„Gute“ Freimaurerei, „schlechte“ Freimaurerei?

Rezension des Buches "Die Macht der Freimaurer"


Die Macht der Freimaurer, am Beispiel Italien: Von links die Symbole des Großorients von Italien, der Großloge von Italien und der Regulären Großloge von Italien.
Die Macht der Freimaurer, am Beispiel Italien: Von links die Symbole des Großorients von Italien, der Großloge von Italien und der Regulären Großloge von Italien.

Von P. Pao­lo M. Siano*

Anzei­ge

Im Juni 2021 ver­öf­fent­lich­te der Ver­lag Chia­re­let­te­re aus Mai­land das 751 Sei­ten star­ke Buch „Pote­re masso­ni­co“, „Die Macht der Frei­mau­rer. Die ‚Bru­der­schaft‘, die in Ita­li­en kom­man­diert: Poli­tik, Finanz, Indu­strie, Mas­sen­me­di­en, Justiz, orga­ni­sier­tes Ver­bre­chen“, von Fer­ruc­cio Pinotti.

Bereits im Vor­wort (S. IX–XI) von Aldo Caz­zul­lo (Jour­na­list des Cor­rie­re del­la Sera wie Pinot­ti) taucht der Mythos auf, wonach es eine gute Frei­mau­re­rei und eine schlech­te Frei­mau­re­rei gibt … Unter die berühm­ten ita­lie­ni­schen Frei­mau­rer (die „guten“, wie ich anneh­me) zählt Caz­zul­lo auch Gio­sué Car­duc­ci, Giu­sep­pe Gari­bal­di und Gabrie­le D’An­nun­zio (vgl. S. IX). Dar­über hin­aus ist er der Ansicht, daß die Frei­mau­rer­zu­ge­hö­rig­keit von Giu­sep­pe Mazzini inzwi­schen weit­ge­hend gesi­chert ist (vgl. S. IX). Sicher Frei­mau­rer waren Män­ner des (anti­kle­ri­ka­len und anti­päpst­li­chen) Risor­gi­men­to wie Aure­lio Saf­fi, Nino Bixio, Camil­lo Ben­so Graf von Cavour (vgl. S. IX). Frei­mau­rer waren auch Phi­lo­so­phen wie Fich­te, John Locke, Proudhon, Vol­taire… (vgl. S. IX).

Nach­dem er die „guten“ Frei­mau­rer auf­ge­li­stet hat, fragt sich Caz­zul­lo, war­um aber die Frei­mau­re­rei mit „star­ken Mäch­ten“ und orga­ni­sier­ter Kri­mi­na­li­tät in Ver­bin­dung gebracht wird … (vgl. S. Xf)

In Ita­li­en gibt es drei gro­ße und füh­ren­de Frei­mau­rerobö­di­en­zen: den Groß­ori­ent von Ita­li­en (GOI), die Groß­lo­ge von Ita­li­en (GLDI) und die Regu­lä­re Groß­lo­ge der Alten, Frei­en und Ange­nom­me­nen Mau­rer von Ita­li­en (GLRI). Aber es gibt auch über 200 irre­gu­lä­re oder unech­te Frei­mau­rerobö­di­en­zen, die ver­deck­te Logen her­vor­brin­gen, die oft mit der Kri­mi­na­li­tät ver­schwo­ren oder von die­ser infil­triert sind. Rech­net man belast­ba­re Zah­len zusam­men, gibt es in Ita­li­en über 40.000 Frei­mau­rer (vgl. S. X).

Die Macht der Freimaurer

Wäh­rend vor eini­gen Jah­ren eini­ge katho­li­sche Sozio­lo­gen und eini­ge Frei­mau­rer behaup­te­ten, die Frei­mau­re­rei sei schwach und zäh­le nicht viel, räumt Caz­zul­lo ande­res ein:

„Die ‚Brü­der Ita­li­en­s’1 erfreu­en sich bester Gesund­heit. Und ihr Macht­netz­werk ist stär­ker denn je. Das Pro­blem ist, wenn die Logen zu Geschäfts­zir­keln wer­den, zu Instru­men­ten der Infil­tra­ti­on der Mafia in die Real­wirt­schaft und der Geld­wä­sche, zu Zen­tren für poli­tisch-mafiö­se Gegen­ge­schäf­te, zu Seil­schaf­ten, die das Schick­sal von Rich­tern, Stel­len­aus­schrei­bun­gen an Uni­ver­si­tä­ten, poli­ti­sche Kar­rie­ren und die Ver­ga­be hoher mili­tä­ri­scher Rän­ge und insti­tu­tio­nel­ler Posi­tio­nen bestim­men“ (S. XI).

