
Freimaurerei und Esoterik in Rußland seit dem 18. Jahrhundert (Teil 1)
Freimaurerei und Esoterik in Rußland seit dem 18. Jahrhundert (Teil 2)
Von Pater Paolo M. Siano*
3. Freimaurerei und Esoterik in „Krieg und Frieden“ von Leo Tolstoi
Im Februar 2015 veröffentlichte der Verlag Viella das Buch „L’alambicco di Lev Tolstoj. Guerra e pace e la massoneria russa“ („Der Alembik von Leo Tolstoi. Krieg und Frieden und die russische Freimaurerei“, Rom 2015) von Raffaella Faggionato. Auf der Rückseite des Buches findet sich ein kurzer Lebenslauf der Autorin: „Raffaella Faggionato lehrt russische Sprache und Literatur an der Universität Udine. Sie beschäftigt sich mit der Geschichte der Freimaurerei und des Rosenkreuzertums im Rußland des achtzehnten Jahrhunderts (ein Thema, dem ihr Aufsatz „A Rosicrucian Utopia in Eighteenth-Century Russia. The Masonic Circle of N.I. Nowikow“, Springer, 2005, gewidmet ist) und den Verbindungen zwischen freimaurerisch-rosenkreuzerischer Kultur und russischer Literatur, insbesondere im Werk von Puschkin und Tolstoi.“
In der Einleitung schreibt Frau Prof. Faggionato: „Die komplexe Entstehungsgeschichte von Krieg und Frieden ist in Tausenden von Manuskriptblättern festgehalten, die unordentliche Notizen, Diagramme, hinzugefügte und gestrichene Teile, Änderungen und Umschreibungen enthalten, in denen sich Tolstois schwierige Handschrift mit der saubereren Handschrift seiner Frau Sofja Andrejewna Behrs und anderer gelegentlicher Schreiber abwechselt. Die Blätter decken einen Zeitraum von 1863 bis 1869 ab, fast sieben Jahre, in denen das Werk seine ideelle Ausrichtung, seine Struktur und seinen Titel änderte, in denen sich die Figuren veränderten und in denen sich Tolstois Schreibstil und Erzähltechnik änderten“ (S. 11).
In diesem Roman beschreibt Leo Tolstoi (1828–1910) das Rußland des frühen 19. Jahrhunderts und interessiert sich auch für die russische Freimaurerei: „Tolstoi machte ausgiebig Gebrauch von freimaurerischen Quellen, sowohl von den veröffentlichten Quellen in seiner Bibliothek als auch von den Manuskripten, die er in den Archiven der damaligen Zeit entdeckte. Er nutzte sie nicht nur, um Ideen zu erfassen und ihren Inhalt zu verstehen, sondern auch, um eine Erzähltechnik zu entwickeln, die das wörtliche Zitat der Quellen selbst zu einem strukturellen Element macht. Die Identifizierung der Manuskripte, die der Schriftsteller auf seinem Schreibtisch hatte, schien mir daher ein grundlegendes Moment für die Rekonstruktion der Geschichte einer so rätselhaften Beziehung zur faszinierenden Welt der Freimaurerei“ (S. 15f).
3.1 Nowikow, die Martinisten, das Rumjanzew-Museum
Prof. Faggionato schreibt, daß „Utrenni svet“ („Das Morgenlicht“) die erste in Rußland veröffentlichte Freimaurerzeitschrift ist. Zwischen 1777 und 1780 bestand die Redaktion in St. Petersburg aus zehn jungen Freimaurern, die sich um den Journalisten und Herausgeber Nikolai Iwanowitsch Nowikow scharten, der einige Jahre später die Seele einer Strömung der russischen Freimaurerei werden sollte, die als Rosenkreuzer oder Martinisten bekannt wurde. Im Vorwort der ersten Ausgabe erklärt Nowikow, daß das Hauptziel der Zeitschrift darin besteht, den Menschen zu erziehen, ihm seine Würde als Mittelpunkt der Schöpfung zurückzugeben und ihm zu helfen, sein eigenes göttliches Wesen zu erkennen. Außerdem erklärt Nowikow, daß die Werke der Alten, Griechen, Ägypter, Lateiner, der Selbsterkenntnis gewidmet waren, der die Zeitschrift Raum geben will. Faggionato erklärt, daß sich der junge Tolstoi von den humanistischen und aufklärerischen Idealen des Freimaurers Nowikow und seines Initiationskreises angezogen fühlte (vgl. S. 43f).

Der Begriff „Martinismus“ bezieht sich auf die freimaurerische und theurgische Bewegung, die in Frankreich durch das Werk von Martinez de Pasqually (1727–1774) entstand und später von seinem Sekretär Louis-Claude de Saint-Martin modifiziert wurde. Der Martinismus von de Saint-Martin ist eine Synthese aus Christentum und jüdischer Kabbala im Geiste der Mystik von Jakob Böhme (vgl. S. 58).
