Zahlen gegen Ideologien

Unterwegs zum Europäischen Einheitsstaat


Emanuel Macron und Angela Merkel vollenden die Europäische Schuldenunion.
Emmanuel Macron und Angela Merkel vollenden die Europäische Schuldenunion.

Einst wer­den unse­re Enkel die Mär viel­leicht so erzäh­len kön­nen: „Es war ein­mal an einem wol­ken­ver­han­ge­nen Diens­tag­mor­gen, am 21. Juli 2020 nach einer 90-Stun­den-Dau­er­ver­hand­lung, daß die Herol­de die Eini­gung der Mäch­ti­gen auf das größ­te Finanz­pa­ket der EU-Geschich­te ver­kün­de­ten. Über die Köp­fe der jun­gen, alten und künf­ti­gen Gene­ra­tio­nen hin­weg wur­den die Ideen von M & M durch­ge­zo­gen. Kei­ner der soge­nann­ten Fru­ga­len Vier (Däne­mark, Schwe­den, Nie­der­lan­de, Öster­reich) hat den Mut auf­ge­bracht, mit einem Veto die Not­brem­se zu zie­hen.“ Wenn wir nun einen Blick über den Tel­ler­rand wer­fen: Haben wir Grund für Freu­de oder Sor­ge?1

Anzei­ge

«Der Euro wird kom­men, aber er wird kei­nen Bestand haben.»
Alan Greenspan

Von End­re A. Bárdossy

Grie­chen­land hat mit 177 % – nach Ita­li­en mit 135 % – die höch­ste Staats­schul­den­quo­te in der Euro­päi­schen Uni­on. Am ande­ren Ende der Liste befin­det sich Est­land mit einer gera­de­zu puri­ta­ni­schen Schul­den­quo­te von 8,4 %. Aber was soll’s? Alle EU-Län­der sind ja im Durch­schnitt seit gerau­mer Zeit mit 78 % ihrer Wirt­schafts­lei­stung in der Krei­de, die Mit­glie­der der Euro­zo­ne sogar durch­schnitt­lich mit 84 % des Brutto-Inlandsprodukts.

Die angezählte Eurozone

Die pre­kä­re finan­zi­el­le Lage in Süd­eu­ro­pa: Grie­chen­land, Ita­li­en, Spa­ni­en, Por­tu­gal, Zypern, aber auch in Bel­gi­en und Frank­reich ist nicht erst infol­ge der Virus-Epi­de­mie ent­stan­den. Das wäre eine unver­schäm­te histo­ri­sche Lüge. Sie war schon 2019 und bereits lan­ge vor­her wegen wirt­schaft­li­cher Unfä­hig­keit der roma­ni­schen Län­der, Grie­chen­lands und Zyperns unter der har­ten Euro-Wäh­rung evi­dent gewor­den. Und die Seu­che, die war in Mittel­europa kaum schlim­mer als die übli­chen Grip­pe­wel­len jedes Jahr. Viel­leicht um eini­ge Nuan­cen stär­ker. Das maro­de Ita­li­en mit sei­nen zahl­rei­chen chine­sischen Gast­ar­bei­tern war am tief­sten ein­ge­bro­chen. Die Hun­der­ten Toten sind fast über­all in Bruch­tei­len von Pro­mil­len ver­blie­ben, dafür ist aber umso mehr poli­ti­sche Panik geschürt wor­den. Das dro­hen­de Virus war im Janu­ar (und schon Ende 2019) bekannt. Auf dem gren­zen­los erträum­ten Glo­bus hat man mit der Schlie­ßung der Staats­gren­zen und Flug­hä­fen, wohl aus ideologi­schen Grün­den, lan­ge gezö­gert. Aber für die amt­lich ver­ord­ne­te Schlie­ßung der Arbeits­plät­ze war man ab Mit­te März bis Mai – spät genug als das Virus längst unter uns ver­brei­tet war –, umso bereit­wil­li­ger auf­ge­legt. Nicht nur Älte­ren und Gebrech­li­chen war es ver­wehrt, öffent­li­chen Boden zu betre­ten. Da die dra­ko­ni­sche Aus­gangs­sper­re nicht ohne poli­ti­sche Hin­ter­gründ­lich­keit ver­ord­net war, wur­de die gesam­te Wirt­schaft lahm­ge­legt. Aber­tau­sen­de Ange­stell­te der Poli­zei, Super­märk­te, Spitä­ler, Strom­ver­sor­gung, Streit­kräf­te und auf ande­ren hei­ßen Posten ver­sa­hen den­noch ihre system­re­le­van­ten Funktio­nen, ohne einen hel­den­haf­ten Tod zu ris­kie­ren oder gesund­heit­li­chen Scha­den zu erlei­den. Bis heu­te ist es nicht wi­derlegt, daß Schwe­dens Son­der­weg zur Her­den­im­mu­ni­tät viel­leicht doch der rich­ti­ge war. Gott behü­te: Die Massen­arbeitslosigkeit im kom­men­den Herbst und die näch­ste Virus-Attacke im Win­ter wer­den zei­gen, ob wir uns wei­te­re Aus­gangs­sper­ren lei­sten kön­nen. Somit erhal­ten wir in der Wirt­schaft das, was uns die Poli­ti­ker ein­ge­brockt haben.