Bevor ich auf Pinot­tis Text ein­ge­he, mache ich eini­ge Bemer­kun­gen zu Caz­zul­los Vor­wort. Wäh­rend man aus „säku­la­rer“ oder recht­li­cher (zivil- und straf­recht­li­cher) Sicht ver­sucht, zwi­schen einer „guten“ und einer „schlech­ten“ Frei­mau­re­rei zu unter­schei­den, ist aus der Sicht des katho­li­schen Glau­bens auch die „gute“ Frei­mau­re­rei mit der Kir­che unver­ein­bar. Abge­se­hen davon las­sen eini­ge von Caz­zu­lo auf­ge­li­ste­te „gute“ Frei­mau­rer sehr zu wün­schen übrig.

  • Gio­sué Car­duc­ci, Lite­ra­tur­no­bel­preis­trä­ger 1906, schrieb 1863 eine „Hym­ne an Satan“, die 1869 im Infor­ma­ti­ons­blatt des Groß­ori­ents von Ita­li­en (GOI) ver­öf­fent­licht wur­de, der schon damals eine lai­zi­sti­sche und eso­te­ri­sche Frei­mau­re­rei war.
  • Giu­sep­pe Gari­bal­di, Groß­mei­ster des Groß­ori­ents, 33. Grad des Alten und Ange­nom­me­nen Schot­ti­schen Ritus (AASR), Hoch­grad des Mem­phis-Mis­ra­im-Ritus (die Frei­mau­re­rei, die sich als Hüte­rin der Magie und der Eso­te­rik des alten Ägyp­ten ver­steht), war auch im fran­zö­si­schen Spi­ri­tis­mus aktiv (den Spi­ri­ti­sten Gari­bal­di erwähnt Mas­si­mo Introvigne).
  • Im Buch „Mazzini. Frei­mau­re­rei, Welt­re­vo­lu­ti­on“, Regens­burg 1901, stellt der Jesu­it P. Her­mann Gru­ber Mazzini und Gari­bal­di als „füh­ren­den Kopf“ bzw. „mili­tä­ri­schen Arm“ der anti­ka­tho­li­schen revo­lu­tio­nä­ren Par­tei dar, die 1870 zur Ein­nah­me Roms führ­te. Anfüh­rer des ita­lie­ni­schen Alten und Ange­nom­me­nen Schot­ti­schen Ritus der Frei­mau­re­rei zwi­schen dem 19. und 20. Jahr­hun­dert wie Lem­mi, Nathan, Tamaio, Ribo­li usw. rühm­ten sich, Schü­ler von Mazzini und Gari­bal­di zu sein (vgl. S. 4f).
  • In der Zeit­schrift Massoneria Oggi Nr. 1/​1999 des Groß­ori­ents zeigt Atti­lio Maz­za in sei­nem Arti­kel „D’An­nun­zio eso­ter­i­co“ (Eso­te­ri­scher D’An­nun­zio), daß der berühm­te Dich­ter, Mili­tär und Frei­mau­rer des 33. Gra­des des Alten und Ange­nom­me­nen Schot­ti­schen Ritus von Piaz­za del Gesù2 Gabrie­le D’An­nun­zio Magie, Okkul­tis­mus, Talis­ma­ne (er besaß einen in Form eines gehörn­ten zün­geln­den Teu­fels) und Alchi­mie lieb­te (vgl. S. 17–24).

Was wäre erst über die Phi­lo­so­phie von Locke (Empi­ris­mus), Proudhon (Athe­is­mus und Sozia­lis­mus), Vol­taire (Auf­klä­rung und Deis­mus) und Fich­te (Idea­lis­mus) zu sagen, die der Har­mo­nie zwi­schen katho­li­schem Glau­ben und Ver­nunft feind­lich gegenübersteht?

Wer­fen wir also einen Blick in das Buch von Fer­ruc­cio Pinotti.