1782 trat Nowikows Kreis dem Orden des Goldenen Rosenkreuzes in Berlin bei [den ich im zweiten Teil erwähnt habe]. Diese Mitgliedschaft verschaffte den russischen Freimaurern eine prestigeträchtige internationale Anerkennung und ermöglichte es ihnen, sich mit der westlichen esoterischen Literatur vertraut zu machen. Im Jahr 1785 übersetzte und veröffentlichte Nowikow in Moskau das Werk „Des erreurs et de la vérité“ („Von Irrtümern und der Wahrheit“) von Louis-Claude de Saint-Martin auf russisch, das für die russischen Freimaurer zur Pflichtlektüre wurde und durch das sie unter anderem mit der esoterischen Symbolik vertraut wurden. Daher die Verwechslung der Bezeichnungen „Rosenkreuzer“ und „Martinist“, die in den antifreimaurerischen Pamphleten jener Zeit praktisch gleichgesetzt werden (vgl. S. 58f). Auch Iwan Jelagin, Sekretär Katharinas II. und eine führende Persönlichkeit der St. Petersburger Freimaurerei, schätzte das Werk de Saint-Martins (vgl. S. 59). Professor Faggionato bemerkt: „Aber die russischen Martinisten hatten sich nicht auf eine oberflächliche und vermittelte Kenntnis der hermetischen Disziplinen beschränkt. Durch den Kanal der Mutterloge Zu den drei Weltkugeln in Berlin hatten sie alle Klassiker der hermetischen und gnostischen Tradition der Spätrenaissance erhalten, zusammen mit den grundlegenden Werken der großen deutschen Mystiker und Theosophen. Von dieser riesigen Sammlung von Büchern und Manuskripten hatten sie eine Übersetzungsarbeit begonnen, die bis in die ersten beiden Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts andauerte“ (S. 59f).
Die reichsten Sammlungen dieser Werke gingen an das Rumjanzew-Museum, wo Tolstoi das Material für seinen Roman „Krieg und Frieden“ konsultierte.
Faggionato zitiert eine Passage des „Mystikers“ Karl von Eckartshausen (1752–1803): „Die wahre königliche und priesterliche Wissenschaft ist die Wissenschaft der Regeneration oder die Wissenschaft der Wiedervereinigung des gefallenen Menschen mit Gott“ (S. 293). Dies ist genau das initiatorische Ziel, das den esoterischen Freimaurern, Rosenkreuzern und Martinisten gemeinsam ist: den Menschen in seinen ursprünglichen Zustand vor dem Sündenfall oder der Erbsünde zurückzuführen…
3.2 Tolstoi studiert die russische Freimaurerei
Im Dezember 1863 und Februar 1864 reiste Tolstoi nach Moskau und traf den Historiker Michail Longinow, von dem er sich Bücher auslieh. „Aus Longinows Werken, die ab 1857 in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht wurden, ging hervor, daß die russische freimaurerische Kultur seit dem Ende des 18. Jahrhunderts durch eine Mischung aus religiösem Mystizismus und fortschrittlichen Bestrebungen gekennzeichnet war […]. Dieselbe Mischung, die der Schriftsteller beim Studium der Sache der Dekabristen in jenen jungen Männern gefunden hatte und die ihn veranlaßt hatte, nach den Beziehungen zwischen Dekabrismus und Freimaurerei zu suchen“ (S. 125).
Im November 1864 besuchte Tolstoi zum ersten Mal das Rumjanzew-Museum und kehrte danach mehrmals dorthin zurück. Dort wurden umfangreiche Sammlungen hermetischer, gnostischer und theosophischer Werke aus dem Milieu und der Kultur der russischen Rosenkreuzer/Martinisten aufbewahrt, die mit dem Goldenen Rosenkreuzerorden verbunden waren (vgl. S. 59f).
Zur Freimaurerei in „Krieg und Frieden“ und zum freimaurerischen Charakter von Pierre Besuchow stellt Faggionato fest: „[…] Zwischen 1867 und 1869 wurde der Roman tatsächlich ‚anders‘. Die Freimaurerei, die als ein Moment in Pierres Erziehung eingeführt wurde, ausgehend von der politischen und sozialen Analyse der Wurzeln des Dekabrismus, wird ein Element seines inneren Wachstums. Aber was sich im Inneren, in der Tiefe abspielt, kann nur in einer völlig neuen Sprache ausgedrückt werden, in der die symbolische Komponente das ausdrücken kann, was sonst nicht gesagt werden kann. An diesem Punkt wird die Lehre der Freimaurer von einer konkreten Erfahrung zu einem unerschöpflichen Reservoir von Bildern und ‚Hieroglyphen‘, die den ewigen Fragen, die sich am Horizont des Romans abzeichnen, eine Stimme und eine konkrete Gestalt geben“ (S. 219).

Im Roman „Krieg und Frieden“ gibt es auch den Kontrast zwischen Moskau und St. Petersburg, einen Kontrast, der für die russische Kultur zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert typisch ist: Während St. Petersburg das Zentrum der Ausstrahlung der neuen Literatur und des kämpferischen Journalismus ist, ist Moskau das Zentrum der Verteidigung der Werte der „Tradition“. Pierre Besuchow wird in St. Petersburg als Freimaurer eingeweiht, aber seine innere Wiedergeburt wird in Moskau stattfinden… St. Petersburg ist das Symbol der kalten, geometrischen Vernunft (vgl. S. 254f) und der mephistophelischen Vernunft… Aus Tolstois Roman erhalten wir das Bild von St. Petersburg als Hauptstadt einer Freimaurerei, die sich hinter Äußerlichkeiten und Formalismus verliert, während Moskau die Hauptstadt der wahren Freimaurerei sei, die auf eine innere Wiedergeburt abzielt (vgl. S. 256).