Euro-Zone

Pro­gno­sen über die zukünf­ti­gen Ver­strickun­gen der unge­heu­ren Schul­den­last der EU-Staa­ten wären im Moment ganz und gar unse­ri­ös. Kata­stro­pha­le Fol­gen sind aber nicht auszuschließen.

Die ein­zi­ge ver­nünf­ti­ge Alter­na­ti­ve zur Schul­den­ma­che­rei wäre gewe­sen, den am ärg­sten über­schul­de­ten Län­dern den Aus­tritt aus der Hoch­lei­stungs­zo­ne der Euro-Län­der nahe­zu­le­gen bzw. sie aus­zu­schlie­ßen, solan­ge sie die Maas­tricht-Kri­te­ri­en nicht erfül­len kön­nen. Eine klei­ne Euro­zo­ne der Eli­te wäre bes­ser als eine ver­wäs­ser­te. In den schwa­chen Wäh­rungs­län­dern der alten Lira, Pese­ten, Drach­men, etc. nebst ihren alten Wäh­rungs­spiel­chen die Ab- und Auf­wer­tun­gen wie­der zuzu­las­sen, wäre immer­hin bes­ser erträg­lich für alle als die Gefahr der Hochver­schuldung und die Dro­hung der Zah­lungs­un­fä­hig­keit. Die Wahr­neh­mung der Rea­li­tät wäre zwar für die San­gui­ni­ker der United Sta­tes of Euro­pe ein schmerz­li­cher Regreß, aller­dings ein begrün­de­ter mit den ent­täu­schen­den Erfah­rungen seit der Ein­füh­rung des Euro am 1. Janu­ar 2002. Die Kauf­kraft der Lan­des­wäh­run­gen im Außen­han­del inner­halb des grö­ße­ren Bin­nen­mark­tes wie­der frei flot­tie­ren zu las­sen, wäre doch kei­ne fade Idee, son­dern anstel­le der süd­län­di­schen Sie­sta-Phi­lo­so­phie ein ech­ter Wäh­rungs- und Bewäh­rungs­wett­be­werb. Die Anwen­dung unver­rückbar fester Pari­tä­ten aus ideo­lo­gi­schen Grün­den ist eben­so hin­der­lich für den Außen­han­del wie ein völ­lig frei­es Flot­tie­ren­las­sen von 27 Lan­des­wäh­run­gen. Abwer­tungs­ver­däch­ti­ge Wäh­run­gen haben eine leicht ver­wund­ba­re offe­ne Flan­ke gegen­über Spe­ku­lan­ten. So erlitt das Euro­päi­sche Wäh­rungs­sy­stem an einem denk­wür­di­gen Black Wed­nes­day (16. Sep­tem­ber 1992) eine spek­ta­ku­lä­re Attacke gegen das bri­ti­sche Pfund Ster­ling, und teil­wei­se gegen die ita­lie­ni­sche Lira, wobei skru­pel­lo­se Spe­ku­lan­ten wie Geor­ge Sor­os Mil­li­ar­den­ge­win­ne erzielten.

