Von Endre A. Bárdossy
Erinnerungen an die Große Pest
Markus (alias «Marx») Augustin (1643–1685) war ein legendärer Straßenmusikant, dessen bekannte Wienerlieder die Stimmungslage während der Großen Pest (1679) eindringlich erläuterten. Nur vier Jahre vor der Zweiten Wiener Türkenbelagerung (1683) forderte die entsetzliche Seuche in der Haupt- und Residenzstadt des Deutsch-Römischen Reiches nicht weniger als 12.000 Menschenleben aus allen Gesellschaftskreisen.*
Das kaiserliche Wien war natürlich ein blühender Handelsplatz und eine Perle des Hochbarocks, das aus aller Herren Länder von Zivilen und Militärs, Kaufleuten und Diplomaten, Künstlern und Klerikern besucht worden war. Abertausende Fremde aus dem In- und Ausland schleppten die Seuche immer wieder ein, so auch in den Jahren 1349, 1541, 1588 und 1713. Die schaurigste Ballade der geprüften, eher phlegmatischen und nörglerisch abgeklärten Wiener Volksseele kommt hier zum Ausdruck und wird weinselig bei einem guten Heurigen bis heute gern besungen:
Tiefe Pestgruben, schwere Seuchen ließen immer wieder auch eine metaphysische Grundstimmung hochkommen, um über Sinn und Zweck des Lebens als «Krankheit zum Tode» (Kierkegaard) nachzudenken. Leben und Tod bieten inmitten der größten Unsicherheit eine gute Gelegenheit, um das Gewissen ins Lot zu bringen. Der aus dem Schwarzwald stammende, alemannische Hofprediger Abraham a Sancta Clara rief in seiner Schrift Merck’s Wienn! (1680) die Menschen zu Buße und Gebet auf. Er bediente sich einer nicht gerade zimperlichen Sprache. Einmal sagte er sogar, daß die Hofdamen es nicht verdienen mit der Mistgabel berührt zu werden. Natürlich mußte er Abbitte leisten, wobei er lapidar erklärte: Ja, sie verdienen es! Beneidenswerte Meinungsfreiheit gab es anno dazumal!
Definitionen
Auch heute befeuern die Seuchen die Ambitionen aller Mediziner, Wissenschaftler und auch den ahnungslosen Aktionismus vieler inkompetenter Politiker und Spekulanten. Der Fachausdruck für das verheerende Elend wird aus den altgriechischen Silben epi (bei) und demie (Demos/Volk) zusammengesetzt. Epidemie nennen wir also unsere Volkskrankheiten im Schoße einer größeren menschlichen Gemeinschaft (oder Tierpopulation), wenn sie
- durch Viren, Bakterien, Parasiten,
- massiv und ansteckend,
- zeitlich und örtlich begrenzt,
invasionsartig verursacht werden. Wenn sich in einer Gemeinde das Ausmaß einer Seuche chronisch verwurzelt, sozusagen zeitlos einheimisch, bodenständig wird, dann heißt sie endemisch: vom griechischen en (in, an, auf). Die südamerikanischen Indianer waren hauptsächlich an einer endemischen Influenza, aber auch an einer epidemischen Syphilis jämmerlich eingegangen, die von den spanischen Matrosen und Konquistadoren eingeschleppt wurden. Die Mestizen erwarben jedoch bald die Herdenimmunität. Die Spanier waren nämlich ohne Frauen angereist, heiratswillig mischten sie sich mit den Indianerinnen, nahmen sich des resistenten Nachwuchses an und ihre Nachkommen leben heute noch. Die Angelsachsen kamen dagegen mit ihren Frauen nach Nordamerika, daher mischten sie sich nicht mit Eingeborenen. Im Kampf ums Überleben kam die schwächere Urbevölkerung um, wie es nicht nur in der Frühgeschichte die eiserne Regel war. Die Geschichte wurde stets durch Seuchen und Kriege regiert: Sogar im Alten Testament! Leider Gottes auch noch während der letzten 20 Jahrhunderte! Mit dieser kaltblütiger Feststellung könnte ich wohl einen vernichtenden Aufschrei aller «Gutmenschen» provozieren: Und wo blieb das Christentum? Wo blieben die säkularen Menschenrechte? Die «Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit»? Seien wir ehrlich: Auf einem Fleckerlteppich bis auf den heutigen Tag.
