
Von P. Paolo M. Siano*
Nach meinem Artikel über das Buch „Gott ohne Kirche“ (2003) erfuhr ich, daß der Freimaurer Peter Stiegnitz auch ein Buch geschrieben hatte, das ich vorher nicht kannte und das weder auf Wikipedia noch auf Freimaurer-Wiki aufscheint.
Stiegnitz wurde 1970 als Freimaurer in der Wiener Loge Humanitas[1] der Großloge von Österreich (GLvÖ) initiiert. Er gehörte noch weiteren Logen der GLvÖ an und bekleidete verschiedene Ämter und Funktionen auf der Ebene der Großloge. Im bürgerlichen Leben war er Universitätsprofessor in Budapest und Beamter des österreichischen Bundeskanzleramtes. An seinem 80. Geburtstag (2016) erhielt Stiegnitz von der GLvÖ durch deren Großmeister Georg Semler das Verdienstzeichen verliehen, der ihn im Jahr darauf (bei der Begräbnisrede) als „ein Großer unseres Bundes“ bezeichnete.

In diesem Beitrag wende mich diesem Buch des Freimaurerbruders Stiegnitz „Die Luzifer-Methode. Geist aus dem Widerspruch“ (Edition Va Bene, Wien–Klosterneuburg 2009) zuwenden, das ein einziges Lob an LUZIFER ist.
Das Buch wurde „gedruckt mit Unterstützung des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung in Wien und der Kulturabteilung der Stadt Wien, Wissenschafts- und Forschungsförderung“ (S. 4).[2] Dieselbe Kulturabteilung der Stadt Wien (MA7) unterstützte auch das kürzlich erschienene pro-freimaurerische Buch von Msgr. Michael H. Weninger „Loge und Altar“ (Löcker Verlag, Wien 2020, vgl. dort S. 4).
Ich präsentiere einige Punkte von Stiegnitz „Die Luzifer-Methode“, der Luzifer dankt:
„Dank Luzifer, dem Lichtbringer. […] Luzifer, Gottes Gegenspieler […]. Durch sein Leben soll dieses Buch führen“(S.11).
Laut Stiegnitz war Luzifer, Teufel, Morgenstern und Lichtbringer, die Lieblingsfigur seiner Mutter („die Lieblingsgestalt meiner Mutter“, S. 12). Nach Stiegnitz ist Luzifer der jüngste Sohn des Teufels und der Bruder von „Beelzebub“. Während Beelzebub das Böse lenkt, sei Luzifer auf Befehl Gottes der Verbreiter von Licht und Erkenntnis unter den Menschen (vgl. S. 16). Darüber hinaus sagt Stiegnitz, daß Beelzebub männlich, Luzifer hingegen „vielseitig“ ist (S. 18): „Er ist schön wie eine Frau, aber zumindest wie ein homoerotischer griechischer Jüngling“, S.18). Nach Stiegnitz haben „die dumpfen Satanisten“ nichts mit Luzifer gemeinsam (vgl. S.18). Die Menschen haben Luzifer dämonisiert, anstatt ihn als Instrument Gottes zu sehen. Sie haben ihn als Fürsten der Finsternis gesehen statt als Licht, als Licht Gottes und Licht der Erkenntnis. Luzifer verehre Gott, so Stiegnitz, er liebe den Menschen und lehre seine Methode, die die Dualität sei, d.h. die Notwendigkeit der Gegensätze, die Wissen und Entwicklung ermöglichen (vgl. S. 19). Die Gegensätze, das heißt: Licht–Dunkelheit, Gut–Böse, Mann–Frau usw. (vgl. S. 20).