Gute Lek­tü­re für fach­lich Inter­es­sier­te ist der Auf­satz „Flot­tie­ren­de Wäh­run­gen und Frei­han­del“ von James Lan­ner, Direk­tor für Wirt­schafts­an­ge­le­gen­hei­ten der EFTA (1974).2

Exkurs: Argentinien

Die Zwangs­jacke der Euro­zo­ne funk­tio­niert offen­bar nicht für Grie­chen­land, Ita­li­en, Por­tu­gal, Spa­ni­en, Zypern, aber auch für Bel­gi­en und Frank­reich nicht. Ihre lan­des­ei­ge­ne Euro-Wäh­rung ist iden­tisch mit der Euro-Wäh­rung des Export­welt­mei­sters Deutsch­land. Das ist nicht weni­ger absurd als der Ver­such, das schwäch­li­che Argen­ti­ni­en dol­la­ri­sie­ren zu wol­len. Gera­de das war aber der fehl­ge­schla­ge­ne Mei­ster­zug des Finanz­mi­ni­sters Dom­in­go Cavallo unter der Ägi­de sei­nes Prä­si­den­ten Car­los Menem in der letz­ten Deka­de des vori­gen Jahrhunderts.

Argen­ti­ni­ens fata­le Fixie­rung auf den Dol­lar war genau so fatal wie die Fixie­rung der euro­päi­schen Schwäch­lin­ge auf den Euro.

Die vor­über­ge­hen­de 1:1‑Dollarparität des argen­ti­ni­schen Pesos war jedoch imstan­de bin­nen kür­ze­ster Zeit einen drei­ßig­jäh­ri­gen Pro­zeß der Hyper­in­fla­ti­on zu stop­pen und die süße, aber nur schmei­chel­haf­te Illu­si­on der Sta­bi­li­tät her­vor­zu­ru­fen, sobald die uner­müd­li­che Noten­pres­se still­ge­legt wor­den war. Die hohen Kosten die­ser Pari­tät wur­den frei­lich durch die Pri­va­ti­sie­rung staat­li­cher Mono­po­le und Betrie­be gedeckt. An und für sich war das rech­tens und erfolg­ver­spre­chend gewe­sen. Da aber die argen­ti­ni­sche Wirt­schaft im Ver­lauf der ersten fünf Jah­re der Pari­tät und Sta­bi­li­tät der Lan­des­wäh­rung (1990–1995) kei­nes­falls auf Augen­hö­he der US-Wirt­schaft wach­sen konn­te – mit Aus­nah­me des Wein­bau­sek­tors – und die ‹Schät­ze der Groß­mutter› (die Güter und Dienst­lei­stun­gen, wel­che vom Staat pri­va­ti­siert wur­den) bald erschöpft waren, dräng­te sich natür­lich die Not­wen­dig­keit einer kon­trol­lier­ten Abwer­tung immer mehr in den Vor­der­grund. Aus Pre­sti­ge­grün­den und aus poli­tisch-ideo­lo­gi­schen Über­le­gun­gen setz­te man statt auf Abwer­tung auf Ver­schul­dung im stol­zen Bewußt­sein, damit die Infla­ti­on sieg­reich bewäl­tigt zu haben. Der Dol­lar als Leit- und Pri­mär­wäh­rung wird bis heu­te von jedem Argen­ti­ni­er als so sta­bil erach­tet wie der Gold­stan­dard im Schla­raf­fen­land. Der eige­ne Peso war immer schon ledig­lich die Kom­ple­men­tär­wäh­rung für klei­ne­re Beträ­ge für Doña Nel­ly in der Greiß­le­rei. Beträ­ge über 1000 Pesos kal­ku­lier­te auch der klei­ne Mann in Dol­lar. In der Pra­xis des All­tags heißt das: Arbei­ten wie ein Ita­lie­ner, leben wol­len aber wie ein Amerikaner …

Die Lei­stun­gen wur­den in wei­chen Pesos erbracht (ähn­lich wie im Medi­ter­ra­ne­um vor 2002 in Lira, Pese­ten, Drach­men), aber in der Per­spek­ti­ve der lee­ren Erwar­tun­gen wur­den har­te Dol­lars (bzw. Euros …) ersehnt.

Nach sechs Jah­ren war der unauf­halt­ba­re Staats­bank­rott nicht mehr abzu­wen­den. Mit den gigan­ti­schen Kre­dit­auf­nah­men hat die Euro­päi­sche Schul­den­uni­on genau die­sel­be Rich­tung eingeschlagen.