Pinot­ti behaup­tet, „die gro­ßen ita­lie­ni­schen Zei­tun­gen waren immer und sind vol­ler Frei­mau­rer“ (S. 6). Eini­ge Bei­spie­le. Der Cor­rie­re del­la Sera wur­de vom Frei­mau­rer Euge­nio Tor­el­li Viol­lier gegrün­det. Frei­mau­rer ist Car­lo De Bene­det­ti, histo­ri­scher Her­aus­ge­ber der Repubbli­ca-Espres­so-Grup­pe (seit 2016 GEDI Group). Frei­mau­rer der Groß­lo­ge von Ita­li­en war der Ölkon­zern­chef und Ver­le­ger Atti­lio Mon­ti, Grün­der der Mon­rif-Grup­pe, der die Mar­ke QN (mit den Tages­zei­tun­gen Quo­ti­dia­no Nazio­na­le, Resto del Car­li­no, La Nazio­ne, Il Gior­no, Il Tele­gra­fo) besitzt. Frei­mau­rer war auch Euge­nio Cefis, Vor­stand­vor­sit­zen­der von ENI, der nach Belie­ben über die Tages­zei­tung Il Gior­no ver­fü­gen konn­te (vgl. S. 6). Frei­mau­rer war der Indu­stri­el­le Gaet­a­no Semen­za (1826–1882), der Grün­der der füh­ren­den Wirt­schafts­ta­ges­zei­tung Il Sole 24 Ore3 und Freund von Gari­bal­di und Mazzini. Frei­mau­rer ist auch Sil­vio Ber­lus­co­ni, der drei gro­ße Pri­vat­fern­seh­sen­der, die Tages­zei­tung Il Giorn­a­le und die Ver­lags­grup­pe Mond­ado­ri kon­trol­liert, in die der Ver­lag Riz­zo­li ein­ge­flos­sen ist (vgl. S. 7).

Pinot­ti bekräf­tigt, daß die Frei­mau­re­rei „Ita­li­en von Anfang an kom­man­dier­te“ (S. 8)4. „Sie beherrscht still­schwei­gend Poli­tik, Wirt­schaft, Finanz und die Geschäf­te“ (S. 8).

„Die Frei­mau­re­rei ist tat­säch­lich die ’star­ke Macht‘ schlecht­hin, die seit mehr als drei Jahr­hun­der­ten die hohen Staats­äm­ter und die Schlüs­sel­po­si­tio­nen in Poli­tik und Wirt­schaft mit­ein­an­der ver­bin­det, das unsicht­ba­re Bin­de­mit­tel, das schein­bar weit ent­fern­te und sogar gegen­sätz­li­che Gestal­ten ver­eint, das Ele­ment, das für die Herr­schaft über eine der begehr­te­sten Rea­li­tä­ten der Welt sowohl im Inland als auch auf inter­na­tio­na­ler Ebe­ne aus­schlag­ge­bend ist: ein Land, das – unab­hän­gig von poli­ti­schen Ansich­ten – die Wie­ge der west­li­chen euro­päi­schen Zivi­li­sa­ti­on bleibt; der histo­ri­sche Sitz der ersten Welt­re­li­gi­on, des Katho­li­zis­mus; der zweit­größ­te euro­päi­sche und welt­weit siebt­größ­te Pro­du­zent; der Ort, der Genies wie Enri­co Fer­mi (eben­falls Frei­mau­rer) und Nobel­preis­trä­ger wie Gio­sué Car­duc­ci und Sal­va­to­re Qua­si­mo­do (auch „Ein­ge­weih­te“) her­vor­brach­te; der Ort, an dem 65 Pro­zent der Kunst­schät­ze kon­zen­triert sind, die das Welt­kul­tur­er­be bil­den; ein zen­tra­ler Kno­ten­punkt in der Euro­päi­schen Uni­on und im Mit­tel­meer­raum“ (S. 8f).

Pinot­ti fährt fort: 

„Die Frei­mau­re­rei hat sich immer um die­se gigan­ti­schen Inter­es­sen her­um bewegt, eine Rea­li­tät von enor­mer Kom­ple­xi­tät, aber auch eines der sta­bil­sten Macht­netz­wer­ke – vom frü­hen 18. Jahr­hun­dert bis heu­te – bei der Gestal­tung des Gleich­ge­wichts der Mäch­te und der Schaf­fung von Alli­an­zen, manch­mal sogar kri­mi­nel­len, mit ande­ren Mäch­ten: von den Geheim­dien­sten bis zur Mafia und dem Ter­ro­ris­mus, vom hohen Bank­we­sen bis zu wil­den Finanz­spe­ku­la­tio­nen […]“ (S. 9).

Pinot­ti unter­schei­det „eine dop­pel­te Ebe­ne“ (S. 9) der Frei­mau­re­rei: „Es gibt die offi­zi­el­le Ebe­ne, voll von Sym­bo­len und Ver­wei­sen auf Per­sön­lich­kei­ten von hohem Rang; eine Welt, die reich an phi­lo­so­phi­schen, sozia­len, huma­ni­tä­ren und inter­na­tio­na­li­sti­schen Wer­ten ist, deren Bei­trag zu The­men wie Frei­heit, Gleich­heit, reli­giö­ser Tole­ranz, Wider­stand gegen poli­ti­schen und reli­giö­sen Dog­ma­tis­mus schwer zu bestrei­ten ist“ (S. 9f).

