
Eine Anmerkung von Giuseppe Nardi
Am vergangenen Samstag, dem 28. Juni, veröffentlichte die New York Times zwei Artikel (hier und hier), die man kaum als zufällig plazierte Routinebeiträge abtun kann. Am Vorabend des Hochfestes der Apostel Petrus und Paulus – dem äußeren Festtag des Papsttums und der sichtbaren Einheit der Ecclesia militans – rückte das US-amerikanische Leitmedium den neuen Papst ins Zentrum einer doppelten Mißbrauchsanalyse. Ist die Schonfrist zu Ende?
Die Symbolik des Veröffentlichungszeitpunkts dürfte bewußt gewählt worden sein: Gerade an dem Tag, an dem Papst Leo XIV. zum ersten Mal wieder persönlich die Pallien an neue Metropoliten verlieh – ein Ritual, das unter Franziskus in den Hintergrund getreten war und die Einheit der Kirche sub Petro besonders betont –, plazierte die New York Times eine Geschichte, die genau diese Autorität, wenn nicht in Frage stellt, so doch zumindest ankratzt.
Franziskus – geschont, Leo – unter Beobachtung?
Während Papst Franziskus über Jahre hinweg von den einflußreichen globalistischen Medien mit Samthandschuhen angefaßt wurde – man denke etwa an die auffällige Zurückhaltung im McCarrick-Skandal – ist der Ton gegenüber seinem Nachfolger spürbar kühler, analytischer, distanzierter. In beiden Artikeln wird Robert Francis Prevost, der heutige Papst Leo XIV., anhand zweier Mißbrauchsfälle aus seiner Zeit als Bischof von Chiclayo in Peru (2014–2020) bewertet: Im einen wird er für sein entschiedenes Vorgehen gegen den konservativen Sodalicio de Vida Cristiana gelobt – sogar als „Held“ der Opfer gefeiert. Im anderen Fall hingegen, der sich innerhalb seiner eigenen Diözese abspielte, wird ihm mangelnde Konsequenz und schwache Aufsicht vorgeworfen. Er habe zwar „formell nach Vorschrift“ gehandelt, was jedoch als unzureichend dargestellt wird.
Die Kontraste sind scharf: auf der einen Seite der mutige Kirchenmann, der sich gegen einen einflußreichen, konservativen Klerus stellt – auf der anderen der Administrator, unter dessen Jurisdiktion beschuldigte Priester weiterhin öffentlich zelebrieren durften. Der heutige Papst als Diözesanhirte – mal konsequent, mal zögerlich? Die New York Times gibt keine eindeutige Antwort, sondern stellt die Widersprüchlichkeit ins Zentrum.
Ambivalenz als Botschaft der New York Times
Bereits die Titelgebung deutet es an: Es geht nicht um eine Abrechnung, sondern um eine Art von Test. Die Artikel konstruieren ein ambivalentes Bild: Einmal integer, einmal zweifelhaft – ein Mann, der sich das Vertrauen erst noch verdienen müsse. Doch wessen Vertrauen? Das der Mißbrauchsopfer? Oder jenes der globalen, liberalen Eliten, deren Agenda Franziskus über weite Strecken – die bewaffneten Konflikte ausgenommen – mitvollzog? (Siehe hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier.)

Kurienbischof Marcelo Sánchez Sorondo brachte die Haltung von Leos Vorgänger 2017 wie folgt auf den Punkt, als er das bergoglianische Pontifikat mit Blick auf das globalistische Establishment lobte:
„Die Menschheit erlebt einen magischen Moment: Zum ersten Mal stimmen das Lehramt des Papstes und das der UNO überein.“
Ob eine Vereinbarkeit mit dem Lehramt der Kirche noch gegeben war, das war für Sanchez Sorondo offenbar zweitrangig.
Instrument oder Partner?
War Franziskus ein Gleichgesinnter – oder ein willkommener Hebel zur Einbindung der Kirche in eine globalistische Agenda? Die katholische Kirche mit ihrer einzigartigen, weltweit durchstrukturierten Ordnung wird von Teilen dieses Establishments primär funktional betrachtet: nützlich, solange sie der Agenda dient – lästig, sobald sie sich widersetzt.
Wie also wird Papst Leo XIV. bewertet? Die New York Times übt keine offene Feindschaft. Aber sie prüft, beobachtet, zweifelt – und sendet, mit feiner Nadel, ein Signal. Der neue Papst bewegt sich nicht mehr im Schutzraum wohlwollender Milde, sondern steht unter Vorbehalt. Der Ton ist professionell, aber kühl. Die Einladung ist deutlich: Man wird ihn messen – nicht nur an den Maßstäben der Kirche, sondern an den Erwartungen einer Agenda, die längst nicht mehr verborgen agiert.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: NYT (Screenshots)