Der Maastricht-Vertrag (1992) wurde vorsorglich ad acta gelegt

Die gemein­sa­me har­te Wäh­rung der Uni­on war von Anfang an für die unter­schied­li­che Wirt­schafts­lei­stung der Mit­glie­der unge­eig­net. Statt des­sen haben die Mäch­ti­gen der Uni­on ohne Rück­sicht auf Ver­lu­ste auf eine ima­gi­nä­re Bla­se der ‹Soli­da­ri­tät› gesetzt, die unwei­ger­lich plat­zen muß­te. Ein schnel­les Zug­tier kann nicht mit einem hin­ken­den vor den Kar­ren gespannt wer­den. Eine gemein­sa­me Wäh­rung der Euro­päi­schen Part­ner­schaft war ledig­lich eine Illu­si­on der Gutmenschen-Ideologie:

Ab ovo usque ad mala…
Vom Ei bis zu den Äpfeln

d. h. vom Vor­ge­richt bis zum Nach­tisch, wie das schon den alten Römern bekannt war.

Bei glas­kla­rer Vor­aus­sicht der fau­len Äpfel im Schul­den­gar­ten hat man nicht auf eine Kur der Gesund­schrumpfung der Euro­zo­ne, son­dern auf ihre ideo­lo­gi­sche Ver­ewi­gung und auf ihre schul­den­ge­stütz­te Auf­blä­hung gesetzt. Die Euro­päi­sche Kom­mis­si­on arran­gier­te also die Außer­kraft­set­zung der gesun­den Maas­tricht-Kri­te­ri­en bereits am 20. März 2020:

  • Das jähr­li­che Haus­halts­de­fi­zit muß nicht mehr höch­stens 3 % des Brut­to-Inlands­pro­dukts betragen.
  • Der staat­li­che Schul­den­stand darf weit über 60, ja sogar über 100 % des Brut­to-Inlands­pro­dukts klettern.
  • Die Infla­ti­ons­ra­te soll­te nicht mehr mit 1½ % über der­je­ni­gen der drei preis­sta­bil­sten Mit­glied­staa­ten beschränkt blei­ben. Aber wel­che sind heu­te die­se drei Muster­schü­ler? Dar­um küm­mert sich die Europäi­sche Zen­tral­bank mit der Druckerpresse…

Anfang 1999 vor dem Inkraft­tre­ten der Euro­päi­schen Wäh­rungs­uni­on (2002) war es immer schon umstrit­ten, inwie­fern die­se heh­ren Kri­te­ri­en tat­säch­lich ein­ge­hal­ten wer­den kön­nen, um die Lei­stungs­fä­hig­keit der Euro­län­der zu gewähr­lei­sten. Seit­her sind wir kein Jota wei­ser geworden.

Ins­be­son­de­re die Teil­nah­me Grie­chen­lands und Ita­li­ens war nebu­lös. Letzt­lich wur­de jedoch die Erfül­lung der Kri­te­ri­en mehr oder weni­ger von allen Mit­glied­staa­ten vor­ge­täuscht oder geschönt. Grie­chen­land hat­te jedoch grob getürk­te Zah­len über­mit­telt. Groß­bri­tan­ni­en und Däne­mark nah­men am Hasard­spiel einer Wäh­rungs­uni­on auf­grund einer vor­sorg­li­chen Aus­nah­me­re­ge­lung erst ein­mal gar nicht teil. Schwe­den war auch klug genug, um sich mit einem Refe­ren­dum der Euro-Ein­füh­rung fernzuhalten.

Die Defi­zi­te vor allem der süd­eu­ro­päi­schen Sozi­al-Staa­ten – wo das Unwe­sen der Früh­pen­sio­nen mit 58 Jah­ren (Frau­en) bzw. mit 62 (Män­ner) blüht –, und die wuchern­den Schul­den der kom­plet­ten Euro­zo­ne wer­den nicht nur gedul­det, son­dern geför­dert. Denn die­se garan­tie­ren den ‹soli­da­ri­schen Zusam­men­halt› mehr als ein Leistungs­wettbewerb: Koste es, was es wol­le! Und die­se Leu­te faseln was von Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­ren gegen Polen und Ungarn, nur weil die­se all­zu christ­lich auf Schutz des unge­bo­re­nen Lebens, auf eine umfas­sen­de Fami­li­en­för­de­rung, auf die aus­schließ­li­che Ehe zwi­schen Mann und Frau, auf die Wah­rung ihrer natio­na­len Iden­ti­tät und nicht auf einen gren­zen­lo­sen Bevöl­ke­rungs­aus­tausch gesetzt haben?