3.3 Initiatische Konzepte der russischen Freimaurerei
Die Studie von Frau Professor Faggionato hat das Verdienst, die initiatischen Konzepte der russischen Freimaurerei des 19. Jahrhunderts hervorzuheben, die zumindest implizit aus Tolstois Werk und explizit aus den von ihm konsultierten freimaurerischen Manuskripten hervorgehen. Es handelt sich um Konzepte, die nicht nur die russische Freimaurerei, sondern die Freimaurerei als solche betreffen.
3.3.1 Ablehnung der Vernunft, Identität von Gegensätzen, Mystik des Widerspruchs
Tolstoi interessiert sich sowohl für die „äußeren Aspekte, Formeln und Rituale“ der Freimaurerei als auch für die „Sprache der hermetischen Wissenschaften, die sich die Freimaurerei mit ihrer Fähigkeit zu eigen gemacht hatte, die Dynamik des Denkens auszudrücken, ohne es auf eindeutige Bedeutungen festzulegen“ (S. 17). Es handelt sich um „eine Dimension von Kultur und Geist, die sich rationalen Erklärungen entzieht“ (S. 17). Faggionato schreibt, daß auch bei Tolstoi: „[…] das Bewußtsein wächst, wie sich alles in unseren irdischen Angelegenheiten in sein Gegenteil verkehrt, wie das Leben eigentlich der Tod ist und der Tod der Beginn eines neuen Lebens. In seinem Roman gibt er einem Kosmos Ausdruck, dessen Gesetz sich ihm und uns entzieht, in dem alles und das Gegenteil von allem wahr ist. Die hermetisch-freimaurerische Symbolik hilft ihm, dieses Paradox zu ertragen und zum Ausdruck zu bringen, denn jedes Bild spricht zu ihm von eben dieser Komplexität: der Phönix, der sich aus seiner eigenen Asche erhebt, die Wiedergeburt aus der Verwesung des Fleisches, der Übergang vom Nigredo zum Albedo im alchemistischen Werk, der Stein der Weisen, die Weisheit der Zahlen…“ (S. 17).
Prof. Faggionato erklärt, daß sich Tolstoi für den Roman „Krieg und Frieden“ auf: „Freimaurerisches Ritual“, „Alchemie“, „Kabbala“ bezieht (vgl. S. 17f). Die freimaurerische Erfahrung sei eine Initiationsreise, ein „Prozeß von Tod und Wiedergeburt“, um „eine höhere Ebene der Existenz“ zu erreichen (vgl. S. 18)… Tolstois Frieden kann im Licht der freimaurerischen und initiatorischen Welt als Überwindung der Gegensätze Körper–Geist, Ich–Welt, Menschliches–Göttliches und vielleicht sogar Krieg–Frieden verstanden werden (vgl. S. 18f).
Noch zum Thema der Vereinigung von Gegensätzen: Die russische „freimaurerische Kultur“ zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert zeigt eine „seltsame Mischung aus Mystizismus und progressiven Ideen“ (vgl. S. 73).
3.3.2 Nein zur menschlichen Vernunft, Tod–Wiedergeburt, mystischer Pantheismus
In den letzten beiden Jahren seiner Arbeit an „Krieg und Frieden“ zeigt Tolstoi großes Mißtrauen in die Fähigkeit der menschlichen Vernunft, die Ursachen der Ereignisse und den letzten Sinn und Zweck der Existenz zu verstehen. Die Helden des Romans teilen diese Überzeugung, die sich Tolstoi schon in jungen Jahren zu eigen macht. Für Tolstoi sind die Wahrheiten Paradoxe, die Gewißheiten der Vernunft sind falsch, und erst aus der Erkenntnis der Irrationalität des Daseins kann eine Bewegung zum Licht hin entstehen (vgl. S. 223f). Tolstoi hält auch die Vorstellung für illusorisch, man könne im Hinblick auf das allgemeine Wohl aller Menschen handeln (vgl. S. 225)… Die Idee des Gemeinwohls, das Streben, für das Gemeinwohl zu handeln, die Menschheit regenerieren zu wollen, ist eine Illusion der menschlichen Vernunft, die verdorben ist (vgl. S. 226). Es ist notwendig, sich innerlich von einer solchen Illusion zu reinigen (vgl. S. 227)… Tolstoi lehnt sowohl den aristotelischen als auch den kartesischen „Rationalismus“ ab (vgl. S. 227)… Tolstoi beschäftigt sich mit dem Problem des freien Willens, des Verhältnisses zwischen Notwendigkeit und Freiheit, er stellt sich die Frage, ob es der Zufall, die Willkür oder die göttliche Vorsehung ist, die die menschlichen