
(Rom) An der Päpstlichen Akademie für das Leben, gegründet 1994 unter Papst Johannes Paul II., um das Lebensrecht in all seinen Phasen, besonders der ungeborener Kinder zu verteidigen, bleibt kein Stein über dem anderen. Papst Franziskus entledigt sich auch auf institutioneller Ebene störender Hindernisse für den Dialog mit dem Mainstream.
Die Kurienreform mit Nebenwirkungen
Katholisches.info berichtete am 18. November 2016 über den „Umbau der Päpstlichen Akademie für das Leben – Mitgliedsstand wird zum Jahresende auf Null gesetzt“. Gelegenheit zum Kahlschlag im Bereich der „nicht verhandelbaren Werte“, wie Papst Benedikt XVI. es formuliert hatte, bot die Kurienreform, die sich Papst Franziskus auf die Fahne geschrieben hat.
Mit der Auflösung des Päpstlichen Rats für die Familie, dessen Aufgabenbereiche in das neuerrichtete Dikasterium für die Laien, das Leben und die Familie überführt wurde, galt es für den „arbeitslos“ gewordenen Kurienerzbischof Vincenzo Paglia eine neue Aufgabe zu finden. Paglia ist der ranghöchste Kuriale der Gemeinschaft von Sant’Egidio und war bis zum vergangenen Sommer „Familienminister“ des Heiligen Stuhls.
Papst Franziskus beauftragte ihn mit zwei neuen Aufgaben. Er wurde am 15. August 2016 zum Präsidenten der Päpstlichen Akademie für das Leben und zum Großkanzler des Päpstlichen Instituts Johannes Paul II. für Studien zu Ehe und Familie ernannt. Beide Institutionen waren von Papst Johannes Paul II. mit einem klaren Auftrag errichtet worden. Beide sollten Verteidigungswerke für das Leben, die Ehe und die Familie sein, die unter schwerem Beschuß stehen.
Zwei von Papst Franziskus ignorierte Institutionen (und Themen)
Beide Institutionen fanden unter Papst Franziskus keine Beachtung. Das Studieninstitut, ein Hort der Verteidigung des Ehesakraments, stand offenbar seinen Plänen zur Aufweichung der Unauflöslichkeit der Ehe im Weg. Obwohl am Institut die hauseigenen Experten des Heiligen Stuhls zum Thema sitzen, wurde es nicht in die Doppelsynode über die Familie eingebunden und niemand von den Experten zur Synode hinzugezogen. Ein untrügliches Indiz, wie groß die Distanz zwischen der Position des Papstes und jener des Instituts ist.

Ähnliches gilt für die Päpstliche Akademie für das Leben. Der neugewählte Papst machte kein Hehl daraus, daß für ihn – im Gegensatz zu seinen Vorgängern Paul VI., Johannes Paul II. und Benedikt XVI. – das Lebensrecht ungeborener Kinder keine Priorität darstellt. Dabei sahen seine Vorgänger darin eine der größten, weil blutigtsen Herausforderungen unserer Zeit. Das erste halbe Jahr seines Pontifikats schwieg Franziskus zum Thema Abtreibung. Als in der Kirche die Unruhe darüber zu groß wurde, nahm er in einem Gefälligkeitsinterview, das von seinem Mitbruder und engen Vertrauten, dem Jesuiten Antonio Spadaro (Civiltà Cattolica) geführt wurde, dazu Stellung. Hörbar genervt, durch interne Kritik zur Stellungnahme gezwungen zu sein, ließ er Kirche und Welt wissen, daß man „nicht dauernd“ über Themen wie die Abtreibung sprechen müsse. Das „dauernd“ bezog sich jedenfalls nicht auf ihn selbst, da er bis dahin noch gar nichts zum Thema gesagt hatte. Der Wink war eindeutig. Die Sympathien, die ihm von bestimmten politischen Kreisen und deren Medien entgegengebracht werden, sprechen eine deutliche Sprache, daß die Botschaft dort angekommen ist.
Paglias Auftrag: „Auf Papst-Kurs bringen“
Die Doppelernennung von Erzbischof Paglia vom August des Vorjahres ist mit dem Auftrag verbunden, das Studieninstitut und die Akademie, die wegen ihrer Ausrichtung von der amtierenden Kirchenführung als Fremdkörper empfunden wurden, auf Papst-Kurs zu bringen.
