Erstes Corona-Dokument des Vatikans – Will sich die Kirche selbst überflüssig machen?

Die „unzeitgemäßen Überlegungen“ der Päpstlichen Akademie für das Leben zur Corona-Pandemie


Mit einem Text ohne übernatürlichen Bezug legt der Vatikan das erste Dokument zum Coronavirus vor.
Mit einem Text ohne übernatürlichen Bezug legt der Vatikan das erste Dokument zum Coronavirus vor.

(Rom) Am 22. Juli ver­öf­fent­lich­te die Päpst­li­che Aka­de­mie für das Leben unter dem Vor­sitz von Kuri­en­erz­bi­schof Vin­cen­zo Paglia das Doku­ment Huma­na Com­mu­ni­tas in der Ära der Pan­de­mie: Unzeit­ge­mä­ße Über­le­gun­gen über die Wie­der­ge­burt des Lebens. Es ist das erste Doku­ment, mit dem der Vati­kan zum Coro­na-Epi­de­mie Stel­lung nimmt. Das Wort „Wie­der­ge­burt“ ist im Sin­ne von Renais­sance, einem Wie­der­auf­le­ben und Neu­be­ginn, zu ver­ste­hen und nicht das Pro­blem die­ses Doku­ments. Das liegt ganz woanders. 

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Die Päpst­li­che Aka­de­mie für das Leben war 1981 von Papst Johan­nes Paul II. mit dem Auf­trag gegrün­det wor­den, die Ver­tei­di­gung des Lebens­rechts zu för­dern, vor allem des unge­bo­re­nen Lebens. Im Som­mer 2016 ord­ne­te Papst Fran­zis­kus einen völ­li­gen Umbau und eine Neu­aus­rich­tung der Aka­de­mie an. Offi­zi­ell hieß es zwar nicht, daß sie ihre bis­he­ri­gen Auf­ga­ben ver­nach­läs­si­gen sol­le, doch genau das war die dahin­ter­ste­hen­de Absicht, indem Ziel­set­zun­gen und „Hori­zont“ von der Ver­tei­di­gung des Lebens­rechts auf das gesam­te Mensch­sein, Human­öko­lo­gie genannt, erwei­tert wurden.

Damit setz­te Fran­zis­kus um, was er im Sep­tem­ber 2013 pro­gram­ma­tisch erklärt hat­te. Die nicht ver­han­del­ba­ren Grund­sät­ze sei­en schön und gut, doch müs­se „nicht stän­dig“ davon gere­det wer­den. Fran­zis­kus mach­te der Lebens­rechts­be­we­gung, ohne die­se nament­lich zu nen­nen, den unglaub­li­chen Vor­wurf, vom Kampf gegen die Abtrei­bung „beses­sen“ zu sein. Dort ver­stand man und rich­te­te sich dar­auf ein, nur mehr bedingt auf die Stim­me des Pap­stes zäh­len zu können.

Daß es Fran­zis­kus mit sei­nen Wor­ten ernst war, zeig­te die Meta­mor­pho­se der Päpst­li­chen Aka­de­mie für das Leben. Alle bis­he­ri­gen Mit­glie­der, obwohl auf Lebens­zeit ernannt, wur­den kur­zer­hand vor die Tür gesetzt. Damit stand der Neu­be­set­zung ohne „Alt­la­sten“ aus der Ära von Johan­nes Paul II. und Bene­dikt XVI. nichts mehr im Wege. Mit der Ver­wirk­li­chung des Umbaus hat­te Fran­zis­kus Erz­bi­schof Paglia betraut, den er zum Prä­si­den­ten der Aka­de­mie ernann­te. Vom ein­sti­gen Fami­li­en­mi­ni­ster des Vati­kans ist man seit­her eini­ges gewohnt.

Es ver­wun­dert daher nicht wirk­lich, daß die „unzeit­ge­mä­ßen Über­le­gun­gen“ kei­nen Hin­weis auf die Lebens­rechts­fra­ge ent­hal­ten. Dabei ver­viel­fach­ten sich seit Aus­bruch der Coro­na-Kri­se die Initia­ti­ven der Abtrei­bungs­lob­by, die „Pan­de­mie“ zu miß­brau­chen, um die Kul­tur des Todes noch tie­fer in die Gesell­schaf­ten hin­ein­zu­tra­gen und in der Gesetz­ge­bung der ein­zel­nen Staa­ten zu ver­an­kern.

Dem Zeit­geist fol­gend ist das Lebens­recht für die Päpst­li­che Aka­de­mie für das Leben, dort wo es wirk­lich töd­lich bedroht ist, kei­ne „Über­le­gung“ wert, dabei wäre die­se wirk­lich „unzeit­ge­mäß“.

Kuri­en­erz­bi­schof Vin­cen­zo Paglia

Statt­des­sen wird in dem Doku­ment all­ge­mein und unver­bind­lich über „Fra­gi­li­tät, End­lich­keit und Ver­letz­lich­keit“ des Lebens sinniert.