Er nennt als „hoch­ran­gi­ge“ Frei­mau­rer Car­duc­ci, Gari­bal­di, Mazzini (S. 9, Fuß­no­te 4).

Pinot­ti berich­tet über ein Inter­view, das ihm der dama­li­ge Sena­tor auf Lebens­zeit Fran­ces­co Cos­si­ga (1928–2010), von 1985–1992 ita­lie­ni­scher Staats­prä­si­dent, gege­ben hat, der stets ein gro­ßer Bewun­de­rer und Ver­tei­di­ger der Frei­mau­re­rei war. Pinot­ti frag­te Cos­si­ga nach der Loge P25. Cos­si­ga antwortete: 

„Die wah­re Geschich­te der P2 ist, daß sie eine Schöp­fung der Ame­ri­ka­ner war. […] die P2 bestand nur aus Ultra-Ame­ri­ka­nern, aus Per­sön­lich­kei­ten, die der ame­ri­ka­ni­schen Welt sehr nahe stan­den“ (S. 118). Die P2 war, so Cos­si­ga, eine „phi­lo­ame­ri­ka­ni­sche und trans­at­lan­ti­sche“ Ope­ra­ti­on (S. 118).

Ich kom­me zum fünf­ten und letz­ten Teil des Buches, in dem Pinot­ti „nach der Rekon­struk­ti­on des lan­gen roten Fadens der frei­mau­re­ri­schen Macht in den ita­lie­ni­schen Insti­tu­tio­nen und in der Poli­tik“ (S. 581) eine „Rei­se“ in die drei wich­tig­sten ita­lie­ni­schen Frei­mau­rerobö­di­en­zen unter­nimmt: den Groß­ori­ent von Ita­li­en (GOI) von Groß­mei­ster Ste­fa­no Bisi, die Groß­lo­ge von Ita­li­en im Palaz­zo Vitel­le­schi (GLDI) von Groß­mei­ster Lucia­no Romo­li (es han­delt sich um eine gemisch­te Groß­lo­ge, d. h. auch mit Frau­en) und die Regu­lä­re Groß­lo­ge von Ita­li­en von Groß­mei­ster Fabio Ven­zi (GRLI).

Pinot­ti stellt fest, daß Ven­zi seit „zwan­zig Jah­ren unun­ter­bro­chen Groß­mei­ster ist, sozu­sa­gen eine Herr­schaft auf Lebens­zeit“ (S. 581), und wie­der­holt aus­drück­lich, daß Ven­zis Amts­zeit als Groß­mei­ster, von 2001 bis heu­te, „eine sehr lan­ge Dau­er“ hat (S. 665).

Fabio Ven­zi ist in der Tat der ein­zi­ge Groß­mei­ster in Ita­li­en, der sich so lan­ge gehal­ten hat, aber das über­rascht nicht, wenn man bedenkt, daß die Regu­lä­re Groß­lo­ge (GRLI) strikt pro-eng­lisch ist und in Gemein­schaft mit der Ver­ei­nig­ten Groß­lo­ge von Eng­land (UGLE) steht, deren Groß­mei­ster seit 1967 Sei­ne König­li­che Hoheit Edward Geor­ge Nicho­las Paul Patrick, Her­zog von Kent, (gebo­ren 1935) ist.

Groß­mei­ster Bisi (Groß­ori­ent) will den Dia­log mit der katho­li­schen Kir­che und spricht von „gemein­sa­men Wer­ten“ und „Ver­söh­nung zwi­schen der Kir­che und der Frei­mau­re­rei“ (S. 589). Bisi bestrei­tet, daß die Frei­mau­re­rei „ein Feind irgend­ei­ner Kir­che“ sei und hofft, daß (sei­ne) Frei­mau­re­rei eines Tages mit dem Papst den Durch­bruch ita­lie­ni­scher Trup­pen in der Nähe des römi­schen Stadt­tors Por­ta Pia (1870), d. h. den Unter­gang des Kir­chen­staa­tes, fei­ern kön­ne… (vgl. S. 590, Fuß­no­te 7).

