Wurde für den verhafteten Bischof von Matagalpa ein Deal ausgehandelt?

"Das Schweigen des Papstes bedeutet nicht Untätigkeit"


Gestern stürmte die nicaraguanische Polizei, besser bekannt als "Ortega-Milizen", die bischöfliche Kurie von Matagalpa und verhaftete den Bischof und mehrere Priester, Seminaristen und Laien.
Gestern stürmte die nicaraguanische Polizei, besser bekannt als "Ortega-Milizen", die bischöfliche Kurie von Matagalpa und verhaftete den Bischof und mehrere Priester, Seminaristen und Laien.

(Mana­gua) Am Frei­tag stürm­ten die Orte­ga-Mili­zen in Nica­ra­gua die Kurie der Diö­ze­se Matag­al­pa und nah­men Bischof Rolan­do Álva­rez und acht wei­te­re Per­so­nen fest. Soli­da­ri­täts­no­ten kom­men von ande­ren nica­ra­gua­ni­schen Diö­ze­sen und aus den USA. Der Sekre­tär der Päpst­li­chen Kom­mis­si­on für Latein­ame­ri­ka kün­dig­te für Sonn­tag eine Stel­lung­nah­me von Papst Fran­zis­kus an. Den­noch zeich­net sich ab, daß es auch die­ses Mal zu kei­ner päpst­li­chen Ver­ur­tei­lung der Kir­chen­ver­fol­gung kom­men könnte.

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Im Juli 2021 wur­de von Papst Fran­zis­kus mit Msgr. Juan Abel­ar­do Mata Gue­va­ra SDB, Bischof von Estelí und Gene­ral­se­kre­tär der Nica­ra­gua­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz, der bis dahin uner­schrocken­ste Regime­kri­ti­ker unter den Bischö­fen eme­ri­tiert. Zuvor war 2019 bereits der regime­kri­ti­sche Bischof Sil­vio José Báez nach Rom beru­fen wor­den, um ihn aus dem Land zu ent­fer­nen. Zuletzt rück­te Msgr. Rolan­do Álva­rez, der Bischof von Matag­al­pa und seit dem Vor­jahr auch Apo­sto­li­scher Admi­ni­stra­tor von Estelí, in deren Fuß­stap­fen auf.

Im Mai begab sich Bischof Álva­rez in den Hun­ger­streik, um gegen die Repres­sio­nen des san­di­ni­sti­schen Regimes zu pro­te­stie­ren, mit denen die Kir­che „zum Schwei­gen“ gebracht wer­den soll. Seit­her ver­schärf­te sich das Kli­ma zwi­schen Regime und Kir­che wei­ter. Eine Rei­he kirch­li­cher Orga­ni­sa­tio­nen wur­den ver­bo­ten und katho­li­sche Radio­sen­der geschlossen.

Seit dem 4. August befand sich Bischof Álva­rez in fak­ti­scher Gei­sel­haft des Regimes, das die diö­ze­sa­ne Kurie von Matag­al­pa von der Poli­zei bela­gern ließ. Im Gebäu­de harr­ten der Bischof, eini­ge Prie­ster und Semi­na­ri­sten und zwei Lai­en aus. Bischof Álva­rez erhob wei­ter­hin über sozia­le Netz­wer­ke sei­ne Stimme.

Gestern ließ Orte­ga die Kurie stür­men und den Bischof und alle Anwe­sen­den verhaften.

