Von Endre A. Bárdossy*
Als Papst Franziskus am 16. Januar d. J. in Chile bei einem privaten Familientreffen seine Jesuitenbrüder traf, forderte er dringend eine „Moral der Unterscheidung“. Er nannte sie „unsere [d. h. jesuiteneigene] Familiengnade“, eine Gnade, derer heute die Kirche auf besonders dringende Weise im Bereich der Moral bedürfe. Er hob in der Intimität dieses erlesenen Kreises den jesuitischen Charakter des umstrittenen, nachsynodalen Schreibens Amoris Laetitia hervor.
So deutlich, aber leider immer nur für Insider voll verständlich, hat er zum ersten Mal für die spalterischen Konsequenzen seiner ethischen Vorstellungen geworben. Die Plauderstunde wurde zwar in einem vertraulich geschlossenen Kreise abgehalten, aber sogleich mit einer diskreten Verlautbarung durch die Hintertür für die Weltpresse kundgetan. Das ist die Funktionsweise des halboffiziösen „Bergoglianischen Lehramtes“. Wir fragen betroffen, was soll diese „Moral der Unterscheidung“ schlußendlich heißen und bewirken?
Unterscheidung und Prüfung der Geister
An der langen, turbulenten Geschichte der Jesuiten läßt sich ablesen, daß
- die Unterscheidung der Geister (1 Kor 12,10),
- die Prüfung der Geister (1 Joh 4,1) und
- die Erneuerung des Geistes (Röm 12,2)
keine exklusive Gnade einer elitären religiös-politischen Jesuitenfamilie ist. Vielmehr scheint eine mehrdeutige Moral von allzu liberalen (lockeren) Unterscheidungen ihre historisch festgefahrene Versuchung geworden zu sein.
„Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Sausen; aber du weißt nicht, woher er kommt noch wohin er geht. So verhält es sich mit jedem, der aus dem Geist geboren ist“ (Johannes 3,8). Der Hl. Geist wirkt also überall. In der Spiritualität hat niemand ein eigenmächtiges Monopol – nicht einmal ein Jesuitenpapst. Wer überheblich wird, muß tief fallen. Nun aber, versuchen wir die (positive) Theorie der Ignatianischen Spiritualität und die (negative) Praxis der jesuitischen Geschichte der Reihe nach zu bedenken. Dabei können wir eine spektakuläre Diskrepanz entdecken.
Der hl. Ignatius von Loyola (1491–1556) war ein guter Kenner der Weltlichkeit seiner Zeit, die von der unseren ganz und gar nicht verschieden ist. Er definierte klipp und klar den Grundriß der spirituellen Kampfplätze:
„Ich setzte voraus, daß es dreierlei Gedanken in mir gibt: solche, die mein eigen sind und allein meiner Freiheit und meinem Willen entspringen, während die beiden andern von außen kommen: der eine vom guten, der andere vom bösen Geist.“
Oftmals bedürfen wir aber keiner heldenhaften „Unterscheidung, Prüfung und Erneuerung“ als Referenz, wenn das Gute und Falsche wie aus einem aufgeschlagenen Buch „trocken“ abzulesen sind. In der Regel können wir aus der Katechese die unmittelbare Gewißheit erlangen, was zu tun sei. Über eine Abtreibung, Scheidung und dergleichen braucht man im Prinzip kein Konsilium mit einer dramatischen Anrufung des Hl. Geistes zu erflehen, da das Gebotene nur allzu klar vorliegt.
Zunächst einmal gibt es also vier Klassen von Kriterien für den Fall, daß die Leitfäden der Unterscheidung, Prüfung und Erneuerung in unseren Händen liegen und lediglich der Verfügung unserer Freiheit und Vernunft untergeordnet sind. Sie könnten daher grundsätzlich mit einem Blick und gutem Willen erkannt werden:
- MIT DEM GESUNDEN MENSCHENVERSTAND: Seid nüchtern und wachet (1 Petrus 5,8)! Weil die Vernunft Gottes Gabe ist, so kann der Hl. Geist von uns niemals etwas Unvernünftiges verlangen, allenfalls etwas Übervernünftiges, das die gemeinen Überlegungen überragt. Daher können widersinnige Lehren, Anregungen und Eingebungen nicht „von oben“ kommen. Das gilt auch für Stimmungslagen eines pseudoreligiösen, ekstatischen Enthusiasmus, bei dem sich der Verstand verdunkelt und der Sinn für die Wirklichkeit verlorengeht.
- AUF GRUND DER HEILIGEN SCHRIFT UND DER KIRCHLICHEN LEHRE: Prüft alles, das Gute behaltet! Von aller Art Laster haltet euch fern (1 Thessalonicher 5, 21–22). Ebenso wenig kann ein Widerspruch zur überlieferten Lehre der Kirche vom Hl. Geist kommen: Wer euch hört, der hört mich (Lukas 10,16). Was der katholischen Glaubens- und Sittenlehre direkt oder indirekt widerspricht, kann daher nur vom bösen Geist stammen (1 Kor 12,3 ; 1 Joh 4,2).
