Was denkt Papst Franziskus wirklich? – Eine Spurensuche

Seine Begegnungen mit den Jesuiten


Papst Franziskus trifft sich bei jeder Auslandsreise mit der örtlichen Jesuitengemeinschaft. Gibt das Kirchenoberhaupt bei diesen Gelegenheit am ehesten zu erkennen, was es wirklich denkt?
Papst Franziskus trifft sich bei jeder Auslandsreise mit der örtlichen Jesuitengemeinschaft. Gibt das Kirchenoberhaupt bei diesen Gelegenheit am ehesten zu erkennen, was es wirklich denkt?

(Rom) Was denkt Papst Fran­zis­kus wirk­lich? Die­se Fra­ge beschäf­tigt vie­le, da es oft scheint, als sei Fran­zis­kus ein Papst der Wider­sprüch­lich­kei­ten. Dabei scheint ihm selbst dar­an gele­gen zu sein, sich nicht in die Kar­ten schau­en zu las­sen. Der Fra­ge ging nun San­dro Magi­ster, der eigent­li­che Doy­en der Vati­ka­ni­sten, nach und leg­te eine Zusam­men­stel­lung von Aus­sa­gen des regie­ren­den Pap­stes vor, die er hin­ter ver­schlos­se­nen Türen gegen­über sei­nen Mit­brü­dern im Jesui­ten­or­den tätig­te. Bei jeder Aus­lands­rei­se setzt Fran­zis­kus ein Tref­fen mit der ört­li­chen Jesui­ten­ge­mein­schaft auf das Pro­gramm. Zusam­men­fas­sun­gen der Begeg­nun­gen wer­den nach­träg­lich von sei­nem engen Ver­trau­ten P. Anto­nio Spa­da­ro in der römi­schen Jesui­ten­zeit­schrift La Civil­tà Cat­to­li­ca ver­öf­fent­licht, deren Schrift­lei­ter Spa­da­ro ist. Magi­ster ist der Mei­nung, daß Fran­zis­kus in die­sem ver­trau­ten Rah­men mehr preis­gibt von dem, was er wirk­lich denkt. Aller­dings muß ein­schrän­kend gesagt wer­den, daß Fran­zis­kus weiß, daß sei­ne Ant­wor­ten auf die Fra­gen der Mit­brü­der ver­öf­fent­licht wer­den, viel­mehr er die­se Ver­öf­fent­li­chung aus­drück­lich gebil­ligt hat. Mit dem Quer­schnitt sei­ner Aus­wahl bie­tet Magi­ster jeden­falls einen durch­aus erhel­len­den Ein­blick in das Den­ken des amtie­ren­den Nach­fol­gers auf dem Stuhl Petri.

Anzei­ge

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Nur-Sul­tan, Kasach­stan, 15. Sep­tem­ber 2022, Begeg­nung mit Jesui­ten aus Ruß­land, Weiß­ruß­land und Kirgisistan

Über die Verantwortung des Westens im Krieg in der Ukraine

„Es herrscht Krieg, und ich den­ke, es ist ein Feh­ler zu den­ken, daß es sich um einen ‚Cowboy‘-Film han­delt, in dem es Gute und Böse gibt. Und es ist auch ein Feh­ler zu glau­ben, daß es sich nur um einen Krieg zwi­schen Ruß­land und der Ukrai­ne han­delt. Nein: Das ist ein Welt­krieg. Das Opfer die­ses Kon­flikts ist hier die Ukrai­ne. Ich möch­te begrün­den, war­um die­ser Krieg nicht ver­mie­den wur­de. Und der Krieg ist in gewis­ser Wei­se wie eine Ehe. Um das zu ver­ste­hen, muß man die Dyna­mik unter­su­chen, die den Kon­flikt aus­ge­löst hat. Es gibt inter­na­tio­na­le Fak­to­ren, die zur Aus­lö­sung des Krie­ges bei­getra­gen haben. Ich habe bereits erwähnt, daß ein Staats­chef im Dezem­ber letz­ten Jah­res zu mir kam und mir mit­teil­te, daß er sehr besorgt sei, weil die NATO dar­an gegan­gen ist, vor Ruß­lands Türen zu bel­len, ohne zu ver­ste­hen, daß die Rus­sen impe­ri­al sind und Unsi­cher­heit an den Gren­zen fürch­ten. Er äußer­te die Befürch­tung, daß dies einen Krieg aus­lö­sen wür­de, und der ist zwei Mona­te spä­ter aus­ge­bro­chen. Man darf also nicht zu ver­ein­fa­chend über die Ursa­chen des Kon­flikts den­ken. Ich sehe Impe­ria­lis­men im Kon­flikt (gegen­ein­an­der). Und wenn sie sich bedroht und im Nie­der­gang begrif­fen füh­len, reagie­ren die Impe­ria­lis­men, indem sie den­ken, daß die Lösung dar­in besteht, einen Krieg zu begin­nen, um das zu berei­ni­gen, und auch um Waf­fen zu ver­kau­fen und zu testen.“