Die Natio­nal­po­li­zei, die im Land „Orte­ga-Mili­zen“ genannt wer­den, ver­öf­fent­lich­te eine Erklä­rung, in der es heißt, der Bischof und sei­ne Gefähr­ten hät­ten auf­grund ihrer „desta­bi­li­sie­ren­den und pro­vo­kan­ten Akti­vi­tä­ten“ in Gewahr­sam genom­men wer­den müs­sen. Der Bischof wur­de in das Haus sei­ner Fami­lie nach Mana­gua gebracht und dort unter Haus­ar­rest gestellt. Sei­ne acht Gefähr­ten wur­den in das neue El-Chi­pote-Gefäng­nis über­stellt, das eigens für die poli­ti­schen Gefan­ge­nen des Orte­ga-Regimes errich­tet wur­de und wegen Fol­ter­be­rich­ten berüch­tigt ist. Unter den acht Gefan­ge­nen sind die Prie­ster José Luis Díaz und Sadiel Eugar­ri­os, die bei­den Vika­re der Bischofs­kir­che von Matag­al­pa, der Prie­ster Rami­ro Tije­ri­no, Rek­tor der katho­li­schen Uni­ver­si­tät Juan Pablo II, der Prie­ster Raúl Gon­zá­lez, die bei­den Semi­na­ri­sten Dar­vin Ley­va und Mel­kin Sequei­ra sowie der Laie Ser­gio Cárdenas.

El nue­vo Chi­pote, das berüch­tig­te Gefäng­nis des Ortega-Regimes

Wie zunächst bekannt wur­de, war es Kar­di­nal Leo­pol­do Bre­nes, Erz­bi­schof von Mana­gua und Pri­mas von Nica­ra­gua, über­ra­schend erlaubt wor­den, sei­nen Mit­bru­der im Bischofs­amt am Ort sei­ner Gefan­gen­schaft zu besuchen.

„Das Schweigen des Papstes bedeutet nicht Untätigkeit“

Eine der ersten Reak­tio­nen erfolg­te durch den Sekre­tär der Päpst­li­chen Kom­mis­si­on für Latein­ame­ri­ka, Rodri­go Guer­ra, einen über­zeug­ten Berg­o­glia­ner, der jah­re­lang ganz Latein­ame­ri­ka bereist hat­te, um das umstrit­te­ne nach­syn­oda­le Schrei­ben Amo­ris lae­ti­tia und die Öff­nung des Kom­mu­ni­on­zu­gangs zu ver­tei­di­gen. Gegen­über Ale­teia erklär­te Guer­ra, daß Papst Fran­zis­kus dem­nächst eine Stel­lung­nah­me zur Lage in Nica­ra­gua abge­ben wer­de. Mit die­ser dür­fe beim Ange­lus am Sonn­tag gerech­net wer­den. Bis­her schwieg San­ta Mar­ta zur san­di­ni­sti­schen Kir­chen­ver­fol­gung – weil Fran­zis­kus gro­ße Sym­pa­thien für sozia­li­sti­sche Regime hegt. Orte­ga selbst wirft der Kir­che in Nica­ra­gua vor, einen Staats­streich vor­zu­be­rei­ten, nennt Papst Fran­zis­kus aber einen „Freund“.

Das euphe­mi­sti­sche Polizei-Kommuniqué

Rodri­go Guer­ra beton­te, daß Papst Fran­zis­kus „sich der Ereig­nis­se in Nica­ra­gua sehr wohl bewußt“ sei. Das Kir­chen­ober­haupt sei „sehr gut über Nica­ra­gua infor­miert und sein Schwei­gen bedeu­tet nicht Untä­tig­keit oder Ent­schei­dungs­lo­sig­keit, nein, nichts der­glei­chen. Es bedeu­tet, daß auf ande­ren Ebe­nen gear­bei­tet wird. Und wenn der Hei­li­ge Vater es für klug hält, wird er natür­lich eingreifen“.

„Es wür­de mich nicht über­ra­schen, wenn der Papst nach der Inhaf­tie­rung von Bischof Rolan­do Álva­rez viel­leicht am Sonn­tag, wenn er das Ange­lus­ge­bet hal­ten wird, eine erste Stel­lung­nah­me abge­ben wird. Das wür­de mich nicht über­ra­schen. Aber das ist das exter­ne Pro­blem. Der Hei­li­ge Stuhl arbei­tet haupt­säch­lich mit dis­kre­ter Diplomatie.“

Er selbst, so Guer­ra, sei in die Sache invol­viert, da es in Nica­ra­gua kei­nen Apo­sto­li­schen Nun­ti­us gibt. Die­ser, Erz­bi­schof Wal­de­mar Som­mer­tag, war im Früh­jahr vom Orte­ga-Regime fak­tisch des Lan­des ver­wie­sen worden.

