Am 2. Mai hielt Kardinal Pierbattista Pizzaballa OFM, der Lateinische Patriarch von Jerusalem, in Rom eine Lectio magistralis über den Nahostkonflikt und das dort zu leistende „Friedensapostolat“. Im Mittelpunkt standen dabei Überlegungen, was die Kirche inmitten des endlosen Krieges zwischen dem 1948 etablierten jüdischen Staat Israel und der einheimischen arabischen Bevölkerung tun kann und tun sollte.
Der Patriarch hatte sich zuvor mit israelischer Erlaubnis und in Begleitung des Großhospitaliers des Malteserordens Fra Alessandro de Franciscis auf geheimgehaltenen Wegen in den Gazastreifen begeben, um den wenigen hundert verbliebenen Christen Hilfe und Trost zu bringen.
Er berichtete, in Gaza ein Ausmaß an Zerstörung vorgefunden zu haben, wie er es zuvor nur 2014 in Aleppo in Syrien gesehen hatte.
Zwei Wochen nach der Lectio des Patriarchen wurde die neue Ausgabe der römischen Jesuitenzeitschrift La Civiltà Cattolica veröffentlicht. Den Hauptartikel verfaßte Pater David Neuhaus, ein in Südafrika geborener Jude und israelischer Staatsbürger. Seine Familie war in den 30er Jahren aus dem Deutschen Reich nach Südafrika ausgewandert und von dort später nach Israel. Neuhaus konvertierte 1988 zur katholischen Kirche und trat in den Jesuitenorden ein. 2000 wurde er vom damaligen Lateinischen Patriarchen von Jerusalem, dem arabischen Christen Michel Sabbah, zum Priester geweiht.
Neuhaus deutete in den vergangenen Jahren mehrfach eine Kursänderung des Vatikans in der Nahostfrage an, indem dieser statt der von der UNO 1947 beschlossenen Zwei-Staaten-Lösung einen gemeinsamen Staat für alle vorschlug. In seinem neuen Artikel verweist er auf Kardinal Pizzaballa, der mehr als alle seine Vorgänger eine enge und positive Beziehung zum Judentum herstellen könnte.
Von „älteren Brüdern“ und „Vätern im Glauben“
In diesem Zusammenhang nennt Neuhaus Papst Benedikt XVI., der einen besseren Begriff für die Juden geprägt habe als den in Kirchenkreisen verwendeten von den „älteren Brüdern“. Benedikt habe die Juden „unsere Väter im Glauben“ genannt. Beide Bezeichnungen sind allerdings erklärungsbedürftig und lassen die Komplexität der Frage erkennen. Beide Bezeichnungen eignen sich problemlos, um das vorchristliche Judentum zu benennen, aber nur schwerlich für das nachchristliche.
Begriffe können Verwirrung stiften. Diesen beiden wohnt diese Gefahr inne, besonders jenem von Benedikt XVI., falls er tatsächlich damit das nachchristliche Judentum gemeint haben sollte. Der Verweis auf „Väter“ ist eine chronologische Aussage, die unterschiedlich gedeutet werden kann. Sie trifft auf das nachchristliche Judentum nicht zu. So erweist sich insgesamt eine Kontinuität in der Verwendung des Begriffs der Juden als ungeeignet. Besser wäre es, die vorchristlichen Juden anders zu benennen als die nachchristlichen, z. B. Hebräer oder Israeliten.
Die Abscheulichkeiten, die im nachchristlichen Talmud über Jesus Christus enthalten sind, schließen es kategorisch aus, daß die nachchristlichen Juden „Väter im Glauben“ der Christen sein könnten. Es ist also notwendig, sehr präzise mit den Begriffen umzugehen, um nicht in illusorische Wirklichkeitsferne zu verfallen.