Doch dem neu­en Doku­ment fehlt noch mehr: Es fehlt ihm ins­ge­samt jede über­na­tür­li­che Per­spek­ti­ve. Die­se Ver­fla­chung vati­ka­ni­scher Doku­men­te mit einer Beto­nung hori­zon­ta­ler bei gleich­zei­ti­gem Ver­zicht auf ver­ti­ka­le Aspek­te war bereits in den ver­gan­ge­nen Jah­ren fest­stell­bar. So heißt es in dem neu­en Dokument:

Die „Lek­tio­nen“, die von der Coro­na-Pan­de­mie erteilt wür­den, „för­dern einen Lebens­geist, der den Ein­satz der Intel­li­genz und des Werts der mora­li­schen Bekeh­rung erfor­dert. Eine Lek­ti­on zu ler­nen bedeu­tet, demü­tig zu wer­den, es bedeu­tet, sich zu ändern und nach Res­sour­cen von Bedeu­tung zu suchen, die bis­her ver­schwen­det, viel­leicht abge­lehnt wur­den. Wenn wir eine Lek­ti­on ler­nen, wer­den wir uns wie­der der Güte des Lebens bewußt, die uns gebo­ten wird, und set­zen eine Ener­gie frei, die über die unver­meid­li­che Erfah­rung des Ver­lusts hin­aus­geht und die aus­ge­ar­bei­tet und in den Sinn unse­rer Exi­stenz inte­griert wer­den muß. Könn­te die­se Gele­gen­heit das Ver­spre­chen eines Neu­an­fangs für die mensch­li­che Gemein­schaft sein, das Ver­spre­chen der Wie­der­ge­burt des Lebens? Wenn ja, unter wel­chen Bedingungen?“

Was ist an diesem Text katholisch?

Wor­an läßt sich an die­sem Text die katho­li­sche Hand­schrift erken­nen, die ihm eine unver­kenn­ba­re Allein­stel­lung sichert?

Medi­en berich­ten über den Text, daß der Vati­kan erneut den „Raub­bau“ des Men­schen an der Umwelt und den Res­sour­cen anklagt. Seit März beeil­ten sich etli­che hohen Prä­la­ten, jede Inter­pre­ta­ti­on, die Coro­na-Epi­de­mie als Stra­fe Got­tes zu sehen, zu ver­ur­tei­len. Das Coro­na­vi­rus sei alles mög­li­che, nur mit Gott habe es nichts zu tun. Man müs­se sich viel­mehr vor dem Virus schüt­zen, auch in den Kir­chen, und zwar so mas­siv, daß auf das Weih­was­ser und selbst auf die hei­li­ge Mes­se ver­zich­tet wer­den müsse.

Aus Rom kam als Ersatz­in­ter­pre­ta­ti­on die Erklä­rung, die „Mut­ter Erde“ als eine Art „füh­len­des Wesen“ räche sich mit dem Virus wegen der vom Men­schen began­ge­nen Schandtaten. 

Der All­mäch­ti­ge Drei­fal­ti­ge Gott soll nichts mit dem Coro­na­vi­rus zu tun haben, Gott bewah­re, doch eine offen­bar den­ken­de und zu Ent­schei­dun­gen fähi­ge Erde schon. Wur­de der christ­li­che Gott durch eine heid­ni­sche Göt­tin ersetzt? 

Papst Fran­zis­kus war es, der in einem Inter­view mit Jor­di Évo­le vom spa­ni­schen Sen­der LaSex­ta Ende März von einem „Wut­aus­bruch“ der Erde sprach, einer Erde, „die gera­de um ihr Leben stram­pelt“, wie Kath­press sei­ne Wor­te wie­der­gab. Kuri­en­erz­bi­schof Vin­cen­zo Paglia sagt im neu­en Doku­ment mit ande­ren Wor­ten dasselbe:

„Die Covid-19-Epi­de­mie hat viel mit der Zer­stö­rung der Erde und dem Abbau des ihr inne­woh­nen­den Werts zu tun. Es ist ein Sym­ptom für das Unbe­ha­gen unse­rer Erde und für unse­re Unfä­hig­keit, uns um sie zu kümmern.“

Die­se Logik kann nicht über­zeu­gen. Auch an der Päpst­li­chen Aka­de­mie für das Leben müß­te der Wider­spruch auf­fal­len, wie es dann sein kann, daß um ein Viel­fa­ches aggres­si­ve­re und töd­li­che­re Epi­de­mien im Lau­fe der Mensch­heits­ge­schich­te wüte­ten, zu Zei­ten, an denen – immer laut die­ser Logik – der Mensch weit weni­ger „räu­be­ri­schen“ Ein­fluß auf die Erde nahm. Dabei muß nicht ein­mal auf die um das Hun­dert­fa­che töd­li­che­re Spa­ni­sche Grip­pe ver­wie­sen wer­den, die vor hun­dert Jah­ren wüte­te. Wie glaub­wür­dig kann die von Erz­bi­schof Paglia mit päpst­li­cher Bil­li­gung vor­ge­leg­te The­se sein, wenn bereits die sai­so­na­le Grip­pe von 2015/​2016 mehr Tote forderte?