- DANK DER HÜTER DER TRADITIONELLEN SITTEN UND BRÄUCHE: Wach auf, du Schläfer…, so sehet denn genau zu, wie ihr wandelt (Epheser 5,15)! Im Laufe zweier christlicher Jahrtausende sind Erfahrungsschätze von großen Heiligen, Kirchenlehrern und Gewährsleuten, Schulen und Familien angewachsen, deren Vermittlung eher einem Stafetten- oder Fackellauf und nicht einem Steinbruch gleicht. Es kann also niemand am Nullpunkt beginnen wie es die Protestanten in der Kirche und die Revoluzzer an den Barrikaden immer wieder angestellt haben.
- ANHAND DER OFFENSICHTLICHEN RESULTATE EINER BEREITS VOLLZOGENEN, IRREVERSIBLEN ENTSCHEIDUNG: Schlußendlich unterscheiden aber die Früchte den guten vom schlechten Baum (Matthäus 7,16 ff ; Galater 5,19–23). Die guten Früchte sind immer vom Heiligen, die schlechten immer vom bösen Geist.
In jenen konkreten Fällen aber, wo die natürlichen Leitfäden der Vernunft und der Gefühle verworren und abgerissen, mit dunklen Leidenschaften und verstockten Herzen verwoben sind, stellt sich die Sache nicht so einfach dar. Wir begegnen oft genug Wölfen im Schafspelz und nicht wenig Unkraut mit gutem Weizen gemischt (Matthäus 7,15 ; 13,25) sowohl im Schoße der Kirche und des Staates, der Gesellschaft und der Familie wie auch im Innersten unserer Seele.
Entlarvung des Bösen
Über die genannten Prüfungskriterien hinaus gibt es also schwierige Fälle, wo die natürlichen Kriterien des gesunden Menschenverstandes, das Studium der Heiligen Schrift und der kirchlichen Lehre, die festen Sitten und Bräuche der Tradition und die offenkundig ersprießenden Ergebnisse nichts Befriedigendes zeitigen. Im Labyrinth des Bösen müssen wir dann besonders sorgfältig achtgeben, damit wir nicht irregeführt werden (Lukas 21,8)!
Christus versicherte seinen Jüngern: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Johannes 14,6). Läßt Er uns aber schließlich, – dem Anschein nach – im Sturm der Geschichte, in den heiklen Wechselfällen unseres Lebens doch allein? Keine Frage, sicher nicht! Er versprach uns den Heiligen Geist, den Wegweiser und Tröster, um das Wahre zu erkennen und zu tun (Johannes 16,13).
Der hl. Ignatius nimmt also in besonders schwierigen Fällen die Entlarvung des Bösen ins Visier, wenn es als das Gute verkleidet ist. Mit seinen geistlichen Exerzitien führt er uns zu einer gelebten Spiritualität, um unbeirrbar auf Wind und Spur der objektiven Tatsachen bleiben zu können. Die Ambiguität unserer Freiheit und die Raffinesse des Bösen unterwerfen uns der Qual der Wahl und verlangen stets neue Unterscheidungen für und wider eine gute bzw. falsche Entscheidung auf der Wanderung über unseren gewundenen Lebenspfad. Nicht umsonst beten wir im Vaterunser den dramatischen Schlußsatz:
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen!
Denn das Böse begibt sich immer wieder hartnäckig auf die Lauer, um die klaren Unterscheidungen in bezug auf Gottes Gebote zu vernebeln und uns eine schlechte Entscheidung zu entwinden. Das Böse ringt aber unsere Entgleisung selten in offener Sprache ab, sondern erschleicht sie vielmehr mit subtilen Methoden, maskiert mit einer Aureole des Guten. Das Übel tritt also „Sub angelo lucis“ – routiniert und verkleidet als Lichtengel auf (2 Kor 11,14).
Die Ignatianischen Exerzitien raten den Übenden, den schwankenden Gemütslagen keine gesteigerte Aufmerksamkeit zu schenken, sondern bereit zu sein, auf verwirrende Verlockungen des Bösen heiter und gelassen zu reagieren. Denn diese sind in der Lage, unseren klaren Verstand zu täuschen, um uns vom rechten Weg abzulenken. Solange wir uns desillusioniert, bedrückt und abgeschlagen fühlen, – so warnt uns Ignatius eindringlich – sollten wir keinen schwerwiegenden und schon gar keinen lebensentscheidenden großen Entschluß treffen, insbesondere nicht die Wahl geistlicher Berufungen, aber auch keine Anbahnung einer bestimmten Studienrichtung, keine Berufswahl, keine Verlobung und Eheschließung, ja keine Scheidung, und all das nicht, was folgenschwere Weichenstellungen wie Treue, Kündigung, Bürden, Einsätze, langfristige Verpflichtungen und dergleichen anbelangt. In Trostlosigkeit und Verzweiflung soll man lieber keine Veränderung der Grundpositionen vornehmen!