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Que­bec, 29. Juli 2022, Begeg­nung mit Jesui­ten aus Kanada

Über die Synodalität der Kirche

„Es stört mich, daß das Adjek­tiv ’syn­odal‘ ver­wen­det wird, als wäre es das neue­ste Rezept für die Kir­che. Wenn man ’syn­oda­le Kir­che‘ sagt, ist der Aus­druck red­un­dant: Die Kir­che ist ent­we­der syn­odal oder sie ist nicht Kir­che. Des­halb sind wir zu einer Syn­ode über die Syn­oda­li­tät gekom­men, um dies zu bekräf­ti­gen. […] Im Jahr 2001 war ich Bericht­erstat­ter für die Bischofs­syn­ode. Ich ersetz­te Kar­di­nal Egan, der wegen der Tra­gö­die der Twin Towers in sei­ne Diö­ze­se New York zurück­keh­ren muß­te. Ich erin­ne­re mich, daß Stel­lung­nah­men gesam­melt und an das Gene­ral­se­kre­ta­ri­at geschickt wur­den. Ich sam­mel­te also das Mate­ri­al, um es dann zur Abstim­mung vor­zu­le­gen. Der Sekre­tär der Syn­ode kam zu mir, las das Mate­ri­al und sag­te mir, ich sol­le die­ses oder jenes ent­fer­nen. Es gab Din­ge, die er nicht für ange­mes­sen hielt und einer Zen­sur unter­warf. Kurz gesagt, es gab eine Vor­auswahl des Mate­ri­als. Es wur­de nicht ver­stan­den, was eine Syn­ode ist. […] Es scheint mir grund­le­gend zu sein, zu wie­der­ho­len, wie ich es oft tue, daß die Syn­ode weder eine poli­ti­sche Ver­samm­lung noch ein Aus­schuß für par­la­men­ta­ri­sche Ent­schei­dun­gen ist. […] Manch­mal ist man schnell mit einer Idee, man strei­tet sich und dann pas­siert etwas, das die Din­ge wie­der zusam­men­bringt, das sie krea­tiv har­mo­ni­siert. […] Das Risi­ko besteht auch dar­in, das Gesamt­bild, den Sinn der Din­ge zu ver­lie­ren. Das ist mit der Redu­zie­rung der Syn­oden­the­men auf eine bestimm­te Fra­ge gesche­hen. Die Syn­ode über die Fami­lie, zum Bei­spiel. Es hieß, sie sei orga­ni­siert wor­den, um wie­der­ver­hei­ra­te­ten Geschie­de­nen die Kom­mu­ni­on zu geben. Aber in dem nach­syn­oda­len Schrei­ben zu die­sem The­ma gibt es nur eine ein­zi­ge Fuß­no­te, denn alle ande­ren sind Über­le­gun­gen zum The­ma Fami­lie, wie etwa die zum Fami­li­en­ka­techu­me­nat. Es gibt also eine gro­ße Viel­falt: Man kann sich nicht auf eine ein­zi­ge Fra­ge kon­zen­trie­ren. Ich wie­der­ho­le: Wenn die Kir­che eine ist, dann ist sie synodal.“

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Rom, Vati­kan, 19. Mai 2022, Begeg­nung mit den Schrift­lei­tern der euro­päi­schen Jesui­ten­zeit­schrif­ten (nicht nur Jesui­ten, auch eini­ge Laien)