Wenn eine Seuche die örtlichen Gemeinde- und Landesgrenzen weit überschreitet, so nimmt sie örtlich unbegrenzte Maße an. Das wird wiederum mit Hilfe einer anderen griechischen Silbe pan (ganz, gesamt, all‑, umfassend) zum Ausdruck gebracht:
- Epidemie / epidemisch (epidemos) in einer Gemeinde örtlich und zeitlich begrenzt.
- Endemie / endemisch (endemos) in einer Gemeinde örtlich begrenzt, aber zeitlich unbegrenzt.
- Pandemie / pandemisch (pandemos) örtlich unbegrenzt im ganzen Volk, sogar weltweit verheerend.
Beispiele
EPIDEMIE: Die allererste, archäologisch belegte Pest, geschätzte 3500 Jahre vor Chr., wurde in Europa anhand von Knochen- und Zahnresten nachgewiesen. Diabetes und Rheuma sind zwar weit verbreitete Zivilisationskrankheiten, sind aber nicht als epidemisch zu klassifizieren, da sie nicht ansteckend sind. Um ganz präzise zu sein, in der Veterinärmedizin wird das analoge Kompositum Epizootie, anstelle des Wortes Demos (Volk), von Zootes (Tierwelt) abgeleitet, zum Beispiel bei Rinderpest, Schweine- oder Vogelgrippe.
ENDEMIE: Das Ebolafieber ist in Westafrika (so benannt nach dem Ebolafluß im Kongo) seit 2014 eine bodenständige Volkskrankheit geworden.
PANDEMIEN: Eigentlich sind sie erst aus der neuesten Neuzeit genauer bekannt, erstens weil die entlegenen Landstriche und Kontinente in früheren Zeiten unbekannt waren, zweitens gab es keine weltumfassende Kommunikation und erst recht keine penible Statistik über die Fall- und Opferzahlen. Ein paar exorbitante Daten mögen illustrieren, daß die aktuelle Pandemie «nur» eine gewöhnliche Plage ist, da ähnliche Kalamitäten immer schon, auch in der jüngsten Geschichte, auf der Tagesordnung waren:
- 1889/95 RUSSISCHE GRIPPE: 1 Million Tote entlang der Eisenbahnlinien.
Edvard Munchs «Der Schrei» (1893) stammt aus dieser Zeit. 1
- 1918/20 SPANISCHE GRIPPE: 500 Millionen Erkrankte, bis zu 30–50 Millionen
Tote bei einer Weltbevölkerung von 1,8 Milliarden Menschen!
Die Opferzahlen von heute sind eine «Kleinigkeit» dagegen.
- 1957/58 ASIATISCHE GRIPPE: 1 bis 2 Millionen Tote – in Deutschland 20.000 Tote;
- 1968/70 HONGKONG-GRIPPE: 1 Million Tote;
- 1977/78 RUSSISCHE GRIPPE: 700.000 Tote;
- 1995/96 VIRUSGRIPPE: 8,5 Millionen Erkrankte – in Deutschland 30.000 Tote;
- 2002/03 SARS-CoV: Pandemie in China, Hongkong, Taiwan, Singapur, Kanada;
- 2004/05 VIRUSGRIPPE: 6 Millionen Erkrankte – in Deutschland 20.000 Tote;
- 2004 VOGELGRIPPE: 800 Erkrankte, 450 Tote
- 2009/10 SCHWEINEGRIPPE: über 18.000 Tote – in Deutschland 258 Tote;
- 2017/18 GRIPPESAISON: in Deutschland 25.000 Tote;
- 2019/21 SARS-CoV‑2: Severe Acute Respiratory Syndrom-Corona-Virus-2
Mit dem Krankheitsnamen: Corona Virus Disease – 2019 (Covid-19)
- Ab 8. Dezember 2019 treten die ersten Symptome in Wuhan (China) auf.
