
Von P. Paolo Maria Siano*
Weisheit. Stärke. Schönheit. Über die Aussöhnung von katholischer Kirche und regulärer Freimaurerei (Tesi Gregoriana – Serie Spiritualità, GBP, Rom 2019, S. 523) lautet der Titel der Dissertation von Msgr. Michael Heinrich Weninger, von dem ich hier bereits geschrieben habe. Jetzt stelle ich einige Punkte dieser Doktorarbeit vor und kommentiere sie, die zur Gänze für die reguläre englische (United Grand Lodge of England, UGLE) und die anglophile Freimaurerei (z. B. die Großloge von Österreich, GLvÖ) eingenommen ist. Msgr. Weninger enthüllt dabei einen interessanten Hintergrund:
Als der damalige Rektor der Päpstlichen Universität Gregoriana (P. François-Xavier Dumortier, 2010–2016) davon erfuhr, daß Msgr. Weninger ein Buch über die Freimaurerei vorbereitete, schlug er ihm vor, als Doktorand an die Gregoriana zu kommen und seine Arbeit als Dissertation am Institut für Spiritualität einzureichen (S. 5).
Cui prodest? Wem nützt es?
Msgr. Weninger dankt hohen Würdenträgern der Großloge von Österreich (GLvÖ) und der Vereinigten Großlogen von Deutschland (VGLvD), die es ihm ermöglicht haben, Material für seine Forschung zu konsultieren. Unter diesen möchte ich nur auf Michael Kraus („M.K.“), ehemals Großmeister der GLvÖ, Georg Semler („G.M.“), derzeitiger Großmeister der GLvÖ, und Christoph Bosbach („C.B.“), Großmeister der VGLvD, hinweisen. Weiters dankt er sowohl Kardinal Jean-Louis Tauran für die Begleitung seiner Arbeit als auch den spirituellen Mitbrüdern, die auch Brüder in der Freimaurerei sind (S. 5–6). Seine Freimaurermitgliedschaft, die bereits 2014 auf einer englischen Freimaurer-Website veröffentlicht wurde, gibt Msgr. Weninger nicht ausdrücklich bekannt.

Msgr. Weninger behauptet die Vereinbarkeit von Kirche und regulärer Freimaurerei gegen das, was er Vorurteile und Mißverständnisse nennt. Er ist der Ansicht, daß die Kirche nicht in der Lage war, zwischen regulärer und irregulärer Freimaurerei zu unterscheiden (S. 8–9); er will zeigen („Ziel“), daß es Grundlagen für eine vollständige Versöhnung zwischen der Kirche und der regulären Freimaurerei gibt (S. 10, S. 451–453); die wahre reguläre Freimaurerei die der drei Grade ist (S. 14) wie zum Beispiel die UGLE und die GLvÖ; die Freimaurerei keine Geheimgesellschaft ist, ihre Rituale bekannt sind (S. 27) und nichts mit satanischen, alchemistischen, magischen oder esoterischen Riten zu tun haben (S. 28, S. 63); und schließlich die Freimaurerei weder eine Religion noch eine religiöse Gemeinschaft ist und keine Dogmen hat (S. 436).
Diese Aussagen überzeugen mich nicht.
Leider veröffentlicht Msgr. Weninger weder im Anhang die Rituale der Großloge von Österreich noch erklärt er sie näher. Abgesehen davon läßt die Tatsache, daß er seine Doktorarbeit am Institut für Spiritualität (und nicht am Institut für Geschichte) veröffentlichte, erahnen, daß die Freimaurerei eben doch eine Form von Spiritualität ist. Das wiederum offenbart etwas von der intrinsischen Beziehung zwischen regulärer Freimaurerei-Esoterik-Magie, die der Autor vergeblich zu leugnen oder zumindest zu minimieren versucht. Trotzdem hinterläßt er da und dort einige Hinweise, wenn er zum Beispiel zugibt:
- Das Freimaurer-Ritual macht die innere Umwandlung des Menschen experimentierbar und gibt keine religiöse oder konfessionelle Lehre (S. 30).
- Das Freimaurergeheimnis ist die individuelle und rituelle Erfahrung des Freimaurers im Freimaurertempel (S. 31–32).
- Symbolisch erstreckt sich die Freimaurerloge von Ost nach West, von Nord nach Süd, von der Erde zum Himmel und von der Erdoberfläche bis zu ihrem Mittelpunkt (S. 33).
Tja, der Mittelpunkt der Erde.
Dann erklärt Msgr. Weninger, daß sich der Freimaurer im Ritual von der profanen Welt befreit und den heiligen Ort betritt („in ein fanum“, S. 33). Jeder Freimaurer sieht in der Formel des Großen Baumeisters des Weltalls, dem Namen, mit dem die Freimaurer Gott nennen, den Gott seiner Religion (S. 33, S. 42). Aus metaphysischer Sicht beobachte ich, daß der Freimaurer durch seine Rituale (wie Msgr. Weninger zu verstehen gibt) an der Vervollkommnung der Menschheit und an der Harmonie und der Bewahrung des Universums mitwirken kann (S. 33) und auf diese Weise eine Art von engelhaftem Dienst oder von göttlicher oder demiurgischer (gnostischer) Handlung innerhalb eines initiatischen, symbolisch-rituellen und überkonfessionellen Rahmens leistet.
Freimaurermagie?
Msgr. Weninger präsentiert die drei Grade aus anthropologischer Sicht als symbolische Stufen der Verbesserung des Menschen zwischen Brüdern und in der Welt (S. 35–37) und gibt zu, daß Kants Aufklärung bis heute die philosophischen Grundlagen des freimaurerisches Selbstverständnisses beeinflußt hat (S. 84) und daß es Freimaurer (ebenfalls von der GLvÖ) gibt, die die Freimaurerei als Tochter der Aufklärung betrachten (S. 85).