Kardinal Pizzaballa und sein Wirken
Neuhaus verweist in seinem Artikel darauf, daß Kardinal Pizzaballa „Hebräisch spricht und sich seit langem im jüdisch-christlichen Dialog engagiert“. Deshalb sei seine Ernennung zum Lateinischen Patriarchen von Jerusalem durch Papst Franziskus „von den Israelis als positiver Schritt gesehen“ worden.
Franziskus hatte damit allerdings mit der zuletzt geltenden Tradition gebrochen, daß der Lateinische Patriarch von Jerusalem ein einheimischer „arabischer Christ“ sein sollte. Das galt aber nur von 1987 bis 2016. Man könnte auch sagen, daß Franziskus zur ursprünglichen Praxis zurückkehrte, wie sie seit 1847 galt, einen Italiener auf den lateinischen Patriarchenstuhl zu setzen.
Jedenfalls erklärt die Nicht-Ernennung eines Arabers einen Teil der israelischen Sympathie. Unter den arabischen Patriarchen war es wiederholt zu Spannungen mit den israelischen Behörden gekommen. Franziskus, so Neuhaus, habe stattdessen einen Auswärtigen und „Freund der Juden“ ernannt, der als Kustos des Heiligen Landes über langjährige Erfahrung im Heiligen Land verfügte. Pizzaballa übernahm die Leitung des Patriarchats schon 2016 als Administrator, wurde aber erst 2020 von Franziskus zum neuen Patriarchen ernannt.
Die Bedeutung der Ernennung unterstrich Franziskus, indem er den neuen Patriarchen auch zum Kardinal kreierte. Das geschah am 30. September des vorigen Jahres, nur wenige Tage vor dem antijüdischen Hamas-Massaker vom 7. Oktober, das die israelische Militäroperation im Gazastreifen nach sich zog. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag erließ inzwischen Haftbefehle gegen die Führer der islamischen Hamas als auch gegen die israelische Regierungsspitze. Die Anklagen sind in beiden Fällen höchst schwerwiegend.
Obwohl Franziskus sich mit der Ernennung Pizzaballas bemühte, aus erstarrten Frontstellungen auszubrechen, ist der Gegensatz zwischen der derzeitigen israelischen Staatsführung und dem Papst heute größer denn je. Das gelte, so Neuhaus, nicht nur für die Juden in Israel, sondern auf der ganzen Welt.
Päpstliche Gesten
An dieser Stelle ist daran zu erinnern, daß jeder Artikel, der in der römischen Jesuitenzeitschrift erscheint, vorab der Druckerlaubnis durch den Vatikan bedarf. Zu wichtigen Themen, und dazu gehört die Nahostfrage, übt Franziskus die Zensur selbst aus, andernfalls das vatikanische Staatssekretariat.
Die aktuelle Krise, so Neuhaus, sei vor allem durch bestimmte Gesten und Worte von Franziskus ausgelöst worden. Am 22. November hatte Franziskus am selben Tag, aber zeitlich getrennt, zunächst Angehörige von israelischen Geiseln der Hamas vom 7. Oktober empfangen und kurz darauf Angehörige von Palästinensern, die in Gaza durch israelische Einheiten getötet worden waren. Sofort entspann sich ein Propagandakrieg um diese Doppelaudienz, bei denen die israelische Seite durch eine offensichtlich, zumindest im Westen, besser funktionierende Einflußnahme punkten konnte. Die Öffentlichkeit wurde mit der Falschmeldung gegen Franziskus aufwiegelt, er habe Angehörige von palästinensischen Terroristen, die sich in israelischen Gefängnissen befinden, empfangen. Er habe Terroristen mit unschuldigen, grausam getöteten Juden gleichgesetzt. Schlimmer noch, denn die islamischen Terroristen leben, während die unschuldigen jüdischen Opfer tot sind. Doch das war frei erfunden.