- Am 31. Dezember 2019 melden die chinesischen Behörden 44 Fälle einer Pneumonie unklarer Ätiologie.
- Am 28. Januar 2020 wird der erste Fall in Deutschland bestätigt.
- Am 18. März 2020 proklamiert Angela Merkel den Ausbruch der Pandemie als die größte Herausforderung für Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Seither dauert die rhetorische Hyperbel der Bundeskanzlerin bis zum heutigen Tag an.
Bis dato gibt es eine weltumfassende Dunkelziffer von 1,9 Millionen «Corona-Toten» und 89 Millionen Infizierten. Sind aber positiv getestete, jedoch symptomlose Virusträger eigentlich als «Kranke» zu bezeichnen? Im laufenden Zahlenmaterial der Statistiken gibt es auch andere grobe Unpräzisionen. Nicht einmal landesweit, geschweige weltweit wäre es ein Ding der Unmöglichkeit, eine penible Statistik darüber zu führen, ob viele Toten lediglich «mit Corona» als Begleiterscheinung, aber eigentlich an ganz anderen Krankheiten und Altersschwäche, oder alle ätiologisch «an Corona» verstorben sind? Obduktionen wurden am Höhepunkt der Panik im Frühjahr 2020 (Italien!) nicht gemacht** – und weltweit schon überhaupt nicht.
Cui bono?
Allerdings gab es früher zu Seuchenzeiten auch noch nie so viele politischen Mogeleien, Stegreifentscheidungen, tendenziöse Statistiken, verdeckte oder offenkundige Interessenlagen unter den «Big Playern» der Pharmaindustrie, der Medienmogule und der hohen Politik. Die «Experten & Berater» waren auch noch nie so polarisiert wie heute. Somit läßt sich feststellen, daß die derzeit grassierende Pandemie in der Folge von hermetischen Abriegelungen, Ausgangssperren und Verordnungen im Zickzack-Kurs der Regierung zu einer nie dagewesenen Spaltung der Öffentlichkeit geführt hat. Im Rahmen der Lesermeinungen unzähliger Zeitungen, Zeitschriften und allseits blühender Blogs verschaffen die Wutbürger ihren oft haarsträubenden Überzeugungen freien Lauf. Dabei fällt auf, daß in diesem ausufernden Streitgespräch die rein medizinischen Aspekte beinahe schon in den Hintergrund getreten sind. Für das begonnene Jahr stellen sich immer mehr die Koordinaten einer rein ökonomischen Seuche in den Vordergrund, die den Ausbruch einer Weltwirtschaftskrise, ähnlich den 20er Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, erahnen lassen.
Ob sich die medizinische Katastrophe zu einer politischen Pan-Endemie mausern wird, das kann sich erst in naher Zukunft erweisen. Das heißt, wir laufen Gefahr, daß die biologische Post-Corona-Zeit von den Viren nicht nur zu schlimmen wirtschaftlichen Pestilenzen, sondern zu noch viel schlimmeren politischen Mutationen führen wird.
Die linksliberalen Signale aus Amerika, aber auch aus der astronomisch überschuldeten Europäischen Union sind beängstigend. Daß die Corona-Attacke auf die Zivilisation mit dem amerikanischen Wahljahr zusammenfiel, mag vielleicht nur ein historischer Zufall sein. So hoffen wir inständig, allen nicht völlig unwahrscheinlichen Verschwörungspraktiken zum Trotz, daß der viel beredte «Deep State» doch nicht imstande ist, sogar medizinische und politische Seuchen zu inszenieren. Dennoch ist die ökonomische Seuche bereits fix – die große Frage ist dabei, ob sie gewollt herbeigeführt und/oder opportun ausgenutzt worden ist oder zu den sündteueren Kosten der verfehlten Ausgangssperren gehört.