Handlungen lenkt… Faggionato schreibt dazu (ich hebe wichtige initiatorische und freimaurerische Begriffe fett hervor): „Die Kenntnis des freimaurerisch-martinistischen Universums liefert dem Schriftsteller eine erste Lösung dieses Problems. Das Konzept der Harmonie zwischen dem Teil und dem Ganzen, dem Tolstoi in den hermetischen Texten begegnet und für das die Figur des Basdejew zum Symbol wird, läßt die Koexistenz von Gegensätzen zu. Der Böhme-Personalismus der Martinisten läßt eine Dimension der Freiheit in der Vergöttlichung des Ichs zu, die das Produkt des Großen Werkes ist. Auf der Grundlage dieser Lektüre gelangt Tolstois kreative Reflexion zu einem Emanationismus sui generis. Gott manifestiert sich nicht in der Materie der Welt, in der das Prinzip von Ursache und Wirkung vorherrscht und jeder Versuch zu „handeln“ sich als fruchtlos und illusorisch erweist. Gott manifestiert sich in dem subjektiven Universellen, das die menschliche Seele ist, am Ende eines Prozesses der Regeneration, der die Form der freimaurerischen Reise annimmt und durch aufeinanderfolgende Tode und Wiedergeburten verläuft. Am Ende der Initiationsreise bewegt sich das Selbst, der samost, an jener Grenze der Freiheit, an der Wahl und Handeln wieder möglich werden, aber Wahl und Handeln sind nicht mehr das Ergebnis eines individuellen Egoismus, auch nicht eines rationalen Prozesses, sondern einer instinktiven Anpassung des Teils an das Ganze, einer Teilnahme an der Bewegung des Universums, einer Abstimmung der individuellen Stimme auf die Symphonie der himmlischen Sphären“ (S. 227f, Fettdruck von mir, Kursivdruck im Text).
3.3.3 Aus den Notizbüchern des Grafen Sergej Lanskoi: Freimaurerei, Alchemie, Kabbala
Frau Professor Faggionato stellt fest, daß viele von Tolstois Anmerkungen und ganze Sätze aus „Krieg und Frieden“ mit Passagen aus drei Notizbüchern übereinstimmen, in denen Graf Sergej Lanskoi die freimaurerischen Lehren notierte, die er zwischen 1811 und 1815 erhielt (vgl. S. 177).

Sergej Lanskoi (1787–1862) trat 1810 in die Freimaurerei ein und spielte eine wichtige Rolle in den Logen von St. Petersburg, bis er Unterpräfekt des Phönixkapitels mit dem Initiationsnamen „Eques a phoenice resurrecto“ wurde. Lanskoi schloß sich der Dekabristen-Bewegung an, um sich jedoch vor dem versuchten Aufstand von 1825 von ihr zu trennen. Im Jahr 1828 gehörte er zu den Leitern des Theoretischen Grades des Rosenkreuzerordens, der sich nach dem Dekret von 1822, mit dem Zar Alexander I. alle freimaurerischen Vereinigungen verboten hatte, im Verborgenen neu konstituierte. Lanskoi stand bis zu seinem Tod einer Loge des Theoretischen Grades vor. Im Jahr 1855 ernannte ihn Zar Alexander II. zum Innenminister. Vierzig Jahre lang leitete Graf Lanskoi zahlreiche philanthropische und wohltätige Vereine. Nach seinem Tod wird ein Teil seiner Bibliothek dem Rumjanzew-Museum gestiftet (vgl. S. 174).
Prof. Faggionato gibt an, daß Graf Sergej Lanskoi der russischen Provinzgroßloge des Schwedischen Ritus angehörte (vgl. S. 385), in der die schottischen Grade und der Grad des Theoretikers gepflegt wurden. In einer dieser Logen der Provinzgroßloge ließ Tolstoi seine literarische Figur Pierre Besuchow aus „Krieg und Frieden“ in die Freimaurerei einweihen (vgl. S. 386). Aber auch im Schatten der Logen des Schwedischen Ritus, die eher mystisch-rosenkreuzerisch sind, gibt es Freimaurer, die sich der Politik in einem progressiven Sinne widmen. Und es gibt Freimaurer, die zwei seit 1815 rivalisierende Freimaurersysteme frequentieren, nämlich die Astraea-Großloge und die Provinz-Großloge des Schwedischen Ritus (vgl. S. 386f)… Das Komitee zur Unterstützung von Waisenkindern oder solchen aus armen Familien wird von Sergej Lanskoi geleitet und besteht ausschließlich aus Freimaurern der Provinz-Großloge (vgl. S. 388).