Mehr über die Verantwortung des Westens für den Krieg in der Ukraine

„Wir müs­sen uns von dem übli­chen Rot­käpp­chen-Muster lösen: Rot­käpp­chen war gut und der Wolf war der Böse­wicht. Hier gibt es kei­ne meta­phy­si­schen Guten und Bösen auf abstrak­te Art und Wei­se. Es zeigt sich etwas Glo­ba­les, mit Ele­men­ten, die stark mit­ein­an­der ver­wo­ben sind. Ein paar Mona­te vor Kriegs­be­ginn traf ich einen Staats­chef, einen wei­sen Mann, der sehr wenig spricht, aber sehr wei­se ist. Und nach­dem er über die Din­ge gespro­chen hat­te, über die er spre­chen woll­te, sag­te er mir, daß er über die Ent­wick­lung der NATO sehr besorgt sei. Ich frag­te ihn, war­um, und er sag­te: ‚Sie bel­len vor den Toren Ruß­lands. Und sie ver­ste­hen nicht, daß die Rus­sen impe­ri­al sind und kei­ner frem­den Macht erlau­ben, sich ihnen zu nähern‘. Er schloß mit den Wor­ten: ‚Die Situa­ti­on könn­te zu einem Krieg füh­ren‘. Dies war sei­ne Mei­nung. Am 24. Febru­ar begann der Krieg. Die­ses Staats­ober­haupt war in der Lage, die Zei­chen der Zeit zu erken­nen. […] Die Gefahr ist, daß […] wir nicht das gan­ze Dra­ma sehen, das sich hin­ter die­sem Krieg abspielt, der viel­leicht irgend­wie ent­we­der pro­vo­ziert oder nicht ver­hin­dert wur­de. Und ich regi­strie­re das Inter­es­se am Testen und Ver­kau­fen von Waf­fen. Das ist sehr trau­rig, aber dar­um geht es ja schließ­lich auch. Jemand mag mir an die­ser Stel­le sagen: ‚Aber Sie sind ja für Putin!‘ Nein, das bin ich nicht. So etwas zu sagen wäre ver­ein­fa­chend und falsch. Ich bin ein­fach dage­gen, die Kom­ple­xi­tät auf die Unter­schei­dung zwi­schen Gut und Böse zu redu­zie­ren, ohne über die Wur­zeln und Inter­es­sen nach­zu­den­ken, die sehr kom­plex sind. Wäh­rend wir die Grau­sam­keit der rus­si­schen Trup­pen sehen, dür­fen wir die Pro­ble­me nicht ver­ges­sen, um ihre Lösung zu ver­su­chen. Es stimmt auch, daß die Rus­sen dach­ten, daß alles in einer Woche vor­bei sein wür­de. Aber sie haben sich ver­kal­ku­liert. Sie fan­den ein muti­ges Volk vor, ein Volk, das ums Über­le­ben kämpft und eine Geschich­te des Kamp­fes hat. […] Was wir vor Augen haben, ist eine Situa­ti­on des Welt­kriegs, der glo­ba­len Inter­es­sen, der Waf­fen­ver­käu­fe und der geo­po­li­ti­schen Ver­ein­nah­mung, die ein hel­den­haf­tes Volk martert.“

Zu den Beziehungen zum Patriarchen von Moskau

„Ich hat­te ein 40-minü­ti­ges Gespräch mit Patri­arch Kyrill. Im ersten Teil las er mir eine Erklä­rung vor, in der er Moti­ve nann­te, um den Krieg zu recht­fer­ti­gen. Als er geen­det hat­te, misch­te ich mich ein und sag­te ihm: ‚Bru­der, wir sind kei­ne Staats­kle­ri­ker, wir sind Seel­sor­ger des Vol­kes‘. Ich soll­te ihn am 14. Juni in Jeru­sa­lem tref­fen, um über unse­re Ange­le­gen­hei­ten zu spre­chen. Aber wegen des Krie­ges haben wir in gegen­sei­ti­gem Ein­ver­neh­men beschlos­sen, das Tref­fen auf einen spä­te­ren Zeit­punkt zu ver­schie­ben, damit unser Dia­log nicht miss­ver­stan­den wird“.