Die epochemachende Corona-Seuche und das amerikanische Wahljahr lösten aber zusammen – wenn wir versuchen mit aller Kraft vernünftig zu bleiben – nicht weniger als eine historische Wende mit ungeheuren Zerfallserscheinungen aus: medizinisch, ökonomisch, politisch. Im unglaublichen, aber keineswegs völlig unmöglichen Fall könnte es jedoch um eine verborgene Kooperation von Bürokraten, Geheimdiensten und Militärs handeln, die das Ziel verfolgen, die demokratischen Wahlen bislang souveräner Nationen dem Diktat einer nicht gewählten Weltregierung des heimatlosen Großkapitals unterzuordnen. Die politischen Ambitionen der Milliardäre von der Größenordnung von GATES, SOROS und den ROCKEFELLERS sind keine abstrakten Theorien, sondern pragmatische Tatsachen, die unter Ausschluß der Öffentlichkeit agieren.
Uns fehlt die direkte Demokratie
und das gelassene Gespräch
Eine Weltregierung kann nie aus demokratischen, freien Wahlen hervorgehen. Denn mit der steigenden Größe der wahlberechtigten Bürger nimmt die Repräsentativität der Delegierten – in Anbetracht einer Weltbevölkerung von 7 Milliarden Menschen – sehr steil ab. Im Abgrund aller repräsentativen Demokratien enden alle Politiker, die die Nabelschnur zu ihrem souveränen Wahlvolk längst durchschnitten haben. Damit ist eine direkte Demokratie nur in kleineren Gemeinschaften von der Größenordnung Österreichs oder der Helvetischen Konföderation unverfälscht und funktionsfähig überhaupt denkbar. Daß die Wähler und ihre Repräsentanten auf eine Treu und Glauben verpflichtete «Eidgenossenschaft»: d. h. auf eine unter Eid verbundene, überschaubare Genossenschaft (Bund) gründen müssen, hat eine axiomatische Evidenz. Zu ihrer Gründerzeit waren die USA sicher eine derart verbundene, einheitliche, überschaubare «Gemeinschaft». Die Vereinigten Staaten von der Größenordnung von heute sind aber nur mehr ein gespaltenes Konglomerat. Die linksliberal gesinnten Millionenstädte an den beiden Küsten sind längst geschieden von dem eher konservativ gesinnten Binnenland, das früher einmal von ruralem Charakter geprägt war, genauso wie die Stadt-Land-Spaltung diesseits des Ozeans in Europa. Den Wasserkopf der Europäischen Union oder der ehemaligen Sowjet-Union brauchen wir erst gar nicht zu erwähnen, die allein von ihrer Größe her nie homogen genug waren. Siehe Brexit oder den Zerfall, der nach der Sowjet-Union auch der EU bevorstehen könnte. So wurde die Repräsentativität einer «Neuen Klasse» bereits um 1957 von Milovan Djilas bitter in Zweifel gezogen und dieser dafür vom Marschall Tito im ehemaligen Jugoslawien eingekerkert.
Freilich unter anderen Umständen, aber es wiederholt sich stets dieselbe dramatische Spaltung. Seit der Französischen Revolution bis zum heutigen Tage verblassen «Treu und Glauben» immer abstrakter und laufen Gefahr zu verschwinden. Sobald sich die Machteliten vom souveränen Volk entfernten, verschwanden die guten, alten Griechen, Römer und die besten, ihres Amtes würdigen, christlichen Könige im Orkus der Geschichte. Wenn das Gemeinwohl verfehlt wird, müßte früher oder später jede gedeihende Monarchie, Aristokratie oder Demokratie in einer Diktatur, Oligarchie oder Pöbelherrschaft ersticken. Im Kreislauf der Verfassungen (griech. Anacyclosis) erblickte der Historiker Polybios (2. Jh. vor Chr.) nach Vorgaben Platons und Aristoteles’ eine Typologie,2 die seit der Urmonarchie der Stammeshäuptlinge auch heute noch regelmäßig abgewickelt wird. Geradezu das altmodische System der «Wahlmänner» in den USA, samt allen Episoden der abgelaufenen Wahl 2020, ist der einleuchtende Hinweis auf das Aussterben einer altehrwürdigen, humanistischen Gesinnung. In allen Ländern zielen heute die enthemmten Wahl- und Schlammschlachten auf die Vernichtung der jeweiligen Opposition und möglichst aller Subsidiarität. Es geht heute nicht mehr darum, fairerweise Wahlen auszufechten, sondern vielmehr um Identitäten zu vernichten, des Gegners Genick zu brechen und dies mit allen Tricks der Bauernfängerei zu manipulieren, was die Massenmedien reichlicher als jemals zuvor bieten können.
