. Darauf brannte Sandris Puppe.
Am 3. Juli 2021 hatte Papst Franziskus selbst an die syro-malabarische Kirche geschrieben, daß „der Heilige Stuhl mit besonderer Zustimmung und Ermutigung auf die von der Bischofssynode der Syro-malabarischen Kirche 1999 einstimmig getroffene – und in den folgenden Jahren immer wieder bestätigte – Vereinbarung über eine einheitliche Art und Weise der Feier der heiligen Qurban-Liturgie blickt und dies als einen wichtigen Schritt zum Wachstum der Stabilität und der kirchlichen Gemeinschaft innerhalb des gesamten Leibes Ihrer geliebten Kirche betrachtet.“ […]
Das einen Monat später von der Synode erlassene Dekret sah vor:
„Die Bischöfe einiger Eparchien, die Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Beschlusses in der gesamten Eparchie geäußert haben, können die einheitliche Zelebrationsform am 28. November 2021 einführen, beginnend mit den Kathedralen, den Wallfahrtsorten, den Ordensgemeinschaften, den Pfarreien, wo dies möglich ist, den kleinen Seminaren und anderen Ausbildungszentren. Durch eine wirksame Katechese kann der einheitliche Modus schrittweise in der gesamten Eparchie so bald wie möglich, spätestens jedoch zu Ostern 2022, eingeführt werden.“
Das Dekret legte fest, daß nirgendwo Ausnahmen für Eucharistiefeiern unter dem Vorsitz von Bischöfen zugelassen sind. Im Erzbistum Ernakulam-Angamaly zeigte sich aber keine Einsicht.
So wandte sich Papst Franziskus am 25. März 2022, kaum mehr als drei Wochen vor Ablauf der im Synodendekret genannten Frist, erneut schriftlich an die Bischöfe der syro-malabarischen Kirche. Darin entschied das Kirchenoberhaupt den Streit um die Zelebrationsrichtung. Der Zelebrant habe während der Eucharistiefeier mit dem Volk Richtung Osten, ad Deum, zu schauen. Eine Kernaussage des päpstlichen Schreibens, das Franziskus selbst eine „väterliche Ermahnung“ nannte, lautete:
„Die Welt braucht das Zeugnis der Gemeinschaft: Wenn wir mit liturgischen Streitigkeiten einen Skandal heraufbeschwören – und leider hat es in letzter Zeit einige gegeben –, spielen wir demjenigen in die Hände, der der Meister der Spaltung ist.“
Franziskus bedauerte, daß nach dem 28. November 2021 der Synodenbeschluß von allen Diözesen außer jener von Ernakulam-Angamaly umgesetzt wurde, wo sich Metropolitanvikar Kariyil verweigerte.
Nach der Ermahnung durch den Papst kam es zum beunruhigenden Protest, bei dem die Puppen der beiden Kardinäle brannten. Der Papst blieb von dem makabren Schauspiel verschont.
In seinem Schreiben hatte er auch erklärt:
„Die Syro-malabarische Kirche hat sich durch die Jahrhunderte durch ihre Treue ausgezeichnet, die so viele historische Mißverständnisse überwunden hat, und blüht heute in Berufungen und missionarischem Stil auf. Der Herr wird das Opfer, das ihr ihm darbringt, nicht vergessen, aber auf diese Weise werdet ihr euer Herz für die Fülle seiner Segnungen öffnen.“
Aus den Ereignissen und dem Eingreifen des Heiligen Stuhls ergeben sich eine Reihe von Fragen auch bezüglich der Zelebrationsrichtung im römischen Ritus und der damit zusammenhängenden Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: AsiaNews/MiL
Franziskus‘ Politk: Hier wird nicht der richtigen Zelebrationsrichtung Autorität verschafft, sondern Synodenbeschlüssen.