Schon damals, Ende März des heu­ri­gen Jah­res, waren die Wei­chen für die Festi­gung der Schul­den­uni­on gestellt. Denn nun kön­nen die aus­ein­an­der­fal­len­de Uni­on nur mehr die gemein­sa­me Schul­den­po­li­tik, das leb­haf­te Schul­den­be­wußt­sein und eine gepfleg­te Todes­furcht der Panik­ma­che­rei zusam­men­hal­ten. Die sym­bol­träch­ti­ge, aber nutz­lo­se Mas­ken­pflicht ist ledig­lich eine Gehor­sams­übung für die Ein­schüch­te­rung der Bevöl­ke­rung unter den stüm­per­haf­ten Ver­ord­nun­gen Rudi Münch­hau­sens gewor­den. Die Mas­ken des maka­bren Tan­zes um die Schulden­töpfe wer­den auch von Mer­kel, Macron, Kurz & Co getra­gen, aber nur auf offi­zi­el­len Pres­se­pho­tos. In der Tat kommt es nur auf die unter­schrie­be­nen Blan­ko­schecks an, damit sich nie­mand mehr die­sem rus­si­schen Rou­lette ent­zie­hen könne.

Einen Mei­len­schritt, einen heiß­ersehn­ten, haben wir erreicht, auf dem Weg zur Glo­ba­li­sie­rung und Gleich­schaltung des Alten Euro­pas, das frü­her ein­mal mit sei­ner Indi­vi­dua­li­tät glänz­te. Die Welt­re­gie­rung des Glo­bus durch die Herr­schaft des hei­mat­lo­sen Kapi­tals ist in Griff­wei­te gerückt. Auf dem bestens insze­nier­ten 90-Stun­den-Mara­thon haben der Haus­herr Macron und Haus­mei­ste­rin Mer­kel den Kult der Schul­den­ma­che­rei hoch hin­aus auf die über­na­tio­na­le Gemein­schafts­ebe­ne geho­ben und in die Mogel­packung des Coro­na-Virus ver­klei­det. Die 27 Staats- und Regie­rungs­chefs haben die alten Finanz­lö­cher der Süd­eu­ro­pä­er zu kit­ten ver­sucht und den rezen­ten Sturz­flug der Kon­junk­tur­kur­ve mit Virus­phra­sen argu­men­tiert. Die Ber­ge kreiß­ten und her­aus­ge­kom­men sind Coro­na-Bonds in der astro­no­mi­schen Höhe von nicht weni­ger als 750 Mil­li­ar­den (davon 390 als geschenk­te Zuschüsse).

Bei halbleeren Staatskassen – wer hat soviel Geld?

Auf Krei­de natür­lich geht es noch eine Wei­le wei­ter, dank der Boni­tät der klei­ne­ren, fru­ga­len Län­der und in Erin­ne­rung des Wirt­schafts­wun­ders, das Deutsch­land ein­mal war, und als es noch nicht gänz­lich über­wan­dert wur­de! Daß die Neu­erschaf­fung der feh­len­den Wer­te aus Spa­ren (d. h. Kon­sum­ver­zicht), aus schöp­fe­ri­scher Verpflich­tung (d. h. Inno­va­ti­on), mit einem Wort aus Arbeit (d. h. nicht ex nihi­lo aus Papier­geld) ent­steht, dar­über wur­den nur weni­ge Wor­te ver­lo­ren. Lord John May­nard Keynes (1883–1946) – das Idol aller demo­kra­ti­schen Sozia­li­sten und Möch­te­gern­öko­no­men – gei­stert wie­der durch das nächt­li­che Euro­pa. Der näch­ste Win­ter und das Virus der App­er­zep­ti­ons­ver­wei­ge­rung (d. h. nach Hei­mi­to von Dode­rer die Wahr­neh­mung der Wirk­lich­keit zu ver­wei­gern) kom­men bestimmt wie­der. Für Arbeits­mo­ral, Krea­ti­vi­tät und Her­den­im­mu­ni­tät eines gesun­den Vol­kes braucht man kei­nen Impf­stoff. Ver­stand, Wil­le, Moral (und ein wenig Sport) sind vor­ran­gig für die Genesung.

Das größ­te Finanz- und Ret­tungs­pa­ket in der EU-Geschich­te umfaßt aber noch viel mehr Über­ra­schun­gen! Für den Haus­halts­rah­men bis 2027 sind mehr als eine gan­ze Bil­li­on: sage und schrei­be stol­ze tau­send­vier­und­sieb­zig Mil­li­ar­den und drei­hun­dert Mil­lio­nen (1.074.300.000.000) Euro vor­ge­se­hen, was auch den roma­ni­schen Staats- und Sozi­al-Regie­rungs­chefs die Augen wie­der hel­ler leuch­ten läßt. Zah­len sol­len ja die Rei­che­ren. Übli­cher­wei­se, ver­steht sich!