Pinot­ti berich­tet auch kri­ti­sche Aus­sa­gen ehe­ma­li­ger Frei­mau­rer des Groß­ori­ents: 1) Ame­ri­go Min­nicel­li (S. 594–614), Rechts­an­walt, 18. Grad des Alten und Ange­nom­me­nen Schot­ti­schen Ritus, der aus dem Groß­ori­ent aus­ge­schlos­sen wur­de, weil er die Unter­wan­de­rung des kala­bri­schen Groß­ori­ents durch die ’ndran­ghe­ta6 und die „ ‚mafiö­sen Dyna­mi­ken‘, die sich auch auf natio­na­ler Ebe­ne in den Abstim­mungs­mo­da­li­tä­ten inner­halb des Groß­ori­ents eta­bliert haben“, ange­pran­gert hat­te (S. 594). Min­nicel­li hat­te eine eige­ne Web­site, www.goiseven, die dann geschlos­sen wur­de; 2) Rechts­an­walt Fran­ces­co Gui­da, der zum Tra­di­tio­nel­len Ita­lie­ni­schen Frei­mau­rer­or­den (OMTI) wech­sel­te (S. 615–626).

Sehr inter­es­sant sind die fol­gen­den Aus­zü­ge aus Pinot­tis Inter­view mit Ales­san­dro Meluz­zi (S. 627–633), „schla­fen­der Frei­mau­rer“ (S. 631), ehe­ma­li­ges Mit­glied des Groß­ori­ents, Psych­ia­ter. Pinot­ti stellt dar­in fol­gen­de Frage:

„Die Frei­mau­re­rei ist auf ihre Wei­se reli­gi­ös. Sie gesteht die Exi­stenz eines gro­ßen Bau­mei­sters des Uni­ver­sums ein. Für die Frei­mau­rer ist ein Teil die­ser Rea­li­tät Luzi­fer, der auch in einer Hym­ne des Frei­mau­rers Gio­sué Car­duc­ci besun­gen wird. Was hal­ten Sie von den Vor­wür­fen des Anti­kle­ri­ka­lis­mus, die tra­di­tio­nell gegen Frei­mau­rer­lo­gen erho­ben wer­den?“ (S. 630).

Hier die Ant­wort von Meluz­zi, der sie fak­tisch bestätigt…:

„Jede Inter­pre­ta­ti­on ist par­ti­ell, da sie indi­vi­du­ell ist. Ich kann Ihnen sagen, was die Frei­mau­re­rei für mich war, aber mei­ne Sicht­wei­se wird nicht ein­hel­lig aner­kannt. Ich glau­be, es gab einen Moment in der Geschich­te, als die Urba­ni­sie­rung und die Indu­stria­li­sie­rung die Gött­lich­keit des Men­schen auf eine Wei­se offen­leg­ten, die so blas­phe­misch war, daß sie an eine höhe­re Instanz gerich­tet wer­den muß­te. Ob das Luzi­fer ist oder nicht, das muß jeder für sich ent­schei­den“ (S. 630).

Noch­mals Pinotti–Meluzzi: „Wis­sen Sie von irgend­wel­chen schwe­fel­hal­ti­gen Unter­wan­de­run­gen im Vati­kan, etwa durch Kar­di­nä­le frei­mau­re­ri­scher Überzeugung?“

„In den Frei­mau­rer­lo­gen gibt es vie­le unver­däch­ti­ge Men­schen. Es gibt jene, die sich das Sym­bol ans Revers ihres Man­tels hef­ten, und jene, die ihre Mit­glied­schaft nicht preis­ge­ben wol­len. Was die katho­li­sche Kir­che betrifft, so wür­de ich mir der­zeit mehr Sor­gen dar­über machen, wer die Fäden der vati­ka­ni­schen Poli­tik zieht“ (S. 631).

Bemer­kens­wert ist das der Regu­lä­ren Groß­lo­ge von Groß­mei­ster Ven­zi gewid­me­te Kapi­tel (S. 653–675), der zwei Zugän­ge der katho­li­schen Welt zur Frei­mau­re­rei sieht. Es gibt laut ihm den „offi­zi­el­len“ Ansatz, den der „hohen Hier­ar­chien“, der die Unver­ein­bar­keit von Kir­che und Frei­mau­re­rei vom „lehr­mä­ßi­gen“ Stand­punkt aus betrach­tet („Deis­mus“, „Rela­ti­vis­mus“, „Gno­sti­zis­mus“…). Der ande­re Ansatz, der typisch für die „Mit­glie­der nied­ri­ge­ren Ran­ges“ ist, schreibt der Frei­mau­re­rei einen „sata­ni­schen“, „ket­ze­ri­schen“ Cha­rak­ter zu, der dem „Sata­nis­mus oder Luzi­fe­ris­mus“ hin­ge­ge­ben ist (vgl. S. 667). In die­sem Zusam­men­hang ver­weist Ven­zi auf sein Buch „L’ultima ere­sia“ („Die letz­te Häre­sie. Kir­che und Frei­mau­re­rei: Drei Jahr­hun­der­te zwi­schen Sata­nis­mus, Gno­sis und Rela­ti­vis­mus“), in dem er, laut eige­ner Über­zeu­gung, die „völ­li­ge Halt­lo­sig­keit“ der „rela­ti­vi­sti­schen oder gno­sti­schen Kom­po­nen­ten“ der Frei­mau­re­rei nach­ge­wie­sen habe (vgl. S. 667f).