Grund für die Desinformationskampagne war die Aussage von Franziskus an jenem Tag, daß es sich in dem seit dem 7. Oktober eskalierten Konflikt nicht um einen Krieg handle. Wörtlich sagte Franziskus: „Das ist kein Krieg, das ist Terrorismus.“ Damit sah sich die israelische Staatsführung angeklagt und reagierte empört über diese „unzulässige Gleichsetzung“.
Neuhaus verweist auch auf den „ständigen Refrain“ von Franziskus, daß „Krieg eine Niederlage für alle ist“. Das habe nicht nur Bestürzung „bei israelischen Behörden und jüdischen Persönlichkeiten in der ganzen Welt“ ausgelöst, sondern „auch bei den Ukrainern im Zusammenhang mit dem anhaltenden Krieg mit Rußland“.
Interessant ist, wie Neuhaus diese Haltung des Papstes erklärt. Er verweist auf dessen Herkunft aus Lateinamerika, weshalb Franziskus „ein Gewissen mitbringe, das im lateinamerikanischen Kontext des Kampfes gegen Unterdrückung und der Solidarität mit den Armen geprägt wurde“. Der Jesuit will damit sagen: „Während der Dialog mit den Juden im eurozentrischen Denken einen herausragenden Platz einnahm, hat Papst Franziskus begonnen, die Perspektive zu erweitern.“ Diese Erweiterung umfasse mit besonderem Nachdruck den „Dialog mit dem Islam, die Armut, die Migration und die brennende Frage der Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit für das palästinensische Volk“.
Neuhaus dokumentiert und analysiert die Entwicklung der päpstlichen Haltung zur Nahost-Frage in den vergangenen Monaten bis in kleinste Details. Unter den vielen kritischen Stimmen auf jüdischer Seite erwähnt er insbesondere die des Oberrabbiners von Rom Riccardo Di Segni. In diesem zweiten Teil der Analyse schreibt Neuhaus als Einstieg:
„Die leidenschaftlichen Worte von Di Segni weisen auf den Kern der Krise hin. Viele Juden, die im Dialog mit der Kirche stehen, bestehen darauf, daß ihre Loyalität gegenüber dem Staat Israel ein wesentlicher Bestandteil ihrer jüdischen Identität ist. Aber wie denkt die Kirche darüber im Rahmen des Dialogs mit dem jüdischen Volk, der sich seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil entwickelt hat?“
Die Identität der Juden und des Staates Israel
Neuhaus macht den „Kern der Krise“ gerade in der unterschiedlichen Beurteilung des Staates Israel und seiner Identität aus. Für die Juden sei „das wichtigste Ereignis seit der Zeit des Holocausts die Wiederherstellung eines jüdischen Staates im gelobten Land, als dem physischen Ort des Bundes zwischen ihnen und Gott“, also „aus weitaus tieferen als politischen Gründen“, so Neuhaus.
Die Motive sind allerdings differenziert zu betrachten, wie die Selbstdefinition der israelischen Juden als religiös oder laizistisch belegt: 55 Prozent bezeichnen sich als religiös (von traditionell über orthodox bis ultraorthodox), 45 Prozent aber als laizistisch. Es gibt also eine starke religiöse, aber auch eine starke nationalistische Komponente. Hier zeigt sich das Dilemma des Zionismus, der ein Produkt des europäischen Nationalismus ist. Um genau zu sein, ist er die letzte noch real existierende Form dieses europäischen Nationalismus. Darauf geht Neuhaus allerdings nicht ein. Er schreibt hingegen:
„Es darf jedoch nicht vergessen werden, daß dieses Land auch die Heimat der Palästinenser ist. Heute gibt es in Israel-Palästina sieben Millionen israelische Juden und sieben Millionen palästinensische Araber.“
Daher gibt es die Zwei-Staaten-Lösung, die nach dem Zweiten Weltkrieg von der UNO entwickelt wurde, weil man – unter angelsächsischer Federführung – den Juden einen Staat verschaffen, aber die einheimische arabische Bevölkerung nicht völlig entrechten wollte. Die dahinterstehende Logik entsprang der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als Bevölkerungsumsiedlungen (kurzum Vertreibungen) nach den von Politikern am grünen Tisch entwickelten Plänen als akzeptables Mittel der Machtpolitik galten.