Gegen die „Restauratoren“

„Denn das Kon­zil, an das sich man­che Hir­ten am besten erin­nern, ist das Kon­zil von Tri­ent. Und das ist kein Unsinn, was ich sage. Die Restau­ra­ti­on ist soweit gegan­gen, das [Zwei­te Vati­ka­ni­sche] Kon­zil zu kne­beln. Die Zahl der Grup­pen von ‚Restau­ra­to­ren‘ – zum Bei­spiel in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten – ist beein­druckend. Ein argen­ti­ni­scher Bischof erzähl­te mir, daß er gebe­ten wur­de, eine Diö­ze­se zu ver­wal­ten, die in die Hän­de die­ser ‚Restau­ra­to­ren‘ gefal­len war. Sie hat­ten das Kon­zil nie akzep­tiert. Es gibt Ideen und Ver­hal­tens­wei­sen, die von einem Restau­ra­tio­nis­mus her­rüh­ren, der das Kon­zil grund­sätz­lich nicht akzep­tiert hat. Das genau ist das Pro­blem: daß in eini­gen Kon­tex­ten das Kon­zil noch nicht akzep­tiert wur­de. […] Ihr wart noch nicht gebo­ren, aber ich war 1974 Zeu­ge des Lei­dens­we­ges des Gene­ral­obe­ren P. Pedro Arru­pe in der XXXII. Gene­ral­kon­gre­ga­ti­on. Zu jener Zeit kam es zu einer kon­ser­va­ti­ven Reak­ti­on, um die pro­phe­ti­sche Stim­me Arru­pes zu blockie­ren! […] Ein Jesu­it der Pro­vinz von Loyo­la hat­te sich beson­ders gegen P. Arru­pe ver­bis­sen. Erin­nern wir an ihn. Er wur­de an ver­schie­de­ne Orte geschickt und sogar nach Argen­ti­ni­en, und er berei­te­te über­all Pro­ble­me. Ein­mal sag­te er zu mir: ‚Du bist einer, der nichts ver­steht. Aber die wah­ren Schul­di­gen sind P. Arru­pe und P. Cal­vez. Der schön­ste Tag in mei­nem Leben wird der sein, an dem ich sie am Gal­gen auf dem Peters­platz hän­gen sehen wer­de.‘ War­um erzäh­le ich Euch die­se Geschich­te? Um Euch ver­ste­hen zu las­sen, wie die nach­kon­zi­lia­re Zeit war. Und das geschieht erneut.“

Über die deutsche Synode und den Fall der Kölner Diözese:

„Dem Vor­sit­zen­den der Deut­schen Bischofs­kon­fe­renz, Msgr. Bät­zing, habe ich gesagt: ‚In Deutsch­land gibt es eine sehr gute evan­ge­li­sche Kir­che. Wir brau­chen nicht zwei’. Pro­ble­ma­tisch wird es, wenn der syn­oda­le Weg von den intel­lek­tu­el­len, theo­lo­gi­schen Eli­ten aus­geht und sehr stark von Druck von außen beein­flußt wird. Es gibt eini­ge Diö­ze­sen, in denen der syn­oda­le Weg mit den Gläu­bi­gen beschrit­ten wird, mit dem Volk, lang­sam. Ich woll­te einen Brief über den syn­oda­len Weg schrei­ben. Ich habe ihn selbst geschrie­ben, und ich habe einen Monat gebraucht, um ihn zu schrei­ben. Ich woll­te die Kurie nicht ein­be­zie­hen. Ich habe es ganz allein gemacht. Das Ori­gi­nal ist auf spa­nisch, und der auf deutsch ist eine Über­set­zung. Dort habe ich geschrie­ben, was ich den­ke.
Dann die Situa­ti­on in der Diö­ze­se Köln. Als die Situa­ti­on sehr tur­bu­lent war, bat ich den Erz­bi­schof, für sechs Mona­te weg­zu­ge­hen, damit sich die Din­ge beru­hig­ten und ich klar sehen konn­te. Denn wenn das Was­ser auf­ge­wühlt ist, kann man nicht klar sehen. Als er zurück­kam, bat ich ihn, ein Rück­tritts­schrei­ben zu ver­fas­sen. Er tat dies und gab es mir. Und er schrieb einen Ent­schul­di­gungs­brief an die Diö­ze­se. Ich habe ihn an sei­nem Platz gelas­sen, um zu sehen, was pas­sie­ren wür­de, aber ich habe sei­nen Rück­tritt in der Hand.“

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Val­let­ta, 3. April 2022, Begeg­nung mit den Jesui­ten von Malta

Mehr über die Zensur bei der Synode von 2001

„Ich erin­ne­re mich, daß ich im Jahr 2001 Bericht­erstat­ter für die Bischofs­syn­ode war. Eigent­lich war Kar­di­nal Egan der Bericht­erstat­ter, aber wegen der Tra­gö­die der Zwil­lings­tür­me muß­te er nach New York, in sei­ne Diö­ze­se, zurück­keh­ren. Ich war die Ver­tre­tung. Alle Mei­nun­gen, auch die der ein­zel­nen Grup­pen, wur­den gesam­melt und an das Gene­ral­se­kre­ta­ri­at wei­ter­ge­lei­tet. Ich sam­mel­te das Mate­ri­al und ord­ne­te es. Der Sekre­tär der Syn­ode prüf­te es und sag­te, daß die­ses oder jenes, das durch eine Abstim­mung der ver­schie­de­nen Grup­pen gebil­ligt wor­den war, ent­fernt wer­den soll. Es gab Din­ge, die er nicht für ange­mes­sen hielt. Kurz gesagt, es gab eine Vor­auswahl des Mate­ri­als. Offen­sicht­lich hat man nicht ver­stan­den, was eine Syn­ode ist.“