Ich hin­ge­gen erlau­be mir, die Unver­ein­bar­keit zwi­schen Kir­che und Frei­mau­re­rei zu bekräf­ti­gen, und ver­wei­se daher auf eini­ge Arti­kel von mir.

Zur Regu­lä­ren Großloge:

Kur­ze Ant­wort an einen Groß­mei­ster der Freimaurerei

Zum Groß­ori­ent:

Den Anklop­fen­den erwar­ten beim Frei­mau­rer­bund Initia­ti­on und Gnosis

Zur Groß­lo­ge:

„Luzi­fer, der Licht­trä­ger“ – Vor­trag der Groß­lo­ge von Ita­li­en (2014)

In dem Buch „Die Macht der Frei­mau­rer“ ist auch die Aus­sa­ge einer anony­men ehe­ma­li­gen Frei­mau­re­rin der Groß­lo­ge sehr inter­es­sant, die von Fer­ruc­cio Pinot­ti kon­tak­tiert wur­de. Er fragt sie unter ande­rem: „Man tritt in eine Loge ein, um die Mög­lich­keit zu haben, erwei­ter­te per­sön­li­che Bezie­hun­gen zu knüp­fen, die sich auf mate­ri­el­ler Ebe­ne bezahlt machen: Ent­ste­hen aber auch ande­re Arten von Bezie­hun­gen?“ (S. 696).

In ihrer Ant­wort sagt die ehe­ma­li­ge Frei­mau­re­rin an einer Stelle: 

„[…] Wenn Sie Bezie­hun­gen zwi­schen Män­nern und Frau­en inner­halb der Loge mei­nen, kann ich Ihnen ohne Umschwei­fe sagen, daß es ein …! Hin und wie­der wur­den Par­tys im Stil von Eyes Wide Shut ver­an­stal­tet, die an eine Orgie grenz­ten, jeden­falls kla­re Gele­gen­hei­ten für sexu­el­le Begeg­nun­gen waren“ (S. 697).

Pinot­ti bemerkt dazu: „Star­ke und schnei­den­de Kom­men­ta­re, auf die sie jedoch eine tie­fe Refle­xi­on fol­gen läßt: Unter die­sem Gesichts­punkt ver­ste­he und tei­le ich in gewis­ser Hin­sicht, war­um Frau­en aus Frei­mau­rer­or­den aus­ge­schlos­sen sind. Ich kann den Groß­ori­ent von Ita­li­en ver­ste­hen, der, in Über­ein­stim­mung mit der Art der von ihm prak­ti­zier­ten Initia­ti­on, die Auf­nah­me von Frau­en nicht zuläßt“ (S. 697).

Licio Gel­li (1919–2015)

Außer­dem, so „Ales­sia“ (so der fik­ti­ve Name die­ser ehe­ma­li­gen Frei­mau­re­rin), neh­men Frei­mau­re­rin­nen „schließ­lich einen ‚männ­li­chen‘ und auto­ri­tä­ren Stil an“ (S. 697).

Ich kom­me zum Schluß. Ange­nom­men, es gibt eine „gute“ Frei­mau­re­rei, dann fra­ge ich mich, inwie­weit sie in der Lage wäre, die „schlech­te“ Frei­mau­re­rei ein­zu­däm­men und zu besie­gen… Ver­ges­sen wir nicht die eso­te­ri­sche Theo­rie von der not­wen­di­gen Ein­heit der Gegen­sät­ze… Sephi­r­oth und Qli­photh

Sogar der ehe­ma­li­ge Staats­an­walt, Par­la­ments­ab­ge­ord­ne­te und jet­zi­ge Rechts­an­walt Car­lo Paler­mo scheint am Ende eines Vide­os (Dau­er 1 Stun­de und 40 Minu­ten) mit dem Titel „Dal­la P2 ai Rosacro­ce“ („Von P2 zu den Rosen­kreu­zern. Es gibt eine Frei­mau­rer­lo­ge, die für die Welt­re­gie­rung arbei­tet“), scheint den Mythos einer „guten“ Frei­mau­re­rei zu tei­len: „Wir müs­sen die Nicht-Bös­ar­tig­keit der Frei­mau­re­rei begrei­fen … In dem gan­zen Teil, in dem sie nur kul­tu­rel­le Akti­vi­tät und Akti­vi­tät der histo­ri­schen Rekon­struk­ti­on des mensch­li­chen Den­kens ist […]“.