„Ja, Sie glau­ben, dass Poli­tik vor allem durch Reden gemacht wird und dass das Aus­blei­ben einer öffent­li­chen Erklä­rung des Pap­stes bedeu­tet, dass der Hei­li­ge Stuhl die nica­ra­gua­ni­schen Bischö­fe im Stich lässt oder sich zum Kom­pli­zen der Dik­ta­tu­ren macht. Nein, so ist es nicht“, so Guerra.

Einen etwas eigen­ar­ti­gen Ver­gleich zog Guer­ra, der selbst Mexi­ka­ner ist, mit den mexi­ka­ni­schen Cri­ste­ros vor hun­dert Jahren:

„In die­ser Hin­sicht müs­sen wir sehr vor­sich­tig sein, denn das ist nicht die wün­schens­wer­te­ste Rich­tung: in einen bewaff­ne­ten Kon­flikt mit einer Regie­rung ein­zu­tre­ten. Im Gegen­teil, wir müs­sen immer ver­su­chen, fried­li­che Mit­tel zu bevor­zu­gen, auch wenn sie lang­sa­mer, aber weni­ger blu­tig sind.“

Es waren nicht die Cri­ste­ros, die einen bewaff­ne­ten Kon­flikt mit der frei­mau­re­ri­schen Regie­rung begon­nen hat­ten. Es war das Regime, das die Kir­che auf bru­ta­le Wei­se abwür­gen und aus­lö­schen woll­te. Die Cri­ste­ros waren die Ant­wort eines ver­zwei­fel­ten Vol­kes. Mit grau­sa­mer Gewalt wur­den sie vom offi­zi­ell „libe­ra­len“ mexi­ka­ni­schen Regime nie­der­ge­kämpft unter den gleich­gül­ti­gen Blicken der USA, die anson­sten wie­der­holt in ganz Latein­ame­ri­ka intervenierten.

Ein ausgehandelter Deal?

Kar­di­nal Bre­nes ließ im Namen der Erz­diö­ze­se Mana­gua eine sehr nie­der­schwel­li­ge Erklä­rung ver­öf­fent­li­chen, in der er sich mit „der Schwe­ster­diö­ze­se Matag­al­pa“ soli­da­ri­sier­te, aber weder die Fest­ge­nom­me­nen – weder Bischof Álva­rez noch des­sen Gefähr­ten – noch den Sturm auf die bischöf­li­che Kurie und die Fest­nah­men erwähnte.

Dar­aus wird geschlos­sen, daß die Gerüch­te zutref­fend sind, Kar­di­nal Bre­nes habe mit Unter­stüt­zung von San­ta Mar­ta mit dem Regime einen Deal für Bischof Álva­rez aus­ver­han­delt. Dem­nach kom­me der Bischof nichts ins Gefäng­nis, müs­se dafür aber das Land ver­las­sen und ins Exil gehen. Das sei auch der Grund, wes­halb Kar­di­nal Bre­nes über­ra­schend zu Bischof Álva­rez vor­ge­las­sen wur­de: um ihm den Han­del mit­zu­tei­len und ihn davon zu über­zeu­gen. Nach Bischof Báez, der seit 2019 in Flo­ri­da lebt, wäre Msgr. Álva­rez bereits der zwei­te Bischof, der das Land ver­las­sen muß, um nicht ver­haf­tet zu wer­den. Nica­ra­gua wür­de eine wei­te­re füh­ren­de regime­kri­ti­sche Stim­me ver­lie­ren. Ein Sieg für das Regime. Ein Bischof im Exil, sie­he Msgr. Báez, ist weni­ger gefähr­lich als ein Bischof im Gefäng­nis. Da Msgr Álva­rez zu jung ist, um ihn wie Bischof Mata Gue­va­ra eme­ri­tie­ren zu las­sen, wur­de zu här­te­ren Mit­teln gegrif­fen. Mit der Exi­lie­rung des Bischofs kann das san­di­ni­sti­sche Regime sein Kli­ma der Ein­schüch­te­rung und Abschreckung aufrechterhalten. 