Die wichtigsten Entscheidungsregeln
Schlechte Zeiten? Pech gehabt? Halte dich zurück! Warte ab, sagt Ignatius. Stürme und Böen lassen gewöhnlich nach. Es klingt zwar banal, aber über den Wolken ist der Himmel immer sonnen- oder sternenklar. Keine Niedergeschlagenheit dauert ewig, damit man nachher umso leuchtender sehen könne. Gut überlegte, objektive Entscheidungen sollten also nicht in einem Zustand mit starken Gemütswallungen getroffen werden.
Wir werden schon merken, ob die Impulse von Gott stammen oder nicht, denn sie müssen uns Frieden und Freude, Aufgeräumtheit und Erfüllung bringen. Wenn die Gedanken vom Bösen herrühren – auch wenn sie noch so viel Pomp und Aufwand treiben –, bescheren sie weder Frieden und noch weniger echte Freude. Schließlich stoßen sie doch sauer auf. Denn der Teufel heißt auf altgriechisch nicht umsonst „Diá-bolos“, wortwörtlich Durcheinanderwerfer im Sinne eines gemeinen Verwirrers, Faktenverdrehers, Verleumders. Ignatius hielt sogar dafür, daß Sub angelo lucis das überaus schillernde Perfekte der Todfeind des Guten sei. Wir können von allerhand Übeln und Egoismen überwältigt werden, wenn wir spektakulären Chimären (Luftschlössern, Trugbildern, Fiktionen) nachjagen und dabei das schlichte Gute unterlassen.
Ignatius spricht in diesem Zusammenhang von einem „magis“ als Richtschnur eines echten Apostels: „Apóstolos“ (dt. Gesandter, Sendbote) hieß zum Unterschied des verwirrungsstiftenden „Diábolos“ auch die abgesandte griechische Flotte, die mit Gütern und Schätzen beladen nach einer stürmischen Fahrt im Zielhafen gut ein gelaufen war. In diesem Sinne ruft der hl. Paulus voll Begeisterung aus:
Apostoli, gloria Christi!
Die Apostel sind der Ruhm Christi.
(2 Korinther 8,23)
Das lateinische Adverb „magis“ besagt bekanntlich ein reales Plus, mehr als…, in höherem Grade als…, eher, lieber, vielmehr. Es dient somit zur Umschreibung des Komparativs: wie stärker, heftiger, besser und zeigt damit zwischen einem simplen Positiv und einem übersteigerten Superlativ die maßvolle Mitte an. Oft steigert es aber auch die Tätigkeit oder die Wirkung von Verben wie magis intellegere, magis gaudere (d. h. besser verstehen, sich mehr freuen).
Die Unterscheidung der Geister ist somit eine Steigerungsform des Positiven mit vollem Wind und Elan „Richtung Zukunft“ – und sicher nicht in die einer morbiden Rechtfertigung von bereits getroffenen, negativen, falschen Entscheidungen wie das bei Wiederverheirateten nach einer Scheidung üblicherweise der Fall ist. Die Ignatianischen Exerzitien sind also eine befreiende, intelligente und logische Abklärung von Lebenslügen; zugleich aber auch eine praktische, dynamische und konstante Entscheidungshilfe, um das zu werden, wozu wir berufen sind – nämlich zur „Gotteskindschaft“ nach dem Evangelium des hl. Johannes (15,15) und nach der klaren Sprache der Apostelbriefen (1 Joh 3,1 ; Röm 8,14–17 ; Gal 4,1–7). Im Ignatianischen Exerzitienbuch gibt es präzise Regeln zur Unterscheidung, Prüfung und Erneuerung wie zum Beispiel:
§ 01 Daß der Heilige Geist die Menschen guten Willens ermutigt, beruhigt und tröstet.
§ 02 Daß der böse Geist umgekehrt verfährt: Dieser beunruhigt und entmutigt die Eifrigen und beruhigt und vertröstet die Lauen und Sünder.
§ 05 Daß man in Zeiten der Verwirrung und Entmutigung nichts an ihren guten Vorsätzen und an der eingeschlagenen Lebensrichtung ändern soll.
§ 11 Daß man sich bei religiösem Hochgefühl demütigen, und bei Niedergeschlagenheit mit dem Gedanken an die Gnade aufrichten soll.
§ 12 Daß man dem bösen Angreifer mutig die Stirn zu zeigen hat…
§ 13 …und seine Einflüsterungen gerade dann, wenn er uns zur Geheimhaltung drängt, dem Beichtvater aufdecken soll.
§ 14 Daß der Feind meistens dort angreift, wo unsere schwächste Stelle ist.
Nach all diesen Ausführungen können wir zu recht vermuten, daß die Exerzitien des hl. Ignatius nicht anderes als die Einübung in eine großangelegte Lebensbeichte darstellen, im Zuge deren nicht die falschen Entscheidungen der Vergangenheit beschönigt und gerechtfertigt, sondern bereut sowie die Erneuerung des eigenen Geistes (Röm 12,2) in die Wege geleitet werden soll.
Aberration der biblischen Unterscheidung der Geister in der heiß umstrittenen Schrift „Amoris Laetitia“
Da heute nur mehr die allerwenigsten noch ausreichend Latein können, ist es unerläßlich vorerst an der Wortgruppe „Laetitia“ (Freude) ein wenig zu schnuppern: Was ist, wie ist, wo ist echte Freude zu finden?