Sogar in der „Doppelmitgliedschaft“ können wir eine Art coniunctio oppositorum erkennen…
In einem Notizbuch mit elegantem rotem Ledereinband schreibt Graf Lanskoi von der Alchemie (Quecksilber-Schwefel-Salz), von freimaurerischen Graden („Grad X“) (vgl. S. 179)… Aus einer anderen Quelle entnimmt Tolstoi, daß alles aus der alchemistischen Dreifaltigkeit „Salz, Schwefel und Quecksilber“ besteht… Faggionato stellt fest, daß es sich um „mystische und geistige Alchemie“ nach den Lehren von Jakob Böhme und Louis-Claude de Saint-Martin handelt (vgl. S. 180). Nach der Alchemie gelangt der innere Mensch durch endlose geistige Tode und Wiedergeburten auf eine höhere Existenzebene… Nach den von Tolstoi gelesenen freimaurerischen und alchemistischen Aufzeichnungen kann der Mensch den Geist-Körper-Dualismus überwinden… Adoniram wird von drei bösen Gefährten getötet… alles stirbt, aber der getötete Adoniram ersteht wieder auf (vgl. S. 180f)…
Aus den freimaurerischen Manuskripten des Grafen Lanskoi lernt Tolstoi Begriffe und Vorgänge des Großen Werkes der Alchemie: den Übergang von der Dunkelheit zum Licht… die Befreiung des Geistes aus dem körperlichen Gefängnis (vgl. S. 228f)…
Sehr interessant sind auch die folgenden Bemerkungen von Professor Faggionato zu den alchemistisch-hermetischen Manuskripten des Grafen Lanskoi: „Vor allem aber waren diese Manuskripte Ausdruck einer im wesentlichen dualistischen Denkweise, die den spekulativen Bedürfnissen des Verfassers entsprach. Es handelt sich nämlich nicht so sehr um einen Dualismus durch Ausschluß, bei dem die Bejahung eines Pols die Verneinung seines Gegenteils voraussetzt, sondern vielmehr um einen ‚konstruktiven Dualismus‘, der den Widerspruch zuläßt und ihn an die Basis jener Bewegung stellt, die das Leben selbst ist. Die Struktur des alchemistischen Prozesses, des Großen Werkes, ist in der Tat wesentlich dynamisch. Er beginnt mit dem alchemistischen Tod, d. h. mit der Trennung der drei Prinzipien (Schwefel, Quecksilber und Salz – Körper, Seele und Geist), auf die weitere Phasen folgen, in denen sich die Prinzipien und Elemente nach und nach in einer neuen Geburt wieder vereinen. Der Prozeß verläuft nicht linear, sondern in diskontinuierlichen Etappen, die die eigentlichen Etappen des Werkes darstellen. Die Logik, die diesem Prozeß zugrunde liegt, setzt den Verzicht auf die Prinzipien der Identität und des Nicht-Widerspruchs voraus, denn der Tod ist nicht der Tod, sondern neues Leben, Wiedergeburt. Das hat auch nichts mit der Hegelschen Dialektik zu tun: Die Gegensätze fallen nicht dank einer Synthese zusammen, sondern es besteht eine Art ‚harmonischer Antagonismus‘ zwischen ihnen, der sich in einem ewigen Kreislauf von Tod und Wiedergeburt verwirklicht“ (S. 229f).
Eine Anmerkung von mir dazu: In Wirklichkeit paßt die Hegelsche Dialektik da sehr gut hinein.

Prof. Faggionato fährt fort: „Die meisten alchemistischen Texte unterscheiden zwischen zwei Wegen, dem trockenen und dem nassen, auf denen sich der Alchemist entwickelt und sich von einem niederen zu einem höheren Wesen wandelt. Auf dem nassen Weg, der in der ‚Zeit‘ verläuft, liegt die Betonung auf der Sequenzialität eines Weges, der verschiedene Etappen durchläuft; auf dem trockenen Weg hingegen wird die Gleichzeitigkeit betont. Beide Wege sind jedoch von Zyklen des Aufbaus und der Zerstörung geprägt, in denen sich Rationalität und Irrationalität, bewußte und unbewußte Sphären, Vernunft und Emotion abwechseln und aufeinanderprallen. Der Alchemist weiß die charakteristischen Elemente sowohl des trockenen als auch des feuchten Weges bei der Verwirklichung des Großen Mystischen Werkes zu nutzen, das den Tod des „alten“ Menschen und die Geburt des kosmischen Menschen durch die alchemistische Putrefatio sieht: eine melancholische, schmerzhafte und schlafende Phase in der Materie. Auf diese Konzepte beziehen sich die knappen Notizen, die Tolstoi beim Studium der freimaurerischen Manuskripte im Rumjanzew-Museum gemacht hat und die bereits besprochen wurden“ (S. 230, Fettdruck von mir, Kursivdruck im Original).
In der alchemistisch-hermetischen Mystik und auch in der jüdischen Kabbala-Mystik ist das Ziel die höhere Liebe, d. h. die „Vereinigung der Gegensätze“ oder die Vereinigung von männlich und weiblich (vgl. S. 282f). Eines der in grün-goldenes Leder gebundenen Notizbücher des Grafen Lanskoi illustriert die Prinzipien der Kabbala und der Alchemie (vgl. S. 284, Fettdruck von mir).
3.3.4 Der Tod für einen Freund…
Frau Professor Faggionato geht auch auf die Licht-Dunkel-Symbolik ein, die im Zentrum des freimaurerischen Rituals und Denkens steht. Von dieser Symbolik ist auch in den Notizbüchern des Grafen Lanskoi die Rede und natürlich in der Kabbala (vgl. S. 317f)… Dann geht Faggionato kurz auf den dritten Grad des Freimaurermeisters ein: Der Freimaurer muß in die Dunkelheit, in den Tod hinabsteigen, um das Licht zu finden und mit dem Göttlichen in ihm wieder vereint zu sein (vgl. S. 318f)…
In den freimaurerischen Katechismen, die seit den 1880er Jahren in Rußland kursieren, vor allem in den Logen, die der Union der Provinzgroßloge angehören (der auch Graf Sergej Lanskoi angehörte), ist von sieben Geboten die Rede, und das siebte lautet „den Tod lieben“, ihn also nicht als „Feind“, sondern als „Freund“ betrachten (vgl. S. 196f). Das Bild von Tod und Wiedergeburt ist in der freimaurerischen Kultur wichtig (vgl. S. 218).