Nach Angaben des Autors wurde die reine Freimaurerei zwar Mitte des 18. Jahrhunderts von Okkultisten infiltriert, habe aber nichts mit Rosenkreuzern, Magie usw. zu tun. (S. 91–96). Weninger behauptet, daß auch moderne freimaurerische Gelehrte ausschließen, daß sie aus dem Geist und aus der rosenkreuzerischen, kabbalistischen, templerischen Tradition stammt (S. 108).
Laut dem Autor ist „Esoterik“ eine Erfahrung und innere Erkenntnis über sich selbst, ein Prozeß der inneren Transformation (S. 109–111), den manche Freimaurer auch im mystischen Sinne verstehen können (S. 111).
Weninger gibt zu, daß freimaurerische Rituale reich an „hermetischem Denken“ sind (S. 110). Dann spricht er von Okkultismus und Magie (S. 111–112), und daß die katholische Kirche legitime und wirksame magische Handlungen anerkennt („Die katholische Kirche kennt legitime Handlungen magisch-geheimnisvollen und dergestalt auch magisch-wirksamen Handelns“, S. 113) wie Exorzismus und Segen („Exorzismen“, „Segensformeln“, S. 113), und diese „Magie wurde und wird von der katholischen Kirche nicht verurteilt“, (S. 113).
Der Autor kann nicht überzeugen.
Wenn diese seine Behauptungen wahr wären, hätten wir das Paradox, daß der katholische Freimaurer (auch ein Priester) nicht zaubern würde, wenn er in der Loge arbeitet („Die Bruderschaft der Freimaurer kennt hingegen keine magischen Rituale, sie praktiziert keine Magie, ebenso wie Okkultismus im freimaurerischen Arbeiten keinen Platz findet“, S. 113), aber er würde zaubern, wenn er an besonderen Riten oder Segnungen der katholischen Kirche teilnimmt (oder zelebriert, wenn er ein Priester ist)! Das ist ein Beispiel für die Umkehrung und Vereinigung von Gegensätzen, die initiatische Kreise so fasziniert. Weninger bekräftigt, daß freimaurerische Rituale „eine spirituelle, geistige Identität, keine freie oder okkulte (prägen)“ (S. 114); daß die freimaurerische Initiation einfach die Aufnahme eines Kandidaten in die Freimaurerei ist und sich nicht auf die alten Mysterien bezieht und keine religiöse oder mystische Bedeutung hat, obwohl einige Freimaurer (hier zitiert der Autor G. Imhof, Kleine Werklehre) davon überzeugt sind (S. 178).
Später im Buch bestreitet der Autor, daß die freimaurerischen Konstitutionen von Anderson (1723) religiösen Relativismus oder Indifferentismus enthalten (S. 240).
Ich wiederhole hingegen, daß die Initiationsritualität und die überkonfessionelle Religiosität der Freimaurerei zusammen eine besondere Form der Magie darstellen: Die freimaurerischen Riten (z. B. Erleuchtung, Tod–Wiedergeburt) mit Symbolen und Anrufungen an den Großen Baumeister des Universums (in dem jeder Freimaurer den Gott seines religiösen oder initiatischen „Bekenntnisses“ sieht) zum Zweck der persönlichen und universellen Vervollkommnung drücken einen Kult und eine Spiritualität aus, die weder vom biblischen Gott offenbart noch von der katholischen Tradition (dogmatisch, doktrinär, liturgisch und kanonisch) bestätigt oder vorgeschlagen wurden. Es ist der Anspruch wie in der biblischen Erzählung vom Turmbau zu Babel, der nicht von ungefähr zumindest implizit von englischen Freimaurerquellen des frühen 18. Jahrhunderts gelobt wird, in den Himmel aufzusteigen. Darüber hinaus bezeugen reguläre Freimaurer, auch des deutschen Sprachraums, das illuministische und esoterische Wesen der Freimaurerei und machen deutlich, daß die freimaurerische Esoterik jene „Wissenschaften“ und „Traditionen“ (Hermetik, Kabbala, Magie …) umfaßt, von denen Weninger die reine Freimaurerei zu entlasten versucht. Schließlich bin ich der Überzeugung, daß es unter den vom Autor zitierten Quellen der regulären Freimaurerei (S. 497–498) einige gibt (die uns „Uneingeweihten“ vorenthalten werden), die die tieferen Gründe für die Unvereinbarkeit zwischen Kirche und Freimaurerei enthalten.
*Pater Paolo Maria Siano gehört dem Orden der Franziskaner der Immakulata (FFI) an; der promovierte Kirchenhistoriker gilt als einer der besten katholischen Kenner der Freimaurerei, der er mehrere Standardwerke und zahlreiche Aufsätze gewidmet hat. Katholisches.info veröffentlichte von ihm:
- Bruder.·. Peter Stiegnitz von der Großloge von Österreich (1936–2017)
- Der „Fall Weninger“ – Ex-Diplomat, Priester, Kurialer, Freimaurer
Die Freimaurerei erklärt von einem Großmeister - Den Anklopfenden erwarten beim Freimaurerbund Initiation und Gnosis
- Baron Yves Marsaudon – Ein Hochgradfreimaurer im Malteserorden
- Die Loge Quatuor Coronati, der Großmeister und ein Bettelbruder
- „Katholik, der Loge beitritt, ist exkommuniziert“ – Kirchenhistoriker Paolo Siano über Kirche und Freimaurerei
- Kurze Antwort an einen Großmeister der Freimaurerei
- War Karl Rahner Freimaurer?
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Katholische Kirche Kärnten/Freimaurer-Wiki (Screenshots)