[table id=36 /]Es ist damit zu rechnen, daß in der erotisch aufgeheizten, modernen Konsum- und Spaßgesellschaft ein Wort wie „Laetitia“ (d. h. Schönheit, üppiger Wuchs, Freude, Fröhlichkeit) nicht nur gut ankommen und seine Ambiguität hartnäckig beibehalten wird, sondern als Sucht unter den Scheidungsgründen gewöhnlich gleich an allererster Stelle steht. Des Jubels aller Modernisten kann man ebenfalls sicher sein, wenn eine solche sensationelle Aufmunterung aus dem Munde eines Jesuitenpapstes kommt. Otto Normalverbraucher in Stimmung zu versetzen und seine Lust am Amourösen schlechthin zu loben, ist der moralische Tiefpunkt der Bergoglianischen Seelsorge. Auf Schleichwegen hat er damit die „Katholische Scheidung“ etabliert und gerechtfertigt.
Es ist aber ebenfalls mit Sicherheit anzunehmen, daß der hl. Ordensgründer und asketischer Exerzitienmeister von Loyola weder das „Fräulein Leticia“ noch eine andere „üppige Schönheit“ oder die jauchzende „Laetatio“ der Massen in das Programm seiner Übungen inkludierte. Wenn er von innigem Frieden und echter Herzensfreude als Kriterium einer gelungenen Unterscheidung sprach, meinte er keinen falschen Irenismus mit dem Ziel einer pazifistischen, interkonfessionellen und interreligiösen Auseinandersetzung um jeden Preis der gegenseitigen Nivellierung und Fraternisierung antagonistischer Positionen. Die Jesuiten der Gegenreformation waren sicherlich führende Pädagogen, Wissenschaftler und kompromißlose Soldaten in der Lehre der Einen, Heiligen, Katholischen Kirche. Aber bereits damals wurde der praktischen und politischen „Jesuitenmoral“ eine übertriebene Diplomatie und Schlaumeierei nachgesagt. Franziskus bekannte einmal auf sich selbst bezogen, daß er ein wenig „cuco“ (auf Spanisch gerissen, schlau, ein alter Fuchs) sei. Die häufigsten Vorwürfe, die immer wieder gegen den Orden erhoben wurden, sind deshalb vor allem:
- Der ethische Probabilismus: d. h. eine liberale Auslegung des Moralgesetzes mit kühler Berechnung der zu erwartenden Wahrscheinlichkeiten. Dabei unterscheiden die Jesuiten gern zwischen dem strengen, „metaphysisch Notwendigen“ und dem lediglich „moralisch Notwendigen“. Wohl kann aus Wahrem nichts Falsches folgen, aber auf der Ebene der moralischen Konsequenz klaffen dabei Theorie und Praxis nicht selten auseinander. Wenn das Gesetz anspruchsvoll ist, dann degradiert man es zu einem bloßen, praktisch irrelevanten Ideal.
- Die Reservatio mentalis: d. i. eine verdeckte, nicht erkennbare Absicht mit geistigem Vorbehalt, das in einer Willenserklärung Erklärte in Wirklichkeit nicht zu wollen. Ach, wie oft kommt uns das aus dem laufenden Pontifikat bekannt und schmerzlich vor!
- Die Heiligung der Mittel durch den Zweck: Theoretisch wird diese Haltung freilich stets geleugnet. Wenn aber der Pferdefuß nicht allzu derb und offensichtlich aus der Soutane heraushängt, dann gehört sie zur „Angewandten Moral“ der höheren Politik.
- Die Beichtpraxis: Als noch zahlreiche Jesuiten Beichtväter und Berater hochgestellter Persönlichkeiten in den katholischen Herrscherhäusern von Wien, München, Paris, Madrid, Lissabon waren, erlangten sie historische Berühmtheit nicht nur dafür, daß sie damit die Zügel der Weltpolitik in der Hand hielten, sondern auch, daß man im allgemeinen bei ihnen „flotter“ durchkommt, wenn man ihnen nur geschmeidig pariert. Mätressen wurden katholischen Königen stets nachgesehen, falls sie sonst auf Linie waren. Der Jesuitenpapst Franziskus unterstellte einmal seinen Priesterkollegen mit seiner gewohnten, nicht allzu ziselierten Grobheit, den Beichtstuhl nicht in eine „Folterkammer“ zu verwandeln und großzügig zu vergeben. So wurde „Barmherzigkeit“ oft mit spitzfindiger „Liberalität“ verwechselt. Vielsagend ist das Bonmot, das der ordensinternen Weisheit nachgesagt wird: Darf man während des Betens rauchen? Nein, natürlich nicht! Darf man während des Rauchens beten? Ja, natürlich immer, das Beten ist ja in jeder Situation erlaubt.