3.4 Einige Figuren aus „Krieg und Frieden“
Zumindest einige Figuren aus „Krieg und Frieden“ drücken Begriffe aus der esoterischen Welt der russischen Freimaurerei aus. Sehen wir uns an, was Prof. Faggionato entdeckt hat.
3.4.1 Iwan Lopuchin oder der ältere und esoterische Freimaurer Basdejew von „Krieg und Frieden“
Faggionato schreibt über Tolstoi und sein Wissen über die russische Freimaurerei (den „Orden“): „Am 9. Mai 1864 erwarb der Schriftsteller, wie bereits erwähnt, mehrere Bücher, die für sein damaliges Wissen von grundlegender Bedeutung waren; einige davon betrafen die Lehre des Ordens und wurden in der Druckerei von Iwan Lopuchin veröffentlicht, die auf die Herausgabe gnostischer Werke spezialisiert war. Genau auf diese Zeit geht die zehnte Variante des Anfangs zurück, in der das freimaurerische Thema eingeführt wird“ (S. 125).
Iwan Lopuchin ist auch Freimaurer (vgl. S. 49) der Nowikow-Rosenkreuzer-Martinisten-Freimaurerei (vgl. S. 55f), in der die Theosophie von Jakob Böhme und das esoterische Denken von de Saint-Martin und Swedenborg untersucht werden (vgl. S. 92)… Iwan Lopuchin, Nowikows Mitarbeiter in der Blütezeit des russischen Rosenkreuzertums, ist Übersetzer und Verleger, Autor wichtiger Werke über das russische Rosenkreuzertum, aber auch politisch und sozial sehr engagiert, in der Wohltätigkeitsarbeit und der Erziehung der Jugend. Lopuchin ist Senator für Justizangelegenheiten, ist gegen körperliche Züchtigung und setzt sich für verfolgte Minderheiten ein (vgl. S. 95). Gerade von Lopuchin läßt sich Tolstoi für die Figur des alten Freimaurers und Martinistenführers Pierre Besuchow inspirieren (vgl. S. 96).

Im zweiten Teil des zweiten Bandes von „Krieg und Frieden“ wird Pierre Besuchow in eine Freimaurerloge aufgenommen (vgl. S. 25). In einer der ersten Varianten von „Krieg und Frieden“ sucht Pierre Besuchow die Auswanderung und trifft einen alten Freimaurer und Martinisten, der ihm helfen kann. Aus dem Gespräch Besuchows mit dem alten Freimaurer geht die Vorstellung hervor, daß es in der Natur gegensätzliche Kräfte gibt, die jedoch, wenn sie aufeinandertreffen, Harmonie und Glück hervorbringen (vgl. S. 137–139)… Der alte Freimaurer und Martinist erklärt Pierre, daß die gesamte Schöpfung von Gott kommt und zu Gott zurückkehrt und daß der Mensch in seinen Zustand als Engel zurückkehren kann, weil er – nach der martinistischen Lehre – der letzte der Geister und das erste der materiellen Wesen ist (vgl. S. 140f).
In „Krieg und Frieden“ ist Josif Basdejew der Freimaurer, der sich von den St. Petersburger Freimaurern losgesagt hat und in Moskau lebt. Basdejew ist es, der Pierre zur „Erleuchtung“, zur wahren initiatorischen Wiedergeburt, führt (vgl. S. 256)… Pierre unterscheidet die Freimaurer in vier Klassen: 1) die alten Mystiker der vorangegangenen Generation; 2) die Jungen, die wie er auf der Suche nach der Wahrheit sind; 3) die Formalisten, die nur dem Ritual verpflichtet sind; 4) die Opportunisten, die in der Freimaurerei die Bekanntschaft reicher und mächtiger Leute suchen. Basdejew, ein alter Freimaurer und Martinist, wird in die Kategorie jener Freimaurer eingeordnet, die völlig in die Geheimnisse der freimaurerischen Wissenschaft, der Alchemie und der Heiligen Geometrie vertieft sind (vgl. S. 258f)… Basdejew und Pierre gehören (in „Krieg und Frieden“) dem Grad des „Ritters des Ostens und Jerusalems“ an, der einer der Hochgrade der Freimaurerei des Schwedischen Systems ist (vgl. S. 260). Selbst als alter und sterbender Mann ist der Freimaurer und Martinist Basdejew in das Studium der „wahren Wissenschaft“, d. h. der lebendigen Alchemie, vertieft, die auf Selbsterkenntnis, innere Vollkommenheit und die höchste Tugend, d. h. die Liebe zum Tod. Durch den Tod wird die Wiedergeburt des Menschen und der Natur verwirklicht… Basdejew ist in der Tat ein Symbol, eine entscheidende Etappe in Pierres Initiationsreise (vgl. S. 263)…
3.4.2 Karatajew, der Kreis, die Lanskoi-Notizbücher: alchemistische und kabbalistische Androgynie…
Frau Professor Faggionato schreibt, daß Platon Karatajew die letzte Figur ist, die im Roman „Krieg und Frieden“ auftaucht. Karatajew ist ein russischer Unteroffizier, der „alles Russische, Gute, Glückliche und Runde“ verkörpert. Tolstoi betont die Rundheit Karatajews: Kopf, Augen, Mund, Haare, Hände, Schultern, Brust… Karatajews ganze Gestalt neigt zum Kreis (vgl. S. 305–308).
