
(Managua) Am Sonntag ist in der nicaraguanischen Hauptstadt Managua der Priester, Befreiungstheologe, Dichter und marxistische Revolutionär und Politiker Ernesto Cardenal im Alter von 95 Jahren verstorben. Gefeiert wurde und wird er als „Vermittler zwischen Marxismus und Christentum“.
Cardenal stand politisch so weit links, daß er sich vom heute in Nicaragua erneut regierenden Hauptstrang des Sandinismus trennte, um dessen „ursprünglichen Idealen“ treu zu bleiben.

Ohne öffentlich ein Signal der Reue zu zeigen, wurde er von Papst Franziskus im Februar 2019 rehabilitiert, weshalb nun geschrieben wurde, er sei „in Gemeinschaft mit der Kirche“ gestorben. Entsprechend unkritisch war auch die Berichterstattung der Vatikanmedien. Vatican News titelte: „Nicaragua in Trauer“. Die Tatsache, daß er auf päpstliche Anweisung jahrzehntelang von seinem Priestertum suspendiert war, wurde auf einen offenkundig wohlwollenden Satz reduziert:
„Seit dem 30. Januar 1985 hielt er weiter am Leben des zölibatären Priestertums und der Armut fest, auch wenn er die Sakramente kirchlich nicht mehr verwalten konnte wegen der Suspendierung a divinis.“
Die Formulierung läßt mit gutem Grund offen, ob Ernesto Cardenal auch ohne kirchliche Erlaubnis sein Priestertum weiter ausübte und die Sakramente spendete.
Öffentlich-rechtliche Medien im deutschen Sprachraum zeigten sich nicht weniger trauernd, wenn auch etwas abgeklärter, was damit zu tun haben dürfte, daß Ernesto Cardenal wegen seines hohen Alters vor allem für jüngere Journalisten nicht mehr eine vertraute Größe war. Nichtsdestotrotz: Die christliche Linke trauert um ihn, und das nicht so sehr um den Priester, sondern um den Politiker. Ernesto Cardenal war in den 70er und den 80er Jahren ein Symbol der politischen Linken in Europa, vor allem der Neomarxisten, aus denen in unseren Breiten die Linksgrünen hervorgingen, denen sich Kinder aus bürgerlichen und christlichen Familien anschlossen.
Ernesto und sein 2016 verstorbener Bruder Fernando Cardenal, Jesuit und ebenfalls Priester, waren führende Köpfe des von Kuba und der UdSSR unterstützten Frente Sandinista de Liberación Nacional (FSNL). Beide Brüder wurden nach der Revolution von 1979 Minister in der sozialistischen Regierung von Daniel Ortega. Zuerst wurde Ernesto Cardenal Kulturminister, dann sein Bruder Fernando Bildungsminister, der zuvor bereits seinen Bruder beraten hatte. Den Bildungs- und Kulturbereich hielten sie mehrere Jahre fest in ihrer Hand, um ihn im Sinne der Revolution umzugestalten. Auf die Brüder Cardenal geht eine Bildungsoffensive zurück, mit der die „entrechteten Massen“ Zugang zur Bildung erhalten sollten. Die Grundrechenübungen wurden nicht wie gewohnt mit Äpfeln oder Birnen dargestellt, sondern mit Kalaschnikows.

Wie tief die linken Sympathien reichten, zeigte die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Ernesto Cardenal im Jahr 1980, die ein „Dankeschön“ der deutschen Salonlinken für die gelungene Revolution der extremen Linken in Nicaragua war. Die unbekümmerte Solidarität der gemäßigten Linken mit der radikalen und auch extremen Linken muß immer neu verblüffen angesichts ihres unerbittlichen Kampfes gegen rechts (nicht etwa rechtsradikal oder rechtsextrem).
Bis zuletzt zeigte Ernesto Cardenal geistlich keine erkennbare Reue und gab sich politisch uneinsichtig. Er sei „Sandinist, Marxist und Christ“, lautete sein Credo. Noch kurz vor seinem Tod betonte er stolz, daß er einen nicht unerheblichen Beitrag zur bewaffneten Revolution geleistet habe, auch „durch meine Poesie“, für die er im Westen gerne gefeiert wurde. Auf ihn projizierten die Linken in Westeuropa mehrere Jahre lang ihre Sehnsüchte. Das war zu einer Zeit, als der Eiserne Vorhang und der Ostblock noch existierten, es aber nicht mehr en vogue war, sich direkt mit dem sowjetischen Kommunismus zu solidarisieren. Man tat es über immer neue Umwege in der Dritten Welt. Die blutige Revolution und die sandinistische Diktatur waren eine Etappe davon.
Über Ernesto Cardenal, seinen Bruder Fernando Cardenal und Nicaragua:
- Papst Franziskus rehabilitiert Ernesto Cardenal
- Fernando Cardenal gestorben – Jesuit, Befreiungstheologe und Sandinist
- Miguel D’Escoto gestorben – Sandinist, Befreiungstheologe, marxistischer Revolutionär, suspendierter Priester – von Papst Franziskus wiedereingesetzt
- Bei sozialistischen Regimen hält sich Franziskus zurück
- Papstschreiben an Comandante Ortega
- Verhalten des Papstes zu Nikaragua ist „beschämend“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: InfoCatolica/Teologia del pueblo (Screenshots)