Ich erlau­be mir zu wie­der­ho­len, daß die Prin­zi­pi­en die­ser „guten“ Frei­mau­re­rei (anti­dog­ma­ti­scher Huma­nis­mus, reli­giö­ser Rela­ti­vis­mus, Eso­te­rik, Initia­ti­on, Gno­sis…) jeden­falls nicht den Wie­der­auf­bau des Men­schen und der Gesell­schaft nach dem Her­zen Chri­sti erlauben.

*Pater Pao­lo Maria Sia­no gehört dem Orden der Fran­zis­ka­ner der Imma­ku­la­ta (FFI) an; der pro­mo­vier­te Kir­chen­hi­sto­ri­ker gilt als einer der besten katho­li­schen Ken­ner der Frei­mau­re­rei, der er meh­re­re Stan­dard­wer­ke und zahl­rei­che Auf­sät­ze gewid­met hat. Von Katho​li​sches​.info wur­de bis­her von ihm veröffentlicht:

Übesetzung/​Fußnoten: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: GOI/​GLDI/​GRLI/​MiL (Screen­shots)

1 Anspie­lung auf die ersten Wor­te der ita­lie­ni­schen Natio­nal­hym­ne, die 1847 vom Frei­mau­rer Goff­re­do Mame­li gedich­tet wur­de und seit 1947 inof­fi­zi­el­le, seit 2017 offi­zi­el­le ita­lie­ni­sche Staats­hym­ne ist. Mame­li nahm 1849 an der von Giu­sep­pe Gari­bal­di ange­führ­ten revo­lu­tio­nä­ren Erhe­bung gegen die päpst­li­che Regie­rung in Rom teil. Kurz vor dem Zusam­men­bruch der „Römi­schen Repu­blik“ wur­de Mame­li unab­sicht­lich von einem Gesin­nungs­ge­nos­sen ver­letzt. Am 7. Juli 1849 erlag er im Alter von 21 Jah­ren der Wund­in­fek­ti­on im Pil­ger­hos­piz San­tis­si­ma Tri­ni­tà dei Pel­le­g­ri­ni, des­sen Kir­che heu­te Meß­ort der Petrus­bru­der­schaft in Rom ist.

2 Die bei­den Haupt-Obö­di­en­zen der Frei­mau­re­rei in Ita­li­en wer­den auch nach ihren histo­ri­schen Sit­zen in Rom benannt: Piaz­za del Gesù (Groß­lo­ge) und Palaz­zo Giu­sti­nia­ni (Groß­ori­ent). Die­se Bezeich­nun­gen wur­den bei­be­hal­ten, obwohl weder die eine noch die ande­re Obö­di­enz ihren Sitz noch an den genann­ten Orten hat. Die bei­den Rich­tun­gen ent­stan­den durch eine Spal­tung des Ober­sten Rats des 33. Gra­des des Groß­ori­ents im Jahr 1908. Grund dafür war ein Streit über die Hal­tung gegen­über den Katho­li­ken, die sich damals gera­de in der Ita­lie­ni­schen Volks­par­tei (PPI) orga­ni­siert hat­ten, um erst­mals seit der Zer­schla­gung des Kir­chen­staa­tes 187 durch den neu­en ita­lie­ni­schen Staat wie­der am poli­ti­schen Leben teil­zu­neh­men. Wäh­rend die Min­der­heit der Frei­mau­rer, die sich nach der Spal­tung in der Groß­lo­ge orga­ni­sier­te, eine gemä­ßig­te­re Linie ver­trat, for­der­te die Mehr­heit im Groß­ori­ent die Fort­set­zung einer uner­bitt­li­chen Feind­schaft. Iro­nie des Schick­sals: An der Piaz­za del Gesù befin­det sich das Gene­ra­lat des Jesui­ten­or­dens. Nach dem Zwei­ten Welt­krieg befand sich dort auch die Par­tei­zen­tra­le der Demo­cra­zia Cri­stia­na (DC, Christ­de­mo­kra­ten). Palaz­zo Giu­sti­nia­ni, von den Frei­mau­rern auch „Grü­ner Vati­kan“ oder „Vati­kan der 33er“ genannt, in Anspie­lung auf den 33. und höch­sten Grad der Hoch­g­rad­frei­mau­re­rei, ist heu­te Sitz des Prä­si­den­ten des ita­lie­ni­schen Senats, der zwei­ten Kam­mer (Ober­haus) des Ita­lie­ni­schen Par­la­ments, der Senats­ver­wal­tung und der Sena­to­ren auf Lebens­zeit. Nach dem Ver­bot der Frei­mau­re­rei 1926 hat­te Beni­to Mus­so­li­ni den Palaz­zo dem Senat zur Ver­fü­gung gestellt. Von 1945–1985 teil­ten sich Senat und Groß­ori­ent das Gebäude.