Für Stiegnitz ist „Luzifer, der Lichtbringer und Erkenntnismotivator“, S. 24). Er, der sich als Freimaurer zu erkennen gibt (vgl. S. 25), behauptet, daß Licht und Finsternis einander brauchen (vgl. S. 26). Der Mensch habe die Erkenntnis dank Luzifer auf Geheiß Gottes gewonnen (vgl. S. 82, S. 114). Stiegnitz lobt Giordano Brunos pantheistisches Denken und sagt, daß der häretische Ordensbruder einer von Luzifers Favoriten gewesen sei, ein Märtyrer, ein leuchtender Geist (vgl. S. 116–117). Stiegnitz erklärt, daß Luzifer nicht der Fürst der Finsternis sei, sondern: „Wie schon sein Name sagt, eine Gestalt des Geistes, der den Menschen Lust und Licht beschert“, S. 164 ). Laut Stiegnitz war es Aaron, der die Geschichte der Schlange der Genesis erfand, um den Gott der Kanaaniter zu dämonisieren, daher habe der biblische Gott nichts damit zu tun. Auf diese Weise versucht Stiegnitz sowohl Luzifer als auch Gott zu rehabilitieren (vgl. S. 166–167).
Stiegnitz will zwar einerseits Luzifer nicht mit Satan identifizieren, sagt aber andererseits, daß Luzifer der Teufel ist (vgl. S. 59), und daß der Teufel Satan ist (vgl. S. 167).
Der Freimaurer Stiegnitz glaubt, daß Religion ein reines Menschenwerk sei und daß monotheistische Religionen Luzifer fürchten würden (vgl. S. 175). Er beklagt, daß nicht nur im Islam, sondern auch im Christentum, vor allem im Katholizismus, ein „absurdes Vorurteil gegenüber den ‚Teufelsanbetern‘“ und auch Luzifer bestehe (vgl. 180). In diesem Zusammenhang sagt Stiegnitz, der „abgesprungene“ Freimaurer Leo Taxil beschuldigte 1886 die Freimaurer, „Teufelsanbeter, sogenannte Luziferianer (…) zu sein, die Satan zum wahren Gott des Lichts erklärten (vgl. S. 180). Br. ·. Stiegnitz gibt jedoch zu, daß Taxil „gar nicht so unrecht“ hatte, da Freimaurer und Luzifer „so manche Ähnlichkeiten miteinander haben“ (vgl. S. 180–181)!
Stiegnitz beklagt, daß für Papst Leo XIII. nicht Luzifer, sondern die Kirche das „Vorbild des Lichts“ ist, und daher Freidenker als Agenten der Finsternis gelten (vgl. S. 181). Nach Ansicht des Freimaurers Stiegnitz brauchen Kirche, Zivilisation und Fortschritt aber Luzifer den „Lichtbringer“ (vgl. S. 182).
Es ist gut zu wissen, daß der intellektuelle Luziferismus von Br. ·. Stiegnitz kein Einzelfall in der österreichischen Freimaurerei, sondern eine Art Initiationstradition ist, die von Zeit zu Zeit in freimaurerischen Publikationen auftaucht. Ein Lob an Luzifer finden wir bereits in Der Zirkel (Nr. 13–14 vom 1. Juli 1875), der Zeitschrift der Loge Humanitas in Wien, wo der Freimaurer-Br. ·. Dr. Jos[eph] Wagner die Jesuiten beschuldigte, Feinde der Vernunft, Feinde des Lichts und der Erkenntnis zu sein. Dann schrieb Br. ·. Wagner: „(…) ist ja doch der Luzifer, ihr Hauptfeind, den sie von jeher in den Abgrund der Hölle verwünschten“, S. 100). Wagner definierte die Freimaurer als „Kinder des Lichtes“, ebd).

1922 wurde in Wien der berühmte Richard Nikolaus Graf Coudenhove-Kalergi (1894–1972) in dieselbe Loge Humanitas initiiert und trat auch der Kapitolloge Mozart des Alten und Anerkannten Schottischen Ritus bei (vgl. E. Semrau, Erleuchtung und Verblendung , Innsbruck 2012, S. 95). Der österreichische Philosoph und Politiker Coudenhove-Kalergi lancierte wenige Monate später die Idee „Paneuropa – ein Vorschlag“ und gründete 1923 die Paneuropa-Union, die von Anfang an von den Freimaurern unterstützt wurde, darunter vom Großsekretär der Großloge von Wien Wladimir Misar (vgl. O. Zuber, Richard Graf Coudenhove-Kalergi als Freimaurer, in: Jahrbuch der Forschungsloge Quatuor Coronati, Nr. 32, Bayreuth 1995). Coudenhove-Kalergi hoffte auf die Verwirklichung der Vereinigten Staaten von Europa.
