(Rom) Jüngst enthüllte der Vatikanist Sandro Magister, daß der am 10. Januar überraschend verstorbene Kardinal George Pell der Autor jener aufsehenerregenden Denkschrift ist, die im Frühjahr 2022 unter dem Pseudonym Demos im Kardinalskollegium verbreitet wurde und in Santa Marta für Unruhe sorgte. Die Denkschrift, eine vernichtende Kritik am Pontifikat von Papst Franziskus, gilt heute als Vermächtnis des australischen Kardinals. Die Enthüllung ließ andere Medienvertreter sich daran erinnern, daß Sandro Magister in der Vergangenheit schon mehrfach ähnliche Enthüllungen gemacht hatte. Nun legte er selbst eine Liste vor. Sie enthält sieben Dokumente, die es lohnt, sich noch einmal anzuschauen.
Die Auflistung kann aber nicht beginnen, ohne daran zu erinnern, daß Sandro Magister, Vatikanist des linken Wochenmagazins L’Espresso, des italienischen Pendants zum deutschen Spiegel, aufgrund seines Dienstalters und seines Renommees als faktischer Doyen der Vatikanisten gelten kann. In Santa Marta sah man das anders, sodaß Magister im Pontifikat von Papst Franziskus im Juni 2015 nach 41 Dienstjahren die Akkreditierung des vatikanischen Presseamtes entzogen wurde. Der Vatikan begründete die drastische Maßnahme – die an den Ausschluß des deutschen Journalisten Boris Reitschuster von der Bundespressekonferenz erinnert – damit, daß Magister den Entwurf zur Öko-Enzyklika Laudato si’ veröffentlicht habe, die, obwohl schon gedruckt, wegen Nachbesserungen wieder eingestampft worden war. In Wirklichkeit war einer der einflußreichsten Kritiker des Pontifikats von Papst Franziskus vor die Tür gesetzt worden. Nach Solidarisierungen und Interventionen von Kollegen zu seinen Gunsten erhielt Magister die Akkreditierung nach einem halben Jahr wieder zurück. Ob das auch bei Boris Reitschuster der Fall sein wird, um beim Vergleich zu bleiben, muß sich erst noch zeigen. Dessen Ausschluß dauert nun schon seit März 2022 an.
Was Magisters Enthüllungen betrifft, so schreibt er selbst heute auf seinem Blog Settimo Cielo:
„In der Tat gibt es mindestens sieben Dokumente von einiger Bedeutung, bei denen ich in den vergangenen zwanzig Jahren das Geheimnis gebrochen habe. Nur zwei von ihnen habe ich ‚vom Vatikan erhalten‘. Und auf jeden Fall hat das nichts mit den gestohlenen Papieren ganz anderer Art zu tun, die Anlaß für die ‚Vatileaks‘-Prozesse waren.“
Da er ein Interesse der Öffentlichkeit daran annimmt, um welche sieben Dokumente es sich dabei handelte, präsentiert er sie erneut und auch die Umstände, wie es zu ihrer Veröffentlichung kam.
1
Das erste der sieben Dokumente ist eine Richtliniennote, die Joseph Kardinal Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation 2004 an die Bischöfe der USA zur Frage der Kommunionspendung an katholische Abtreibungspolitiker geschickt hatte. Magister schreibt dazu:
„Die Leitung der US-Bischofskonferenz, in der Kardinal Theodor McCarrick großen Einfluß hatte, mochte diese Note überhaupt nicht und hielt sie unter Verschluß, aber einer der wenigen amerikanischen Bischöfe, die sie in Händen hatten, schickte sie mir. Ich habe sie veröffentlicht und später erfahren, daß Ratzinger davon begeistert war.“
2
Die zweite Enthüllung betrifft ein Dokument, das 2008 auf Kreta von einer gemeinsamen katholisch-orthodoxen Kommission verfaßt worden war, die eine Bestandsaufnahme möglicher Konvergenzen zwischen der West- und der Ostkirche zum Primat des Papstes vornahm.