Die Jesuitische Methode der Akkommodation in der Mission
Der Orden der Jesuiten wurde im kleinen Kreis von sieben Kameraden um Ignatius von Loyola in der höchsten Not der protestantischen Kirchenspaltung gegründet und durch allerhöchste päpstliche Verfügung anerkannt (1540). Neben Armut und Ehelosigkeit verpflichteten sie sich zu Gehorsam und zu einem besonderen Gehorsam dem regierenden Papst gegenüber. Sie hatten sich von Anfang an keine eigene Ordenskleidung und auch kein gemeinsames Chorgebet in festen Niederlassungen wie Klöstern und Stiften vorgeschrieben. Bis heute leben sie in lockeren Kommunitäten, mit liberaler Anpassungsfähigkeit und ungebundener Mobilität, aber ordensintern mit paramilitärischer Disziplin. Sie konnten sich daher jederzeit, auch im übertragenen Sinne, frei verkleiden und somit oft hervorragende wissenschaftliche und erzieherische Posten in Gymnasien, Kollegien und an Universitäten annehmen, aber auch in allerlei missionarische und politische Rollen schlüpfen.
Freilich ging das Liberale, Legere und Saloppe immer schon mit einer übergroßen Portion an Flexibilität und Laxheit im allgemeinen Sittenbild und im breiteren Brauchtum einher. Entgegen der offiziellen Papsttreue, verwickelten sie sich in zahlreiche, schwerwiegende Zerwürfnisse nicht ohne Renitenz und Ungehorsam, weiters auch nicht nur gegen die Pontifikate von JOHANNES PAUL II. und BENEDIKT XVI., sondern bereits gegen CLEMENS XI. und Benedikt XIV. im Laufe des XVII. und XVIII. Jahrhunderts. Sie fühlten sich immer schon päpstlicher als die Päpste.
Seit dem Vaticanum II geht die totale Anpassung an die jesuitische Situationsethik soweit, daß man die „Missionierung“ als Proselytenmacherei verpönt. Man setzt lieber auf anspruchslose, leere Plaudereien („Dialog“) und setzt sich dabei selbst der Gefahr der Entleerung aus. Die totale Angleichung an die äußeren Lebensformen in Kleidung, Nahrung, Wohnung, Rechtsnormen, Philosophie, Ästhetik (Architektur, Malerei, Musik) und Sprache bis zum Nachplappern von kleinsten, atomisierten Gruppen‑, Lokal- und Regionalformen, brachte den langsamen Verlust des universalen, lateinischen Kultes und Ritus sowie die Gefahren von Schismen mit sich. Übergroße Vielfalt ist ebenso schwer zu ertragen wie eine strenge Verschränkung. „Drei Jesuiten – vier Meinungen“ ist ein oft gehörter Vorwurf gegen den liberalen Pluralismus und den charakterlosen, feigen Synkretismus, die zugleich fanatisch indoktriniert werden: Vielfalt um der Vielfalt willen schafft lediglich Unordnung. Ab 1975 begann sich für diesen Prozeß der Terminus „Inkulturation“ durchzusetzen. Es ist eine offenkundige Fälschung, wenn zum Beispiel die Gottesmutter Maria für die südamerikanischen Indianer an die von ihnen verehrte, personifizierte „Mutter Erde“ (Pachamama) adaptiert wird.
Der Akkommodations- und Ritusstreit (1610–1744)
Bereits nach dem Tridentinum (1545–63) entfachte ein Dauerstreit über die Frage, inwieweit sich die Kirche heidnischen Riten und Bräuchen öffnen dürfe und wie sie sich in der Missionsarbeit, die im XVII. Jahrhundert in China, aber auch in Indien erblühte, richtig verhalten solle. Die führenden Jesuiten sprachen sich für eine breite Front der Akkommodation aus, die Dominikaner und Franziskaner lehnten dagegen jeden Synkretismus kompromißlos ab (1633). Rom entschied den Streit mal gegen die Akkommodation, mal dafür, neuerlich dagegen, nach einem Rekurs der Jesuiten wieder dafür. Der Konflikt hat sich jedesmal verschärft. In der Folge verbot Kaiser Yongzheng kurzerhand das Christentum (1724) – eine logische Folge von nicht harmonisierten Querköpfigkeiten.
Die Jesuiten duldeten nämlich den chinesischen Ahnenkult und die Verehrung des Konfuzius, sie akzeptierten für den Dreifaltigen Gott Namen und Bezeichnungen aus dem heidnischen Götterkult wie „Himmel, Kaiser, höchster Herr“, unterließen gewisse Zeremonien bei den Sakramenten. Das sind Sachen, die man nicht auf die leichte Schulter nehmen kann.
Die eigensinnigen Jesuiten hielten sich aber nicht an die Anweisungen von Papst Clemens XI. (1711, 1715) und erwirkten mit ihrer missionarischen Schleimerei nur Scheinerfolge. Bis Papst Benedikt XIV. eines Tages nicht umhin konnte, eine lehrmäßige Entscheidung gegen die Mißbräuche zu erlassen.