Warum beharrt Tolstoi darauf, Karatajew dem Kreis gegenüberzustellen? Laut Prof. Faggionato findet sich Tolstois Hauptinspirationsquelle für Karatajews „Rundlichkeit“ in den Manuskripten des Grafen Sergei Lanskoi, den Tolstoi gegen Ende 1867 konsultierte, um andere Episoden des Romans zu verfeinern (vgl. S. 309).
An dieser Stelle geht Faggionato zu dem Absatz „Ein kleines, in grün-goldenes Leder gebundenes Notizbuch“ über. Es handelt sich um das Notizbuch, in dem der Freimaurer Lanskoi Notizen über die „hermetischen Wissenschaften“ niederschrieb, die in den Logen des Theoretischen Grades ein bevorzugtes Studienobjekt waren. In diesen Notizen wird der Kreis als Symbol Gottes, des Universums, der Verschmelzung der vier Elemente dargestellt… Die Kreisform findet sich im Universum, im Makrokosmos und auch im Mikrokosmos, d. h. im Menschen (Auge, Pupille, Rundung der Beine, Arme, Finger, des Halses, der Venen, der inneren Organe, usw.) (vgl. S. 309f). Faggionato bemerkt die „einzigartige Ähnlichkeit“ zwischen diesen vom Freimaurer Lanskoi niedergeschriebenen Lehren und dem Ganzkörperporträt von Platon Karatajew. Die Rundung Karatajews verweist „auf das alchemistische Ideogramm des All-Einen“ (S. 310). In diesem Notizbuch werden auch Prinzipien der jüdischen Kabbala, die Bedeutung der Buchstaben des hebräischen Alphabets, die sieben Namen Gottes (vgl. S. 310) erklärt.
Quadrat, Kreis, alchemistische Dreifaltigkeit, Hohelied, Baum des Guten und des Bösen… Dies sind Elemente, die von Lanskoi beschrieben werden und die sich in Tolstois Roman verstreut finden lassen. Faggionato bemerkt, daß der Name Platon Karatajew auf eine kabbalistische Exegese verweisen könnte: „taev“ bedeutet im alten Hebräisch „begierig“, und „rakav“ (nach jüdischer Tradition mit wechselnden Konsonanten) bedeutet „vereint sein“. Der Name Karatajew kann also bedeuten: „begierig, vereint zu sein, zur harmonischen Einheit der Sphäre zurückzukehren“, und das ist es, was Karatajew in den Augen von Pierre in „Krieg und Frieden“ zu sein scheint. Außerdem – so Faggionato – kann sich ‚rakav‘ auf ‚Merkavah‘ (hebräisch) beziehen, d. h. auf den ‚Wagen‘, die Reise von der Schöpfung in die himmlische Welt, zum Thron Gottes… Nach der Kabbala steigt man von einer solchen mystischen Erfahrung wieder in das Alltägliche hinab… Aufstieg und Abstieg…, genau das, was aus ‚Krieg und Frieden‘ hervorgeht (vgl. S. 311).
In diesem Roman wird Karatajews Sprechen und Singen mit dem Gesang der Vögel verglichen… Faggionato bemerkt, daß in der Kabbala, der Magie und Alchemie der Renaissance, der Gesang der höchste menschliche Ausdruck ist… Die Sprache der Vögel aber wird als vollkommene Sprache verstanden, die Sprache der Eingeweihten und der Götter (vgl. S. 312).
Nach der Kabbala ist es notwendig, die männliche und die weibliche Polarität in sich zu vereinen… Nun, die Klänge von Karatajews Gesang sind immer unvermittelt, zart, „fast weiblich“… Karatajew spricht mit der liebevollen, zärtlichen, melodiösen Kadenz der alten russischen Bäuerinnen (vgl. S. 312)… Darüber hinaus verkörpert der Karatajew von „Krieg und Frieden“ auch – schreibt Faggionato – „dieselbe ‚konstruktive Dualität‘, auf der der alchemistische Prozeß beruht, die den Widerspruch zuläßt und ihn sogar zum Ursprung der Bewegung macht, die das Leben selbst ist: ‚Er sagte oft genau das Gegenteil von dem, was er vorher gesagt hatte, aber das eine und das andere war richtig‘“ (S. 313).
Auch nach seinem Tod bleibt Karatajew ein Bezugspunkt. Im Epilog des Romans fragt Natascha Pierre nach seinem Engagement in einer politischen Vereinigung: „Würde Karatajew damit einverstanden sein? (vgl. S. 315).