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Athen, 4. Dezem­ber 2021, Begeg­nung mit den Jesui­ten von Griechenland

Über den Rückgang der Gesellschaft Jesu und vieler Ordensgemeinschaften

„Eine Sache, die Auf­merk­sam­keit ver­langt, ist die Schwä­chung der Gesell­schaft. Als ich ins Novi­zi­at ein­trat, waren wir 33.000 Jesui­ten. Wie vie­le sind wir jetzt? Mehr oder weni­ger die Hälf­te. Und unse­re Zahl wird wei­ter abneh­men. Das ist bei vie­len Orden und Kon­gre­ga­tio­nen so. Das hat eine Bedeu­tung, und wir müs­sen uns fra­gen, wel­che. Letzt­lich hängt die­ser Rück­gang nicht von uns ab. Die Beru­fung schickt der Herr. Wenn sie nicht kommt, hängt es nicht von uns ab. Ich glau­be, der Herr erteilt uns eine Leh­re für das Ordens­le­ben. Für uns hat sie eine Bedeu­tung im Sin­ne von Demü­ti­gung. […] Was meint der Herr damit? Demü­ti­ge dich, demü­ti­ge dich! Ich weiß nicht, ob ich mich ver­ständ­lich aus­ge­drückt habe. Wir müs­sen uns an die Demü­ti­gung gewöhnen.“

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Preß­burg, 12. Sep­tem­ber 2021, Begeg­nung mit den Jesui­ten der Slowakei

Über die Machenschaften im Vorfeld des Konklaves

„[Ich bin] noch am Leben. Und das, obwohl eini­ge Leu­te mei­nen Tod woll­ten. Ich weiß, daß es sogar Begeg­nun­gen zwi­schen Prä­la­ten gab, die der Mei­nung waren, daß es um den Papst ern­ster ste­he, als gesagt wur­de. Sie haben das Kon­kla­ve vor­be­rei­tet. Geduld! Gott sei Dank geht es mir gut. Die­sen chir­ur­gi­schen Ein­griff machen zu las­sen war eine Ent­schei­dung, die ich nicht tref­fen woll­te: Es war eine Kran­ken­schwe­ster, die mich über­zeugt hat. Kran­ken­schwe­stern und ‑pfle­ger haben manch­mal mehr Ver­ständ­nis für die Situa­ti­on als Ärz­te, weil sie in direk­tem Kon­takt mit den Pati­en­ten stehen.“

Zu den Angriffen gegen Franziskus aus dem Inneren der Kirche

„Es gibt einen gro­ßen katho­li­schen Fern­seh­sen­der, der anstands­los stän­dig schlecht über den Papst spricht. Ich per­sön­lich ver­die­ne viel­leicht Angrif­fe und Belei­di­gun­gen, weil ich ein Sün­der bin, aber die Kir­che ver­dient das nicht: Das ist ein Werk des Teu­fels. Ich habe das sogar eini­gen von ihnen gesagt. Ja, es gibt auch Kle­ri­ker, die böse Kom­men­ta­re über mich machen. Manch­mal fehlt mir die Geduld, vor allem, wenn sie Urtei­le fäl­len, ohne in einen ech­ten Dia­log ein­zu­tre­ten. Da kann ich nichts tun. Ich gehe trotz­dem wei­ter, ohne in ihre Gedan­ken- und Fan­ta­sie­welt ein­zu­tre­ten. Ich möch­te mich nicht dar­auf ein­las­sen, und des­halb zie­he ich es vor, zu pre­di­gen, zu predigen.“

Über die Ideologie des „Rückwärtsgehens“

„Dar­un­ter lei­den wir heu­te in der Kir­che: der Ideo­lo­gie der Rück­wärts­ge­wandt­heit. Sie ist eine Ideo­lo­gie, die die Köp­fe kolo­ni­siert. Sie ist eine Form der ideo­lo­gi­schen Kolo­ni­sie­rung. Es han­delt sich nicht wirk­lich um ein uni­ver­sel­les Pro­blem, son­dern eher um ein spe­zi­fi­sches Pro­blem der Kir­chen in bestimm­ten Län­dern. Das Leben macht uns Angst. […] Es macht uns Angst, vor dem Volk Got­tes zu zele­brie­ren, das uns ins Gesicht schaut und uns die Wahr­heit sagt. Es macht uns Angst, in den seel­sorg­li­chen Erfah­run­gen vor­an­zu­kom­men. Ich den­ke an die Arbeit, die auf der Syn­ode über die Fami­lie gelei­stet wur­de – Pater Spa­da­ro war anwe­send –, um den Men­schen klar zu machen, daß Paa­re in zwei­ter Ehe nicht schon zur Höl­le ver­dammt sind. Es macht uns Angst, Men­schen mit sexu­el­ler Viel­falt zu beglei­ten. […] Das ist das Übel die­ses Moments: den Weg in der Starr­heit und im Kle­ri­ka­lis­mus zu suchen, die zwei Per­ver­sio­nen sind.“