Nebenbei ist zu bemerken, daß Hand in Hand mit dem amerikanischen «Deep State» nun auch noch die «Deep Church» der linksliberal wetteifernden Bischofskonferenzen (insbesondere in Deutschland und Österreich) und die Allerhöchste Politik im Vatikan manipulativ, hinterlistig und unaufrichtig geworden sind. In vorauseilendem Gehorsam können sie sich nie genug an die politischen Eliten anbiedern.
Heute kreischen bereits die zwei Kuppeln der euro-amerikanischen Zivilisation: St. Peter in Rom und das Kapitol in Washington scheinen in ihren Grundfesten in Frage gestellt zu sein.3 Der in Mode gekommene Denkmalsturz durch den Pöbel ist das Signal dafür. Im Mai 2020 wurde in Davos (Schweiz) das ominöse Schlagwort «Great Reset» am Weltwirtschaftsforum (WEF) von Prinz Charles und dem WEF-Direktor Klaus Schwab lanciert, um die ruinierte Wirtschaft nach der Corona-Pandemie «neu und nachhaltig» auszurichten. In Marxens und Engels’ Fußstapfen erneuerten sie die Floskeln einer salonfähigen Kapitalismuskritik zum ausgeleierten Vorbild der ideologischen Träumerei, um die ganze Welt und Umwelt total zu verbessern… fraternisieren… globalisieren… auf Klimawandel abzustimmen. Zielvorgaben für eine solche brandneue, aber eher chronisch substanzlose Weltordnung sind leicht zu deklarieren, allein konkret zielführende Wege sind bei fehlender Moral und der Megalomanie der grenzenlosen Globalisierung nicht machbar.
Wie fanden früher einmal die Epidemien
ihren glücklichen Abschluß?
In der Einleitung haben wir angedeutet, daß es seit Menschengedenken massive, zeitlich und örtlich begrenzte Epidemien immer schon gegeben hat. Pest, Cholera, Pocken hörten schlußendlich doch irgendeinmal auf, sobald die ganze Herde «immun/unangreifbar» geworden ist. Ohne effiziente Medikamente, ohne Impfung, unter mangelhaften Hygienemaßnahmen: Wie war denn das historisch nur möglich? Fest steht es einmal, daß nur die Schwächlinge und die Alten, also die Erschöpften einfach fallen mußten. Das soll nicht zynisch gewertet, sondern als Gang der Menschheitsgeschichte zur Kenntnis genommen werden.
Damit wird keineswegs einem «herzlosen, grausamen» Darwinismus das Wort geredet. Denn angesichts der letzten Konsequenzen einer wütenden Epidemie war die Immunität der Herde immer schon, auch unter höheren Tieren, auf die gewisse interne Solidarität der Gruppe angewiesen. Was bei intelligenten Menschen noch viel mehr geboten wäre. Dennoch ist das Können, die Lernbereitschaft und die Steigerung der Widerstandsfähigkeit eine grundsätzlich individuelle, angeborene Begabung, die nur in der Jugend anerzogen, geschult und verfestigt werden kann. Leiblich, seelisch und geistig sind wir das Produkt unserer Eltern im Mutterleib und im Schoße der Familie und der Sippe, in Wechselwirkung mit unserer engeren Umgebung. «Nenne mir deine Freunde, und ich sage dir, wer du bist» – ist eine zutreffende Erfahrung. Im fortgeschrittenen Alter kann der angeborene und erworbene Stock der Tugenden und Fähigkeiten nur mehr trainiert, gepflegt und erhalten werden. Die altgriechische Weisheit aus Delphi: WERDE, DER DU BIST – gilt auch inmitten einer wütenden Seuche.