Mer­kel fühl­te sich sehr erleich­tert, da sie red­lich bemüht war, das Steu­er­geld ihrer Lands­leu­te ver­schen­ken zu dür­fen. A prio­ri wur­den jedoch kei­ner­lei Kon­di­tio­nen für die Mil­li­ar­den­hil­fe aus den Coro­na-Bonds defi­niert. Sie wur­de jedoch auf fei­ne, poli­tisch kor­rek­te Art als Ret­tungs­pa­ket oder Auf­bau­fonds benannt. Man ver­läßt sich auf das Augen­maß der Betrof­fe­nen im bewähr­ten Ein­ver­neh­men mit dem aller­höch­sten EU-Rat… hin­ter geschlos­se­nen Pol­ster­tü­ren. Auch klar! Über gemein­sa­me Schul­den und Gra­tis­gel­der im Detail redet man ungern in der Öffent­lich­keit. Dis­kre­ti­on über staat­li­che Geheim­nis­krä­me­rei und Halbin­for­ma­tio­nen sind in der reprä­sen­ta­ti­ven Demo­kra­tie über alles ange­bracht, damit der ein­fa­che Wahl­bür­ger dabei nicht all­zu viel wis­sen, den­ken und ledig­lich sei­ne Stim­me depo­nie­ren müs­se. Die obe­ren Zehn­tau­send der Poli­tik­aster rich­ten schon alles im Schul­den­faß ohne Boden – über unse­re Köpfe.

Die ver­trag­lich fest­ge­leg­te Schul­den­quo­te deut­lich unter 60 % des jewei­li­gen Brut­to-Inlands­pro­dukts wird nur von den klei­ne­ren Län­dern wie den Nie­der­lan­den, Mal­ta, Luxem­burg, den Bal­ti­schen Staa­ten, von den tüch­ti­gen Schwe­den und Dänen sowie von jenen fru­ga­len, ehe­ma­li­gen Ost­block­län­dern ernst­ge­nom­men wie Polen, Tsche­chi­en, Slo­wa­kei, aber auch von dem hart um Wohl­stand rin­gen­den Ungarn und Kroa­ti­en, die allem Anschein nach den Fleiß und den Spar­sinn einer üppi­gen Liber­ti­na­ge vorziehen.

Aus dem Krei­se der soge­nann­ten Wirt­schafts- und Sozi­al­wis­sen­schaf­ten hat allein die Betriebswirtschafts­lehre ethisch genü­gend fun­dier­te Grund­sät­ze wie die Ehre eines ordent­li­chen Kauf­man­nes und so ver­läß­li­che, soli­de, greif­ba­re Werk­zeu­ge wie die Bilan­zen der dop­pel­ten Buch­hal­tung. „Poli­tik ist – nach Otto von Bis­marck – die Kunst des Mög­li­chen“, unter Wah­rung unum­stöß­li­cher Prin­zi­pi­en und Kar­di­nal­tu­gen­den, wür­de ich gern hinzu­fügen, und ist damit eigent­lich ein Fach der Phi­lo­so­phie. Eine rei­ne Poli­to­lo­gie ist eine so mage­re Ange­le­gen­heit wie die rei­ne Rechts­leh­re, da sie außer Sta­ti­sti­ken und Dem­ago­gie kei­ne Stüt­zen haben. So kön­nen sie aber nur Gum­mi­pa­ra­gra­phen, in jeder Hin­sicht nur höchst unprä­zi­se Resul­ta­te lie­fern. Sie degra­die­ren die Poli­ti­sche Öko­no­mie zu einer Pseu­do­wis­sen­schaft, wel­che über den epi­ste­mo­lo­gi­schen Sta­tus quo der Kli­ma­to­lo­gie, der Meteo­ro­lo­gie, der Volks­kun­de oder der Sozio­lo­gie kaum hinausreicht.