Über die Gender-Ideologie

„Die Ideo­lo­gie hat immer einen teuf­li­schen Reiz, […] weil sie nicht ver­kör­pert ist. Wir leben der­zeit in einer Zivi­li­sa­ti­on der Ideo­lo­gien, das ist wahr. Wir müs­sen sie an ihren Wur­zeln ent­lar­ven. Die Gen­der-Ideo­lo­gie […] ist gefähr­lich, ja. So wie ich sie ver­ste­he, ist sie es, weil sie abstrakt ist in bezug auf das kon­kre­te Leben einer Per­son, so als ob eine Per­son abstrakt nach Belie­ben ent­schei­den könn­te, ob und wann sie ein Mann oder eine Frau sein will. Abstrak­ti­on ist für mich immer ein Pro­blem. Das hat jedoch nichts mit dem The­ma Homo­se­xua­li­tät zu tun. Wenn es ein homo­se­xu­el­les Paar gibt, kön­nen wir mit ihnen Seel­sor­ge betrei­ben und in der Begeg­nung mit Chri­stus vor­an­kom­men. Wenn ich von der Ideo­lo­gie spre­che, spre­che ich von der Idee, der Abstrak­ti­on, für die alles mög­lich ist, nicht vom kon­kre­ten Leben der Men­schen und ihrer rea­len Situation.“

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Bang­kok, Thai­land, 22. Novem­ber 2019, Begeg­nung mit den Jesui­ten von Südostasien

Gegen „pharisäische Heuchelei“

„Es gibt kein Rezept. Es gibt Bezugs­prin­zi­pi­en, aber der Weg, der zurück­zu­le­gen ist, ist immer ein klei­ner Pfad, ’sen­de­ri­to‘, der im Gebet und in der Unter­schei­dung kon­kre­ter Situa­tio­nen ent­deckt wer­den muß. Es gibt kei­ne ein­deu­ti­gen Regeln, die immer gel­ten. Der Weg öff­net sich, indem man mit offe­nem Den­ken und nicht mit abstrak­ten Prin­zi­pi­en der Diplo­ma­tie vor­geht. Man schaut auf die Zei­chen und unter­schei­det den Weg, den man gehen muß. […] Manch­mal hin­ge­gen, wenn wir wol­len, daß alles gut orga­ni­siert, prä­zi­se, starr, defi­niert auf immer glei­che Wei­se ist, dann wer­den wir zu Hei­den, wenn auch ver­klei­det als Prie­ster. Ich den­ke, Jesus hat in die­sem Zusam­men­hang viel über die pha­ri­säi­sche Heu­che­lei gespro­chen. […] Es braucht, kurz gesagt, die Tugend der Beson­nen­heit, die auch eine Tugend der Regie­rung ist. Aber Vor­sicht! Ver­wech­selt nicht die Beson­nen­heit mit blo­ßer Aus­ge­wo­gen­heit. Die Beson­ne­nen des Gleich­ge­wichts waschen am Ende immer ihre Hän­de in Unschuld. Und ihr Schutz­pa­tron ist der ‚hei­li­ge‘ Pilatus.“

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Mapu­to, 5. Sep­tem­ber 2019, Begeg­nung mit Jesui­ten aus Mosam­bik und Simbabwe