3.5 Tolstoi und die russische Freimaurerei zwischen Orthodoxie und Synkretismus
Während die Wissenschaftlerin Maria Sémon der Meinung ist, daß Tolstoi in „Krieg und Frieden“ auf die orthodoxe Theologie zurückgreift, behaupten die Philosophen Lew Sestow (eigentlich Jehuda Leib Schwarzmann, 1866–1938), Nikolai Berdjajew (1874–1948) und Wassili Rosanow (1856–1919), daß die Verherrlichung des Kreuzes, die Ankunft des Erlösers und die Geschichte der Kirche in Tolstois Werk nicht vorkommen (vgl. S. 367). Prof. Faggionato ist der Meinung, daß der Schriftsteller Lew Tolstoi: „[…] eher auf jenen religiösen Synkretismus der freimaurerisch-rosenkreuzerischen Matrix zurückgreift, der verschiedene Glaubensrichtungen in einer zeitlosen, weisheitlichen Vision des Christentums als einer großen Synthese verschmilzt“ (S. 367.
Im Jahr 1822 verbot Zar Alexander I. die Freimaurerei und sie wurde wieder versteckt. 1828 wird in Moskau, ebenfalls auf Initiative des Grafen Lanskoi, der Theoretische Grad wiederhergestellt (vgl. S. 389). Die zaristische Regierung führt ein eisernes Spitzelsystem ein, bei dem Agenten alle Arten von Vereinigungen unterwandern. Es kommt häufig zu Durchsuchungen und Beschlagnahmungen von Büchern und Dokumenten. So kommt Faggionato zu dem Schluß: „Aber trotz allem bleibt die rosenkreuzerische Kultur mit ihrem Gepäck an hermetischen Studien lebendig und überdauert die Jahrzehnte. Tolstoi wird in der Lage sein, ihre letzten Schimmer aufzufangen, die Vertreter dieses Universums des Sonnenuntergangs kennenzulernen und sich für ihr Leben, ihre Schriften und ihre Weltanschauung zu begeistern“ (S. 390).
Tatsächlich sind Elemente der rosenkreuzerischen, gnostischen Kultur mit der bolschewistischen Revolution nicht völlig untergegangen, sondern haben in der Sowjetunion überlebt, um dann nach dem Untergang der UdSSR (wie ein Phönix) „wiedergeboren“ zu werden…
(Fortsetzung Teil 4)
*Pater Paolo Maria Siano gehört dem Orden der Franziskaner der Immakulata (FFI) an; der promovierte Kirchenhistoriker gilt als einer der besten katholischen Kenner der Freimaurerei, der er mehrere Standardwerke und zahlreiche Aufsätze gewidmet hat. Durch seine Veröffentlichungen bringt er den Nachweis, daß die Freimaurerei von Anfang an bis heute esoterische und gnostische Elemente enthielt, die ihre Unvereinbarkeit mit der kirchlichen Glaubenslehre begründen.
Übersetzung/Fußnoten: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana/Wikicommons/MiL (Screenshots)
Meiner Meinung ist Tolstois Auferstehung, sein letzter Roman, eindeutig biblisch fundiert und verteidigt einerseits sogar die christliche Sexualmoral ( In seiner Jugend wollte Nechljudow bis zur Ehe warten, aber die Familie machte sich Sorgen um seine Gesundheit ), aber kritisiert gleichzeitig die Selbstgerechtigkeit der „Mächtigen“, die selber Dreck am Stecken haben und andere verurteilen und bestrafen, zu denen später auch Nechljudow gehört. Auf der letzten Seite ist sogar die Rede, dass die Wahrheit in der Bibel und in der Lehre Christi enthalten ist.
Bei Tolstois früheren und bekannteren Romanen ist das nicht so, besonders auffallend ist der Unterschied zwischen Anna Karenina und Auferstehung, so dass man in seinem letzten Roman einen deutlichen Wandel der persönlichen Einstellung von Tolstoi hin zum biblischen Christentum bemerkt, auch wenn er mit der orthodoxen Kirche gebrochen hat.
Russland ist dabei das zu überwinden.
Betet für das dritte Rom.
Wer sich mit Religionsgeschichte auskennt der weiss, dass Rom, bevor es das Rom von heute wurde, ein Sammelbecken für alle heidnischen Lehren war, wird es in einem Brief des Apostels Petrus doch sogar Babylon genannt.
Schon seltsam, dass man hier af katholisches.info gar nichts davon hört, wie Russland den Darwinismus, eine Lehre selbstherrlicher Freimaurer, Wegbereiter für die Schrecken der Regime in den 30er und 40er Jahren, überwinden will, und die Chancen gar nicht so schlecht zu sein scheinen.
https://www.fr.de/politik/neu-russland-erfindet-sich-die-welt-93319235.html?utm_source=pocket-newtab-de-de
Und im Übrigen, Tolstoj ist auch in Russland nicht unumstritten.
Auch die orthodoxe Kirche weiss um seine gnostischen, antichristlichen Lehren:
https://russian-faith.com/people-saints/russian-saint-who-hated-tolstoy-st-john-kronstadt-n7130