«Wealth of Nations»

Heu­te wird der Wohl­stand der Natio­nen auf den Spu­ren von Adam Smith (1776) mit dem Begriffs­paar BIP & BNE gemes­sen, die sich jedoch nie exakt ermit­teln las­sen. Bei­de sind sta­ti­sti­sche Hilfs­grö­ßen, die eine täg­lich wan­del­ba­re, kom­ple­xe Rea­li­tät nur unscharf ablich­ten kön­nen. Man­gels eines bes­se­ren wer­den sie übli­cher­wei­se den­noch flei­ßig stra­pa­ziert, da sie der Grö­ßen­ord­nung nach doch eine ver­meint­li­che, vage Rich­tung anzeigen:

  • Das Brut­to-Inlands­pro­dukt (BIP) /​ engl. Gross Dome­stic Pro­duct zu Markt­prei­sen ist ein sta­ti­sti­sches Maß für die gesam­te Lei­stung einer Volks­wirt­schaft. Damit wird der Gesamt­wert aller Waren und Dienst­leistungen gemes­sen, die inner­halb eines Jah­res und inner­halb der Lan­des­gren­zen her­ge­stellt wur­den. Die lan­gen Schat­ten der Schwarz­märk­te wer­den mit­ge­schätzt und gerun­det. Zur Bemes­sung die­ses Gesamt­wertes sind nur Güter her­an­zu­zie­hen, die dem End­ver­brauch die­nen. Fer­tig pro­du­zier­te Güter auf Lager, wer­den als Ver­än­de­rung des Vor­rats berücksichtigt.
  • Das Brut­to-Natio­nal­ein­kom­men (BNE) /​ engl. Gross Natio­nal Inco­me ist dage­gen die Sum­me aller inner­halb eines Jah­res von Inlän­dern eines Staa­tes erwirt­schaf­te­ten Ein­kom­men, unab­hän­gig davon, ob die­se im Inland oder im Aus­land erzielt wurden.

Es ist also all­zu ambi­ti­ös, sol­che Daten­ber­ge regio­nal, kon­ti­nen­tal oder gar welt­weit ermit­teln zu kön­nen. Das Euro­pa­par­la­ment ver­langt jeden­falls einen Bud­get­bei­trag von ihren Mit­glie­dern im Aus­maß von 1,3 % des BNE. Die zah­lungs­kräf­tig­sten Net­to­zah­ler, die ins EU-Bud­get mehr ein­zah­len, als sie in Form von Sub­ven­tio­nen her­aus­krie­gen kön­nen (also vor allem die Nie­der­län­der, Dänen, Schwe­den, denen sich auch Öster­reichs win­di­ger, nicht all­zu wort­fe­ster jun­ger Kanz­ler ange­bie­dert hat) feil­schen nun flei­ßig um kräf­ti­ge Rabat­te vom obligatori­schen Bei­trag. Denn sooo… soli­da­risch ist wie­der­um kei­ner – nicht ein­mal Mer­kel – von ihnen, daß sie die aus­ge­fal­le­nen Brexit-beding­ten Bei­trä­ge voll über­neh­men woll­ten. Groß­bri­tan­ni­en ist mit einem Befrei­ungs­schlag buch­stäb­lich noch im letz­ten Augen­blick davon­ge­kom­men. Am Zahl­tag müß­te also ent­we­der das gemein­sa­me Bud­get ein biß­chen klei­ner wer­den oder ein ein biß­chen grö­ße­rer Rabatt für die Muster­schü­ler herausspringen.

Am Ran­de des all­ge­mei­nen Geran­gels wäre noch zu erwäh­nen, daß Ver­leum­dun­gen & Ver­fah­ren gegen die all­zu christ­de­mo­kra­ti­schen Polen & Ungarn wegen angeb­li­cher Ver­trags­ver­let­zung auf die lan­ge Bank gescho­ben wor­den sind. Mit dif­fu­sen Begrif­fen hat man die Zei­tungs­en­ten juri­stisch nicht defi­nie­ren kön­nen. Und die zahl­rei­chen Ver­trags­brü­che, die in der Brüs­se­ler EU-Zen­tra­le began­gen wer­den – sind auch ein üppi­ges Kapi­tel für sich, wobei lie­ber auch dort ein Schwamm dar­über ange­bracht sei.

Die Schul­den­quo­te bezeich­net dage­gen die immer exakt zahl­ba­re Staats­ver­schul­dung im Ver­hält­nis zum nebu­lös for­mu­lier­ba­ren Brut­to-Inlands­pro­dukt. Je nach­dem ob die Staats­aus­ga­ben die Staats­ein­nah­men über­stei­gen oder nicht, wird der Sal­do als Haus­halts­de­fi­zit oder Haus­halts­über­schuß bezeich­net. Der Staat benö­tigt Fremdkapi­tal, um sei­ne Mehr­aus­ga­ben für die in der Demo­kra­tie von Regie­ren­den peri­odisch ange­streb­te Wie­der­wahl (also das per­ma­nen­te Defi­zit für die Bestän­dig­keit der eige­nen Posi­ti­on) finan­zie­ren zu können.