Paglia schritt gleich zu Taten. Beim Studieninstitut wurde der bisherige Direktor entlassen und bei der Akademie für das Leben wurden gleich alle Mitglieder vor die Tür gesetzt. Als Vorwand für die tabula rasa dienten Statutenänderungen. Paglia sprach von einer „notwendigen Erneuerung“ und gab zu erkennen, daß die Akademie vom Lebensrecht weggeführt und zu „neuen Horizonten“ hingeführt werden solle. Es brauche „neue Impulse“, so der wendige Erzbischof: Statt Einsatz gegen die „Kultur des Todes“ solle künftig eine „authentische Humanökologie“ im Vordergrund stehen. Humanökologie gilt als Fachbereich, der zwischen Sozial- und Naturwissenschaften eingeordnet ist und im Zuge der „nachhaltigen Entwicklung“ und der globalen Klimapolitik an Bedeutung gewonnen hat. Solcherweise würde die gewandelte Akademie sich in die Agenda der Klimapolitik und einer „integralen Humanität“ einfügen. Allerdings unter Ausschluß des Lebensrechts für Ungeborene.
Paglias Panegyrikus für einen Abtreibungslobbyisten
Der Vatikanist Sandro Magister erinnerte nun an den Panegyrikus, den Paglia zum Tod des radikalen Kirchenfeindes Marco Pannella, eines Lobbyisten der Zersetzung von allem, was der katholischen Kirche heilig ist. Das Lebensrecht und die Familie waren die Hauptfelder, gegen die sich Pannellas lebenslanger Kampf richtete. Er gehörte in Italien zu den Hauptorganisatoren der Kampagnen zur Legalisierung der Scheidung, der Abtreibung, der „Homo-Ehe“ und der Euthanasie (siehe Marco Pannella – der Mann, der Italien zum Schlechteren veränderte). Pannella mag außerhalb als italienische Kuriosität gelten, doch sind das politische Klima in Italien und dessen Auswirkungen auf den Vatikan nicht zu unterschätzen.
Die sinnleere Anbiederung Paglias im Gedenken an den im Mai 2016 verstorbenen Pannella fand am 17. Februar in Rom am Sitz der Radikalen Partei statt. Dabei sagte Paglia: „Der Geist von Marco helfe uns in derselben [Pannellas] Richtung zu leben“. Kurzum: Viel reden, nichts sagen, mit allen Freund sein.
In den Fußspuren von Papst Franziskus
Paglia folgte damit nur der Vorgabe von Papst Franziskus, der Marco Pannella und dessen Kampfgefährtin Emma Bonino, die sich selbst rühmte, mehr als 10.000 ungeborene Kinder getötet zu haben, ohne bisher ein Wort des Bedauerns oder der Reue gefunden zu haben, zu den „ganz Großen“ zählte. Pannella repräsentierte mit seiner Radikalen Partei Italiens nur eine politische Splittergruppe. Als Sperrspitze radikaler Ideen, die für andere an vorderster Front stand, und durch die exzellente Vernetzung, darunter mit der Freimaurerei, symbolisierte sie eine Großmacht des kirchenfernen Mainstreams. Die wirkliche Bedeutung dieser Gruppe, die sich in der Wählergunst kaum über einem Prozent bewegte, wurde an der Ernennung von Emma Bonino zur EU-Kommissarin deutlich.
Seit der Wahl von Franziskus tauschten sich Papst und Pannella gegenseitig Höflichkeiten aus. Franziskus lobte den Kirchenfeind als „ganz Großen“, Pannella ließ über Vatikansprecher Pater Federico Lombardi SJ seine „große Bewunderung“ für Franziskus ausrichten. Der Papst lobte Boninos „großes Engagement für Flüchtlinge und Migranten“ und Pannellas „Einsatz für die Gefangenen“. Was nicht ins Bild paßte, wurde von beiden Seiten unter den Teppich gekehrt.
Das hatte in der Vergangenheit noch anders ausgesehen. Gegen Papst Johannes Paul II. demonstrierten Pannella und Bonino lautstark mit der Parole: „Wojtyla go home“. Und gegen Papst Benedikt XVI. nicht minder laut mit der Parole: „No Taliban, No Vatican“.
Weder von Pannella noch von Bonino ist ein Sinneswandel inhaltlicher Art bekannt. Die Annäherung geht demnach nicht auf ihre Initiative zurück.
Leergefegte Akademie: „keine Mitteilung, kein Danke, kein Requiem“

Am 1. Januar traten die neuen Statuten der Päpstlichen Akademie für das Leben in Kraft. Mit einem kleinen Trick entledigte sich der Vatikan der Akademiemitglieder, die den Einsatz für das Lebensrecht von der Zeugung bis zum natürlichen Tod als ernstzunehmende Herausforderung und Verpflichtung verstanden. Mit einem Vorwand wurden Persönlichkeiten wie Kardinal Carlo Caffarra, einer der vier Unterzeichner der Dubia (Zweifel) zum umstrittenen nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia von Papst Franziskus, und Kardinal Willem Jacobus Eijk sowie renommierte Wissenschaftler und und verdiente Lebensrechtler wie Josef Maria Seifert und Luke Gormally vor die Tür gesetzt.