„Das Dokument war vertraulich, wurde mir aber im Januar 2010 vom Patriarchat von Konstantinopel zugesandt, und ich habe es am 25. desselben Monats, dem letzten Tag der Gebetswoche für die Einheit der Christen, veröffentlicht. Kardinal Walter Kasper, der damalige Vorsitzende des Päpstlichen Rates für die Ökumene, vermutete, daß ich das Dokument unrechtmäßig aus den vatikanischen Büros entwendet hatte. Dies war jedoch nicht der Fall.“
Der Dialog zwischen den beiden Seiten scheiterte schließlich vor allem an der mangelnden Bereitschaft des Moskauer Patriarchats, das bereits einen anderen historischen Primat neben dem von Rom, nämlich den innerorthodoxen von Konstantinopel, ablehnte.
„Dieses Dokument ist jedoch nach wie vor wichtig, weil es den bisher am weitesten fortgeschrittenen Punkt der Einigung zwischen Katholizismus und Orthodoxie in der höchst umstrittenen Frage des päpstlichen Primats markiert.“
Magisters Anmerkung gilt für die Jetztzeit, denn bereits 1439 war auf dem Konzil von Florenz die Kirchenunion von Ost- und Westkirche erreicht und schon unterzeichnet worden. Auch die Primatsfrage wurde damals gelöst. Widrige politische Umstände, die Eroberung Konstantinopels durch die Muslime und Befürchtungen des Großfürsten von Moskau, dadurch Polen und Litauen zu stärken, verhinderten die Umsetzung der erzielten Einigung.
3
Das dritte Dokument ist die Enzyklika Laudato si’ von Papst Franziskus. Die Vorstellung mit großem Pomp war für Donnerstag, den 18. Juni 2015, angekündigt worden. Doch drei Tage zuvor veröffentlichte die Internetseite von L’Espresso die gesamte Enzyklika von zweihundert Seiten.
„Das ist richtig. Doch auch ich fand sie plötzlich vor mir auf dem Bildschirm, ‚von wer weiß woher‘, schrieb ich auf meinem Blog Settimo Cielo. Es war der damalige Chefredakteur von L’Espresso, Luigi Vicinanza, der den Text der Enzyklika im voraus aus einer mir noch unbekannten Quelle erhalten hatte. Natürlich beschloß er, ihn zu veröffentlichen, und bat mich, einige Zeilen zur Einführung zu schreiben. Dies brachte mir die öffentliche Mißbilligung des damaligen Leiters des vatikanischen Presseamtes, Pater Federico Lombardi, und einige Stunden später meinen Ausschluß aus demselben Pressesaal ein.“
4
„Das vierte Dokument habe ich im Oktober desselben Jahres 2015 veröffentlicht, als ich noch im Exil war (meine Wiederaufnahme in den Pressesaal des Vatikans erfolgte im Dezember). Und es ging in die Geschichte ein als ‚der Brief der 13 Kardinäle‘.“
Der Veröffentlichung war ein Artikel in der Tageszeitung La Stampa vorausgegangen, der von Andrea Tornielli, damals Hofvatikanist von Papst Franziskus und heute Hauptchefredakteur aller Vatikanmedien, gezeichnet war mit der Überschrift: „Gelenkte Synode, die Anklage von 13 Prälaten. Der Papst antwortet: ‚Schluß mit dem Corpsgeist‘.“
Das war am 8. Oktober. Die zweite Phase der Familiensynode hatte gerade begonnen, und Tornielli berichtete, daß 13 Synodenväter am 5. Oktober bei Papst Franziskus gegen eine „gelenkte Synode“ protestiert hatten, darunter auch Kardinal George Pell, der als „der härteste“ bezeichnet wurde. Franziskus antwortete den „Verschwörern“, so Torniellis Wortwahl, am nächsten Morgen in der Synodenaula, ohne genau zu sagen, auf wen er anspielte. Danach herrschte Stille.
„Einige Tage später übergab mir der vertrauenswürdige Mitarbeiter eines englischsprachigen Kardinals, der zu den 13 gehörte, den Text ihres Schreibens an den Papst und die Liste der Unterzeichner.