Die­ses Fremd­ka­pi­tal muß­te bis dato jeder Mit­glieds­staat auf eige­ne Rech­nung und Gefahr über die Aus­gabe von Staats­an­lei­hen am Kapi­tal­markt sel­ber besor­gen. Von nun an wer­den die sozia­li­sti­schen Regie­run­gen in Rom und Madrid von Brüs­sel aus gefüttert.

Staats­an­lei­hen sind fest ver­zin­ste Wert­pa­pie­re. Die Höhe der Ver­zin­sung wird maß­geb­lich durch die Boni­tät (Kre­dit­wür­dig­keit) des Kre­dit­neh­mers bestimmt. Die Kre­dit­wür­dig­keit wird von Rating-Agen­tu­ren bein­hart ein­ge­schätzt, die den Staa­ten Boni­täts­no­ten ver­lei­hen. Je zuver­läs­si­ger der jewei­li­ge Staat ein­ge­schätzt wird, desto gerin­ger ist die Ver­zin­sung sei­ner Wert­pa­pie­re. Die neu­e­ta­blier­te Euro­päi­sche Schul­den­uni­on erle­digt all das auf Gemein­schafts­ebe­ne für die Kre­ditunwür­di­gen unter der Garan­tie der Kre­dit­wür­di­ge­ren. Ob das gut gehen kann?

«La rosca política – Das politische Gewinde»

Euro­päi­sche Schuldenunion

Wenn wir die­se tref­fen­de Kari­ka­tur von Rachel Gold 3 mit einer Rede­wen­dung aus dem argen­ti­ni­schen Spa­nisch inter­pre­tie­ren wol­len, dann könn­te sie nicht pas­sen­der die aktu­el­le Lage der Euro­päi­schen Schul­den­uni­on zusammen­fassen. Das Her­um­la­vie­ren der 27 Staats- und Regierungs­chefs hat das poli­ti­sche Gewin­de so lan­ge gedreht, bis sie ermat­tet die aus­ge­lei­er­te Ideo­lo­gie der Soli­da­ri­tät der Kunst des Mög­li­chen vor­ge­zo­gen haben.

Als Argen­ti­ni­er habe ich damit in mei­nem Leben 23 Jah­re lang schlech­te Erfah­run­gen gemacht und habe ein mul­mi­ges Gefühl bei Erin­ne­run­gen an das denk­wür­di­ge Jah­res­en­de 2001/​2002, als unter Feder­füh­rung der Poli­tik­aster eine gebil­de­te und poten­ti­ell rei­che Nati­on elend plei­te­ging. Im Jahr 2002 mach­te der Anteil der argen­ti­ni­schen Staats­ver­schul­dung in Devi­sen etwa 92 % des Brut­to-Inlands­pro­dukts aus. Ver­glei­chen wir die­se vage, aber dra­ma­ti­sche Schlüs­sel­zahl mit den Pro­zent­sät­zen in den fol­gen­den Tabel­len. Quo vadis Euro­pa? – so bleibt einem die erschrocke­ne Fra­ge in der Keh­le stecken.

Staatsverschuldung in Milliarden4 und Schuldenquoten in Relation zum BIP5

In Wor­ten: Zehn Bil­lio­nen zwei­hun­dert­fünf­zig Mil­li­ar­den drei­hun­dert­acht­zig Mil­lio­nen Euro, wobei Ita­li­en, Spa­ni­en, Frank­reich und Deutsch­land hoch oben in den Bil­lio­nen-Wol­ken schweben.

In Wor­ten: Acht­hun­dert­neun Mil­li­ar­den acht­hun­dert­fünf­zig Mil­lio­nen Euro.

In Wor­ten: Zwölf Bil­lio­nen acht­hun­dert­vier­und­acht­zig Mil­li­ar­den fünf­hun­dert­drei­ßig Mil­lio­nen Euro.


1 Eini­gung bei EU-Gip­fel „Histo­ri­scher Tag für Euro­pa“.

2 Flot­tie­ren­de Wäh­run­gen und Frei­han­del.

3 EU: Die Schlacht um die Mil­li­ar­den.

4 Staats­ver­schul­dung in der Euro­päi­schen Uni­on.

5 Staats­ver­schul­dung in der EU in Pro­zent des Brut­to­in­lands­pro­dukts.

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