Seit dem 1. Januar ist die Akademie im wahrsten Sinne des Wortes leergefegt. Sie hat weder ordentliche noch korrespondierende noch emeritierte Mitglieder. Um zu wissen, wer einst der Akademie angehörte, muß die Verzeichnisse der ehemaligen (172) und der verstorbenen (10) Mitglieder konsultieren.
Die Entlassung der auf Lebenszeit ernannten Akademiemitglieder erfolgte moralisch zweifelhaft, so Magister:
„Mit anderen Worten: alle entlassen oder begraben. Und das ohne die geringste Vorwarnung. Keine Mitteilung, keine E‑Mail, kein Dank, kein Requiem.“
„Casting“ für neue Akademiemitglieder in Santa Marta: Humanökologen erwünscht
Damit steht die Frage im Raum, was mit der Akademie geschehen soll, und wer ihr künftig angehören wird. Paglia machte im vergangenen Herbst vage Andeutungen. Es sollten „junge Wissenschaftler“ sein, nur solche „unter 35 Jahren“, die sich mit den Bereichen „Bioethik, Humanökologie und Philosophie“ befassen.
„Das Casting hat bereits begonnen“, so Magister. Die Kandidaten werden in Santa Marta gemustert. Das werde noch „etwas dauern“, wie der Internetseite der Akademie zu entnehmen ist. Die Jahresversammlung fand bisher immer am Anfang des Jahres statt. Für 2017 ist sie erst für den 5.–7. Oktober angekündigt.
„Wegen der Komplexität des Ernennungsverfahrens der neuen Akademiker, das mit der Approbation der neuen, von Papst Franziskus gewollten Statuten notwendig wurde, ist die Durchführung der Versammlung auf den kommenden Oktober gerutscht.“
Instruktion Donum vitae kein Thema mehr – Stattdessen ein vages „Das Leben begleiten“
Die Jahresversammlung war bisher jeweils mit einer öffentlichen Tagung verbunden. Für 2017 war seit längerem eine Tagung über die Instruktion Donum vitae über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung geplant. Die Instruktion war 1987 von Kardinal Ratzinger, damals als Präfekt der Glaubenskongregation, mit Zustimmung von Papst Johannes Paul II. veröffentlicht worden. Anlaß wäre der 30. Jahrestag dieser Instruktion gewesen.

Auf der Tagung sollte, so Magister, über die „heißen Eisen“ der künstlichen Befruchtung (Leihmutterschaft für Paare, Alleinstehende oder homosexuelle Männer; Befruchtung von Lesben, alleinstehenden Frauen) und der Embryonenmanipulation gesprochen werden.
Dem radikalen Umbau der Akademie fiel jedoch auch das Tagungsthema zum Opfer. Die Instruktion Donum vitae wird nicht Tagungsgegenstand sein. Der 30. Jahrestag am vergangenen 22. Februar wurde von den Vatikanmedien, ob Osservatore Romano oder Radio Vatikan, mit Stillschweigen übergangen.
Worüber im Oktober diskutiert werden soll, ist noch nicht klar. Das veröffentlichte Tagungsthema ist vage formuliert: „Das Leben begleiten. Neue Verantwortung in der technologischen Ära“.
Das für die Tagung gewählte Symbol hilft ebensowenig dabei, den inhaltliche Ausrichtung zu verstehen. Das Symbol stammt vom Mailänder Priester Andrea Ciucci, den Paglia aus dem Päpstlichen Familienrat an die Akademie für das Leben mitnahm. Der informatikbegeisterte Ciucci „veröffentlichte im Internet ein erschreckendes, aus Zahlen gebildetes Gesicht“. Es handelt sich um eine binäre Darstellung, wie sie für die Verarbeitung digitaler Informationen gebraucht wird, wobei 1 für logisch wahr und 0 für logisch falsch steht. Ein bedrückendes Unentschieden?
Magister verweist auf die Expertenanmerkung, daß der Binärcode für Computer nur aus zwei Symbolen besteht, während der genetische Code, wenn man schon darauf anspielen wollte, nicht aus zwei Ziffern, sondern aus vier Buchstaben besteht, die dem DNS zugrundeliegenden Buchstaben A, T, C und G.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: PAV (Screenshots)