Huma­na Com­mu­ni­tas, das erste vati­ka­ni­sche Doku­ment zum Coronavirus

Polemische und spöttische Reaktionen

Der in Zügen irra­tio­nal anmu­ten­de Text des Doku­ment pro­vo­zier­te eini­ge pole­mi­sche und spöt­ti­sche Reak­tio­nen. Car­los Este­ban, der Chef­re­dak­teur von Info­Va­ti­ca­na, mein­te: Laut einem Ver­gleich der Sterb­lich­keits­ra­te von 2020 mit jener von 2019 schei­nen „Gaia“ und „Pacha­ma­ma“ nicht all­zu „zor­nig“ zu sein. Vor allem müs­sen sie über hell­se­he­ri­sche Fähig­kei­ten ver­fü­gen, da sie – um über­haupt auf­zu­fal­len – schon mit ein­rech­nen konn­ten, daß fak­tisch alle Regie­run­gen Radi­kal­maß­nah­men ergrei­fen und durch die ver­ur­sach­te Panik­ma­che (Fehl­be­hand­lung, Nicht­be­hand­lung ande­rer Krank­hei­ten, Selbst­mor­de) wahr­schein­lich mehr Leben auf dem Gewis­sen haben als das Virus selbst.

@Pdeclan, ein bekann­ter Prie­ster und Blog­ger des Bis­tums Cuen­ca, mein­te gestern ironisch:

„Ich bin erleich­tert zu erfah­ren, daß Viren für das ‚Unbe­ha­gen unse­rer Erde‘ ver­ant­wort­lich sind und die Schuld am Tod der India­ner durch Pocken und Masern nicht län­ger den Con­qui­sta­do­res ange­la­stet wird.“

Schwer­wie­gen­der ist, daß dem Text jeg­li­cher Bezug zum Über­na­tür­li­chen fehlt. Das wür­de man sich von einem Papier der WHO erwar­ten, aber nicht von einem Doku­ment der Päpst­li­chen Aka­de­mie für das Leben. Anders aus­ge­drückt: Der Text könn­te von Ver­tre­tern irgend­ei­ner Reli­gi­on stam­men, oder irgend­ei­ner Agen­tur der UNO oder wahr­schein­lich sogar von einer frei­mau­re­ri­schen Groß­lo­ge wie dem Groß­ori­ent von Frank­reich oder von Italien.

Ein ande­rer Prie­ster und Blog­ger, Juan Manu­el Gón­go­ra (@patergongora88) brach­te es auf Twit­ter wie folgt auf den Punkt:

„Ein Doku­ment, das die ‚Kon­zep­te‘ Jesus Chri­stus, Sakra­men­te und Gebet nicht ent­hält, aber voll von gut­mensch­li­chem Mora­lin ist, kann eben­so­gut von Sor­os oder einer ‚Kom­mis­si­on für die Zer­stö­rung‘ [der Mensch­heit oder der Kir­che] stam­men. Ich bin erstaunt.“

Juan­jo Rome­ro von Info­Ca­to­li­ca schrieb:

„Es gibt in die­sem Text kei­nen geist­li­chen Bezug. Das ist Sozio­lo­gie. Wie trau­rig. Der Hei­li­ge Stuhl ver­bin­det Covid-19 nur mit ‚der Zer­stö­rung unse­rer Erde‘ aus ‚finan­zi­el­ler Gier‘.“

Liest man das Doku­ment, fällt der grund­le­gen­de Unter­schied zum Auf­ruf Veri­tas libera­bit vos einer Grup­pe von Kar­di­nä­len, Bischö­fen und Intel­lek­tu­el­len auf, der im Mai für inter­na­tio­na­les Auf­se­hen sorg­te. Man könn­te bei dem vati­ka­ni­schen Text zum Schluß gelan­gen, daß im 21. Jahr­hun­dert für den tau­send­jäh­ri­gen Glau­ben zwei Schwer­punk­te maß­geb­lich schei­nen: ein omi­nö­ser Kli­ma­wan­del und eine anzu­stre­ben­de Glo­ba­li­sie­rung durch Besei­ti­gung der Grenzen.

Dane­ben ver­blaßt die über­na­tür­li­che Wirk­lich­keit, nicht nur im Ver­ständ­nis einer gott­fer­nen Welt, son­dern offen­bar auch in dem hoch­ran­gi­ger Vati­kan­ver­tre­ter. Die von ver­schie­de­ner Sei­te seit eini­gen Jah­ren beklag­te Ten­denz, die Kir­che zu einer NGO mit spi­ri­tu­el­lem Touch zu machen, deren Akzen­te von ideo­lo­gi­schen Moden bestimmt wer­den, „ist dop­pelt besorg­nis­er­re­gend“, so Car­los Esteban: 

„Weil die Glau­bens­in­hal­te ent­leert und die Insti­tu­ti­on umge­wan­delt wird in längst Bestehen­des, also Überflüssiges.“

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vati​can​.va/​V​a​t​i​c​a​n​N​ews (Screen­shots)

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Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

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