Die Missionstätigkeit wurde danach angefeindet und in den Untergrund verdrängt. Zahlreiche Missionare mußten ihre Wahlheimat verlassen. Die einheimischen Konvertiten wurden einer scharfen Verfolgung ausgesetzt. Die Diaspora überlebte jedoch in China bis ins XIX. Jahrhundert. Auch in Indien verhielten sich die renitenten Jesuiten nicht anders mit der Anpassung an das heidnische Brauchtum des Hinduismus. Ihre definitive Verurteilung wurde sowohl in China wie Indien in den Jahren 1742–44 durch die Päpstlichen Bullen Benedikts XIV. besiegelt. Erst nach 200 Jahren wurden sie „infolge der veränderten Lage“ von Papst Pius XII. aufgehoben (1939–40).
Untergang des Jesuitenordens (1758–1773) im Theresianisch-Josephinischen Reformzeitalter 1749–1790
In Bälde sollten die Jesuiten neue Konflikte vom Zaun brechen. Die mächtige „Jesuitenrepublik“ des Ordens hatte auch im südamerikanischen Einflußbereich Portugals und Spaniens, aber auch im Frankreich des „aufgeklärten“ Despotismus ein vielschichtig gelagertes, politisches Dossier akkumuliert. Die Jesuiten drohten selbst ein absolutistischer Staat in absolutistischen Staaten zu werden, wodurch in den romanischen Ländern ein großer Stau der Konfliktpotentiale entstanden war.
Für die Epoche gibt es nichts, was so symptomatisch wäre als der Wahlspruch des vorrevolutionären Absolutismus, der im damaligen Europa in zahlreichen Sprachen ein beflügeltes Wort geworden ist:
Tout pour le peuple, rien par le peuple.
Alles für das Volk, nichts mit dem Volk.Auf Ungarisch: Mindent a népért, semmit a nép által.
Auch Spanisch geläufig: Todo para el pueblo, pero sin el pueblo.
Die „aufgeklärten“, reformbeflissenen, aber zum Despotismus neigenden Aristokraten, Fürsten, Könige und Priester zierten sich mit dieser Maxime und legten sie oft – in Österreich-Ungarn besonders gern – dem Deutsch-Römischen Kaiser Joseph II. (1740–1790) oder König Friedrich II. (1740–1786) in den Mund. In der Tat gebührt aber die Autorenschaft Voltaire (1694–1778), der am Preußischen Hof in Potsdam auf Schloß Sanssouci gern gesehener Gast war. Sein Spruch ist ein Paradebeispiel für die verletzend gönnerhafte Überklugheit der führenden Intellektuellen, die dem minderwertig angesehenen Volk, insbesondere dem aufstrebenden Landadel und dem kleinen Bürgertum jedes Wissen und Gewissen „fürsorglich-wichtigtuerisch“ abnehmen wollten. Der Standesdünkel der „aufgeklärten, reinen“ Vernunft war die beständigste Charakteristik der angehenden „Aufklärung“ im XVII. Jahrhundert des „Lichts“ und der „Erleuchteten“. Die Jesuiten, aber auch die Freimaurer waren keine Ausnahme von der Hoffart der explodierenden Bildung und Einbildung. Der Pendel der „aufgeklärten“ Despotie der Eliten hat dann unweigerlich in der „finsteren“ Despotie der revolutionären Volksherrschaft ausgeschlagen.
In dieser dicken Luft kursierten zahlreiche Verschwörungstheorien und Gerichtsurteile mit Einbindung von Jesuiten für den versuchten Tyrannenmord gegen König Louis XV. in Paris (1751), aber auch gegen José I. in Lissabon (1758), was kreuz und quer in ganz Europa bis nach Königsberg in Preußen zu einem Medienereignis aufgebauscht worden war. Auch gegen Carlos III. dürfte der Madrider Aufruhr (1766) durch die Jesuiten angezettelt worden sein. Jedenfalls an die 7000 ihrer Ordensbrüder wurden angehalten, teils nach Korsika, teils in den Kirchenstaat per Schiff nach Italien verfrachtet (1767), bald aber auch aus dem Königreich Neapel, sowie aus Malta und Parma vertrieben (1768).
Papst Clemens XIII. (1758–1769), ein großer Freund und Förderer der Jesuiten, versuchte gegen alle politischen und publizistischen Widerstände den Orden mit einer Bulle (1765) reinzuwaschen. wofür er aus Spanien und Frankreich (nicht zuletzt von den frommen Jansenisten und den unfrommen Enzyklopädisten) heftige Kritik einstecken mußte.
Als Clemens das Zeitliche gesegnet hatte, erreichte der „Jesuitenmythos“ ungeahnte Haß- und Lustgefühle. Knapp zwanzig Jahre vor der perfidesten Revolution aller Zeiten (1789) schürten aber ausgerechnet die Jesuiten weiterhin die Spannungen in Europa bis auf die letzte Zerreißprobe. Dafür wurden sie aus Portugal, Spanien und Frankreich (1759–1768) laufend des Landes verwiesen. Kurz und gut, Querulanz mit krankhafter Steigerung des Rechtsgefühls und der Rechthaberei war immer schon der merkwürdige Parallelzug aller „liberalen“ und zugleich allzu „strammen“ Ideologen, Despoten und Revolutionäre, die Konflikte suchen, aber weder im Schoße der Kirche noch im Staate lösen können.