Ich habe den Brief und die Namen am 12. Oktober veröffentlicht. Aufgrund der Reaktionen stellte sich jedoch bald heraus, daß der Text des von mir wiedergegebenen Schreibens nicht die Endfassung war, sondern der vorletzte Entwurf, der in der Phase der Unterschriftensammlung unter den Kardinälen zirkulierte, mit einigen zusätzlichen Zeilen im Vergleich zu dem Schreiben, das dann dem Papst tatsächlich übergeben wurde. Und selbst in der von mir vorgelegten Liste der Unterzeichner waren einige Namen zuviel als die, die das Schreiben tatsächlich unterzeichnet hatten, während andere fehlten.“
Der Vatikanist Gerard O’Connell trug dank seiner Quellen in der New Yorker Jesuitenzeitschrift America zur Anpassung der Unterzeichnerliste bei.
„Tatsache ist, daß am Ende die Namen von 11 der 13 unterzeichnenden Kardinäle mit Sicherheit bekannt und veröffentlicht waren. Was den Text des Briefes betrifft, so gilt, was einer von ihnen, der Venezolaner Jorge L. Urosa Savino, sagte: ‚Der von Magister veröffentlichte Text ist korrekt, abgesehen von einem kleinen Punkt, wo der Vergleich mit den protestantischen Kirchen gemacht wird‘. Um genau zu sein, wurde im endgültigen Text der Punkt gestrichen, in dem der Papst davor gewarnt wurde, auch im katholischen Bereich ‚den Zusammenbruch der liberalen protestantischen Kirchen in der Neuzeit zu wiederholen, der durch die Aufgabe von Schlüsselelementen des christlichen Glaubens und der christlichen Praxis im Namen der pastoralen Anpassung beschleunigt wurde‘.“
Die elf gesicherten der ingesamt dreizehn Unterzeichner waren (die mit einem Kreuz sind inzwischen verstorben):
- Carlo Kardinal Caffarra +
- Thomas Kardinal Collins
- Daniel Kardinal DiNardo
- Timothy Kardinal Dolan
- Willem Kardinal Eijk
- Gerhard Kardinal Müller
- Wilfrid Fox Kardinal Napier
- John Kardinal Njue
- George Kardinal Pell +
- Robert Kardinal Sarah
- Jorge Kardinal Urosa Savino +
5
Das fünfte Dokument in dieser Reihe sind die berühmten Dubia (Zweifel) zum umstrittenen nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia, die Papst Franziskus 2016 von vier Kardinälen vorgelegt wurden und vor allem die Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene betreffen.
„Als der Papst mehr als zwei Monate lang nicht darauf geantwortet hatte, beauftragten mich die vier Kardinäle mit der mehrsprachigen Veröffentlichung des Dokuments, die am 14. November erfolgte.“
Die vier Kardinäle waren Walter Brandmüller, Raymond Burke, Carlo Caffarra und Joachim Meisner. Die beiden letzteren sind im darauffolgenden Jahr verstorben, ohne eine Antwort des Papstes zu erhalten. Diese erfolgte bis heute nicht.
6
Das sechste Dokument ist der Brief, den der zurückgezogen im Kloster Mater Ecclesiae lebende vormalige Papst Benedikt XVI. am 7. Februar 2018 an Dario Edoardo Viganò, den damaligen Präfekten des vatikanischen Kommunikationssekretariats der vatikanischen Medien, schrieb (nicht zu verwechseln mit dem ehemaligen Apostolischen Nuntius Erzbischof Carlo Maria Viganò). Darin lehnte er die Bitte ab, ein Vorwort mit Lobpreisungen zu einer Reihe von elf kleinen Bänden über das theologische und philosophische Denken von Papst Franziskus zu schreiben, die von verschiedenen Autoren verfaßt wurden, darunter vom deutschen Theologen Peter Hünermann, einem langjährigen Gegner des Theologen Ratzinger, und vom Jesuitenkünstler P. Marko Ivan Rupnik, „dessen beklagenswertes Verhalten erst Jahre später ans Licht kam, aber damals noch einen tadellosen Ruf genoß und Viganòs eigener geistlicher Begleiter war“.
„Bei der Vorstellung der Broschüren vor der Presse am 12. März las Dario Viganò drei Absätze und die Grüße aus dem Brief des gewesenen Papstes vor und erweckte dabei den Eindruck, als habe er alles vorgelesen.“
In der Pressemitteilung des Vatikans stand dann aber nur ein Teil des Vorgelesenen. Die Medien verwiesen in ihrer Berichterstattung mit Nachdruck auf die „tiefe philosophische und theologische Bildung“ von Franziskus und die „innere Kontinuität zwischen den beiden Pontifikaten“, die ihm Benedikt XVI. attestiert habe.