Dank einer großen, ja übermenschlichen Herausforderung nehmen die geballten seelischen und leiblichen Kräfte der zunehmenden Immunität in der «Herde» – d. h. in der Familie, Sippe, Umgebung – zu, und die «Stärkeren» überleben überraschenderweise alle drohenden Gefahren. Wer beten kann, der hat es leichter! Des Rätsels Lösung dafür ist ein Gesetz der Biologie, oder ein Wunder der Schöpfung, wenn man es aus guten Gründen nicht nur für wahr halten, sondern auch dankbar annehmen möchte. Das Leben dominiert schlußendlich über den Tod. Das ist der Kern der christlichen Botschaft.
Die einheitliche, hermetische, politische Triage in der Europäischen Union in den Corona-Jahren 2020/21 ist ein brutales Abwürgen der Wirtschaft zugunsten der «meist gefährdeten», ältesten Generation über 80 Jahre, die mit einem Bein sowieso bereits an der Schwelle zum Jenseits steht. Diese entkommt vielleicht (für eine ephemere Episode der allerletzten Jahre? Monate?) den letalen Konsequenzen – oder auch nicht? Vor allem aber um welchen Preis? Da ich bereits zu diesen Ältesten gehöre, darf ich in der Tat die moralische Abwägung riskieren, daß es in einer beinharten, diametral zugespitzten Triage-Situation, wo es darauf ankommt, die Arbeitsplätze oder das Leben der Pensionisten zu bewahren, es nicht erlaubt sein sollte, die Erwerbstätigkeit der Jüngeren zu meinen Gunsten rücksichtslos zu ruinieren! Wenn es hart auf hart ankommt, priorisiere ich für meinen Teil
- das wirtschaftliche Überleben der arbeitsfähigen Bevölkerung,
- die sichere Existenz meiner/unserer Söhne in einer unsicheren Zeit,
- vor allem aber die Chancen meiner/unserer Enkelkinder für die Zukunft,
vor der Langeweile meiner/unserer letzten Lebtage in einem faden Altersheim! Freilich geht es in einer Pandemie nicht darum, die Großeltern klammheimlich verwahrlosen zu lassen. Merkwürdigerweise ausgerechnet die Regierungschefs, die einen jeden unrettbaren (meistens mehrfach vorerkrankten) Corona-Patienten mit der völlig überzogenen Lahmlegung der Wirtschaft retten wollen – «koste es, was es wolle!» (Sebastian Kurz) –, haben glattweg keine Sorgen um das abgetriebene Leben Abertausender Kinder im Mutterschoß, die gleichwohl für die Wertschöpfung der Pensionszahlungen fehlen werden! Gleichfalls haben sie nie mit den Wimpern gezuckt, wenn es um Mord und Selbstmord im Rahmen der unchristlichen Euthanasie geht.
Erwartungsbildung auf Märkten?