Die Zwei-Staaten-Lösung ist aber, so Neuhaus, „eine politische und diplomatische Frage, die auf dem geeigneten Weg gelöst werden muß“. Genau so habe die katholische Kirche die Angelegenheit in ihren verschiedenen Dokumenten immer verstanden, insbesondere in dem Dokument „Anmerkungen zur korrekten Darstellung von Juden und Judentum in Predigt und Katechese innerhalb der römisch-katholischen Kirche“ der Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum von 1985, das Neuhaus zitiert:
„Die Christen sind eingeladen, diese in der biblischen Tradition verwurzelte religiöse Bindung der Juden an das Land Israel zu verstehen, ohne daß sie eine bestimmte religiöse Interpretation dieser Beziehung annehmen müssen. Was die Existenz des Staates Israel und seine politischen Entscheidungen betrifft, so müssen sie aus einer Perspektive betrachtet werden, die nicht an sich religiös ist, sondern sich auf die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts bezieht.“
Es sei klar, so Neuhaus, daß die Kirche „an dieser Position festhält“, auch „in dem verheerenden Krieg, der im Gazastreifen tobt“. Dabei sei es aber so, daß „der Dialog der Kirche mit dem jüdischen Volk weder politisch noch diplomatisch ist“. Die Formulierung zeigt auch bei Neuhaus die eingangs bei Magister erwähnte Vermischung der Begriffsebenen. Es gibt das Judentum als Religion. Aber gibt es auch ein jüdisches Volk bzw. wie ist der Volksbegriff in diesem Fall konkret zu verstehen? Darin ist wohl ein Verweis auf den Zionismus zu erkennen, den jüdischen Nationalismus, der seinerseits wenig mit dem Judentum als Religion zu tun hat. Warum sollte die Kirche mit einem Volk in einen „Dialog“ treten, wo doch die Ebene der Kirche die des Glaubens, also die der Gemeinschaft der Gläubigen, ist?
„Tiefer religiös-theologisch-spiritueller Dialog“ mit dem jüdischen Volk
Laut Neuhaus müsse der Dialog der Kirche mit dem jüdischen Volk „viel mehr sein als politisch oder diplomatisch“. Er müsse „ein tiefer religiös-theologisch-spiritueller Dialog sein, der auf den gemeinsamen Wurzeln in der Heiligen Schrift Israels beruht und darauf abzielt, Sorgen zu teilen und gemeinsam an der Reparatur einer zerbrochenen Welt zu arbeiten“.
Wie das gehen soll, sagt Neuhaus nicht. Wie aber soll das möglich sein, wenn Gott seinen eigenen Sohn als den verheißenen Messias in die Welt sandte, der aber von eben den Juden ans Kreuz geschlagen wurde? Damit haben die heutigen Juden natürlich nichts zu tun. Allerdings stehen sie in der Tradition jener, die die Hinrichtung Jesu Christi veranlaßten. Denn das ist das konstituierende Element des Christentums und der entscheidende Akt, der zum Bruch innerhalb des Judentums zwischen jenen führte, die den Messias erkannten, und jenen, die ihn ablehnten und austilgen wollten. Das läßt sich nicht einfach ausblenden.
Die heute in christlichen Kreisen gebräuchlichen Verharmlosung, es habe „nur“ ein Mob, der Pöbel, die Gosse Jesu Tod gefordert, geht so weit an der Realität vorbei, daß man das andere Ufer nicht einmal mehr sehen kann. Es war die Führung des jüdischen Volkes, der Hohepriester und sein Stab, das damalige jüdische Establishment, die die Hinrichtung Jesu betrieben. Sie haben unerbittlich insistiert, obwohl Pontius Pilatus und Herodes viermal Jesu Unschuld feststellten. Da stand schon die geballte Macht der religiösen jüdischen Elite dahinter. Der Mob ist zu allen Zeiten nur das von den Mächtigen gesteuerte Fußvolk für das Grobe. Vom Pöbel hätte sich ein Pontius Pilatus nicht einschüchtern lassen.