Magister besorgte sich darauf den Tonbandmitschnitt von Viganòs Pressekonferenz und transkribierte wortwörtlich, was er aus dem Brief vorgelesen hatte und veröffentlichte damit erstmals das „scharfe ‚Nein‘“ Benedikts zu Viganòs Ansinnen, Papst Franziskus zu seinem fünften Thronjubiläum eine Ehrerbietung seines Vorgängers präsentieren zu können und auch zu den elf kleinen Bänden und ihrer Theologie.
„Schon bald wurde anhand von Fotos des vom Vatikan manipulierten Briefes (siehe oben) und der Nachforschungen von Nicole Winfield von Associated Press klar, daß etwas anderes in Benedikts Schreiben gestanden haben muß. Ich habe den Inhalt des Briefes von einer Quelle erfahren, die den gesamten Brief gesehen hat, und ihn zusammenfassend wiedergegeben, einschließlich der darin enthaltenen polemischen Bezugnahme Ratzingers auf Hünermann. Daraufhin gab das vatikanische Kommunikationsbüro auf und veröffentlichte den vollständigen Text von Benedikts Brief.“
Dario Viganò, der den Brief manipuliert hatte, mußte wegen des „Lettergate“ als Präfekt des Kommunikationssekretariats seinen Hut nehmen, wurde allerdings von Papst Franziskus, der ihn berufen hatte, nicht fallengelassen, sondern als Berater eben desselben Kommunikationssekretariats wieder eingestellt – seither allerdings mit der Auflage, im Hintergrund zu bleiben.
7
Das siebte und letzte Dokument in der Reihe, „dessen wahren Autor ich zu Lebzeiten geheimgehalten habe“, ist das Memorandum von Kardinal George Pell, das in den vergangenen Tagen wegen seiner scharfen Kritik am Pontifikat von Papst Franziskus viel Aufsehen erregte.
„Ich habe es am 5. März 2022 direkt aus den Händen des Kardinals erhalten, um es unter dem Pseudonym ‚Demos‘ zu veröffentlichen.“
Dies geschah auf Magisters Blog Settimo Cielo am 12. März des vergangenen Jahres. Am 11. Januar, einen Tag nach Kardinal Pells Tod, enthüllte Magister dessen Autorenschaft.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL/Settimo Cielo (Screenshots)
Eine gute und detaillierte Dokumentation von der Vorgeschichte und den Aktionen um 7 Geheimdokumente.
Sandro Magister und die mahnenden Kardinäle kommen dabei gut weg.
Die Entourage in der Domus Santa Marta und PFranziskus stehen da natürlich als Murkser und Trickser da, und wohl nicht einmal, sondern immer wieder.
Das eigentlich Störende, stark Irritierende, ja fundamental Ungute ist etwas anderes:
PFranziskus und seine Camarilla geben gezielt Ärgernis, lädieren die katholische Lehre, erniedrigen gezielt und coram publico anständige und treue Katholiken, machen es teils selbst öffentlich und minimalisieren den höflichen Protest.
Und dann wird pseudo-unkontrolliert die mehr oder weniger abscheuliche Wahrheit an die Öffentlichkeit, und ein mediales Theater veranstaltet.
Der Agens (Täter) hier: PFranziskus kann sich dann als Opfer fühlen und kann sich selbst als Märtyrer sehen.
Und dann sogleich sich selbst bestätigen und autoritär und diktatorial seine Macht zu zeigen.
Das ist in der Psychiatrie gut bekannt: Persönlichkeitsstörungen.
Solche Personen umgeben sich gerne mit Ja-Sagern, mit Manipulatoren, mit Murksenden.
Es ist leider nicht behandelbar (fälschlicherweise als „beratungsresistent“ umschrieben, wobei sie nie Rat suchen und darauf allergisch reagieren), und es führt in Organisationen/Gremien/Firmen zu heilloser Verwirrung.
Wenn schon nicht „non compos mentis“, dann doch getrieben von einem sehr dunklen ungutem Geist.
Andererseits finden sich in den Dokumenten Anklagepunkte, mit denen sie vor dem göttlichen Richter stehen werden.