Gegen Proselytenmacherei

„Ich habe es schon oft gesagt: Pro­se­ly­tis­mus ist nicht christ­lich. Heu­te habe ich eine gewis­se Bit­ter­keit emp­fun­den, als ich das Tref­fen mit den jun­gen Leu­ten been­de­te. Eine Dame kam mit einem jun­gen Mann und einer jun­gen Frau auf mich zu. Mir wur­de gesagt, daß sie einer eher fun­da­men­ta­li­sti­schen Bewe­gung ange­hö­ren. Sie sag­te mir in per­fek­tem Spa­nisch: ‚Eure Hei­lig­keit, ich kom­me aus Süd­afri­ka. Die­ser Jun­ge war Hin­du und kon­ver­tier­te zum katho­li­schen Glau­ben. Die­ses Mäd­chen war Angli­ka­ne­rin und kon­ver­tier­te zum katho­li­schen Glau­ben‘. Aber sie erzähl­te mir das auf eine tri­um­phie­ren­de Wei­se, als ob sie mit einer Tro­phäe von der Jagd käme. Ich fühl­te mich unwohl und sag­te ihr: ‚Gnä­dig­ste, Evan­ge­li­sie­rung ja, Pro­se­ly­tis­mus nein‘. Was ich mei­ne, ist, daß Evan­ge­li­sie­rung befreit! Der Pro­se­ly­tis­mus hin­ge­gen führt zum Ver­lust der Frei­heit. Der Pro­se­ly­tis­mus ist nicht in der Lage, einen reli­giö­sen Weg in Frei­heit zu schaf­fen. Es geht immer dar­um, daß Men­schen auf die eine oder ande­re Wei­se unter­drückt wer­den. Bei der Evan­ge­li­sie­rung ist Gott der Han­deln­de, beim Pro­se­ly­tis­mus ist es das eige­ne Ich. […] Lei­der gibt es aber nicht nur bei den Sek­ten, son­dern auch inner­halb der katho­li­schen Kir­che fun­da­men­ta­li­sti­sche Grup­pen. Sie legen den Schwer­punkt eher auf Pro­se­ly­tis­mus als auf Evangelisierung.“

Gegen den Klerikalismus

„Der Kle­ri­ka­lis­mus ist eine ech­te Per­ver­si­on in der Kir­che. Der Hir­te hat die Fähig­keit, vor der Her­de her­zu­ge­hen, um den Weg zu zei­gen, in der Mit­te der Her­de zu ste­hen, um zu sehen, was in ihr vor­geht, und auch hin­ter der Her­de zu ste­hen, um sicher­zu­stel­len, daß nie­mand zurück­bleibt. Der Kle­ri­ka­lis­mus hin­ge­gen ver­langt, daß der Hir­te immer an der Spit­ze steht, den Kurs vor­gibt und die­je­ni­gen, die von der Her­de abwei­chen, mit Exkom­mu­ni­ka­ti­on bestraft. Kurz gesagt: Es ist genau das Gegen­teil von dem, was Jesus getan hat. Der Kle­ri­ka­lis­mus ver­ur­teilt, trennt, peitscht, ver­ach­tet das Volk Got­tes. […] Der Kle­ri­ka­lis­mus hat die Starr­heit als direk­te Fol­ge. Habt Ihr schon ein­mal jun­ge Prie­ster gese­hen, die steif in schwar­zen Sou­ta­nen stecken und einen Hut in Form des Pla­ne­ten Saturn auf dem Kopf tra­gen? Hin­ter all dem star­ren Kle­ri­ka­lis­mus stecken ernst­haf­te Pro­ble­me. […] Eine der Dimen­sio­nen des Kle­ri­ka­lis­mus ist die aus­schließ­li­che mora­li­sche Fixie­rung auf das sech­ste Gebot. Ein Jesu­it, ein gro­ßer Jesu­it, hat mir ein­mal gesagt, ich sol­le vor­sich­tig sein, wenn ich die Abso­lu­ti­on ertei­le, denn die schwer­sten Sün­den sei­en die mit grö­ße­rer Engel­haf­tig­keit: Stolz, Arro­ganz, Domi­nanz… Und die am wenig­sten schwe­ren sei­en die mit gerin­ge­rer Engel­haf­tig­keit, wie Völ­le­rei und Lust. Wir kon­zen­trie­ren uns auf Sex und schen­ken sozia­ler Unge­rech­tig­keit, Ver­leum­dung, Klatsch und Lüge kei­ne Beach­tung. Die Kir­che braucht heu­te in die­sem Punkt eine tief­grei­fen­de Umkehr.“