Das heutige Judentum ist nicht das vorchristliche Judentum in seiner Gesamtheit, sondern das damalige Pharisäertum, jener Teil des alten Israel, der den Messias nicht erkannte, sondern bekämpfte – im Gegensatz zu den vielen Juden, die sahen und sich bekehrten, von damals an bis heute.
Nun ist es eben so, daß der Talmud, der Babylonische wie der Jerusalemer, nur so strotzt von antichristlichen Invektiven, und zwar der übelsten Art. Die Christen haben nie eine „Säuberung“ des Talmud von diesen Abscheulichkeiten gegen Jesus Christus, gegen die Gottesmutter Maria, gegen die Apostel und letztlich auch gegen den Heiligen Geist gefordert. Von jüdischer Seite wurde hingegen wiederholt eine „Säuberung“ des Neuen Testaments von angeblichen „Antisemitismen“ gefordert. Diese Gegenüberstellung macht einen wichtigen Unterschied zwischen Christen- und Judentum deutlich. Die Wahrheit ist eben nur eine und sie kann nicht geändert werden. Wie aber soll eine Zusammenarbeit darauf abzielen, „an der Reparatur einer zerbrochenen Welt zu arbeiten“? Das geht an jeder heilsgeschichtlichen Dimension der Menschheitsgeschichte und der göttlichen Offenbarung vorbei.
Es gehört zum Dilemma unserer Zeit, daß man die Probleme, ob groß oder klein, unabhängig von der religiösen, konkret heilsgeschichtlichen Dimension „lösen“ will. Das aber ist unmöglich. Es gibt nicht zwei, sondern nur einen Weg zu Frieden, Freiheit und Erlösung. Die laizistische Variante einer Problemlösung ohne Gott ist nicht nur sinnlos, sondern ein gefährliches Trugbild.
Das komplexe Verhältnis
Doch hören wir weiter, was P. Neuhaus in seinem Aufsatz schreibt: Die katholische Kirche müsse, laut dem Jesuiten, den Dialog mit dem jüdischen Volk als „eine wesentliche Frage für ihre eigene Identität“ sehen. Juden und Katholiken teilen vieles aus der Heiligen Schrift. Jesus ist ohne seine Verwurzelung in der jüdischen Welt völlig unverständlich, und die Kirche bemüht sich heute, diese jüdische Welt zu ehren. Soweit der Jesuit. Dabei bleibt unverständlich, warum eine solche Ehrung jenseits kulturhistorischer Interessen stattfinden sollte bzw. warum sie die nachchristliche Epoche miteinbeziehen sollte. Neuhaus sagt es nicht, aber die Kirche hat unter Papst Franziskus auf die „Judenmission“ verzichtet. Sie hat offiziell erklärt, daß sinngemäß alle Völker und Irrgläubigen zu Christus zu bekehren sind außer den Juden. Das kann natürlich nicht sein, denn damit würde die Kirche Christus selbst widersprechen. Man geht also den windigen Weg von Winkeladvokaten. Man habe erklärt, auf eine gezielte, organisierte Aktion zu verzichten, weil diese die Juden ärgere, aber natürlich könne der einzelne Jude konvertieren und werde in die Kirche aufgenommen. Im Grunde bleibe alles gleich, aber man habe ein „Ärgernis“ aus dem Weg geräumt, indem man die Etikette austauschte. So mögen es manche sehen. Ist dem aber so? Wird das Erklärte nicht vielleicht von der nächsten so erzogenen katholischen Generation wörtlich genommen und damit ein angeblich zweiter Heilsweg ohne Christus akzeptiert und etabliert? Morgen zwei, übermorgen vielleicht drei (für den Islam, der neuerdings als „abrahamitische Religion“ bezeichnet wird) und überübermorgen schon viele?