In seinem Buch „Praktischer Idealismus. Adel – Technik – Pazifismus“ (Pan-Europa Verlag, Wien-Leipzig 1925), schreibt der Freimaurer Kalergi:
„In der jüdischen Mythologie entspricht der europäische Geist Luzifer – in der griechischen Prometheus: dem Lichtbringer, der den göttlichen Funken zur Erde trägt, […] der Vater des Kampfes, der Technik, der Aufklärung und des Fortschrittes“ (S.83).
„Der Geist Europas“ habe den politischen Despotismus und die Herrschaft der Naturkräfte gebrochen (vgl. S. 83). Laut Coudenhove-Kalergi habe Europa erst durch die Emanzipation vom Christentum sich selbst gefunden (vgl. S. 84–85).
Ich habe hier nur drei Beispiele genannt, in denen Luzifer oder Lucifer von philanthropischen und pro-europäischen österreichischen Freimaurern gepriesen wird. Auch der Fall Stiegnitz, Würdenträger der regulären österreichischen Freimaurerei, bestätigt die Unvereinbarkeit zwischen Kirche und Loge.
*Pater Paolo Maria Siano gehört dem Orden der Franziskaner der Immakulata (FFI) an; der promovierte Kirchenhistoriker gilt als einer der besten katholischen Kenner der Freimaurerei, der er mehrere Standardwerke und zahlreiche Aufsätze gewidmet hat. Katholisches.info veröffentlichte von ihm:
- Das Freimaurer-Lexikon von Eugen Lennhoff 33. und Oskar Posner und der Dialog zwischen Kirche und Freimaurerei 1974–1980
- Die freimaurerische Doktorarbeit von Msgr. Weninger
- Bruder.·. Peter Stiegnitz von der Großloge von Österreich (1936–2017)
- Der „Fall Weninger“ – Ex-Diplomat, Priester, Kurialer, Freimaurer
Die Freimaurerei erklärt von einem Großmeister - Den Anklopfenden erwarten beim Freimaurerbund Initiation und Gnosis
- Baron Yves Marsaudon – Ein Hochgradfreimaurer im Malteserorden
- Die Loge Quatuor Coronati, der Großmeister und ein Bettelbruder
- „Katholik, der Loge beitritt, ist exkommuniziert“ – Kirchenhistoriker Paolo M. Siano über Kirche und Freimaurerei
- Kurze Antwort an einen Großmeister der Freimaurerei
- War Karl Rahner Freimaurer?
Übersetzung/Anmerkung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana/Freimaurer-Wiki/Staatsbibliothek Berlin (Screenshots)
[1] Die Wiener Loge Humanitas gilt in der sogenannten regulären Freimaurerei als „Mutter aller in Oesterreich“ existierenden Freimaurerlogen (Der Zirkel, Nr. 13–14 vom 1. Juli 1875). Alle drei in diesem Beitrag vorgestellten Personen: der Arzt Joseph Wagner, der Privatier, Philosoph und Politiker Richard Graf Coudenhove-Kalergi und der Ministerialbeamte im Bundeskanzleramt Peter Stiegnitz, gehörten der Humanitas an. Stiegnitz und Coudenhove-Kalergi waren zudem Hochgradfreimaurer des York Ritus bzw. des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus. Zu Wagner fehlen diesbezügliche Angaben.
[2] Ministerin für Wissenschaft und Forschung war zum Zeitpunkt der Drucklegung Claudia Schmied (SPÖ), Wiener Stadtrat für Kultur und Wissenschaft war Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ).