„Vatikan soll in China seinen Einfluß für Hongkongs Gefangene geltend machen“

George Weigel fordert Abrücken von der neuen Ostpolitik


Der Vatikan solle seinen Einfluß gegenüber der Volksrepublik China geltend machen, um die Gefangenen von Hongkong freizubekommen, so George Weigel.

(New York/​Rom) Der US-ame­ri­ka­ni­sche Publi­zist Geor­ge Weigel, Inha­ber des William‑E.-Simon-Lehrstuhls am Ethics and Public Poli­cy Cen­ter in Washing­ton und Bio­graph von Johan­nes Paul II., for­der­te in einem Gast­kom­men­tar der Washing­ton Post den Hei­li­gen Stuhl auf, sei­nen Ein­fluß in der Volks­re­pu­blik Chi­na für die Frei­las­sung der poli­ti­schen Gefan­ge­nen von Hong­kong gel­tend zu machen.

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Die libe­ra­le Tages­zei­tung unter­stützt die Amts­füh­rung von Papst Fran­zis­kus, den­noch druck­te sie den Gast­kom­men­tar über die Abschnü­rung der Demo­kra­tie in Hong­kong durch die kom­mu­ni­sti­schen Macht­ha­ber in Peking und über die Hal­tung des Vati­kans dazu. 

Geor­ge Weigel, Grün­der der James Madi­son Foun­da­ti­on, Trä­ger des vom Papst ver­lie­he­nen Ehren­kreu­zes Pro Eccle­sia et Pon­ti­fi­ce und Mit­glied des wis­sen­schaft­li­chen Bei­rats der Vic­tims of Com­mu­nism Memo­ri­al Foun­da­ti­on, wur­de vom päpst­li­chen Umfeld und nahe­ste­hen­den Medi­en wie­der­holt als „Geg­ner” von Papst Fran­zis­kus genannt.

Das jüng­stes Buch Wei­gels, „The Next Pope” (Der näch­ste Papst), das Anfang Juli auch in deut­scher Über­set­zung in den Buch­han­del kam, trägt nicht dazu bei, die­se Krei­se mil­der zu stimmen.

In sei­nem Gast­kom­men­tar für die Washing­ton Post macht Weigel gestern auf die Lage in Hong­kong auf­merk­sam. Gleich der erste Satz kann, muß aber nicht als Kri­tik in Rich­tung San­ta Mar­ta gele­sen wer­den. Wäh­rend die demo­kra­ti­sche Welt dar­über nach­den­ke, so Weigel, wel­che Maß­nah­men gegen die wach­sen­de Repres­si­on in Hong­kong ergrif­fen wer­den soll­ten, sei jemand davon abge­kop­pelt, der sich aber wirk­sam ein­brin­gen könn­te. Der Autor nennt Fran­zis­kus im gan­zen Arti­kel nicht beim Namen. Er beschränkt sich, vom „Hei­li­gen Stuhl” zu spre­chen. Mög­li­cher­wei­se war das, wegen sei­nes Rufs, eine Bedin­gung der Zei­tung. Viel­leicht wähl­te Weigel die­se Form auch selbst, um sei­nem Anlie­gen mehr Gewicht zu verleihen.

Papst Johan­nes Paul II. sei in der Ver­tei­di­gung der grund­le­gen­den Men­schen­rech­te uner­schüt­ter­lich gewe­sen, so sein Bio­graph. Genau die­se Hal­tung sei auch jetzt gefor­dert, was jedoch „eine Neu­ju­stie­rung der jüng­sten Poli­tik des Hei­li­gen Stuhls gegen­über Chi­na erfordert”.

Das neue Buch von Geor­ge Weigel

Das Ziel des Vati­kans sei die Auf­nah­me offi­zi­el­ler diplo­ma­ti­scher Bezie­hun­gen zwi­schen Rom und Peking. Um die­ses Ziel zu errei­chen, set­ze der Hei­li­ge Stuhl – gemeint ist der Hei­li­ge Stuhl unter Papst Fran­zis­kus, der jedoch der Unge­nann­te bleibt – auf eine wei­che Hal­tung, nach­dem alle bis­he­ri­gen Ver­su­che erfolg­los geblie­ben waren. Der Vati­kan ver­spre­che sich, so Weigel, soll­te es nun gelin­gen, eine deut­li­che Stär­kung sei­ner Posi­ti­on in den Gre­mi­en und Krei­sen, in denen über die gro­ßen inter­na­tio­na­len Fra­gen ent­schie­den wird. Der „Enthu­si­as­mus”, mit dem vom Vati­kan der neue Weg zur Errei­chung die­ses Ziels beschrit­ten wird, habe bei vie­len für Erstau­nen und Irri­ta­ti­on gesorgt, denn schließ­lich gebe es eine histo­ri­sche Erfah­rung mit die­sem Weg.

„Die geschei­ter­te Ost­po­li­tik des Vati­kans in Mit­tel- und Ost­eu­ro­pa in den 60er und 70er Jah­ren führ­te nur dazu, die katho­li­schen Gemein­schaf­ten der Orts­kir­chen zu läh­men und zu demo­ra­li­sie­ren, wäh­rend der Vati­kan bis in die Tie­fe von kom­mu­ni­sti­schen Geheim­dien­sten durch­drun­gen wurde.”

Genau das­sel­be wie­der­ho­le sich heu­te, so Weigel. Kon­kret zei­ge sich das an dem vor zwei Jah­ren unter­zeich­ne­ten Geheim­ab­kom­men über die Bischofs­er­nen­nun­gen. Obwohl das Abkom­men nach wie vor geheim ist, wur­de genug bekannt, um zu wis­sen, daß das Nomi­nie­rungs­recht an die chi­ne­si­schen Macht­ha­ber abge­tre­ten wur­de. Die­se haben ihrer­seits die Zustän­dig­keit für Reli­gi­ons­fra­gen vom Staat auf die Par­tei über­tra­gen. Das bedeu­tet, so der Autor, daß die Kom­mu­ni­sti­sche Par­tei Chi­nas die katho­li­schen Bischö­fe nomi­niert, wäh­rend der Vati­kan (Papst Fran­zis­kus bleibt unge­nannt) die vor­ge­schla­ge­nen Kan­di­da­ten nur ableh­nen oder akzep­tie­ren kann.

Für die bedrücken­de Situa­ti­on der Gläu­bi­gen änder­te sich mit dem Abkom­men hin­ge­gen nichts. Die Kom­mu­ni­sten schrän­ken lau­fend die reli­giö­se Frei­heit ein und ver­su­chen die Kir­che für ihre Zwecke zu gebrau­chen. Die „Sini­sie­rungs­ver­su­che” des Regimes gegen­über den kirch­li­chen Gemein­schaf­ten wur­de seit­her noch ver­stärkt. Sie sol­len ein­ge­spannt wer­den, die Leh­ren von Chi­nas mäch­ti­gem Mann Xi Jin­ping zu ver­brei­ten. Die Got­tes­häu­ser sind wei­ter­hin Ziel­schei­be staat­li­cher Ein­grif­fe. Es kommt nach wie vor zur Zer­stö­rung von Kir­chen, Klö­stern und Andachts­stät­ten und zur Ent­fer­nung christ­li­cher Sym­bo­le aus der Öffentlichkeit.

Wozu das Regime fähig ist, zei­ge, so Weigel, die schreck­li­che Ver­fol­gung von einer Mil­li­on mus­li­mi­scher Uigu­ren in Xin­jiang mit Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern, Zwangs­ste­ri­li­sie­run­gen und ande­ren Ter­ror­me­tho­den, die an die Nazi­zeit erin­nern würden.

Der Vati­kan sol­le des­halb sei­nen Ein­fluß gel­tend machen, so Weigel, wenn im Sep­tem­ber die Ver­hand­lun­gen über eine Ver­län­ge­rung des Geheim­ab­kom­mens begin­nen wer­den. Es bestehe kein Zwei­fel, so der Autor, daß Peking die­se Ver­län­ge­rung wünscht, „und sei es nur, um die Fas­sa­de einer gewis­sen Reli­gi­ons­frei­heit in Chi­na auf­recht­zu­er­hal­ten und den inter­na­tio­na­len Druck auf das Regime zu mildern.”

Das sei für die Diplo­ma­ten des Vati­kans eine Gele­gen­heit, Druck auf Peking aus­zu­üben, zum Bei­spiel, so Weigel, damit die „fal­schen Anschul­di­gun­gen” gegen den Hong­kon­ger Medi­en­ma­gna­ten Jim­my Lai und ande­re zurück­ge­nom­men wer­den”, die im Zuge der chi­ne­si­schen Repres­si­on in Hong­kong erho­ben wurden.

Das neue Sicher­heits­ge­setz, das vom kom­mu­ni­sti­schen Regime wider­recht­lich auf Hong­kong aus­ge­dehnt wur­de, dien­te dazu, poli­ti­sche Akti­vi­sten, dar­un­ter Lai, zu ver­haf­ten, des­sen Tages­zei­tung ein füh­ren­des Organ für die Ver­tei­di­gung der Frei­heit war. Lai stand in der ersten Rei­he bei den Kund­ge­bun­gen zugun­sten der Demo­kra­tie, die im ver­gan­ge­nen Jahr statt­fan­den. Lai, der im Dezem­ber 72 wird, könn­te im Gefäng­nis ster­ben, wenn er auf die­sel­be Art abge­ur­teilt wer­de, wie er beschul­digt wurde.

„Lai ist Katho­lik und ein Ver­tei­di­ger der Kir­che”, so Weigel. Sei­ne Schuld ist es, für die Presse‑, Ver­samm­lungs- und Reli­gi­ons­frei­heit ein­ge­tre­ten zu sein.

Der Hei­li­ge Stuhl habe die Mög­lich­keit, sein Gewicht gegen­über sei­nen chi­ne­si­schen Ver­hand­lungs­part­nern gel­tend zu machen zugun­sten der Pres­se­frei­heit in Hong­kong, eines Endes des Geno­zids gegen die Uigu­ren, des Endes der Ver­fol­gung der pro­te­stan­ti­schen Haus­kir­chen, der Falun-Gong-Anhän­ger und der tibe­ti­schen Buddhisten.

„Die ein­zi­ge Macht, die der Vati­kan in der Poli­tik des 21. Jahr­hun­derts besitzt, ist die mora­li­sche Auto­ri­tät, die er aus der direk­ten Ver­tei­di­gung der Men­schen­rech­te für alle bezieht.” Die­se Ver­tei­di­gung spiel­te eine wich­ti­ge Rol­le beim weit­ge­hend fried­li­chen Zusam­men­bruch des euro­päi­schen Kom­mu­nis­mus 1989. Die vati­ka­ni­sche Diplo­ma­tie soll­te dar­aus ihre Leh­ren zie­hen für ihre Schrit­te mit Chi­na, „vor allem im Fall Lai”, so Weigel.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Washing­ton Post (Screen­shot)

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