Damit ist aller­dings die Wahr­schein­lich­keit für die von Rodri­go Guer­ra in Aus­sicht gestell­te Reak­ti­on von San­ta Mar­ta, daß Papst Fran­zis­kus die Kir­chen­ver­fol­gung und die Orte­ga-Dik­ta­tur anpran­gern wer­de, wie­der deut­lich gesun­ken. Wird ein Preis für den Deal es sein, daß San­ta Mar­ta wei­ter­hin Zurück­hal­tung üben wird? Mor­gen wird man es wissen.

Im Gegen­satz zur US-Regie­rung soli­da­ri­sier­ten sich die Bischö­fe der USA mit der Kir­che in Nica­ra­gua. Die Ame­ri­ka­ni­sche Bischofs­kon­fe­renz stell­te dabei fest, daß „die Bedro­hun­gen für die katho­li­sche Kir­che in Nica­ra­gua inmit­ten der loka­len sozia­len und poli­ti­schen Kri­se zunehmen“.

Die Hintergründe

Von 1979 bis 1990 hat­ten die mar­xi­stisch-revo­lu­tio­nä­ren San­di­ni­sten unter Dani­el Orte­ga und den Brü­dern Car­denal mit einer Mischung aus Kom­mu­nis­mus und Befrei­ungs­theo­lo­gie Nica­ra­gua dik­ta­to­risch beherrscht. Kaum brach der Ost­block zusam­men, stürz­te auch das san­di­ni­sti­sche Regime. 

Wegen der Zer­strit­ten­heit der bür­ger­li­chen Par­tei­en gelang Dani­el Orte­ga 2006 mit ledig­lich 38 Pro­zent der Stim­men, dies­mal auf demo­kra­ti­schem Weg, die Rück­kehr an die Macht. Prak­ti­scher­wei­se war vor dem Urnen­gang das Wahl­recht dahin­ge­hend geän­dert wor­den, daß jemand bereits mit 35 Pro­zent der Stim­men zum Staats- und Regie­rungs­chef gewählt wer­den konn­te. Seit­her sind Orte­ga und die San­di­ni­sten fest ent­schlos­sen, sich kein zwei­tes Mal von der Macht ver­drän­gen zu lassen.

Das syste­ma­tisch errich­te­te Orte­ga-Regime änder­te die Ver­fas­sung und das Wahl­recht zu sei­nen Gun­sten, hob de fac­to die Gewal­ten­tei­lung auf, miß­braucht die Justiz zur Bekämp­fung poli­ti­scher Kon­kur­ren­ten und setzt Poli­zei und Armee gna­den­los gegen die eige­nen Bür­ger ein. Bei der Nie­der­schla­gung der Bür­ger­pro­te­ste 2018 wur­den meh­re­re hun­dert Men­schen getötet. 

Nach­dem die San­di­ni­sten die Oppo­si­ti­on besei­tigt oder bra­chi­al unter Kon­trol­le gebracht hat­ten, zog die Kir­che ihr Augen­merk auf sich, da sie sich einen gewis­sen Spiel­raum erhal­ten konn­te. Die Kir­che wur­de zur ein­zi­gen frei­en Stim­me des Lan­des, ein Zustand, der für die mar­xi­sti­schen Macht­ha­ber aus macht­po­li­ti­schen Grün­den uner­träg­lich ist, beson­ders für die aber­gläu­bisch-para­no­ide Rosa­rio Mur­il­lo, Orte­gas Ehe­frau und zugleich sei­ne Vizepräsidentin.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Articulo66/​Google Maps/​Policia Nacional/Curamanagua.org (Screen­shots)

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