3 Bis zum Zusam­men­schluß 1965 mit der Zei­tung 24 Ore nur Il Sole.

4 Gemeint ist der 1861 aus­ge­ru­fe­ne ita­lie­ni­sche Staat, der aus dem Risor­gi­men­to, der ita­lie­ni­schen Natio­nal­be­we­gung und den von ihr aus­ge­gan­ge­nen Krie­gen von 1859–1870 her­vor­ge­gan­gen ist. Zunächst als König­reich Ita­li­en (Haus Savoy­en), seit 1946 als Ita­lie­ni­sche Repu­blik.

5 Die Frei­mau­rer­lo­ge Pro­pa­gan­da Due (P2) war von Giu­sep­pe Mazzini 1877 im Groß­ori­ent von Ita­li­en gegrün­det wor­den, um wegen des gro­ßen Andrangs in den Logen, dem neu­en Macht­zen­trum des jun­gen Staa­tes, die Iden­ti­tät der füh­ren­den Frei­mau­rer auch inner­halb der Frei­mau­re­rei zu schüt­zen. Der Name der Loge war eine Anspie­lung auf die 1622 errich­te­te vati­ka­ni­sche Kon­gre­ga­ti­on Pro­pa­gan­da Fide (heu­te Kon­gre­ga­ti­on für die Evan­ge­li­sie­rung der Völ­ker), deren frei­mau­re­ri­sches Gegen­stück Pro­pa­gan­da Due sein soll­te. 1925 wur­de auch die Loge P2 wegen des Ver­bots aller Geheim­bün­de durch Beni­to Mus­so­li­ni auf­ge­löst. Nach Kriegs­en­de wur­de sie zusam­men mit dem Groß­ori­ent wie­der­errich­tet und unter­stand direkt dem Groß­mei­ster. Wie­der­be­lebt wur­de sie erst spä­ter. 1970 wur­de Licio Gel­li zum Ver­tre­ter des Groß­mei­sters in der P2, ab 1975 ihr Stuhl­mei­ster. Gel­li, ein Unter­neh­mer aus der Tos­ka­na, hat­te als Faschist, von Mus­so­li­ni auf­ge­bo­ten, als Frei­wil­li­ger im Spa­ni­schen Bür­ger­krieg auf der Sei­te der Natio­na­li­sten gekämpft, wäh­rend der Beset­zung Jugo­sla­wi­ens im Zwei­ten Welt­krieg als Ver­bin­dungs­of­fi­zier zur Wehr­macht gedient und sich nach dem Front­wech­sel Ita­li­ens im Sep­tem­ber 1943 dem Anti­fa­schis­mus ange­schlos­sen. 1963 war er in die Frei­mau­re­rei auf­ge­nom­men wor­den. Die Loge P2 geriet in den Fokus der Öffent­lich­keit, als 1981 bei einer Haus­su­chung in Gel­lis Vil­la, wegen einer ganz ande­ren Sache, von der Finanz­po­li­zei eine Mit­glie­der­li­ste der Loge P2 mit über tau­send Namen sicher­ge­stellt wur­de, dar­un­ter auch jener des Ober­kom­man­dan­ten der Finanz­po­li­zei, Gene­ral Ora­zio Gian­ni­ni. Was zwi­schen 1970 und 1981 in der oder durch die Loge P2 geschah oder ihr nach­träg­lich zuge­schrie­ben wur­de, war Gegen­stand von Unter­su­chun­gen durch Staats­an­walt­schaf­ten und Par­la­ment, ver­liert sich jedoch in einem Dickicht aus Wahr­heit und Des­in­for­ma­ti­on. Tat­sa­che ist, daß Gel­li, was offen­sicht­lich sei­ne Absicht war, vor dem Hin­ter­grund einer mög­li­chen kom­mu­ni­sti­schen Macht­über­nah­me eine mäch­ti­ge Seil­schaft aus Ver­tre­tern von Finanz, Wirt­schaft, Poli­tik, Medi­en, Poli­zei und Mili­tär gebil­det hat­te, um im Staat Ein­fluß zu erlan­gen und auszuüben.

6 Orga­ni­sier­te Kri­mi­na­li­tät in Kala­bri­en (die kala­bri­sche Mafia).

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