Auch der Weg in die Irre ist mit vielen guten Vorsätzen gepflastert – und noch mehr Vorwänden und Ausreden.
Neuhaus äußert großes Verständnis für den Zionismus, wenn er schreibt: „Sie [die Kirche] ist sich in der Tat bewußt, daß viele Juden ihre jüdische Identität mit dem Staat Israel verbinden, weil sie in ihm eine Garantie für ihr Wohlergehen in einer Welt sehen, die ihnen gegenüber oft schrecklich grausam war. Einige von ihnen sehen in dem Staat eine Notwendigkeit, die ihrem Jüdischsein innewohnt.“ Allerdings leben auch 75 Jahre nach der Gründung des Staates Israel fast 60 Prozent der Juden in anderen Staaten. Allein in den USA leben mehr Juden als in Israel. Aber das ist eine Frage des Selbstverständnisses, über das die Juden natürlich selbst befinden müssen. Was nicht bedeutet, daß der Rest der Welt nicht über die sich daraus ergebenden politischen Fragen, sofern sie Dritte betreffen, mit befinden und die verschiedenen Positionen und Aussagen analysieren kann.
Was aber ist mit den Palästinensern?
Die Kirche, so Neuhaus, wisse aber, daß es „in diesem Land, das die Juden ‚Land Israel‘ nennen, und das auch von Christen und Muslimen verehrt wird, ein Volk gibt, das seiner Rechte beraubt ist, das palästinensische Volk“. Gemeint sind Araber, doch im Sinne der UNO-Zwei-Staaten-Lösung ist damit das Volk des bis heute nicht anerkannten Staates Palästina gemeint.
Pater Neuhaus erinnert daran, daß „die Palästinenser“ seit Paul VI. von allen Päpsten „ausdrücklich als Volk und nicht nur als Gruppe von Flüchtlingen anerkannt“ wurden. Die Papstbesuche galten dem Heiligen Land, weshalb sie einen Besuch in Israel stets mit einem Besuch in den palästinensischen Gebieten verbanden.
- Am 27. März 2023 empfing Franziskus den Israeli Rami Elhanan, einen Juden, und den Palästinenser Bassam Aramin, einen Moslem, in Audienz. „Beides trauernde Väter und Aktivisten des Elternkreises, einer israelisch-palästinensischen Gruppe von Eltern, die in dem Konflikt Kinder verloren haben“, so Neuhaus.
- Zur Pfingstvigil, dem 18. Mai, besuchte Franziskus die norditalienische Stadt Verona. Dort kam es zu einer emotionalen öffentlichen Umarmung zwischen dem Papst und dem Israeli Maoz Inon, dessen Eltern am 7. Oktober von der Hamas getötet wurden, und dem Palästinenser Aziz Abu Sarah, dessen Bruder 1988, obwohl ein Jugendlicher, vom israelischen Militär wegen des Verdachts, Steine geworfen zu haben, verhaftet worden war. Nach einem Jahr wurde er entlassen und starb wenige Wochen darauf an inneren Verletzungen, die ihm während der Haft von israelischen Militärangehörigen zugefügt worden waren.
Neuhaus empfiehlt, um die Haltung des Papstes zu verstehen, den Hirtenbrief von Kardinal Pizzaballa vom 24. Oktober 2023 an die Gläubigen von Jerusalem zu lesen.