Und im kleinen Österreich scharen sich um die enorme Zahl von 533.000 Corona-Arbeitslosen, nach offiziellen Angaben4 , noch weitere 440.000 Kurzarbeiter. Wobei die konkursreifen Selbstständigen sowie die Unternehmer in kleinen und mittleren Betrieben noch nicht mitgezählt sind. Um sie sollen sich nun mehr die «Verhaltensökonomen» kümmern. Für diese leidenden Massen der Corona-Opfer bietet der Arbeitsminister als Ersatz und Heilmittel lediglich eine Stimmungsmache und Erwartungsbildung auf den Märkten an. Wie Hohn auf die Wunden klingen die Sätze:
«Die Aktienmärkte sind ein Paradebeispiel für die Folgen der Unsicherheit für die Erwartungsbildung. Schon der britische Ökonom John Maynard Keynes beschrieb ausführlich, daß die Erwartungen von Wirtschaftssubjekten – Arbeitskräften und Unternehmen, aber auch Investoren – eine zentrale Rolle für ökonomische Entscheidungen spielen. Und diese Erwartungen sind nicht fix; sie ändern sich mit Informationen und mit der eigenen Einschätzung; sie können korrekt, aber auch stark verzerrt sein. Im Moment beobachten wir einen Erwartungsteufelskreislauf nach unten. Die negativen [weil realen, todsicheren] Nachrichten werden zu selbsterfüllenden Prophezeiungen und verstärken den Abwärtstrend – das geht oft weit über das hinaus, was fundamental gerechtfertigt ist. Es ist die Aufgabe der Wirtschaftspolitik, diese Erwartungen mittels der Ankündigung wirtschaftspolitischer Maßnahmen zu stabilisieren. Auch in diesem Zusammenhang ist es nicht einfach, die richtigen Botschaften zu senden.» 5
Das wird so ungemütlich enden, wie wenn man durch gutes Zureden das Angebot und die Nachfrage am rationell agierenden Arbeitsmarkt mit einer Sonntagspredigt des Bundespräsidenten zum Besseren «bekehren» wollte. Bis dato haben nur wenige Tagträumer in historischem Ausmaß versucht, die konkreten unternehmerischen Tugenden und Kapazitäten durch «Botschaften» zu ersetzen:
- US-Präsident Franklin Delano Roosevelt (1882, 1933–1945), dessen New Deal für den amerikanischen Sozialismus der Democrats den Boden bis heute nachhaltig gedüngt hat.
- Auch Roosevelt’s Zeitgenosse Adolf Hitler (1889, 1933–1945) bereitete mit Kriegswirtschaft, Rüstungsindustrie und Rhetorik der Massenarbeitslosigkeit in Deutschland in der Tat ein jähes Ende.
- Der oben zitierte Lord John Maynard Keynes (1883–1946) war der dritte Möchtegernökonom, der in der Weltwirtschaftskrise von F. A. von Hayek hundertmal widerlegt wurde. Bis heute ist er das Vorbild aller (linksliberalen) Democrats. Neuerlich wird er vom österreichischen Arbeitsminister aus dem Schattenkabinett der ausgeleierten Ideenlehren anempfohlen. Allerdings mit der Notenpresse und der verwegenen Inflation, die nunmehr in der EU wieder angekurbelt worden sind, wird es gehörig danebengehen. Noch nie hat eine Regierung massenweise produktive Arbeitsplätze schaffen können, da sie dafür weder Kompetenzen noch Handhaben hat. Schulden, Inflationsgeld und Nullzinspolitik aus der Werkzeugkiste der Keynesianer haben nie einen nachhaltigen Aufschwung erbracht. Freilich nicht der Wucher, aber die verhältnismäßigen, moderaten Zinsen haben im Wettbewerb der Investoren eine Leitfunktion, um das knappe Kapital zu den wirklich lohnenswertesten Projekten führen zu können. Die konkreten, präzisen Rechnungen auf dem Markt können natürlich aus den beschwichtigenden «Botschaften» eines Arbeitsministers nicht erraten werden.
Der Refrain des alten Liedes aus der Zeit der Großen Pest (1679) gilt heute noch unverändert:
Oh du lieber Augustin… die Wirtschaft ist hin… Ankündigungen und Zureden von oben sind wir längst überdrüssig geworden… Mögen wir wenigstens bei guter Laune bleiben. Das ist die «Botschaft» der postmodernen Verhaltensökonomie.
Erziehung für die Freiheit
Mit Friedrich August von Hayek (1899–1992), dem Altmeister der Politischen Ökonomie aus Österreich, würden wir dagegen meinen, daß nicht leere «Erwartungen, Illusionen, Spekulationen», sondern «frische Taten» der Motor der Wirtschaft sind. Negative Nachrichten und Erfahrungen gehören dabei zur Wahrnehmung der Realität, denn «Stückwerk ist unser Erkennen» (1 Korinther 13,8). Trial & Error stacheln zu Mut und Wahrheitsfindung an.