*Buka­rest, 31. Mai 2019, Begeg­nung mit den Jesui­ten von Rumänien

Mit dem Volk Gottes

„Es gefällt mir, mich bei Kin­dern und älte­ren Men­schen auf­zu­hal­ten. Es war ein­mal eine alte Frau. Sie hat­te wert­vol­le, leuch­ten­de Augen. Ich frag­te sie: ‚Wie alt sind Sie?‘ ‚Sie­ben­und­acht­zig“, ant­wor­te­te sie. ‚Aber was essen Sie, um so rüstig zu sein?‘ ‚Geben Sie mir das Rezept‘, sage ich ihr. ‚Alles!‘, ant­wor­tet sie mir, ‚und ich mache die Ravio­li selbst‘. Ich sage ihr: ‚Lie­be Frau, beten Sie für mich!‘ Sie ant­wor­tet: ‚Ich bete jeden Tag für Sie!‘ Und ich fra­ge sie scherz­haft: ‚Sagen Sie mir die Wahr­heit: Beten Sie für mich oder gegen mich?‘ ‚Das ver­steht sich: Ich bete für Sie! Ganz ande­re in der Kir­che beten gegen Sie!‘ Der wah­re Wider­stand liegt nicht im Volk Got­tes, das sich wirk­lich als Volk fühlt. […] Im Volk Got­tes fin­den wir die Kon­kret­heit des Lebens, der wirk­li­chen Pro­ble­me, des Apo­sto­lats, der Din­ge, die wir tun müs­sen. Das Volk liebt und haßt, wie man lie­ben und has­sen soll.“

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Pana­ma, 26. Janu­ar 2019, Begeg­nung mit den Jesui­ten von Mittelamerika

Über die „gasförmige“ Wirtschaft

„Was uns die vir­tu­el­le Kul­tur vor­schlägt, ist etwas Flüs­si­ges, Gas­för­mi­ges, ohne Wur­zeln, ohne Stamm, ohne alles. Das Glei­che geschieht in der Wirt­schafts- und Finanz­welt. Die­ser Tage las ich in den Nach­rich­ten einen Bericht über das Tref­fen in Davos, daß die all­ge­mei­ne Ver­schul­dung der Län­der viel höher ist als das Brut­to­so­zi­al­pro­dukt aller zusam­men. Es ist wie beim Betrug mit einem Ket­ten­brief: Die Zah­len schwel­len an, Mil­lio­nen und Mil­li­ar­den, aber dahin­ter ist nichts als Rauch, alles ist flüs­sig, gas­för­mig, und frü­her oder spä­ter wird es zusammenbrechen.“

Über die Befreiungstheologie

„Wer die Befrei­ungs­theo­lo­gie ver­ur­teil­te, ver­ur­teil­te alle Jesui­ten in Mit­tel­ame­ri­ka. Ich hör­te schreck­li­che Ver­ur­tei­lun­gen. […] Damals nahm ich eines Tages das Flug­zeug zu einem Tref­fen. Ich bin von Bue­nos Aires aus gestar­tet, aber weil das Ticket bil­li­ger war, hat­te ich einen Zwi­schen­stopp in Madrid und flog dann nach Rom. In Madrid kam ein mit­tel­ame­ri­ka­ni­scher Bischof an Bord. Ich begrüß­te ihn, er begrüß­te mich, wir setz­ten uns neben­ein­an­der und kamen ins Gespräch. Ich frag­te ihn nach Rome­ros Selig­spre­chungs­pro­zeß, und er sag­te: ‚Auf kei­nen Fall. Das wäre wie eine Hei­lig­spre­chung des Mar­xis­mus‘. Das war nur das Vor­spiel. Er fuhr in die­sem Tem­po fort. […] Aber er war sicher nicht der ein­zi­ge, der so dach­te. Eini­ge ande­re Mit­glie­der der kirch­li­chen Hier­ar­chie stan­den den dama­li­gen Regi­men sehr nahe, sie waren sehr ‚ein­ge­bun­den‘. […] Das Wich­tig­ste ist, sich nicht von der Ideo­lo­gie der einen oder ande­ren Sei­te über­wäl­ti­gen zu las­sen, oder sogar von der schlimm­sten von allen, näm­lich der asep­ti­schen Ideo­lo­gie. ‚Sich nicht ein­mi­schen‘: Das ist die schlimm­ste Ideo­lo­gie. Das war die Ein­stel­lung des Bischofs, den ich im Flug­zeug getrof­fen hat­te und der ein Asep­ti­ker war. […] Sicher, eini­ge sind der mar­xi­sti­schen Ana­ly­se ver­fal­len. Aber ich erzäh­le Euch etwas Lusti­ges: Der gro­ße Ver­folg­te, Gustavo Gut­iérrez, der Perua­ner, kon­ze­le­brier­te mit mir und dem dama­li­gen Prä­fek­ten für die Glau­bens­leh­re, Kar­di­nal Mül­ler, die Mes­se. Und das geschah, weil ihn mir Mül­ler selbst als sei­nen Freund brach­te. Wenn damals jemand gesagt hät­te, daß eines Tages der Prä­fekt der Glau­bens­leh­re Tages Gut­iérrez zur Kon­ze­le­bra­ti­on mit dem Papst mit­brin­gen wür­de, hät­te man ihn für betrun­ken gehalten.“

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: La Civil­tà Cat­to­li­ca (Screen­shot)

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