Um Schlimmeres zu verhüten, veranlaßte das Chaos den friedfertigen Papst Clemens XIV. (1769–1774) in der europäischen Hochspannung der „Aufklärung“ zu der dramatischen Maßnahme, die zündelnden Jesuiten vom Schlachtfeld der Intrigen abzuziehen. Er verdonnerte schließlich mit dem Breve Dominus ac redemptor noster (also mit einem energischen „Breve“, d. h. mit einem geharnischten „Brief“) die Aufhebung des Jesuitenordens (1773). Das Breve beginnt mit einem Hinweis des Papstes auf seine Bemühungen um das friedliche Zusammenleben, gefolgt von einer Aufzählung der gegen den Orden erhobenen Vorwürfe von Sixtus V. bis Benedikt XIV.:
„Angehaucht von dem göttlichen Geiste, wie wir vertrauen, durch die Pflicht getrieben, die Eintracht der Kirche zurückzuführen, überzeugt, daß die Gesellschaft Jesu den Nutzen nicht mehr leisten kann, zu dem sie gestiftet worden, und von anderen Gründen der Klugheit und Regierungsweisheit bewogen, die wir in unserem Gemüte verschlossen behalten, heben wir auf und vertilgen wir die Gesellschaft Jesu, ihre Ämter, Häuser, Institute.“
Die Verordnung der Auszeit kam jedoch zu spät. Das Bemühen um eine Aussöhnung der Kirche mit den Zeitströmungen und den katholischen Königen der romanischen Länder Portugal, Spanien, Neapel und Frankreich am Vorabend der Französischen Revolution blieb erfolglos. Immerhin verhütete die Vorsehung die Jesuiten vor dem Gemetzel, dem sie sicherlich in den vordersten Reihen ausgesetzt worden wären, als der Terror der Straße in Paris losgetreten wurde. Nolens volens emigrierten sie massenweise ausgerechnet in die nichtkatholischen Länder nördlich der Alpen, hauptsächlich nach Preußen und in das Rußland der ebenfalls „aufgeklärten“ Kaiserin Katharina der Großen (1762–1796). Friedrich – im Volksmunde „der Alte Fritz“ genannt – glaubte als Protestant ohnehin ein Päpstliches Edikt ignorieren zu können, andererseits brauchte er Seelsorger für die polnisch-katholischen Bevölkerungsteile seines Landes. Kaiserin Maria Theresia fand an ihren Jesuiten in Österreich eigentlich wenig verwerfliches, da sie in vielen Schulen angesehene Lehrer und Direktoren waren und als solche wieder angestellt bzw. als Diözesanpriester inkardiniert wurden. Die pietätvolle Herrscherin kam der Päpstlichen Verordnung schweren Herzens nach, aber mit Widerwillen löste sie den Orden doch auf (1773). Ihrem antiklerikalen Sohn und Nachfolger Joseph II. ist freilich die Verstaatlichung der Güter und Gebäude der Jesuiten leichter gefallen.
Die Verbannung wurde nach 40 Jahren von Papst Pius VII. (1800–1823) rückgängig gemacht (1814), kaum drei Monate nach seiner Entlassung aus der französischen Gefangenschaft unter Napoléon. Es kam zu einer Renaissance des Jesuitenordens. Die Auszeit hat ihnen offensichtlich gut getan. In Deutschland (1872–1917), aber auch in der Schweiz (1874–1973) war der Orden noch zeitweilig verboten. Zur schlimmsten Zeit der südamerikanischen „Befreiungstheologie“ waren die Jesuiten unter Papst Johannes Paul II. unter Kuratel gestellt.
Lehrreicher Nutzen und Konsequenz aus der Geschichte
Die Strategie und das Taktieren in der Mission dürfen weder von den Jesuiten noch von den Möchtegern-Theologen des Modernismus neu erfunden werden. Denn wir sollten die Erkenntnisse aus den historischen Beispielen des Völkerapostels Paulus, Benedikts von Nursia (480–547) und der Slawenapostel Cyrill und Method (IX. Jh.) ablesen und übernehmen. Drei Fixpunkte dürften dabei ins Auge stechen:
- Maßvolle Konzessionen an die kulturell führende Elite: Eine diskrete, vorläufige, unwesentliche Adaptation an die Oberschicht eines heidnischen Volkes zu Beginn der Missionierung kann unter Umständen einen Prozeß der Angewöhnung einleiten, weil eine vernünftige Elite wahrscheinlich am ehesten fähig sein dürfte, sich in die christliche Zivilisation der Vernunft zu integrieren und sich voll von ihr assimilieren zu lassen.
- Mission von oben nach unten: Daher vermittelten die Benediktiner die Religion den Barbaren nach dem Untergang des Weströmischen Reiches europaweit „von oben nach unten“ mit dem lateinischen Alphabet, dem Pflug und dem Kreuz. Ein leuchtendes Beispiel dafür war die späte Missionierung der nomadischen Magyaren, die erst im zehnten Jahrhundert (!) inmitten einer bereits weitgehend christianisierten slawischen Umgebung Land genommen haben. Als Heiden waren sie Europas Geißel, als Christen sind sie gegen die Invasionen der Tartaren und Türken Europas Bastion geworden – auch heute noch.