Für die Schaffung produktiver Arbeitsplätze werden also nicht Launen und Botschaften, sondern virtuose Unternehmer und gute Sitten gebraucht: Klugheit, Maßhalten, Gerechtigkeitssinn für die Kunden, für die Mitarbeiter, ja sogar für die Mitstreiter im harten Wettbewerb… das alles geht nicht ohne Tapferkeit, Gelassenheit und Erziehung für die Freiheit. Eine blühende Wirtschaft kann man in einem einzigen Corona-Jahr ruinieren. Ob ein Jahrzehnt ausreicht, um sie wieder aufzurichten, scheinen wir vorerst noch nicht einmal näherungsweise glauben zu können.
Bild: Wikicommons
* Wien hatte um 1670, kurz vor Ausbruch der Pest, eine Gesamtbevölkerung von rund 65.000 Einwohnern.
** Bis Dr. Andrea Gianatti, Direktor der Abteilung für Laboratoriumsmedizin und Pathologische Anatomie des Krankenhauses „Papa Giovanni XXIII“ – des größten und bedeutendsten Krankenhauses der Provinz Bergamo, in dem die Corona-Patienten der Provinz konzentriert wurden –, trotz des Regierungsverbots Obduktionen durchführte und erkannte, daß die hohe Sterblichkeit nicht auf das Coronavirus, sondern auf schwerwiegende Behandlungsfehler (Überdosierung und voreilige Intubation) zurückging.
1 Wolfgang Mahringer: Pandemie und Totentanz. Gedanken zu früheren Epidemien und den Ursprüngen des Totentanzes in der darstellenden Kunst. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Vergleichende Kunstforschung in Wien. Oktober 2020. Jahrgang 72/3, S. 12–19. Reichlich illustriert.
2 Ludwig Plessner verdanke ich diesen wichtigen Wink.
3 Aldo Maria Valli: Zwei Kuppeln und eine dramatische Wirklichkeit. Abgerufen am 19.1.2021. Deutsche Fassung Kath.net.
4 Laut Arbeitsminister Martin Kocher in der Kronenzeitung am 19.2.2021.
5 Martin Kocher: Die verhaltensökonomische Perspektive auf die Coronakrise. Abgerufen am 19.1.2021.
Siehe auch Institut für Höhere Studien.
Bisher von Prof. Endre A. Bárdossy bei Katholisches.info veröffentlichte Texte:
- Zahlen gegen Ideologien
- „Politiker werden moralinsaurer, Bischöfe werden immer politischer“? – Ein spontaner Kommentar
- Seltsame Zusammenhänge
- Was ist das – die Inkulturation nach Jesuitenart?
- Der Unterschied zwischen der liberalen und der christlichen Freiheit
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- LÉON BLOY – Der undankbare Bettler – Abschreckendes Vorbild für die Befreiungstheologie
- Die „Pastoralrevolution“ – Talisman-Worte im Schoß der Kirche
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- Unterscheidung der Geister in der Überflußgesellschaft von heute
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- Die marxistische Vermittlung des christlichen Glaubens – Von Arturo Sosa Abascal (1978), dem neuen Jesuitengeneral
- Kapitalismus ja? Liberalismus nein?
- Papst Franziskus und seine jesuitischen Wurzeln
- Der Ernstfall – nach Paris
Bravo, eine umfassende Grundlagenanalyse. Frage an den Autor: Wie aber kann nach den Theorien von Hayek das Großkapital die Schranken gewiesen werden, das bei Aufrechterhaltung der formalen Demokratie zur Errichtung einer Oligarchie neigt, wie sich mit zunehmender Geschwindigkeit zeigt. Wie können also die Oligarchen in die Schranken gewiesen werden, ohne das Kind mit dem Bad auszuschütten?