Neuhaus hofft, wie er schreibt, auf einen „innigen Dialog der Freundschaft zwischen Christen und Juden nach Jahrhunderten der Entfremdung und Ablehnung“ und stellt dazu eine Frage:
„Könnten nicht Israelis und Palästinenser ihrerseits auf einen ähnlichen Horizont hoffen, auf ein Ende der Feindseligkeiten und den Aufbau einer gemeinsamen Zukunft in einem Land, das heilig sein soll, in Israel-Palästina?“
Da ist er wieder, der Vorschlag, der auf eine Überwindung der nie verwirklichten Zwei-Staaten-Lösung von 1947 hinausläuft, auf einen gemeinsamen Staat von Juden und Palästinensern (Moslems und Christen). Damit würde sich vordergründig jener Teil Israels durchsetzen, der ein Erez Israel, ein Großisrael, schaffen will. Allerdings könnte es ein Pyrrhussieg werden, denn demographisch ist es leicht denkbar, daß die Palästinenser in absehbarer Zeit in einem solchen Staat die Mehrheit hätten. Das ist auch der Grund, warum der Regierung Netanjahu vorgeworfen wird, die Vertreibung der zwei Millionen Palästinenser aus dem Gazastreifen zu forcieren, egal in welchen anderen Staat, Hauptsache weg aus dem Territorium, das die UNO 1947 geteilt hatte.
Was lehrt die Geschichte?
Lehrt die Geschichte jedoch, daß Zwangsvereinigungen von dem, was offensichtlich nicht zusammengehört, erfolgreich waren? Nein, das tut sie nicht. Die Regel ist, daß die machtpolitisch dominante Gruppe sich durchsetzt. Den Unterlegenen bleibt nur die Wahl zwischen Vertreibung/Auswanderung und Unterwerfung. Letzteres vielleicht in der Hoffnung, in einem späteren Moment durch Sezession die staatliche Unabhängigkeit zu erlangen. Was wäre im Nahen Osten also damit gewonnen? Wie aber Assimilation im konkreten Fall ausschauen könnte, weiß wohl niemand zu beantworten. Sie scheint objektiv unmöglich, denn sie würde einen Religionswechsel verlangen.
Das einzige wirklich erfolgreiche Modell ist die Schweiz, die allerdings bis heute von keinem Staat erfolgreich nachgeahmt wurde. Um genau zu sein, hielt sich der Drang zur Nachahmung sehr in Grenzen. Das ist insgesamt bedauerlich und sagt viel über die Hürden aus, die das menschliche Machtdenken gegen Lösungen in Frieden und Gleichberechtigung aufbaut.
Zum Abschluß ein Hinweis von Sandro Magister, daß der Name von Patriarch Pizzaballa „in den Notizbüchern der Kardinäle im Hinblick auf ein künftiges Konklave immer häufiger auftaucht“. Die Papstwahl an einer politischen Frage festzumachen, wäre allerdings wohl ein schlechter Rat.
Wie schwierig es übrigens um den Dialog bestellt ist, den Pater Neuhaus im Namen des Heiligen Stuhls anmahnt, zeigte sich vor kurzem. Am 7. Mai veröffentlichte Neuhaus im Osservatore Romano, der offiziösen vatikanischen Tageszeitung, den Artikel „Antisemitismus und Palästina“. Dieser löste den scharfen Protest des israelischen Botschafters beim Heiligen Stuhl Raphael Schutz aus. Schutz replizierte auf Neuhaus und übermittelte den Text an den Osservatore Romano, der sich jedoch weigerte, ihn zu veröffentlichen. Dafür berichtete der progressive Vatikanist John L. Allen jun. vor drei Tagen ausführlichst auf dem Internet-Nachrichtenseite Crux darüber.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: lpj.org/Vatican.va (Screenshots)
Warum wird ausgeblendet, was der herrliche Kirchenvater über die nachchristlichen Juden schrieb?
Jeder, der es wissen möchte, braucht nur zu googlen: Augustinus und die Juden
Und wer wissen möchte, warum die Araber sind wie sie sind, braucht nur die Bibel zu lesen, was im auch Genesis über Ismael steht, die Prophezeiung an seine Mutter Hagar, die noch vor seiner Geburt gemacht wurde.….