- Die Annahme des Kreuzes ist wesentlich verbunden mit der Vermittlung von Wissenschaft, Kunst und Zivilisation: d. h. ohne Schulbildung der breiten Massen kann sich keine Missionierung dauerhaft aufrecht erhalten. Das Christentum ist die Religion der Vernunft („Logos“!) und kann nicht auf primitive Unterstufen reduziert werden: „Credo ut intelligam“ (ich glaube, damit ich erkennen kann) ist das theologisch-philosophische Motto von Anselm von Canterbury (1033–1109). Die Heiden müßten in die höhere Zivilisation „inkulturiert“ (eingeschmolzen) werden – nicht umgekehrt!
Sonderfall der Mobilmachung gegen sich selbst
Wenn die aktuelle Palastrevolution im Vatikan von einem Jesuitenpapst selbst und seinen jesuitischen Prätorianern ausgeht, die alle Fehler der Vergangenheit in sich vereinigen und übersteigern, dann ist das einzigartig in der nahezu 500jährigen Geschichte des Ordens. Wenn man in der nächsten, drohenden Synode auch an die Relativierung der katholischen Wesenszüge des Priestertums herangehen wird, dann nimmt dieses Pontifikat bereits apokalyptische Züge an.
Die totale Akkommodation der Kirche an den Zeitgeist legt heute eine echte „Unterscheidung und Prüfung der Geister“ völlig lahm. Die Risiken der um sich greifenden, liberalen Situationsmoral und die zahlreichen, aus den Fugen geratenen Entscheidungen übersteigen bei weitem das Desaster, das die Jesuiten im XVII. und XVIII. Jahrhundert angerichtet haben. Die unverhältnismäßigen Akkommodationskrisen waren zwar damals brandgefährlich, aber in fernliegende Länder wie China, Indien, Südamerika ausgelagert. Heute wird die Weltkirche vom Jesuitenorden in ihrer Substanz erschüttert.
*Zuletzt von Prof. Dr. Endre A. Bárdossy auf dieser Seite erschienene Aufsätze:
- Das verspielte Erbe – Nachruf auf die rasend schwindenden Werte in dürftiger Zeit
- LÉON BLOY – Der undankbare Bettler
- Die „Pastoralrevolution“ – Talisman-Worte im Schoß der Kirche
- Wahrheit und Richtigkeit – Das Höhlenglechnis und die modernen Höhle
Bild: Wikicommons/geschichte.univie.ac.at
Eine in sich schlüssige Aufbereitung und Kommentierung der Geschichte und Mentalität der Jesuiten. Besonders interessant die Vorgeschichte des Jesuitenverbotes von 1773. Ich halte es aber für nicht ausreichend belegt, dass den Jesuiten a) die Aufruhre und Mordversuche an den genannten Königen unterstellt wird, b) dass diese damals breit publizierten Vorwürfe der wirkliche Grund für die Feindschaft der „aufgeklärten“ Elite Europas gegen die Jesuiten war. Auch die folgende These des Autors halte ich für einen argumentativen Schnellschuss, der die Einfluss- und Entwicklungsfaktoren der Französischen Revolution nicht angemessen berücksichtigt: „Der Pendel der „aufgeklärten“ Despotie der Eliten hat dann unweigerlich in der „finsteren“ Despotie der revolutionären Volksherrschaft ausgeschlagen.“
Ein sehr interessanter Artikel. Die Problematik besteht ja nicht zuletzt darin, daß die Disziplin der Kirchengeschichte im 19.Jh. weitläufig entweder strikt jesuitisch oder dezidiert antiklerikal war. Und da sehr viele neuere Autoren meist nur nach ihrer ideologischen Präferenz ihren Werken diese parteische Vorarbeit aus dem 19.Jh. zugrundelegen, ist das auch bei neueren Studien oft wenig hilfreich, da sie somit mehr oder weniger nur die alten Stereotypen wiederholen.
Glücklicherweise haben aber in in den letzten zehn Jahren eine Reihe französischer und italienischer Geschichtswisenschafter sich mit dem Pontifikat und der Person Clemens XIV. Ganganelli intensiv beschäftigt; auch gab es rezent in Italien mehrere sehr schöne Ausstellungen über Papst Clemens XIV. Diese Historiker haben aufgrund ihrer Arbeit strikt ad fontes diesen guten Papst gleichsam rehabilitiert und seine Persönlichkeit vom liederlichen Jesuitenkatheder-Spott freigelegt. Dies geschah natürlich primär außerkirchlich, da die Jesuiten bis heute diese Disziplin dominieren und freilich ihre Mythen bewahrt wissen wollen. Jedoch ist löblich zu erwähnen, daß die Franziskaner-Minoriten diese neuen Studienarbeiten über diesen guten und tugendhaften Papst, der ihrem geschätzten Orden entstammt, innerhalb der Reihe „Fonti E Studi Francescani“ des „Centro Studi Antoniani“ immernoch sehr unterstützen. Gut, daß man so mithilft, daß Clemens XIV. die adequate Würdigung wieder zuteil wird.